Bulletin Nr.55; Dezember 2007

Taser – am Schwein getestet, am Menschen angewendet

Hunderte von Toten: «Täglich Leben retten?»

Todesfälle durch Taser machen international Schlagzeilen. Trotzdem will sie der Nationalrat auch zur Durchsetzung von Zwangsausschaffungen einsetzen lassen. Das nächste Wort hat der Ständerat.

Die Elektroschockpistole Taser kam in letzter Zeit vor allem durch Meldungen über Todesfälle in die Schlagzeilen. Die Waffe wird häufig als «nicht tödlich» bezeichnet, manchmal genauer als «weniger tödlich». Die Bilder vom Testeinsatz dieser Waffe an Polizeibeamten und vom tödlichen Einsatz im Flughafen Vancouver gingen inzwischen um die Welt. Die vielen Todesfälle demaskieren zwar den Werbeslogan «täglich Leben retten» der Herstellerfirma, sie werden an der Tatsache aber nicht viel ändern: Eine neue Waffe ist erhältlich und wird eingesetzt.

Russisches Roulette mit der Bevölkerung
Was am meisten stört, wenn man sich in dieses Thema vertieft, ist der Mangel an wissenschaftlichen, unabhängigen Erkenntnissen. Die Polizei setzt eine Waffe ein, über deren Wirkung nicht viel bekannt ist. Der eigentliche Test findet zurzeit im Feldversuch an der Bevölkerung statt. Die Herstellerfirma selbst veröffentlicht keine ausführlichen Studien. Man weiss nur, dass zuerst an einem Schwein getestet wurde, danach an ein paar Hunden. Auch die Mediziner sind sich nicht einig, wie weit die Folgen dieser Stromschläge gehen können.
Nur in einem Punkt sind sich alle einig: Der Taser ist einer Schusswaffe vorzuziehen. Das ist auch das oberflächliche Argument der Polizei, wenn sie nach dieser Waffe verlangt. Im Detail wird die Frage um einiges komplizierter: Wann genau wird zum Elektroschocker gegriffen, und was wären die jeweiligen Alternativen? Als nicht tödliche Waffe ist ihr Einsatz nicht an dieselben hohen Anforderungen geknüpft wie die Schusswaffe. So wird sie zum Beispiel auch zur Überwältigung von akut suizidgefährdeten Personen verwendet, auf die bekanntlich nicht geschossen wird. In den Staaten Nordamerikas, wo der Taser schon weit verbreitet eingesetzt wird, zeigt sich klar, dass die Hemmschwelle für dessen Gebrauch sehr niedrig ist. Die Waffe ist äusserst effektiv, wenn es darum geht,  jemanden bewegungsunfähig zu machen – und häufig sind die Verletzungen minimal. Genau hier liegt das Problem: Beim Abwägen der Einsatzmittel wird der Taser plötzlich als weniger gefährlich wahrgenommen als die bisherigen Alternativen: Ein Mehrzweckstock (im Volksmund Polizeiknüppel) hinterlässt mindestens leichte, nicht selten schwerere Verletzungen. Der Pfefferspray kann auch länger andauernde Beeinträchtigungen von Sehfähigkeit und Atmung hervorrufen. Und ein Handgemenge mit uniformierten Kampfsportlern übersteht man meistens auch nicht unbeschadet. All diese Gewaltmittel werden zwar normalerweise verharmlost, ausser die Diskussion geht eben um den Taser. Die beiden Einstiche der Taser-Projektile sind im Vergleich lächerlich. Zwar ist inzwischen bekannt, dass die Elektroschocks auch tödlich wirken können, aber genau darüber gibt es erst wenige unbestrittene Erkenntnisse. Der Einsatz des Tasers wird zum russischen Roulette.

Die Medizin tappt im Halbdunkel
Die bekannteste Kritik am Taser kommt von Amnesty International (AI). 2004 hat AI zu einem Moratorium aufgerufen. Damals zählten sie in Nordamerika 74 Todesfälle nach Einsatz des Tasers. Im Frühling 2005 waren es schon 90, inzwischen spricht man von über 200 Todesfällen. Diese werden als «Taser-related deaths», also Todesfälle im Zusammenhang mit einem Taser, bezeichnet. Todesfälle geschehen häufig durch Kombination der Elektroschocks mit anderen medizinischen Problemen. Diese sind Drogenkonsum, starke Erregtheit, Krankheiten, die zu einem verwirrten Verhalten führen, aber auch häufig bestehende Herz- oder Kreislaufprobleme. Die Rechtsmedizin ist vor die schwere Aufgabe gestellt, mit Bestimmtheit eine Todesursache zu benennen. Der Befund muss vor Gericht gegen die Anwälte der Polizeibeamten und neuerdings sogar Anfechtungen der Anwälte der Herstellerfirma bestehen können. Da im Zweifel für die Angeklagten entschieden wird, kommt so nur ein Bruchteil dieser Todesfälle als Folge des Tasers in die Akten, obwohl wahrscheinlich fast alle Opfer ohne Taser noch leben würden.
In der Schweiz ist die Schweizerische Polizeitechnische Kommission (SPTK) für die Prüfung von Polizeiwaffen zuständig. 2003 hat sie in einem Bericht grünes Licht für den Einsatz von Tasern gegeben. Der Bericht unterliegt der polizeitaktischen Geheimhaltung. Es ist weder bekannt, wie die Details lauten, noch auf welchen Grundlagen sie basieren. Auf jeden Fall wurde ein sehr zurückhaltender Einsatz nach intensiver Schulung empfohlen. Einige Kantone beschafften sich einzelne Geräte, die in einer Testphase hauptsächlich bei Interventionseinheiten (Antiterror-Spezialisten, Grenadiere) Verwendung fanden. Laut offiziellen Angaben wurde die Waffe seither rund 20 Mal eingesetzt, ohne zu schweren Verletzungen zu führen.
Allerdings weist diese Testphase einige Mängel auf. Aufgrund der Daten in der Schweiz wird es noch lange keine relevanten Erkenntnisse geben. Entscheidend werden also künftige Studien aus dem Ausland sein. Aber die SPTK hat keinen Auftrag, die neuen Erkenntnisse permanent zu überprüfen, dafür sind jetzt die einzelnen Polizeikorps zuständig. In Zukunft googeln also je ein Beamter der Kantonspolizeien Schwyz, Nidwalden, Zürich – da auch noch ein Stadtpolizist – regelmässig mit weiteren Kollegen mit den Suchbegriffen «Todesfall» und «Taser». Aber suchen sie auch auf Englisch?

Zwangsausschaffungen mit Tasern und Hunden
Eine eigene Diskussion findet darüber statt, ob diese Mittel auch bei Ausschaffungen benützt werden dürfen. Seit den Todesfällen bei Ausschaffungen gab es mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit dieser Thematik beschäftigt haben. Die Forderung nach einheitlicher Regelung führte zum Entwurf des Zwangsanwendungsgesetzes. Dieses soll den Einsatz von Zwangsmitteln durch die Polizei regeln, wenn sie Bundesaufgaben erfüllt. Neben Schutz von Botschaften und Gefangenentransporten sind dies vor allem Zwangsausschaffungen. Der Einsatz von Tasern und Hunden wurde in der Vernehmlassung von diversen Seiten kritisiert. Der Ständerat schloss sich dieser Haltung an und strich die entsprechenden Passagen aus dem Gesetz. Der Gesamtbundesrat entschied ebenso. Am 3. Oktober hat der Nationalrat beide Mittel wieder ins Gesetz aufgenommen.
Begründet wurde dies vor allem damit, dass eine Schusswaffe viel gefährlicher sei. Zudem könne diese im Flugzeug gar nicht mitgeführt werden. Obwohl sich die Hardliner-Fraktion als Kenner der Problematik aufführte, war ihre Argumentation eigentlich sehr dünn. Sollen jetzt etwa Hunde mitfliegen? Meistens wenden Polizeibeamte Gewalt dann an, wenn sie jemanden aus der Zelle im Ausschaffungsgefängnis holen müssen, um ihn an Händen und Füssen gefesselt – wahrscheinlich auf einen Rollstuhl gebunden – ins Flugzeug zu verfrachten. Wenn ein Taser als milderes Einsatzmittel gelten soll, stellt sich die Frage, wie viele Menschen in den letzten Jahren bei den Ausschaffungen verletzt wurden. Viel eher geht es wohl  darum, den Widerstand vor der Ausschaffung  besser brechen zu können.

Terror und Folter
Was passiert, wenn eine Ausschaffung mit dem Einsatz von Tasern oder Hunden durchgesetzt wird? Es sind inzwischen einige Todesfälle nach einem Taser-Einsatz bekannt, bei denen das Opfer erst einige Stunden oder Tage danach an einem Herzproblem starb. Ein erzwungener Flug nach Betäubung durch Elektroschock stellt also ein erhöhtes Risiko dar. Folgerichtig müsste der Betroffene für flugunfähig erklärt werden. Bei einem Hundebiss ist das noch offensichtlicher: Eine medizinische Behandlung ist sofort notwendig. Es geht aber gar nicht darum, in dieser Situation diese Waffen wirklich einzusetzen. Die Drohung mit Elektroschockpistolen und Hunden soll die AusländerInnen davon abhalten, Widerstand gegen die Ausschaffung zu leisten. Die beiden Einsatzmittel sollen Angst erzeugen. Sie werden zur Terrorisierung der Opfer eingesetzt.
Elektroschockgeräte und Hunde in der Gefängniszelle? Diese Vorstellung, begleitet von Erinnerungen an gewisse Berichte und Bilder, ist Besorgnis erregend.
Am 24. November 2007 hat das UNO-Komitee gegen Folter (CAT) in einer Stellungnahme an Portugal empfohlen, auf den Einsatz von Tasern zu verzichten. Die psychische und physische Wirkung entspricht einer Form von Folter, die durch die Antifolter-Konvention der UNO verboten ist. Die Herstellerfirma protestierte postwendend gegen diese Einschätzung.

10. Dezember – Tag der Menschenrechte

Genau auf den 10. Dezember war die weitere Debatte über das Zwangsanwendungsgesetz im Ständerat geplant. Das Resultat aus der Chambre de Reflexion war beim Druck des Bulletins noch nicht bekannt.      

Buchtipp
Marc Spescha: Zukunft «Ausländer». Plädoyer für eine weitsichtige Migrationspolitik
Haupt Verlag Bern, ISBN-10:  3-258-06513-6

Der Autor  Marc Spescha ist Rechtsanwalt und ein profilierter Spezialist für Ausländerfragen. In «Zukunft ‹Ausländer›» entwickelt er anhand von Daten und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung und vor dem Hintergrund der rigiden Praxis der fremdenpolizeilichen «Überfremdungs»-Abwehr Postulate zu einer aufgeklärten Migrationspolitik. Das Buch ist ein Plädoyer für ein neues Denken in der schweizerischen Migrationspolitik.
«Zukunft ‹Ausländer›» ist ein Buch für ein breites Publikum, das sich über das Thema Migrationspolitik informieren will und sich darüber hinaus eine fundierte Meinung dazu bilden möchte – jenseits von diffusen Ängsten und dumpfen Vorurteilen.

augenauf Zürich



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