Bulletin Nr.55; Dezember 2007

Was stört, soll aus dem Stadtbild verschwinden. Die Euro 08 fordert ihre ersten Opfer

Repressionsgelüste in Bern

Nach den Ausschreitungen anlässlich der SVP-Demo vom 6. Oktober 2007 überschlagen sich in Bern die Forderungen nach einem härteren Durchgreifen der Polizei. Wirklich neu ist diese Tendenz jedoch nicht. Der 6. Oktober scheint eher willkommener Anlass als Ursache zu sein.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass sich in Bern überhaupt noch Leute vor die Tür wagen, so unsicher wie die Stadt zurzeit sein soll. Seit dem 6. Oktober 2007 vergeht kaum ein Tag, ohne dass man mit immer neuen Repressionsgelüsten konfrontiert wird: Ende der Deeskalationsstrategie, Verschärfung des Kundgebungsreglements, stärkere Polizeipräsenz, Videoüberwachung, Bettelverbot, Schliessung der Reitschule – die Forderungen nach mehr Repression reissen nicht ab.

Störende Medienpräsenz
Bereits unmittelbar nach den Ausschreitungen rund um die SVP-Demo wurde im Berner Stadtrat martialisch die «Beerdigung der Deeskalationsstrategie» gefordert und die Ausweitung des Hooligangesetzes auf Demonstrierende diskutiert. In einem Artikel der «Berner Zeitung» meldet sich ein Polizist zu Wort, der sich über die störende Medienpräsenz bei Demonstrationen beschwert, die die Polizei daran hindert, ausreichend Gewalt anwenden zu können. Ferner bedauert er, dass die Polizei dadurch «dem Pack nicht in der Sprache antworten darf, die es versteht».
Doch diese erste Welle der Empörung war nur der Anfang. Politik und Gewerbe liefern sich einen veritablen Wettlauf um die Ausdehnung der Repression auf alle möglichen Bereiche. Gleich drei gewerbliche Komitees wurden gegründet, die sich dem Kampf für eine «sichere» und «saubere» Stadt verschrieben haben. Während die «Interessengemeinschaft Aarberggasse» primär die Auswirkungen der städtischen Drogenpolitik in der genannten Altstadtgasse kritisiert, holt ein Komitee unter dem sinnigen Namen «Für ein Bern, in dem wir uns wohl fühlen» gleich zu einem Rundumschlag gegen alle ihm missliebigen Elemente in der Bundeshauptstadt aus. Mit der Petition «Itze längts» will das vor allem von Wirtschaftskreisen getragene Komitee gegen die Laisser-faire-Politik des Gemeinderats vorgehen: Unbewilligte Demonstrationen und «rechtsfreie Räume» wie die Reitschule sollen nicht mehr geduldet, Randständige nicht länger bevorzugt werden. Konkret wird ein Ende der Deeskalationstaktik, des Bettlertums, der offenen Drogenszene und der Gassenküche gefordert. Zu guter Letzt hat das überparteiliche Komitee «Bern sicher und sauber!» eine Volksinitiative für die Verschärfung des Kundgebungsreglements lanciert. Ein «Entfernungsartikel» soll es der Polizei erlauben, frühzeitig «Passanten und friedliche Demonstranten von Chaoten zu trennen und gegen letztere dann Tränengas und Gummischrot einzusetzen», meinen die Initianten. 

Rot-Grün springt auf den Repressionszug auf
Doch auch die rot-grüne Stadtregierung mischt munter mit beim kollektiven Lobgesang auf die polizeiliche Repression. Dabei kann es gar nicht schnell genug gehen. Während im Stadtrat noch über das neue Bahnhofreglement debattiert wird, das das Betteln im Umfeld des Bahnhofs verbieten will, prüft der Gemeinderat bereits eine Ausweitung des Bettelverbotes auf die gesamte Berner Innenstadt. In der Drogenpolitik soll mit einer erhöhten Polizeipräsenz (6000 bis 10 000 Stunden bis Ende Jahr) und «starken repressiven Massnahmen» gegen eine Szenenbildung an «neuralgischen Punkten» vorgegangen werden. Tatsächlich patrouilliert die Stadtpolizei jetzt im Stundentakt durch die Innenstadt und spricht Wegweisungen gegen unerwünschte Personen aus. Stolz wurde das Resultat in einem Communiqué präsentiert: Innerhalb einer Woche wurden eine Vielzahl von Personen kontrolliert, hundert Wegweisungen ausgesprochen und hundert Anzeigen betreffend Betäubungsmittelhandel oder -konsum ausgestellt.
Auch im Bereich der Überwachung geht es vorwärts. Künftig sollen in Bern Strassen und öffentliche Plätze mit Videokameras überwacht werden. Dies will der Regierungsrat auf kantonaler Ebene mit einem teilrevidierten Polizeigesetz durchsetzen. Die verfassungsmässig erlaubte Frist von 100 Tagen zur Aufbewahrung der Aufnahmen soll dabei voll ausgereizt werden.

Keine neue Tendenz
Die Zeichen stehen also auf Repression – allerdings nicht erst seit dem 6. Oktober 2007. Bereits seit einiger Zeit kann man sich in Bern kaum des Eindrucks erwehren, dass die Stadt zunehmend  auf «sicher» und «sauber» getrimmt werden soll – wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehende Euro 08. Was stört, soll aus dem Stadtbild verschwinden. Spätestens seit dem Umbau des Bahnhofplatzes ist diese Tendenz für die betroffenen Gruppen deutlich spürbar. So entbrannte beispielsweise ein wochenlanges Hickhack um den neuen Standort der Gassenküche, nachdem diese ihre Töpfe nicht mehr vor dem Bahnhof aufstellen konnte. Der Konflikt gipfelte schliesslich am Pfingstsonntag in einem Tränengaseinsatz gegen eine friedliche Menschenkette, welche die Essensausgabe schützen wollte.
Das neue Bahnhofreglement inklusiv Bettelverbot war schon lange vor dem 6. Oktober in den Startlöchern, ebenso die Videoüberwachung als Teil des neuen Polizeigesetzes. Und auch das repressive Vorgehen gegen die Drogenszene kann nur schwer mit den Ausschreitungen an der SVP-Demo in Zusammenhang gebracht werden.
Bern scheint bezüglich Repression vor allem zu den übrigen Schweizer Städten aufholen zu wollen. Dass diese Massnahmen kurz vor Beginn 2008 ergriffen werden, dem Jahr der Europameisterschaft und der Stadtberner Wahlen, wird wohl kaum Zufall sein. So wundert es auch nicht, dass die verschärfte Repressionspolitik von SP und Teilen der Grünen mitgetragen wird. Alle wollen noch schnell auf den Repressionszug aufspringen, der offenbar derart im Trend liegt. Dabei wird von allen Seiten so laut nach neuen repressiven Massnahmen gerufen, bis auch die Letzten von deren Notwendigkeit überzeugt sind – und dann kann behauptet werden, es handle sich um ein Bedürfnis der Bevölkerung. Die Bilder und Berichte vom 6. Oktober haben dazu beigetragen, ein Klima der Unsicherheit zu schaffen, das all diese Forderungen und Massnahmen legitim erscheinen lässt.
Wenn die Repression weiter in diesem Tempo zunimmt, wird die Stadt bald so sicher und sauber sein, dass man sich tatsächlich kaum noch vor die Tür wagen kann. Bis zur Euro 08 vergeht noch über ein halbes Jahr – man darf gespannt sein oder zittern, was als Nächstes auf uns zukommt.                      augenauf Bern

Kasten:
augenauf: Die etwas andere Kritik am Polizeieinsatz vom 6. Oktober 2007
Darüber, dass der Polizeieinsatz anlässlich der Demonstration gegen die SVP vom 6. Oktober nicht unbedingt als Erfolg gewertet werden kann, sind sich offenbar alle Seiten einig. Die Kritik von augenauf Bern zielt jedoch in eine andere Richtung als die, die im Allgemeinen in den Medien eingeschlagen wurde. Neben all den Bildern der Ausschreitungen wurde in der Berichterstattung vernachlässigt, dass es auch am 6. Oktober zu polizeilichen Übergriffen auf friedliche DemonstrantInnen gekommen ist, wie aus einer Vielzahl von Augenzeugenberichten hervorgeht. Neben dem generell massiven Einsatz von Tränengas und den teilweise unverhältnismässig brutalen Verhaftungen kritisiert augenauf Bern vor allem folgende Punkte:
–          Gemäss zahlreichen Augenzeugenberichten setzte die Polizei Gummischrot und Tränengas gegen eine bis dahin friedliche Menschenmenge ein, die sitzend versuchte, den SVP-Umzug zu blockieren. Zu den Ausschreitungen kam es erst im Anschluss an diesen Kampfmitteleinsatz.
–          Viele Verhaftungen ereigneten sich nicht während, sondern vor und nach den eigentlichen Ausschreitungen. Die Kriterien für diese Festnahmen sind unklar und erscheinen willkürlich.  
–          Mehrere Jugendliche, die morgens um 9.00 Uhr auf dem Boden sitzend beim Bahnhof Bern kontrolliert wurden, wurden nach eigenen Angaben über mehrere Stunden ohne Zugang zu Wasser und Nahrung in Kastenwagen festgehalten.
–          Offenbar wurde von Seiten der Polizei gegenüber den Medien noch am Tag der Ausschreitungen von einem gegen die Polizei verübten Angriff mit einer ätzenden Flüssigkeit berichtet, bevor die entsprechende Flüssigkeit analysiert wurde. Mittlerweile hat die Stadtpolizei eingeräumt, dass die Flüssigkeit doch nicht ätzend war. Unseren Informationen zur Folge handelte es sich dabei um Brunnenwasser.

Die Stadtpolizei Bern lehnte es bisher ab, zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Zurzeit befindet sich ein vom Gemeinderat angeforderter Bericht zum Polizeieinsatz bei einem externen Gutachter zur Überprüfung. augenauf Bern hat sich mit einem offenen Brief an diesen Gutachter gewendet und die Berücksichtigung der genannten Punkte gefordert. Mit der Veröffentlichung des Berichtes wird in den nächsten Wochen gerechnet.         

augenauf Bern



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