Bulletin Nr.56; März 2008

Anti-WEF-Demonstrationen, Anti-Repressions-Demonstrationen

Für die Verteidigung der Meinungsfreiheit!

Im Januar 2008 übertrumpften sich Berner und Basler Polizei in Sachen massenhafte Präventivverhaftungen, erniedrigende Behandlung und Fichierung. Damit haben sie den lokalen augenauf-Gruppen viel Arbeit beschert. Die ersten fünf Seiten des Bulletins sind deshalb der Verletzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gewidmet. Die Texte aus Bern erläutern die problematische Beobachtung der polizeilichen Arbeit durch eine Regierungsstatthalterin, einer der Texte aus Basel beleuchtet die dort nachträglich erfolgte Untersuchung. Eine Frage taucht dabei immer wieder auf: Was geschieht mit den gesammelten Daten? Und wie ist es möglich, dass bei Verhaftungen, bei denen die Polizei zugibt, dass es viele Unbeteiligte getroffen hat, zwei Drittel der Arrestierten schon in einer nationalen Datenbank sind?

Die Bilanz spricht für sich: Insgesamt wurden an den beiden Anti-WEF-Demonstrationen in Bern über 250 Personen grundlos festgenommen, während Stunden unter erniedrigenden Bedingungen eingesperrt und fichiert.
Es war nicht besonderes schwierig, am 19. Januar in Bern festgenommen zu werden. Bereits am Vormittag führte die Polizei überall Massenkontrollen durch: im Bahnhof, an den Einfahrtstrassen und in der gesamten Innenstadt. Für eine Festnahme war es weder nötig sich «zusammenzurotten», noch gefährliche Gegenstände mit sich zu führen. Es reichte, an diesem Tag in Bern zu sein.
Der Berner Gemeinderat hatte gerade mal zwei Tage vor der Demonstration die Bewilligung für den Anlass zurückgezogen: angeblich aufgrund einer neuen Einschätzung der sicherheitspolitischen Lage. Hier zeigt sich ein bedenklich leichtfertiger Umgang mit wesentlichen Grundrechten: Bewilligungen werden gegeben und wieder genommen, wie es halt so passt. Mit seiner Entscheidung hat der Gemeinderat quasi über Nacht jeden Widerstand gegen das WEF kriminalisiert und eine ganze Stadt unter Generalverdacht gestellt.
Diese Gelegenheit liess sich die Polizei natürlich nicht nehmen. Sie setzte die vorgängige Kriminalisierung aller potenzieller DemoteilnehmerInnen konsequent um. Nicht nur, dass die Festnahmen völlig willkürlich abliefen. Auch das brutale Vorgehen bei den Festnahmen, das Abfertigungs- und Fichierungsrozedere in den sogenannten Sammelstellen und das Verhalten einzelner PolizistInnen machte mehr als deutlich, dass es sich bei den Verhafteten in ihren Augen ausschliesslich um Kriminelle handeln musste. Unschuldsvermutung? Ach, nein, heute nicht.

Amtlich zugelassene Kritik
Offenbar tauchten auch bei der Polizei gewisse Zweifel an der Allgemeinverträglichkeit der Aktion auf. Anders lässt es sich kaum erklären, dass Kommandant Stefan Blättler am Demotag «spontan» auf die Idee kam, Regierungsstatthalterin Regula Mader anzufragen, die Tätigkeit der Kantonspolizei zu beobachten. Wohlgemerkt, gerade mal zweieinhalb Stunden vor Demobeginn, als bereits zahlreiche Personen in den Sammelstellen festgehalten wurden. Das Verhalten der Polizei durch eine «externe Beobachterin» kontrollieren zu lassen, mag ja an sich als lobenswert betrachtet werden. Allerdings bringt die in Anbetracht der Umstände doch sehr zahm ausgefallene Berichterstattung von Regula Mader einige grundlegende Probleme mit sich. Ihr Aufgabenbereich beschränkte sich ausschliesslich auf die Bedingungen in den Sammelstellen. Die exzessiven Massenkontrollen und die gewaltsamen Übergriffe bei den Festnahmen waren nie Gegenstand ihrer Beobachtungstätigkeit. Die Formulierung des Berichtes erlaubte es der Kantonspolizei zudem, die vorgebrachten Kritikpunkte als logistische Mängel abzutun.
Gemäss Blättler wurde die Kantonspolizei schlicht von der grossen Anzahl Personen überrascht, die sie festnehmen «musste». Demnach schaffte es die Polizei also, sich mit ihrer übermotivierten Festnahmestrategie selber zu überfordern. Laut Blättler bestand ein wesentliches Problem darin, dass nur ein Computer zur Verfügung stand. Das ist als Erklärung für die ganzen Schikanen etwas dürftig. Immerhin befand sich die Sammelstelle in der Polizeihauptwache. Zudem lässt sich damit allerhöchstens die unverhältnismässig lange Festhaltedauer erklären. Wenn sich Personen grundlos entkleiden müssen, fotografiert werden, vom Gang zur Toilette abgehalten und beschimpft werden, dann hat das nichts mit fehlenden Computern zu tun, sondern scheint vielmehr einer gezielten Kontrolle und Erniedrigung der betroffenen Personen zu dienen.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Berichterstattung von Regula Mader der Polizei vor allem die Gelegenheit gab, sich als kritik- und lernfähig zu präsentieren und jede weiter gehende Kritik als übertriebene Zwängerei abzustempeln. In einem Communiqué gab die Kantonspolizei denn auch beleidigt zu verstehen, dass sie zu den «diffamierenden Pauschalvorwürfen» von augenauf Bern, die sie als «in den wesentlichen Teilen faktenwidrig» bezeichnete, keine Stellung mehr nehmen werde. Die grundsätzliche Problematik sei ja bereits im Bericht von Mader erläutert worden.
augenauf Bern hat nach dem 19. Januar zahlreiche Gedächtnisprotokolle von Betroffenen und ZeugInnen gesammelt und ausgewertet. Neben den Missständen in den Sammelstellen und den gewaltsamen Übergriffen bei den Festnahmen wird darin vor allem die willkürliche «Massenfestnahme-Strategie» verurteilt – also ein Aspekt, der im Bericht von Mader ausgeklammert wurde.

Kollateralschäden werden in Kauf genommen
Es vermag kaum zu erstaunen, dass die Kantonspolizei im Zusammenhang mit den Anti-WEF-Demonstrationen von einer «erfolgreichen sicherheitspolizeilichen Bewältigung» spricht. Bedenklich ist hingegen die Reaktion der Öffentlichkeit auf diese repressiven Auswüchse. Alle grundrechtlichen Bedenken gehen offenbar verloren im allgemeinen Ruf nach mehr Sicherheit. Die von allen Seiten geschürte Angstmacherei scheint jede Kritik an der immer stärkeren Repression zu verunmöglichen.
Die zahlreichen Leserbriefe und Forumsbeiträge zum Thema machen es deutlich: Grundrechte liegen nicht im Trend. Bereits die amtlich legitimierte Kritik von Regula Mader geht den BernerInnen zu weit. Auch dass gänzlich unbeteiligte Menschen festgenommen wurden, scheint nicht besonders zu stören. So findet es der Präsident von Bern City auch nicht weiter tragisch, wenn seine Kundschaft kontrolliert und festgenommen wird. Gewisse Kollateralschäden müssen halt einfach in Kauf genommen werden.     

Erniedrigendes Prozedere: Festgenommene in Käfigen Wer am 19. Januar in Bern zur falschen Zeit am falschen Ort war, musste einiges über sich ergehen lassen. Bereits bei den Festnahmen ging die Polizei alles andere als zimperlich vor. Mehrere Personen beklagten sich über brutales zu-Boden-Drücken, Fusstritte und Stockschläge. Die Festgenommenen wurden mit Kabelbindern gefesselt. Dabei kam es mehrfach zu Verletzungen am Handgelenk. In den meisten Fällen wurden die Betroffenen weder über den Grund ihrer Festnahme noch über das weitere Vorgehen informiert. Zudem weigerten sich verschiedene PolizistInnen, ihren Namen oder ihre Dienstnummer anzugeben. Nach der Festnahme wurden die Betroffenen in sogenannte «Sammelstellen» verfrachtet, wo sie teilweise bis zu zehn Stunden mit bis zu 60 anderen Verhafteten in Freiluftkäfigen in der Kälte ausharren mussten. Die Versorgung mit Wasser und Nahrung war ungenügend, der Gang zur Toilette wurde teilweise verwehrt. Bei der anschliessenden Durchsuchung mussten sich zahlreiche Personen vollständig ausziehen. Die meisten wurden zudem fotografiert. Die Polizei verwehrte einem verletzten Bluter lange Zeit jede medizinische Hilfe, obwohl er wiederholt auf seine Krankheit hinwies und den BeamtInnen einen entsprechenden Ausweis zeigte. Erst nach längerem lautstarkem Protest seiner Mitgefangenen wurde er schliesslich dem Sanitätsteam übergeben. augenauf Bern hat bei Stadt und Kanton Bern einen Antrag auf Untersuchung des Polizeieinsatzes eingereicht. Im Fall des verletzten Bluters wurde ein Verfahren eröffnet.

augenauf Bern



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