Bulletin Nr.55; Dezember 2007

Ausreise- und Minimalzentrum in Valzeina GR

Vertreibung auf Raten

Im Prättigau entsteht ein neues Heim für abgewiesene Asylsuchende. Die Schikanen, denen sie ausgesetzt sein werden, wurden bereits festgehalten. Doch BürgerInnen der Gemeinde wehren sich gegen die unmenschlichen Bedingungen der Unterbringung.

Killer-Hausordnung
Der Kanton Graubünden eröffnet demnächst in der 140-Seelen-Gemeinde Valzeina ein «Ausreise- und Minimal-Zentrum» für abgewiesene Asylsuchende. Der Entwurf der Hausordnung des Zentrums zeigt, worum es bei der kantonalen Unterkunft geht: Die Leute sollen verschwinden, ob tot oder lebendig.
Auszug aus der «Hausordnung Ausreise- und Minimalzentrum (ARZ/MIZ) Flüeli, Valzeina»: §11 «Die Bewohner des ARZ/MIZ sind verpflichtet, sich täglich in der Unterkunft aufzuhalten und sich zu den angegebenen Zeiten für Anwesenheitskontrollen einzufinden. Die Bewohner haben sich jederzeit den Ausländerbehörden zur Verfügung zu halten. Urlaubsgesuche werden nicht bewilligt. (…) Jeder Aufenthalt ohne die erwähnte Bewilligung [zum Verbleib im Zentrum] führt umgehend zu einer Strafanzeige.»
Wer einmal im «Ausreisezentrum», das in Wirklichkeit eine Art Gefängnis ist, einsitzt, darf es nicht mehr verlassen. Wer aber einmal daraus verwiesen wurde, darf auch auf keinen Fall dorthin zurückkehren.
Um das Perfide dieser Hausordnung zu verstehen, muss man das «Flüeli» kennen. Dieses ist ein schon lange unbenutztes, isoliertes, abgelegenes Heim in der winzigen Graubündner Berggemeinde Valzeina. Im Dorf gibt es eine schmale Strasse und ein selten fahrender Minibus für die SchülerInnen, die in Grüsch zur Schule gehen. Bis ins Heim sind es noch einmal 20 Minuten Fussmarsch – auf einer Strasse, die im Winter eigentlich eine Schlittelbahn ist. Die ValzeinerInnen wehren sich gegen das Zentrum. Sie wollen kein verkapptes Gefängnis mit 40 InsassInnen, denen jegliche Integration verboten ist, denen zu wenig Geld zur Verfügung steht und die trotzdem nicht arbeiten dürfen; und die dort, isoliert auf dem Berg, auf ihre Ausschaffung warten. Die Gemeinde handelt nicht aus fremdenfeindlichen Motiven, sondern bietet Flüchtlingsfamilien ihre Gastfreundschaft an. Nur ein Gefängnis wollen sie nicht. Doch der Kanton hat sich durchgesetzt und Ende November sollen die ersten Abgewiesenen und Unerwünschten ins Flüeli einziehen.

Graubünden will Flüchtlinge aushungern
Bis Ende des Jahres erhalten die InsassInnen des Flüelis Fr. 7.30 pro Tag. Ausbezahlt wird zu festgelegten Zeiten, wer nicht da ist, erhält nichts. Offenbar als besondere Strafmassnahme erhalten einige das Geld nur in Tagesportionen (§7). Diese Fr. 7.30 müssen für alles reichen: Nahrung, Kleider und Schuhe, Hygieneartikel, Medikamente, Zigaretten und Medienartikel. Einkaufen kann man in Valzeina nicht. Dafür muss man den Bus nach Grüsch zum nächsten Volg-Laden nehmen. Das Billett für den Bus nach Grüsch kostet retour jedoch Fr. 9.20. Und: «Das Postauto ist primär für den Transport der Schüler [sic] bestimmt, diese haben Anspruch auf vorrangigen Transport. Bei Bedarf sind Transportplätze für Schulkinder freizugeben» (§14).
Es ist leicht auszurechnen: Wer Fr. 7.30 pro Tag erhält, aber Transportkosten von Fr. 9.20 pro Einkaufsfahrt berappen muss, wird nicht viel zwischen die Zähne bekommen, auch wenn man sich organisiert und gemeinsam einkauft. Die Botschaft Graubündens an die Abgewiesenen ist klar: Wer bleiben will, muss hungern.

Absolute Kontrolle und Disziplinierung
–          «Weisungen und Anordnungen, welche die Unterkunftsleitung oder Mitarbeitende des ARZ/MIZ bzw. des APZ [Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden] erteilen, sind strikt zu befolgen (§2).
–          Nach Bedarf kann die Leitung des ARZ/MIZ bzw. des APZ obligatorische Informationsanlässe einberufen (§6).
–          Die Mitarbeitenden des ARZ/MIZ sowie die Kantonspolizei sind jederzeit berechtigt, im ARZ/MIZ Personen- und Zimmerkontrollen durchzuführen. Zimmer- und Personenkontrollen durch die Kantonspolizei finden unregelmässig statt und können jederzeit und unangemeldet erfolgen (§10).
–          Jedem Bewohner [sic] wird anlässlich des Eintritts ins ARZ/MIZ ein Bett zugewiesen. Ebenfalls wird eine Ablagefläche für persönliche Gegenstände bezeichnet. Die Zimmer sind nur von innen abschliessbar. Es gibt keine Schlüssel zu den Zimmern.» (§8).
Braucht es zu diesen Zitaten aus der «Hausordnung» noch einen Kommentar?

Medizinische Versorgung nur, wenn es die Polizei will
Wer in ein «Minimal-» oder «Ausreisezentrum» geschickt wird, darf nicht arbeiten, hat zu wenig Geld für eine vernünftige Ernährung zur Verfügung und muss jeden Tag anwesend sein. EinE BewohnerIn befindet sich in «Obhut» des Staates, und dieser wäre dazu verpflichtet, für dessen/deren Gesundheit zu sorgen. Doch wie heisst es in der Hausordnung? «Die Bewohner [sic] des ARZ/MIZ haben keinen oder nur sehr begrenzten Zugang zu ärztlichen Leistungen, i.d.R. wird nur eine notfallmedizinische Versorgung gewährt, die von der Sektion V + V bewilligt werden muss» (§13). Wer sind die Götter, die im Notfall darüber entscheiden, ob keine oder doch minimale medizinische Behandlung gewährt wird? Das Kürzel «Sektion V + V» bedeutet «Sektion Verfahren und Vollzug», eine Unterabteilung des Bereichs «Asyl und Massnahmevollzug» im Amt für Polzeiwesen und Zivilrecht. 

Gemeinde Valzeina: «Menschenrechtsverletzungen»
Die arme und winzige Gemeinde Valzeina musste am 6.11.2007 die Baubewilligung für die Umnutzung der Liegenschaft Flüeli erteilen, da der Kanton gegen die Nichterteilung der Baubewilligung vor das Verwaltungsgericht gezogen ist. Doch die Gemeinde liess es sich nicht nehmen, am gleichen Tag in einer Pressemitteilung Klartext zu sprechen. «Im Schreiben der Baukommission vom 6.11.07 zum Gesprächsprotokoll hat demnach die Gemeinde Valzeina einige Bemerkungen zur Hausordnung deponiert: u. a. dass verschiedene Bestimmungen der Hausordnung gegen die Menschenrechte, Bundesgerichtsentscheide oder BV-Artikel verstossen. Auch dass die teilweise wagen Formulierungen Hand für Willkür bieten. Diese Hausordnung bestätigt die Befürchtung, die wir von Anfang an hatten, dass an diesem isolierten Standort ein Zentrum mit gefängnisartigen Bedingungen entstehen soll.»
Wer die Auseinandersetzung um das «Ausreisezentrum» und den Entwurf zur «Hausordnung» dieses Zentrums studiert, merkt schnell die Absichten, die hinter den Plänen des Kantons Graubünden stecken: Flüchtlinge und sonstige Abgewiesene sollen unter so lausigen Umständen eingesperrt werden, dass sie von selbst abhauen, am besten gleich über nationale Grenzen nach Frankreich oder Italien. Egal, nur weg sollen sie. Die Allerschwächsten, die Kranken, Alten oder die Menschen mit Kindern müssen oben auf dem Berg verharren. Bis ein Staat ein Laissez-Passer ausstellt und ein Sammelflugzeug bereit steht. (Oder dann §13 in Kraft tritt: «Die Bewohner des ARZ/MIZ haben keinen oder nur sehr begrenzten Zugang zu ärztlichen Leistungen.») 

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augenauf Zürich



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