Bulletin Nr.55; Dezember 2007

Rätselhafte Rechtsprechung

Mehmet Esiyok: Revisionsgesuch abgelehnt

Mit einem weiteren Entscheid gegen den kurdischen Politiker missachtet das höchste Schweizer Gericht nochmals die Verpflichtungen der Antifolter-Konvention.

Happige Post hat die in die verschiedenen Verfahren gegen Mehmet Esiyok involvierten Personen erreicht: Mit Datum vom 2. Oktober 2007 lehnt das Bundesgericht das Ersuchen um Revision des Auslieferungsentscheides ab. Der Unterton des neuesten Entscheides von Lausanne ist unmissverständlich: Wir haben im Januar alle Fakten in Betracht gezogen, daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Die Gerichtsakten aus der Türkei, die belegen, dass der einzige Belastungszeuge gegen Esiyok seine Aussagen unter Folter gemacht und später zurückgezogen hat, werden schlicht in Frage gestellt: Das türkische Original nütze nichts, weil es eben in türkischer Sprache verfasst sei, die Übersetzung sei «privat» (d.h. nicht amtlich beglaubigt), und ob der Inhalt überhaupt auf Folter hindeute und tatsächlich den Belastungszeugen betreffe, sei ebenfalls fraglich.
Was das Bundesgericht somit vor allem ignoriert, ist die Antifolter-Konvention der UNO. Diese besagt klar, dass in einem Auslieferungsverfahren der ausliefernde Staat die Verpflichtung hat, sicherzustellen, dass das Verfahren nicht auf Aussagen beruht, die unter Zwang zustande gekommen sind. Es wäre also die Aufgabe des Bundesgerichts und des Bundesamts für Justiz gewesen, in einem unsicheren Fall Akten aus der Türkei anzufordern oder vorhandene Akten zu übersetzen. Oder sind die hohen RichterInnen der Meinung, Esiyok soll aus dem Gefängnis ans türkische Justizministerium schreiben und um genau die Akten bitten, die seine Auslieferung verhindern sollen? Das Argument der Antifolter-Konvention findet in diesem Entscheid noch weniger Gnade, als es die Pessimisten unter uns erwartet hatten: Es wird schlicht ignoriert.
Auch das zweite Hauptargument, dass der Haftbefehl vom Staatssicherheitsgericht in Erzurum stammt, das weder unabhängig noch unparteilich ist, interessiert in diesem Fall nicht. Die Antwort darauf lautet: Das wurde schon in der ersten Beschwerde angeführt. Allerdings wurde damals auch schon nicht darauf eingegangen. Ganz rätselhaft wird diese Rechtsprechung, wenn man diesen Entscheid mit demjenigen im Fall Zeynep Yesil vergleicht (siehe nebenan): Dort bildet genau dasselbe Staatssicherheitsgericht ein Grund für die Ablehnung der Auslieferung. Leider hat das Bundesgericht in jenem Fall auch nicht ausgeführt, warum es einmal so und einmal anders entscheidet.

Zwei Jahre Gefängnis für den politischen Gegner
Nach diesem Entscheid aus Lausanne sind die Rechtsmittel im Auslieferungsverfahren ausgeschöpft. Es bleibt nur noch der Gang vor das Antifolter-Komitee der UNO.
Die Auslieferung ist aber vor allem durch das noch hängige Asylverfahren weiterhin unmöglich. Esiyok wartet immer noch auf einen neuen Entscheid des Bundesamtes für Migration. Dieser ist allerdings nicht vor nächstem Jahr zu erwarten. Somit erweist die Schweiz der Türkei tatsächlich gute Dienste: zwei Jahre Gefängnis für einen politischen Gegner, ohne dass jemand Genaueres wissen will oder ein Urteil gefällt ist.

augenauf Zürich



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