Bulletin Nr. 11; Oktober 1995

Berichte von ehemaligen Häftlingen

Im folgenden dokumentieren wir mehrere Ausschnitte von Interviews, welche wir mit ehemaligen Ausschaffungsgefangenen führten. Da sie sich zur Zeit noch in der Schweiz aufhalten, d.h. als Illegale jederzeit wieder verhaftet werden können, geben wir keine Namen bekannt, und vermeiden genauere Angaben, welche Rückschlüsse auf die Person ermöglichen. Wir sind jedoch bereit, JournalistInnen und VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen Kontakte zu Ex-Gefangenen zu vermitteln.

 
Ex-Gefangener aus dem Propog
- Mit wievielen Leuten warst Du in der selben Zelle?
- Manchmal mit fünf. Wir mussten auf Matratzen am Boden schlafen.
- Wurdest Du geschlagen?
- Ja, von einem Polizei-Offizier
- Wie ging das vor sich?
- Jemand hatte etwas an die Zellenwand geschrieben. Da kam ein Offizier und fragte, ob ich das geschrieben hätte. Ich antwortete, ich wisse nicht, wer das geschrieben hätte, es kämen immer wieder neue Leute in diese Zelle. Er rief einen anderen Polizei-Offizier. Dieser fragte nichts, sondern schlug mich ins Gesicht. Er sagte zu meinen Zellenkollegen: "Wenn ihr was sagt, dann bekommt ihr auch Probleme." Niemand sagte was. Er schloss die Türe. Wir haben auch von anderen gehört, die geschlagen wurden. In der Nacht hörten wir auch Schreie, vor allem nach den Sonntags-Spaziergängen (Kundgebungen).
- Du wurdest nur einmal geschlagen?
- Ja.
- Wie sah der Mann aus, der dich geschlagen hat?
-Ich kann ihn nicht beschreiben, da sind viele von ihnen, und sie sehen sich ähnlich.
- War er in Uniform?
- Nein, in Zivil.
- Wie alt war er?
- Sehr jung.
- War er bewaffnet?
- Nein, aber seine beiden Begleiter - Securitas - hatten Schlagstöcke dabei.
- Bist du sicher, das es sich um Securitas handelte?
- Ja. Manchmal sind die auch mit Tränengas gekommen.
- Waren auch Polizeigrenadiere im Gefängnis?
- Ja, die brachten manchmal das Essen.
- Hast du verletzte Leute gesehen?
- Ja, einen, der schwere Verbrennungen hatte.
- Wann war das?
- Am Anfang meiner Haft, im April. Ein Mann hatte sich selbst angezündet. Er kam ins Spital.
 
Ex-Gefangener aus der alten Kaserne
- Mit wievielen Leuten warst du in der Zelle?
- Mit 6. Es gab 4 Betten, 2 mussten auf Matratzen am Boden schlafen.
- Wie war die Behandlung durch die Wärter?
- Sie beleidigten uns. Sie nannten uns 'Bimbo' und 'fucking blackman'.
- Wurdet ihr geschlagen?
- Ja, einmal fragte ein Mann in meiner Zelle, ob wir noch etwas Brot haben könnten. Der Wärter meinte 'ok, ich komme'. Als die Türe geöffnet wurde, schlugen die Wärter den Mann nieder. So fragte er nicht mehr nach Brot.
- Wurdest du auch geschlagen?
- Nein. Ich hörte oft Sprüche von den Wärtern. Sie sagten, 'Hau ab, hier ist nicht dein Land'.
- In welcher Sprache sagten sie das?
- In Englisch.
- Wie war die Behandlung sonst?
- Für die Spaziergänge haben sie uns alle aneinandergekettet. Und dabei haben sie uns rumgestossen. Wir baten sie, uns einfach spazieren zu lassen. Sie sagten rüde 'Nein', 'Arschloch', und haben uns gestossen.
- Waren das uniformierte Wärter?
- Ja, v.a. junge, uniformierte Polizisten.
- Hatten sie Overalls an?
- Ja, die blauen.
- Hatten sie Waffen?
- Ja, Pistolen und Schlagstöcke.
 
Gespräch mit P.
Anfangs Juni bin ich zweimal kurz hintereinander verhaftet worden. Das erste Mal kam ich nach einer Nacht wieder frei, doch zuerst wurden mir von den Beamten, die mich kontrollierten, die Adressen meines Anwaltes und meiner Freunde vor meinen Augen zerrissen, und zwar mit den Worten: 'Ist das die Adresse deines Anwaltes? Die brauchst Du jetzt nicht mehr.' Dazu kamen Beschimpfungen wie Dein Land ist nichts wert', 'Arschloch'. Während der Verhandlung vor dem Haftrichter hat mir der Übersetzer vorgeschlagen, ich solle doch meinen Pass besorgen, ich könne dann in ein Drittland meiner Wahl ausreisen. Diesen Vorschlag hat er von sich aus gemacht, während der Richter mit Diktieren beschäftigt war.
Dann wurde ich in den alten Teil der Kaserne gebracht, in eine Einzelzelle. Immer wieder wurde eine zusätzliche Matratze für Schweizer gebracht, die kleinere Delikte begangen hatten. In dieser Transitzelle verbrachte ich 1 Woche. Einmal konnte ich 10 Minuten im Hof spazieren und einmal duschen. Ab und zu habe ich französische Zeitschriften erhalten. Die Gefängnisordnung war auf deutsch an der Türe angebracht. Ich kann aber kein Deutsch lesen. So wusste ich nicht, welches meine Rechte sind.
Danach wurde ich in die Uraniawache verlegt, weil es im Propog keinen Platz hatte. In der Urania war ich immer allein. Alle zwei Tage wurden wir zu viert in die Kaserne gebracht, um einmal um die Wiese zu spazieren. Aneinandergekettet mit Handschellen und eskortiert von zwei Polizisten. Wenn wir miteinander zu reden begannen, hiess es immer wieder 'Ruhe'. Einmal wurde der Spaziergang deswegen abgebrochen.
Duschen konnten wir einmal die Woche. Kleider hatte ich die ganze Zeit nur meine eigenen, die ich bei der Verhaftung getragen hatte. Die Behandlung hing ganz von den Wärtern ab: Wenn ein älterer mit grauem Bart Dienst hatte, war es schlimm. Er hatte immer zwei Schäferhunde bei sich, die manchmal auch zubissen, wenn wir nicht sofort befolgten, was er befahl, oder wenn wir widersprachen und dabei eine Bewegung mit dem Arm machten. Er behandelte uns wie Dreck und beschimpfte uns häufig. Als ich einmal zu einem Verhör in die Kaserne gebracht worden war, fiel dort dem Sachbearbeiter auf, dass ich mich seit meiner Verhaftung noch nie rasiert hatte, und er verlangte von den Wärtern, dass ich mich wenigstens rasieren können soll. Bis dahin hatte ich es nicht gewagt, um etwas zu bitten. Danach sprach mich in der Urania ein Wärter an und meinte, ich solle nur sagen, was ich wolle: zu lesen, zu rauchen...
Nach mehreren Wochen haben wir zu fünft einen Hungerstreik begonnen, weil wir es nicht mehr aushielten. Unsere Forderungen lauteten: Entweder sofortige Freilassung oder Verlegung nach Kloten. Wir bekamen Besuch von einem Pfarrer, der uns zum Abbruch bewegen wollte und meinte, wir sollten eher einen Brief schreiben. Die Wärter, vor allem der alte, hatten Angst vor dem Hungerstreik. Sie befürchteten, dass uns etwas geschehen könnte und baten uns inständig, doch zu essen. Sie brachten uns mehr zu essen als gewöhnlich, vor allem viel Brot. Am dritten Tag des Hungerstreikes wurde ich zu einer weiteren Befragung in die Kaserne gebracht. Dort wurde mir versprochen, dass wir bald nach Kloten verlegt werden. Darauf haben wir den Hungerstreik abgebrochen.
Beim Haftprüfungs-Verfahren habe ich eine halbe Stunde vorher zum erstenmal einen Anwalt gesehen. Er hat erreicht, dass ich freigelassen worden bin.
 
Gespräch mit M.
- Wie wurdest Du in Zürich verhaftet?
- Ich war in einem Haus, in der Nähe der Langstrasse, wo sich viele Leute aus dem Maghreb treffen, um zu essen.
Drei Tage später wurde ich dem Haftrichter vorgeführt. Ich fragte nach einem Anwalt. Mir wurde gesagt, dass ich die ersten drei Monate kein Recht auf einen Anwalt hätte. Der Haftrichter verurteilte mich zu drei Monaten Ausschaffungshaft, aber ich könne ja bei der Fremdenpolizei einen Asylantrag stellen und verlangen, dass ich aus der Haft entlassen würde. Ich schrieb zwei gleiche Briefe. Einen an die Fremdenpolizei(Frepo), den anderen an das Haftrichteramt. Als Antwort erhielt ich Besuch von einem Beamten der Frepo. Der sagte mir, der Haftrichter sei prinzipiell mit meiner Entlassung einverstanden, aber er selber sei dagegen, und darum müsse ich drei Monate sitzen.
Nach zwei Monaten wurde ich wieder dem Frepo-Beamten vorgeführt. Er stellte viele Fragen über mein Land. Er wollte offensichtlich herausfinden, ob ich mein Land kenne. Er schlug mir auch vor, mit mir auf die Botschaft zu gehen. Sie fragten mich, wieviele Provinzen es gäbe, wieviele Nachbarländer, wie die Nationalhymne gehe, wie die Währung heisse, wie die Autonummern aussähen.
Nach dieser Befragung wurde ich vom alten Polizeigefängnis in der Kaserne in das Propog verlegt. Vorher war ich die ganze Zeit mit 4-5 Leuten in einer Zelle im Keller gewesen. Mit einem zweiten Mann verbrachte ich die ganze Zeit zusammen, die anderen vier wechselten ständig. Sogar die Wärter fanden es seltsam, dass wir so lange in diesen Zellen gelassen wurden. Normalerweise würden die Gefangenen nach zwanzig Tagen hier herauskommen.
-Wie oft konntest du in den ersten zwei Monaten spazieren?
- Ungefähr alle zwei Tage ca. 10 Minuten rund um die Wiese, zusammen mit den anderen derselben Zelle. Je zwei mit Handschellen aneinander gefesselt, die Zweierpaare waren zusätzlich mit einer Kette verbunden. Duschen konnten wir alle fünf Tage. Die Toilette war in einem separaten Räumchen.
- Was habt Ihr in der Zelle gemacht?
- Wir haben miteinander gesprochen, uns mit Sprüchen unterhalten, oder sind einfach herumgelegen. Das Essen reicht gerade zum Ueberleben, wir waren immer hungrig. (M. zeigt uns ein Foto, das vor der Haft aufgenommen wurde. Sein Gesicht ist nicht so schmal und abgezehrt wie heute). Im Keller bekamen wir sechs Zigaretten am Tag, im Propog zwei beim Spaziergang.
- Ist nie jemand ausgeflippt?
- Die Leute wurden krank, sind sehr mager geworden. Fast täglich haben wir gerufen und geklopft, weil wir Hunger hatten. Wenn dann Polizisten kamen, lachten diese und sagten, das sei halt kein Hotel. Etwa alle fünf Tage kam einer, der uns Pillen verteilte. Wir wurden aber nicht richtig untersucht. Der Mann hatte einen Rucksack bei sich, schaute uns ein bisschen an, verteilte jeweils 2-3 Pillen und sagte, damit werde es besser. Wenn ihm gesagt wurde, wir hätten z.B. Magenprobleme, meinte er, er könne nichts machen. Wir konnten zwar duschen, aber wir hatten nur unsere Kleider. Zwei Monate lang musste ich in denselben Kleidern leben. In der Zelle hatten wir nur eine Seife für die Hände und kaltes Wasser, so konnten wir keine Wäsche waschen.
Im Propog war es dann ziemlich ähnlich, nur hatten wir dort ein wenig mehr Luft. Die Sonntagsspaziergänge haben wir dort mitbekommen. Wir konnten ein bisschen raussehen und bekamen mit, wie die Polizisten die Leute mit den Wassernwerfern vertreiben wollten. Wir hatten das Gefühl, dass diese Leute uns vielleicht helfen wollen, rauszukommen. Wenn die Sonntagsspaziergänge angefangen haben, versuchten die Gefangenen mit allen Mitteln, die Fenster einzuschlagen, damit sie rausrufen konnten. Dazu benutzten sie ihre Zahnbürsten oder Kugelschreiber.
- Wurdest Du einmal geschlagen, oder hast du mitbekommen, wie andere Gefangene geschlagen wurden?
- Wenn wir Lärm gemacht oder protestiert hatten, kamen drei oder vier Polizisten und haben sich einen rausgegriffen und ihn geschlagen. Nicht ins Gesicht, sondern eher auf den Körper, wo nicht so viele Spuren zurückbleiben. Einmal hat einer wegen dem Essen protestiert. Sie kamen dann in die Zelle, schlugen ihm die Faust ins Gesicht und gingen wieder. Eine weitere Strafe war die Verlegung in eine völlig kahle Zelle. Man musste dort ohne Decke und Essen 1-2 Tage bleiben.

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