Bulletin Nr. 8; Mai 1995

Drei Monate Zwang:

«augenauf» zieht erste Bilanz

Die Gruppe augenauf ist im Vorfeld der Lettenschliessung gegründet worden. Wir machen gegen Repression, Ausgrenzung und Ausländerhatz Druck. In diesem Bulletin ziehen wir eine Bilanz der ersten drei Monate Zwangsmassnahmen.

Seit dem 1. Februar 1995 sind die "Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht" in Kraft. Inzwischen haben die meisten Kantone ihre Ausführungsbestimmungen erlassen. Einige Kantone gestehen dabei den verhafteten "illegalen AusländerInnen" gewisse Rechte zu (Rechtsbelehrung, in gewissen Fällen auch einen unentgeltlichen Anwalt). Andere Kantone (z.B. Zürich) habe nur gerade bestimmt, welche Instanz für die Haftüberprüfung zuständig ist. Dabei ist etwa in Bern, Basel-Land und Wallis in Form des Untersuchungsrichters eine Behörde benannt worden, die aufgrund eines jüngst gefällten Urteils des Bundesgerichts als Haftprüfungsstelle unzulässig ist.
Ob es weitergehende kantonale Ausführungsbestimmungen zu den "Zwangsmassnahmen" braucht, ist umstritten. Die Regierung des Kantons Zürich stellt sich in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage auf den Standpunkt, dass nur "die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Verfahrensgrundsätze zu beachten" seien und somit kein weiterer Handlungsbedarf bestehe. Der Bündner Polizeidirektor Heinz Brand sieht das anders: "Die konkreten Anwendungen der Zwangsmassnahmen setzt mithin zwingend gesetzgeberisches Handeln der Kantone voraus". Politischer Natur sei nur "die Frage, ob die Zwangsmassnahmen in der Folge praktisch zur Anwendung gelangen sollen".
Es ist also Sache der kantonalen Politiker zu entscheiden, ob, wann und wie rigoros sie die "Zwangsmassnahmen" von den Polizeibehörden anwenden lassen wollen. Brand will "systematisch mit dem neuen System arbeiten". Im Kanton Zug sieht Hanspeter Uster die Sache nochmals anders. Laut einer Pressemitteilung des Polizeidirektors stünden in seinem Kanton keine Haftplätze für eine länger als 30 Tage dauernde Ausschaffungshaft zur Verfügung. Der Regierungsrat der sozialistisch-grünen Alternative (SGA) äussert sich auch skeptisch zu den verschiedentlich geäusserten hohen Erwartungen an das neue Gesetz: "Die konkreten Vollzugsschwierigkeiten in den Kantonen zeigen aber, dass diese Erwartungen wohl kaum erfüllt werden können".
Schon vor der Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über die Zwangsmassnahmen ist man in den einen Kantonen repressiver gegen MigrantInnen vorgegangen als in anderen. In Genf und Basel beispielsweise sind jährlich je rund 800 Personen in die damals noch auf 30 Tage befristete Ausschaffungshaft gesetzt worden. Mit dem erweiterten Repressionsinstrumentarium, das jetzt zur Verfügung steht, können MigrantInnen noch leichter unter Druck gesetzt werden, etwa wenn es um das Vorlegen von Ausweisen geht, die für die Ausschaffung gebraucht werden. Verschiedene Fremdenpolizei-SprecherInnen bestätigen auf Anfrage, dass allein die Drohung mit der heute 9 Monate dauernden Ausschaffungshaft viele dazu bringe, bei ihrer eigenen Deportation zu kooperieren.
 
Sonderfall Zürich
Speziell ist die Situation im Kanton Zürich. Bekanntlich war der enorme Druck der Exekutiven von Stadt und Kanton Zürich Auslöser für die Ausarbeitung der Zwangsmassnahmen. Seit klar wurde, dass sich mit der Schliessung des Platzspitzparkes die Drogenszene nicht einfach in Luft auflösen wird, ist in Zürich der "kriminelle Ausländer" systematisch als Sündenbock und Ursache des Drogenproblems aufgebaut worden. Eine Schrittmacherfunktion in dieser Kampagne spielten die sozialdemokratischen Zürcher Stadträte Neukomm und Estermann. Die Massenmedien schalteten sich in die Hetzkampagne ein und schreckten auch vor den krassesten Falschmeldungen über die "schrecklichen ausländischen Dealer" nicht zurück. Ihnen wurde beispielsweise vorgeworfen, sie würden statt Drogen pures Gift unter die Leute bringen.
Als im Sommer 1994 mehrere mutmassliche Dealer erschossen wurden, kam eine neue Dynamik in die Ausländerpolitik. In den Medien war sofort klar, dass Dealer sich gegenseitig bekriegen und unbeteiligte Dritte jederzeit zu Opfern werden könnten. Bis heute ist jedoch nicht bewiesen, wer die Täter waren. In zwei Fällen deutet die Tatwaffe - ein Schweizer Sturmgewehr - auf ganz andere Täterkreise als "die Dealer" hin.
Die Auflösung der Lettenszene und die Verhinderung jeder offenen Drogenszene stiess inzwischen jedoch auf eine so breite Zustimmung, dass eine strategische Planungsgruppe die konkrete Umsetzung vorbereiten konnte. Dieser Planungsgruppe gehörten Polizeivertreter von Stadt und Kanton sowie der Leiter der militärischen Stabsstelle für Gesamtverteidigung des Kantons Zürich an. Sie bereiteten ein repressives Netzwerk vor, das von neuen Knästen, massiver Polizeipräsenz im Quartier, der Rückschaffung auswärtiger DrogenkonsumentInnen bis zur rigorosen Anwendung der angekündigten "Zwangsmassnahmen" reichte. Das Konzept wurde mit der Annahme des neuen Polizeigefängnisses auf der Kasernenwiese im September 1994 und der Zwangsmassnahmen im Dezember 1994 durchführbar. Die Aktion Paukenschlag konnte am 14. Februar 1995 beginnen.
 
Extensive Anwendung der Ausschaffungshaft
Propog heisst das "Provisorische Polizeigefängnis Kaserne" in der Beamtensprache. In dem seit Februar 1995 in betrieb stehenden Knast sind zwischen 120 und 150 Personen eingesperrt. Es sind fast ausschliesslich sogenannte Ausschaffungshäftlinge. Für Dutzende von ihnen hat die Fremdenpolizei inzwischen beim Haftrichter die nach drei Monaten erforderliche Verlängerung der Ausschaffungshaft beantragt. Die Ausschaffungshäftlinge sind laut dem stellvertretenden Fremdenpolizeichef Dieter Laetsch zu 90 Prozent aufgrund "der Vermutung, dass sie sich einer Ausschaffung entziehen wollen, die Identität nicht feststände oder fraglich sei" in Haft. Vermutung der Polizei, "fragliche Identität": Es kann alle Illegalen treffen, alle können auf Grund der einfachen Übertretung, keinen gültigen Stempel in ihrem Pass zu haben, in Abschiebehaft genommen werden.
Wie die Zürcher Polizei dabei zu Werke geht, zeigt ein Augenschein an der Zürcher Langstrasse. Hier werden nach rassistischen Kriterien Schwarze und nordafrikanische Menschen notorisch kontrolliert. Beim kleinsten Verdacht auch eine Unregelmässigkeit (auch Ausländer mit einer Aufenthaltsbewilligung kann es treffen) werden die Betroffenen in die Polizeikaserne transportiert. Die Kontrollierten können zuerst während 24 Stunden in Polizeihaft festgehalten werden. Die routinemässige Anordnung einer Ausschaffungshaft durch die Fremdenpolizei genügt, um sie weitere vier Tage in Haft zu behalten. In dieser zeit versucht die Polizei sogenannt Illegale formlos auszuschaffen. Erst nach fünf Tagen werden die Betroffenen dem Haftrichter vorgeführt, der die Anordnung der Ausschaffungshaft überprüfen muss. Mittlerweile sind jedoch mehrere Fälle bekannt, in denen die Polizei diese Frist nicht eingehalten hat. Ein Betroffener ist laut eigenen Angaben 15 Tage in Ausschaffungshaft gehalten worden, ohne je dem Richter vorgeführt zu werden.
Der Kantonspolizei Zürich gelang es in den ersten zwei Monaten seit Inkrafttreten der "Zwangsmassnahmen", 500 Personen auszuschaffen. In einer Presseerklärung sprichst sie von täglich 75 ein- und Abgängen. Insgesamt sind über 1100 Personen in Ausschaffungshaft gesetzt worden. Die Zürcher Polizei hat damit die Kapazität, jährlich weit über 5000 MigrantInnen der Ausschaffungsmaschinerie zuzuführen.
Damit hat die Anwendung der Ausschaffungshaft in Zürich eine Dimension erreicht, die die bei der Beratung der Zwangsmassnahmen aufgestellten Dispositive bei weitem sprengt. Die Zahl der Gefängnisplätze macht dies deutlich. Die von Arnold Koller am 15. Dezember 1993 eingesetzte "Arbeitsgruppe Vollzugsunterstützung", in der Vertreter des Bundes und er Kantone die Szenarien diskutieren, sprach in ihrem Schlussbericht vom 28. Februar 1994 davon, dass "der Kanton Zürich ca. 100 zusätzliche Haftplätze" benötige. In den beiden Ausschaffungsgefängnissen in Zürich und Kloten sitzen heute jedoch bereits über 200 AusländerInnen fest. Durch eine Personalaufstockung soll die Kapazität der beiden Knäste im Sommer auf über 300 Plätze erhöht erden. Der Kantonsrat hat Anfang April den Bau eines weiteren Knastes in Kloten beschlossen, in dem nochmals 150 Häftlinge untergebracht werden können. Damit wird der Kanton Zürich Anfang 1997 Platz für rund 500 Ausschaffungshäftlinge haben. Sollte das Bunkergefängnis Waid im Sommer wieder eröffnet werden, wie das der Zürcher Stadtrat fordert, so wäre diese Kapazität sofort erreicht.
 
MigrantInnen hermetisch abgeschirmt
Das Bundesgesetz über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht schreibt vor, dass die Ausschaffungshaft in "geeigneten Räumlichkeiten" zu vollziehen und die Zusammenlegung mit Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug zu vermeiden sei. In seinem Kommentar zum Gesetzesentwurf sprach der Bundesrat von einem erleichterten Haftregime, da bei Ausschaffungshäftlingen weder eine Kollusionsgefahr noch ein Isolierungsbedarf bestehe. In der Parlamentsdebatte verzichtete man auf eine gesetzliche Festschreibung dieser Erleichterungen, weil man einhellig davon ausging, dass die Kantone entsprechende Anordnungen selbständig treffen würden.
Der beim Bundesgericht als Gerichtsschreiber arbeitende Andreas Zünd geht deshalb davon aus, dass bei Fehlern geeigneter Haftbedingungen die Ausschaffungshaft vom Haftrichter aufgehoben werden müsse. Wenn zum Beispiel nach längerer Haft immer noch keine Beschäftigung angeboten werden könne, komme "der Richter nicht umhin, die Haft aufzuheben". Unter geeigneten Haftmöglichkeiten versteht der im Rechtsdienst des BFF beschäftigte Jurist Stefan Arnold ein weniger strenges Regime als dies für Untersuchungshäftlinge gilt. So sollte telefonieren und ein lockeres Besuchsrecht möglich sein.
Das Haftregime im Provisorischen Polizeigefängnis Kaserne erfüllt diese Voraussetzungen eindeutig nicht. Aufgrund verschiedener Aussagen von BesucherInnen, Inhaftierten und Anwälten ergibt sich zur Zeit folgendes Bild:
In den 10.7 Quadratmeter grossen Zellen, in denen gemäss den Normen des Bundes für den Strafvollzug maximal eine Person inhaftiert werden dürfte, sind drei bis vier Personen gepfercht. Wegen Personalmangels fällt der Hofgang des öfteren aus. Der Spaziergang dauert kaum länger als eine Viertelstunde. Die übrige Zeit haben die Gefangenen auf den Zellen zu verbringen, wo es weder Beschäftigungsmöglichkeiten, noch Bücher, Radio oder Fernsehen gibt. Den Ausschaffungshäftlingen mangelt es an Kleidern. Es gibt keine richtigen Waschmöglichkeiten. Geduscht werden darf nur einmal pro Woche. Gefangene berichten über Beschimpfungen und Schläge durch das Gefängnispersonal.
Am verheerendsten für die Betroffenen dürfte jedoch die Tatsache sein, dass sie hermetisch von der Aussenwelt abgeschottet werden. Mehrere Gefangene haben inzwischen berichtet, das sie weder Papier und Schreibzeug zum Briefeschreiben erhalten, noch einen Telefonanruf machen können. In Artikel 13d des Bundesgesetzes über die Zwangsmassnahmen heisst es wörtlich: "Die Kantone sorgen dafür, dass eine vom Verhafteten bezeichnete Person in der Schweiz benachrichtigt wird. Der Verhaftete kann mit seinem Rechtsvertreter mündlich und schriftlich verkehren". Inzwischen soll im Propog in jeder Zelle ein Blatt aufgehängt worden sein, das Gefangene über ihre Rechte informiert. Den Zettel gibt es jedoch nur in deutscher Sprache.
Trotz der Isolation gibt es im Knast Formen des Widerstands. Am 26. März haben Inhaftierte in zehn Zellen des Propog Brände gelegt. Laut Polizeiangaben haben sie sich zum Teil gewehrt, sie brennenden Zellen zu verlassen. Erschütternde Zeichen der Isolation und der Verzweiflung sind hingegen die sich häufenden Informationen über Selbstmordversuche, über die die Polizei den Schleier des Schweigens hält.
 
Beliebige Jagd auf "Illegale"
Die Zürcher Polizei spricht in einer Pressemitteilung davon, das über "zwei Drittel der im Herbst dem Drogenhandel zugerechneten Ausländer ausgeschafft sind". Das Polizeikommando Zürich hält selbst fest, dass sich auch "illegale Ausländer", denen keine Kontakte zur Drogenszene vorgeworfen werden, in Ausschaffungshaft genommen werden. Diese könnten sich nicht darauf verlassen, nicht behelligt zu werden. Wörtlich heisst es in der Polizeierklärung: "Nur der systematische Abbau der Menge der hier anwesenden Illegalen kann zum Erfolg führen. Voraussetzung allerdings ist, dass die Polizei noch über längere Zeit mit starken Kräften in der Stadt Zürich präsent ist, Illegale verhaftet und ausschafft". Der Polizeieinsatz gegen AusländerInnen in der Stadt Zürich hat längst die vor der Räumung des Lettens vorgegebene Funktion, die offene Drogenszene zu zerschlagen, überschritten und richtet sich nun gegen alle "unerwünschten AusländerInnen". Beobachtungen in der Stadt, sowie weitere Erklärungen der Behörden lassen vermuten, das sich die Polizeipräsenz auch gegen Prostituierte und die informellen Strukturen der Jugendszenen (im Bahnhof und am See) richtet.
 
Die Praxis der Rayonverbote
Mit den Zwangsmassnahmen ist auch das Mittel der Ein- und Ausgrenzung eingeführt worden. AusländerInnen kann unter Haftandrohung (zwölf Monate) verboten werden, ein Gebiet zu betreten oder einen Rayon zu verlassen. Laut Angaben des Zürcher Kripochefs Marcel Bebié hat Zürich bisher 30 Eingrenzungen in anderen Kantonen erwirken können. Die Eingrenzung hat der Kanton auszusprechen, in dem diese vollzogen wird. Es gibt allerdings Kantone, die sich weigern, solche Massnahmen zu verfügen. Der Kanton Zug beispielsweise stellt sich auf die vom Staatsrechtsprofessor Walter Kälin vertretene Meinung, dass "Ausgrenzung vor Eingrenzung" gehe. Nach diesem Grundsatz müsste Zürich unerwünschten AusländerInnen das Betreten seines Territoriums verbieten, anstatt sie im räumlich kleinen Kanton Zug festsetzen zu lassen. Aus gutunterrichteten Quellen ist zu vernehmen, dass die Zürcher Fremdenpolizei wegen den Vorbehalten einzelner Kantone gegenüber Eingrenzungen zur Zeit die erweiterte Anwendung der Ausgrenzung aus dem Kanton oder der Stadt Zürich vorbereitet.
Der Bündner Polizeidirektor Heinz Brand hat an einer Tagung in Luzern konkrete Fälle von Aus- und Eingrenzungen geschildert. In einem Fall schlossen die Behörden aufgrund der Tatsache, dass ein mittelloser Asylbewerber plötzlich ein eigenes Fahrzeug besass und wiederholt von verschiedenen kantonalen Polizeiorganen kontrolliert wurde - auch in der Nähe von Drogenszenen - dass es sich bei der betreffenden Person um einen Drogenkurier oder Dealer handle. Der Betroffene darf heute den Kanton Graubünden nicht mehr verlassen. Einem Asylbewerber wurde "die Einreise" in den Kanton Graubünden verboten, weil er bei polizeilichen Kontrollen grössere Geldbeträge sowie Kleidungsstücke der gehobenen Preisklasse auf sich trug.
Zur Durchsetzung der Rayonverbote wird das Fahndungscomputernetz Ripol eingesetzt. Dabei kann von den Terminals der Polizei- und Grenzschutzbehörden jederzeit festgestellt werden, ob sich eine Person "möglicherweise rechtswidrig an einem Ort aufhält", wie es im entsprechenden Kreisschreiben des EJPD heisst. Mit diesem Gebrauch von Ripol wird erstmals offiziell zugegeben, dass das Fahndungssystem auch gegen ganze Personengruppen präventiv eingesetzt wird. Bislang behauptete die Polizei, dass Ripol nur der Fahndung nach Einzelpersonen diene.
 
In der Logik des 3-Kreise-Modells
Die Ausschreibung der Rayonverbote im Ripol, das Fehlen klarer gesetzlicher Grundlagen für den Vollzug der Zwangsmassnahmen in den meisten Kantonen und der ausgiebige Gebrauch der Eingrenzung zeigen, dass die Zwangsmassnahmen weit extensiver angewendet werden, als in der Abstimmungskampagne von den Befürwortern behauptet. In Zürich sind die rechtsstaatlichen Schranken des Bundesgesetzes über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, mit denen auch MigrantInnen in den Genuss eines minimalen Schutzes vor staatlichen Übergriffen kommen sollten, nur noch ein Fetzen Papier. Es ist denkbar, dass juristische Interventionen und allfällige weitere Bundesgerichtsurteile der Menschenverachtung in den Zürcher Ausschaffungsknästen und der rassistischen Verhaftungspraxis einige Grenzen setzen. Zur Zeit ist der Druck auf die Zürcher Polizei so klein, dass solche Praxisänderungen (noch) nicht in der Luft liegen.
Die Haftbedingungen in der Zürcher Kaserne sind aber auch nicht einfach einer total übergeschnappten Kantonspolizei zuzuschreiben. Sie habe vielmehr System. Parallel zu Ausschaffungsknästen in der BRD sind frappant. Häftlinge sollen unter Druck gesetzt erden, damit sie bei ihrer eigenen Ausschaffung kooperieren. Die Ausschaffungshaft ist somit eine eigentliche Beugehaft. Dass viele Ausschaffungshäftlinge trotz des enormen Drucks nicht zur Kooperation bereit sind, lieber über Monate unter verheerenden Bedingungen im Knast bleiben oder versuchen, sich das Leben zu nehmen, sagt viel über ihre Fluchtgründe aus.
Es ist zu befürchten, dass die in Zürich laufende Kampagne gegen AusländerInnen ohne festen Aufenthaltsstatus kein vorübergehendes Ereignis ist. Was in Zürich momentan geschieht, ist in verschiedenen Grossstädten Westeuropas und den USA bereits schon länger Realität. Durch die Massierung der Polizei und er Öffnung ihres Spielraums sollen die Innenstädte "clean" gehalten und vermehrt "Illegale", die in dichtbevölkerten Gebieten die besten Chancen haben, sich ihr Leben zu organisieren, aufgespürt werden. Diese Jagd auf "Illegale" gehört zum Massnahmenbündel, mit dem das neue 3-Kreise-Modell in der Ausländerpolitik umgesetzt wird.
Die Grenzen dicht zu halten und die Abschottung gegenüber den "armen Ländern" zu verstärken wird zunehmend zu einer international koordinierten Aufgabe. Computernetze, die Fingerabdrücke von abgewiesenen MigrantInnen speichern und europäisch abrufbar machen, sind in Planung.
 
Für das Recht auf Migration
Der Kampf gegen Polizeirepression, Knäste und "Zwangsmassnahmen" wird letztlich eine Antwort auf die Frage geben müssen, wie mit den vom Staat in die "Illegalität" gedrängten Menschen zusammengelebt werden kann. Dabei sind Gegenstrukturen, wie etwa Refugien oder der Zusammenhalt im Quartier wichtig, aber auch politische Forderungen, welche die Abschottung der Schweiz bzw. der reichen Länder Europas in Frage stellen. Es ist absolut legitim, wenn Leute aus Ländern, die durch Kolonialismus und Imperialismus ausgeblutet werden sind. Aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen hierher kommen. Es ist Bewusstseinsarbeit nötig, um die geschürte Angst vor den "hereinstürzenden Bevölkerungsmassen" aus dem Osten und Süden zu überwinden. Nur eine bedingungslose Solidarität kann verhindern, dass neuen rassistischen Volksinitiativen zugestimmt wird, wie etwa jener berüchtigten "Proposition 187" in Kalifornien. Im bevölkerungs- und gefängnisreichsten Staat der USA ist es inzwischen illegal geworden, Illegale ärztlich zu versorgen oder Kinder von Illegalen in der Schule aufzunehmen.
Eine Gruppe politischer AktivistInnen besammelt sich seit einem Monat jeden Sonntag vor dem Polizeigefängnis Kaserne. Mit Megaphon und Schreien wird mit den Gefangenen kommuniziert, ihnen Solidarität ausgedrückt. Die Polizei stört diese Kommunikation. Zweimal sind die Leute mit Wasserwerfer und Grenadieren vertrieben worden.
Eine andere Möglichkeit der Solidarität ist, Gefangene zu besuchen. Trotz einigen Schwierigkeiten, ist dies inzwischen verschiedenen Leuten gelungen. Es gelang teilweise auch Kleider und Esswaren in den Knast zu bringen. Ein Teil davon wurde jedoch zurückgewiesen.
Um die Zustände in Ausschaffungsknästen zu verbessern ist ein breiter politischer Druck nötig. Die Informationen aus dem Knast müssen gesammelt und veröffentlicht werden. Parteien und Kirchen, die sich noch gegen die "Zwangsmassnahmen" ausgesprochen hatten, müssen dazu gebracht werden, ihr jetziges Schweigen zu beenden. Das Schweizerische ArbeiterInnen-Hilfswerk SAH hat inzwischen immerhin die lange angekündigte Stelle "SOS-Menschenrechte" geschaffen, welche die Umsetzung der Zwangsmassnahmen verfolgt und Missbräuche publik machen will.
Es sollte aber nicht nur um sogenannte "Missbräuche" gehen. Ein Gesetz, welches es unter anderem erlaubt, Leute ohne Prozess für Monate in Haft zu setzen, ist - auch wenn es in einer Volksabstimmung angenommen wurde - zu bekämpfen.

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