Bulletin Nr. 9; Mai 1995

Alles schneller

Wie ist heute, drei Monate nach der Schliessung des Letten, die Lebenssituation für DrogenkonsumentInnen? Wir sprachen mit Paul und Paula, sie wohnen etwas ausserhalb Zürichs und nehmen seit Jahren illegale Drogen zu sich.

Laut Paul gibt es heute nicht weniger DrogenkonsumentInnen als vorher auf dem Letten. Was auffällt ist, so Paula, dass "die Leute viel besser aussehen, anständiger angezogen sind und zugenommen haben". Man dürfe einfach nicht auffallen. Dem Aussehen wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt, erzählt sie. Den Grund für die markante Gewichtszunahme bei vielen DrogenkonsumentInnen beschreibt Paul so: "das muss nicht das Essen sein, Alkohol und Rohipnol das schwemmt grausam auf." - Ersatzdrogen also. Rohipnol werde laut Paula inzwischen den Leuten von der Polizei abgenommen. Früher am Letten hätte sie jeweils vier Reupnoltabletten behalten dürfen.
Paul zum illegalen Deal heute: "alles ist schneller geworden, es läuft einfach nicht mehr, dass du abwägen, kaufen und zubereiten kannst". Gehandelt wird im Gehen: "two balls - einen Lappen, dann ciao, ciao und man geht in ein Schlupfloch sich einen Knall machen". Unter Schlupfloch verstehen Paula und Paul etwa einen Hauseingang oder eine öffentliche Toilette. Sie erzählen, dass sie vor allem Kokain nehmen, dass sei sehr schnell zubereitet.
Paul weiter zur neuen Handelsform: "Du siehst nicht mehr, was du kaufst". Durch die schnelle Übergabe von Drogen gegen Geld, ist eine Qualitätskontrolle nicht mehr möglich. So kann es sein dass "Traubenzucker, Pfeffer, Kieselsteinchen, Eistee oder auch gar nichts" in den kleinen Kügelchen drin sind, wie Paula erzählt. Die "Portionen" sind auch kleiner geworden. Paul: "Heute zahlst du für 0.15 Gramm bis 50 Franken, es kommt eben sehr darauf an, wie die Dealer dran sind. Haben ihnen die Polizisten wieder einmal das Geld abgenommen, so verrechnen sie es beim Deal weiter." Was heisst, die Menge der Drogen in den kleinen Staniolpapier Kügelchen sinkt. Also zurück zum System am Hirschenplatz? Laut Paul habe man dort gesehen was man kauft: "Immerhin hatte sich das mit der Zeit so organisiert, dass es ein paar Dealer oder Läufer gehabt hat, wo du wusstest die sind dort. Auf die hast du gewartet". Jetzt ist das anders, es würden, etwa an der Langstrasse, immer wieder neue Leute die Strasse rauf und runter laufen. Abmachungen wo die Dealer stehen, gibt es nicht.
Das heisst, die Drogenbeschaffung ist ein täglicher Stress, was zu Aggressionen auch untereinander führt.
Laut Paul und Paula gibt es durch die jetzige Situation auf dem Drogenmarkt auch neue Gewinner. Vor allem Schweizer, die nicht so auffallen und sich gut kleiden, könnten jetzt auf der Strasse dealen. Einigen sei das auch ganz schön in den Kopf gestiegen.
Eine Zeitlang gab es Treffpunkte, wo Drogen gehandelt wurden, aber die seien sehr schnell wieder aufgeflogen. Die Bürger würden der Polizei rufen, wenn sie Leute auf der Strasse sehen, die nicht in den Rahmen passen. Und in den Wohnungen, ist da dealen möglich? Paul erzählt von einem Haus im Kreis 4 - ein Mietshaus mit teuren Wohnungen an schlechter Lage. Dort wurde eine Zeitlang gedealt, das hätte sich sehr schnell herumgesprochen. Die KäuferInnen seien im Treppenhaus angestanden. Aber dafür gingen die "Immissionen" auf der Strasse zurück. Doch die Polizei habe verschiedene Razzias gemacht, zuletzt habe sie alle Türen im Haus aufgebrochen.
Ist inzwischen die Polizeirepression zurückgegangen? Kaum meinen sie. Was den beide auffällt ist der starke Rassismus der Polizei vor allem gegenüber Schwarzen und arabischen Leuten, wobei es auch innerhalb der Drogenszene, nicht zuletzt wegen dem ständigen Druck, einen gewissen Rassismus gäbe. Selber spüren sie die Polizeipräsenz auch. Sie wurden in letzter Zeit mehrmals kontrolliert. Paula musste sich zum Beispiel in der Kälte ausziehen. Männliche Polizisten konnten sie dabei beobachten, dagegen protestieren konnte sie nicht: "du musst einfach das Maul halten, als Frau hast du einfach nichts zu sagen, wir sind in einem anderen Jahrhundert".
Paul und Paula dürfen als ausserstädtische KonsumentIn nicht in die Kontakt- und Anlaufstellen (K+A), wo Drogenkonsum erlaubt ist. Paula: "Einmal konnten wir rein, da hat ein Securitas ein Auge zugedrückt". Paul: "Die haben ganz strenge Anweisungen, die Polizei verlangt das , wenn sie denen nicht nachkommen, dann werden die Typen entlassen und ausgewechselt". Toleranz der Securitas, welche die K+A's Eingänge bewachen ist selten, dazu Paul: "so darfst du nicht vor einer K+A warten und der Kollege, der einen braunen Ausweis hat, geht rein und holt dir eine saubere Spritze. Du darfst dich dort nicht aufhalten". Paula: "und dass nennt sich dann Aids-Prävention". Auch Paul bezeichnet die jetzige Aids-Prävention als "hundsmiserabel". Oft seien etwa die Spritzenautomaten kaputt. Und Paula: "Wenn du auf dem Aff bist denkst du hin oder her, wenn ich da eine Pumpe auf dem Boden liegen sehe und ich bin affig, dann nehme ich sie, ich hab sie genommen, ich bin ja positiv, von dem her gesehen..."
Die ausserstädtischen DrogenkonsumentInnen werden in Zürich bekanntlich zurück in ihre Heimatgemeinden geschafft. Auch Paul und Paula sind ein paarmal schon in die Kaserne verbracht und von dort in die Wohngemeinde gefahren worden. Dazu Paul: "Einmal hat mich ein Sozialarbeiter mit seinem Auto zurückgebracht. Stellt mich einfach auf dem Parkplatz raus, ohne einen Rappen". Paula wohnte eine Zeitlang in einem anderen Kanton. Dort sei ihr auf dem Sozialamt 500 Franken ausbezahlt worden und damit fertig. Inzwischen hat die Polizei es aufgegeben, die beiden zurückzuschaffen.
Auf die Fragen, weshalb sie in Zürich konsumieren und nicht mit der hier gekauften Ware nach Hause fahren und dort das stressfrei zu sich nehmen, Paula: "Ich könnte schon bis zu Hause warten, jetzt wo ich zum Kokain das Methadon nehme. Aber es ist einfach das giggerig sein. Als ich noch auf dem Sugar war, konnte ich nicht warten. Wenn ich auf dem Entzug war, kotzte ich und da geht's oben und unten raus, da kannst du keinesfalls warten."
Hat sich durch die Vermischung auf der Langstrasse zwischen Sex- und Drogenbusiness was geändert? Paula: "Am Letten konnte ich immer allein herumlaufen, da geht das nicht" Paul: "Sie wird ständig angemacht, mit der Zeit geht dir da der Deckel hoch". Paula: "Es ist auch ein Problem, dass die Frauen von der Gasse, die den Strich machen, den anderen Prostituierten die Kundschaft wegnehmen. Das ist zur Zeit ein totales Chaos. Die hätten gescheiter den Platzspitz gelassen".

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