Bulletin Nr. 4; März 1995
Justiz
Blancocheque für Ausschaffungsbeamte
Die Ausschaffung von Murali S. wird kein juristisches Nachspiel
haben. Der zuständige Bezirksanwalt stellt die Untersuchung nach
rudimentären Abklärungen ein. Unerwünschte Ausländer können nur bedingt auf
den Schutz der Schweizer Justiz zählen. Die sich an rüde Umgangsformen mit
Ausländern gewöhnende Zürcher Polizei hat für das Ausschaffungsverfahren so
etwas wie einen Blankcheque erhalten.
Mit Schreiben vom 2. März hat Bezirksanwalt Max Spörri dem Anwalt des am
29. Januars nach Colombo deportierten Murali S. mitgeteilt, dass er alle
zusätzlichen Beweisanträge der Klägerschaft abweise. Das Verfahren gegen
sechs Sicherheitsbeamte, die beschuldigt werden, Murali S. vor dem ersten
und gescheiterten Ausschaffungsversuch am 27. Januar im berüchtigten
Waidgefängnis geschlagen zu haben, werde eingestellt. Gegenüber augenauf
sprach Spörri gar von der Möglichkeit, Murali S. selbst wegen falschen
Anschuldigungen zu belangen.
BA Max Spörri hat in den vergangenen vier Wochen die sechs mutmasslichen
Schläger eruiert und einvernommen. Im Gegensatz zur Annahme des Opfers
handelt es sich nur bei inem um einen Kantonspolizisten. Ein zweiter
Beamter, der am Ausschaffungsversuch vom 27. Januar beteiligt war, ist
Angestellter der Strafanstalt Regensdorf. Bei den vier anderen
Tatverdächtigen handelt es sich um zum Teil blutjunge Angestellte der
Bewachungsfirma Securitas. In den teilweise wiedersprüchlichen Aussagen
streiten alle sechs die von Murali geschilderten Schläge kategorisch ab. Es
treffe zwar zu, dass der Häftling mit Gewalt aus der Gemeinschaftszelle
geholt worden sei. Weil er sich geweigert habe, seine provaten Kleider
anzuziehen, seien ihm auch Trainerjacke und Trainerhose ausgezogen worden,
und das ebefalls mit Gewalt, Zu Schlägen sie es aber am Morgen des 27.
Januar im Waidgefängnis nicht gekommen.
Für Max Spörri sind diese Aussagen glaubwürdig, weil der von der Polizei
bestellte Arzt des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) bei einer Untersuchung
am späten Abend des 28. Januars keine Beulen und keine Blutergüsse an
Muralis Körper festgestellt habe. Ds später vom IRM erstellte Gutachten
kommt allerdings nur zum Schluss, dass "keine Objektiven Hinweise" auf die
von Murali geschilderte "starke Gewaltanwendung" gefunden worden seien.
Eine Gewaltanwendung auszuschliessen sie aufgrund eines ärztlichen Befundes
jdoch "niemals möglich". Diese differenzierten Äusserungen nahm der
Bezirksanwalt nicht zur Kenntnis. Für ihn scheint vielmehr klar zu sein,
was eienr der Securitasleute zu Protokoll gegeben hat: Murali sei, auf gut
berndeutscch ausgedrückt, ein "Lugihund".
Nur so ist zu erklären, dass Max Spörri sämtliche Unstimmigkeiten vom Tisch
wischt, die ihm Rechtsanwalt Marcel Bosonnet als Vertreter des Klägers in
Form von zusätzlichen Beweisanträgen vorgelegt hat.
- Unklar ist zum Beispiel, warum das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) der
Vertreterin des UNO-Hockommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) vor der
ärzlichen Untersuchung am 28. Januar mitgeteilt hatte, dass Murali nicht
von Polizisten geschlagen, wohl aber in eine Schlägerei mit Mithäftlingen
verwickelt gewesen sei. Der Verdacht liegt nahe, dass die Zürcher Polizei
anfangs versucht ahtte, die Schuld für damals offenbar bestehende
Verletzungen von Murali auf Mithäflinge abzuschieben.
- Wenn Murali S. nicht geschlagen worden sein soll, ist ausserdem unklar,
warum er nicht bereits am 27. Januar ausgeschafft worden ist. Bezirksanwalt
Spörri hat bezeichnenderweise darauf verzichtet, den beamten der
Flughafenpolizei, der den Abbruch des ersten Ausschaffungsversuchs und die
Rückführung Muralis in die Polizeikaserne angeordnet hat, zu befragen.
- Mit den Ergebnissen der Untersuchung überhaupt nicht mehr vereinbar ist
schliesslich die Tatsache, das sich Murali nach seienr Ausschaffung nach
Sri Lanka in Colombo in ärztliche Behandliung begeben musste. Nach einem
Zusammenbruch auf offener Strasse aht man ihm gar notfallmässig eine
Infusion verabreicht. Ein ärztliches Zeugnis aus Colombo nahm Max Spörri
jedocch gar nicht mehr zur Kenntnis.
Der Fall Murali S. zeigt eines: Ausschaffungshäftlinge sind auch vor der
Jstiz Menschen zweiter Klasse. Sie haben zusätzliche Hürden zu überwinden,
wenn sie sich auf dem Rechtsweg gegen Polizeiübergriffe wehren wollen.
Murali wurde weder das Recht auf die Untersuchung durch einen unabhängigen
Arzt zugestanden, noch wurde er je vom zuständigen Bezirksanwalt zu den
Vorfällen im Waidgefängnis befragt. Die drei Stunden vor seiner
Ausschaffung durchgeführte Einvernahme durch einen Beamten der Stadtpolizei
war eine reine Farce. Nach seiner Abschiebung hatten die zur Tatzeit im
Waidgefängnis stationierten Sicherheitsleute kaum noch etwas zu befürchten.
Der Fall Murali zeigt baer auch, wie problematisch die Mitarbeit von nicht
vereidigten privatne "Sicherheitsleuten" in hochsensiblen Bereichen des
staatlichen Gewaltmonopols ist.
Die Bezirksanwaltschaft hätte es in der Hand gehabt, der polizeilichen
Willkür in den hermetisch von der Aussenwelt abgeschirmten
Ausschaffungsgefängnissen durch eine konsequente und komptetente
Untersuchung der Vorfälle im Vorfeld der Ausschaffung von Murali S. Grenzen
zu setzen. Max Spörri hat diese Chance durch eine alles andere als
überzeugende Untersuchungsführung vertan.
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