Bulletin Nr. 10; Juni 1995

Die Repression gegen DrogenkonsumentInnen geht weiter

Liberalisierungsversprechen zum Trotz

 
Ein Zeuginnenbericht
A. holt sich bei ihrem Hausarzt die zwei Methadonrationen fürs Wochendene ab. Auf dem Rückweg wird sie von der polizei abgefangen und ins Rückführungszentrum Kaserne gebracht. Das Methadon wird von einem 'Betreuer' eingeschlossen. Am nächsten Tag wird die Herausgabe der zwei Methadonrationen verweigert. A. besteht auf einen Anruf bei ihrem Hausarzt. Es wird A. ausgeerichtet, der Hausarzt habe gesagt, sie bekäme gar kein Methadon mehr von ihm. A. ist überzeugt, dass dies eine Lüge ist und ihr hausarzt keine solche Aussage gemacht hat. Ob überhaupt ein Telefonat stattgefunden hat, konnte A. nicht feststellen.
Mit Sicherheit weiss das 'Betreuungspersonal' des Rückführungszentrums Kaserne, wie sich ein Methadonentzug auswirkt und mit welchem Stress, welchen Schmerzen und Verzweiflung dies verbunden ist. Diese Behandlung von Menschen ist unverantwortlich und schikanös.
 
Kein Einzelfall
Frauen und Männer, die Drogen konsumieren bestätigen uns, dass Angestellte der städtischen und privaten Sozialeinrichtungen immer mehr Polizeifunktionen übernehmen. Bei Inanspruchnahme medizinischer Hilfe kommt es immer häufiger vor, dass ihnen die Drogen, die sie auf sich tragen, abgenommen werden. Was das bedeutet müssen wir nicht weiter erklären. Ein Mann berichtete uns über körperliche Gewalt durch einen entnervten Sozialarbeiter.
Wir können über diese Vorfälle keine genaueren Angaben machen. Diese würden die betroffenen Personen identifizierbar machen, negative Folgen wären für sie zu befürchten. Die Abhängigkeit vom guten Willen der SozialarbeierInnen ist für diese Leute zu gross, als dass sie sich das leisten können. Dies wird von einigen auch klar formuliert.
Ein weiterer Grund ist der Stress, dem die DrogenkonsumentInnen zur Zeit ausgesetzt sind. Längere Gespräche sind kaum möglich, auf offener Strasse stellen sie sogar ein Risiko dar. Nicht auffallen und nicht zu lange stehenbleiben ist zur Devise geworden.
 
Die aufgestellten Spritzenautomaten als Falle
Laut übereinstimmenden Angaben von Betroffenen komme es in der Nähe von Spritzenautomaten zu häufigen Kontrollen durch die Polizei. Das beschaffen einer sauberen Spritze wird somit zum ständigen Risiko kontrolliert, durchsucht und verhaftet zu werden.
Wir haben diese Aussagen an verschiedenen Standorten von Spritzenautomaten, am Helvetiaplatz, Albisriederplatz und Milchbuck, überprüft. Dabei sind auch uns auffällig oft wartende Polizeiautos aufgefallen.
Wir haben auch übereinstimmende Berichte über die Schwierigkeit des Bezugs von Spritzen an den dafür vorgesehenen Automaten überprüft. Meistens seien die Automaten leer. Vor allem nachts sei es fast unmöglich, an saubere Spritzen zu kommen.
Bei unseren Rundgängen haben wir zwar keine leeren Automaten vorgefunden, es musste jedoch manchmal die ganze Reihe von Knöpfen gedrückt werden, bis irgendwo noch ein Spritzenpacket herauskam.
So wird AIDS-Prävention zur Glückssache.
 
augenauf!
Nach wie vor sind die repressiven Massnahmen gegen vermeintliche DrogenkonsumentInnen tagtäglich in den Kreisen 4 und 5 und an der Seepromenade zu beobachten. Ausweiskontrollen, Leibesvisitationen auf offener Strasse und in Hinterhöfen gehören dort zum üblichen Bild. Trotz Liberalisierungsversprecchen für die "gewöhnlichen KonsumentInnen" werden jeden Monat durchschnittlich um die 250 Personen in der Stadt Zürich wegen Besitz und Konsum von illegalen Drogen verzeigt und gebüsst (Angaben vom Polizeirichteramt). Nach Aussagen von Betroffenen und ZeugInnen werden die Leute zudem wahllos, ob StadtzürcherIn oder nicht, ins Rückschaffungszentrum Kaserne gebracht (siehe auch Bericht in der WoZ Nr. 23, 9. Juni 95).
Die Repression hat nicht abgenommen. Wir rufen deshalb erneut auf, stehenzubleiben, zu beobachten und Vorgefallenes zu dokumentieren. augenauf-Protokollformulare können weiterhin über unsere Adresse bezogen werden.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite