Bulletin Nr. 1; Februar 1995

Die Rede

Ansprache an der Kundgebung auf dem Limmatplatz vom 13. Februar 1995

Heute um Mitternacht beginnt die Aktion Paukenschlag, der Letten soll geschlossen werden, heisst es. Die Zürcher Drogenpolitik schreibt ein neues Kapitel, ein neues Vertreibungskapitel. Nicht, dass wir die Zustände am Letten vertrauenswürdig hielten. Nein, der Letten ist ein Spiegel eines kleineren Teils der real existierenden Probleme in diesem Schokoladenparadies. Den Letten zu schliessen heisst, zu versuchen, Probleme unsichtbar zu machen.
Die Zürcher Drogenpolitik ist eine Aneinanderreihung von Vertreibungen: Hirschenplatz, Topspot, Riviera, Bellevue, AJZ, Platzspitz und jetzt Letten. Der Stadt ist es mit ihren Vertreibungen nie um eine wirkliche Lösung der Drogenmisere gegangen. Immer standen auch oder vor allem ordnungspolitische Überlegungen im Vordergrund. So jedenfalls nennt Sepp Estermann das jetzt bereits freimütig.
Wir erinnern uns: Der Hirschenplatz, Bellevue, Riviera mussten für die Touristen sauber gemacht werden. Und das Autonome Jugendzentrum wurde mit der Schliessung des Topspot destabilisiert. Die Schliessung des Platzspitzparkes markierte das Ende der etwas liberaleren Soziodrogenpolitik. Tatsache ist, die städtische Drogenpolitik, vor allem ein Produkt der Rot-Grünen Mehr- oder Wenigerheiten ist völlig gescheitert.
Nach der Platzspitzschliessung ist es nicht zur versprochenen Auflösung der Szene gekommen. Eigentlich hatten die Stadträte mit ihrem Polizeikonzept versagt. Doch nicht das wurde in Frage gestellt; nein, es musste vor nunmehr drei Jahren ein Sündenbock her. Dieser wurde systematisch aufgebaut. Der böse, ausländische Drogendealer, der kriminelle Asylant. In einer erstaunlichen Hartnäckigkeit ist in den letzten Jahren gebetsmühlenhaft wiederholt worden, dass er schuld für die Drogenmisere sei. Kein Wort mehr von den eigentlichen Profiteuren, der Mafia und den geldwaschenden Banken. Wir fragen uns wieso. Dafür mussten die Gassenhändler herhalten, die ob sie nun nett oder nicht nett sind bleibt dahingestellt, auf der untersten Stufe des Drogenbusiness ihr Geld verdienen. Sie sind zu eigentlichen Horrorfiguren gemacht worden. Kulminiert hart sich das Ganze in vier Morden am Letten. Es ist nie bewiesen worden, wer die Schuldigen der Morde an den vier mutmasslichen ausländischen Drogendealern sind. Indizien sprechen zumindest für eine Tat von Leuten nicht aus der Drogenszene.
Trotzdem. Nachdem das Bild des gemeinen drogendealenden Ausländers mit Hilfe von Blick und Tages-Anzeiger geschaffen war, ist es den Politikern gelungen, Dinge durchzusetzen, die vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wären:
- Eigentliche Apartheidsgesetze gegen alle Migranten und Migrantinnen
- Eine Aufrüstung der Polizei
- Mehrere neuen Knäste, die zum Teil nicht den Mindestanforderungen der Menschenrechtskonvention entsprechen
- Und ab morgen ein Belagerungszustand im Quartier, der wohl als Ausnahmezustand bezeichnet werden muss.
300 Polizisten non stop auf Kontrolle nach abweichendem Verhalten dazu die Mobilisierung der Bevölkerung via Quartierstrukturen, Aufrufen zu Denunziationen, Angstmacherei, z.B. alle Türen zu schliessen, Fremde auf dem Grundstück anzusprechen aber sich nicht auf Diskussionen einzulassen. Das alles ist wohl für die letzten Jahrzehnte beispiellos in Zürich, aber leider nicht beispiellos in der Geschichte von Unterdrückung. Wir haben es mit klassischen Instrumenten zu tun, wie die Bevölkerung verunsichert und gegeneinander ausgespielt wird, und dabei gleichzeitig die Kontrolle und Herrschaft abgesichert wird. In Zeiten schärferer sozialer Gegensätze auch nicht zu verachten. Geradezu grotesk ist das Sozialarbeitsgelaber der Grünen Stadträtin Monika Stocker. Sie spricht von einem gemeinsamen Lernprozess, der unsere Rollen verändere.
Wir erwarten leider das Schlimmste. Nicht morgen, sondern vielleicht erst in ein, zwei Wochen, wenn die Presseleute abgezogen sind, wenn die Polizei nicht die gewünschte Kontrolle erlangt. Zu was die Zürcher Polizei fähig ist an Übergriffen, an Erniedrigung von Leuten, auch an Körperverletzungen, hat sie in den letzten Wochen drastisch vorgeführt. Mit den neu geschaffenen Instrumentarien hat sie noch eine ganze Menge Möglichkeiten, ihre Wichtigkeit zu unterstreichen und die Repressionsscchraube anzuziehen. Davor graut uns. Deshalb stehen wir hier und deshalb rufen wir euch auf, nicht wegzusehen sondern hinzugehen, hinzuschauen, sich einzumischen und zu protestieren. Schreibt auf, was ihr seht oder telefoniert aufs Repressionstelefon. Nur mit der Mobilisierung einer noch nicht gleichgeschalteten Öffentlichkeit kann es uns gelingen, dass sie mit ihrem Treiben nicht durchkommen.

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