Bulletin Nr.55; Dezember 2007

Ausnahmsweise funktioniert die Gewaltentrennung: Zeynep Yesil wird nicht ausgeliefert

Blochers Bundesamt auf der Verliererstrasse

Das Bundesgericht entscheidet am 23. Oktober 2007, dass Zeynep Yesil nicht an die Türkei ausgeliefert werden darf. Sie ist eine der vier KurdInnen, deren Auslieferung von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich einer Türkeireise vor einem Jahr den türkischen Behörden «versprochen» wurde (NZZ 5.10.2006). Von den vieren befindet sich Mehmet Esiyok (siehe nebenan) immer noch in Auslieferungshaft.

Zeynep Yesil kommt aus einer armen kurdischen Familie. Im Bürgerkrieg der 1990er Jahre gerät sie in Konflikt mit dem Militär. Sie muss mit 16 Jahren ihre Familie verlassen und aus Angst vor Verhaftung und Folter untertauchen. Nach über zehn Jahren im Untergrund gelingt ihr die Flucht aus der Türkei. Sie stellt am 19. Juni 2006 in der Schweiz einen Antrag auf Asyl. Zwei Tage nach Einreichen ihres Antrages setzt sie die Schweizer Polizei, gestützt auf einen Interpol-Haftbefehl der Türkei, in Auslieferungshaft.
Nach beinahe einem Jahr in Haft in Basel wird Zeynep Yesil am 26. April 2007 freigelassen, weil das Bundesstrafgericht den Auslieferungsentscheid aufgehoben hat. Blochers Behörde, das Bundesamt für Justiz (BJ), ficht daraufhin diesen Entscheid beim Bundesgericht an, sodass das oberste Gericht diesen Fall erneut beurteilen muss und dabei die Argumentation des Bundesstrafgerichts stützt.
Es lohnt sich, diese beiden Entscheide näher zu betrachten. Sie sind unter den Bezeichnungen «Entscheid des Bundesstrafgerichts, II. Beschwerdekammer, vom 25. April 2007» und «Urteil 23.10.2007 1C 91/2007» beim Bundesgericht veröffentlicht.
Das Auslieferungsgesuch der Türkei wirft Zeynep Yesil «Versuch zur Veränderung der Verfassung der Türkischen Republik durch Gewaltanwendung» und sehr summarisch die Beteiligung an bewaffneten Aktionen in den Jahren 1992 bis 2001 vor. Persönlich wird ihr der Tod eines Dorfwächters bei einer Entführung 1993 angelastet. Das Schweizer Recht sieht im Falle einer Auslieferung mit eindeutig politischer Motivation vor, dass erhöhte Anforderungen an die Ausführlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Verlässlichkeit des Gesuchs gestellt werden müssen. Das ist ein Schlüsselpunkt beim Schutz vor politischer Verfolgung, soll damit doch verhindert werden, dass Folter- und Unrechtsstaaten via Interpol ihrer politischen Gegner habhaft werden können.
Die Türkei liefert nun in diesem Falle keine ausführliche und widerspruchsfreie Sachverhaltsdarstellung und verweist einzig auf die Aussagen eines Überläufers.
Das Bundesstrafgericht bemängelt die Sachverhaltsdarstellung und vermutet, dass der Überläufer in der damaligen Bürgerkriegssituation im Südosten der Türkei gefoltert worden ist. Laut Bundesgericht sei in den kurdischen Gebieten von 1992 bis 1997 systematisch gefoltert worden, namentlich bei Terrorismusverdacht. Zweitens entspricht das staatliche Sicherheitsgericht von Erzurum, das den Haftbefehl ausgestellt hat, zum Zeitpunkt des Haftbefehls 1998 keinesfalls den Standards eines unabhängigen und unparteilichen Gerichtes. Das Bundesstrafgericht hebt deshalb den Auslieferungsentscheid des BJ auf.

Das Bundesgericht lässt sich nicht unter Druck setzen
Das BJ steht offenbar unter Druck und zieht das Verfahren vor das Bundesgericht. Aber auch das Bundesgericht folgt der Argumentation des Bundesstrafgerichts und macht insbesondere noch einmal klar, dass die Vorstellung des BJ, die ausführliche und widerspruchsfreie Sachverhaltsdarstellung sei durch ein türkisches Gericht zu prüfen und die Schweiz sei mit einer Monitoring-Zusage der Türkei der Flüchtlingskonvention genügend nachgekommen, nicht rechtskonform ist. Monitoring bedeutet, dass die Schweizer Botschaft eineN BeobachterIn zum Prozess entsenden kann. Fällt das türkische Gericht aber dennoch ein politisches Urteil, berücksichtigt es Aussagen, die unter Folter zustande gekommen sind, oder wird die ausgelieferte Person sogar selbst gefoltert, hat die Schweiz keinerlei Eingriffsmöglichkeiten. Auch kann die ausgelieferte Person nicht wieder in die Schweiz zurückgeholt und ihr Asyl gewährt werden, wenn der Ausgang des Verfahrens in der Türkei dies nahe legen würde.
Der politische Druck, der auf dem BJ als Behörde lastet, wird im Urteil auch daraus ersichtlich, dass das BJ noch in letzter Minute per E-Mail neue Fakten in das Verfahren einbringen will. Ein E-Mail als Beweisdokument soll also in einem Verfahren, das bereits acht Jahre läuft und in dem die Türkei schon dreimal die Gelegenheit hatte, den Auslieferungsgrund zu präzisieren, die entscheidende Wende bringen.
Das Bundesgericht lässt sich nicht auf solche Spiele ein und widersteht für einmal dem politischen Druck.       



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