Bulletin Nr.54; September 2007
Gefangen zwischen den juristischen VerfahrenDie diplomatischen Garantien der Türkei
Im Januar 2007 entscheidet das Bundesgericht, dass Mehmet Esiyok in die Türkei ausgeliefert werden darf. Doch die Lausanner RichterInnen verlangen gleichzeitig, die Türkei müsse einem Monitoring durch VertreterInnen der Schweizer Botschaft zustimmen. Dieses Monitoring hat theoretisch zum Ziel, Mehmet Esiyok einen fairen Prozess nach seiner Auslieferung zu gewährleisten. Dadurch sollen die Schweizer Behörden den juristischen Prozess beobachten und unter Umständen eingreifen können (Kritik von augenauf am Monitoring, siehe Bulletin Nummer 52).
Im ersten Anlauf erhält das Bundesamt für Justiz (BJ) auf Anfrage zwar eine Zusicherung von türkischer Seite zum Monitoring. Unterzeichnet ist das Schreiben jedoch nur von der türkischen Botschaft in Bern statt vom türkischen Justizministerium. Esiyoks AnwältInnen legen hierauf Rekurs beim Bundesstrafgericht in Bellinzona ein, das bestätigt, dass die Zusicherung vom zuständigen Justizministerium kommen müsse.
Das BJ startet einen erneuten Versuch, die entsprechende Garantie zu erhalten. Am 16. Mai übermittelt die türkische Botschaft daraufhin ein Schreiben des türkischen Justizministeriums inklusive deutscher Übersetzung. Am genauen Wortlaut der Übersetzung wird jedoch gezweifelt, so dass in der Schweiz eine weitere professionelle Übersetzung angefertigt wird. Im Folgenden finden sich die entscheidenden Passagen im Wortlaut.
Übersetzung durch die türkische Botschaft: «Die erwähnte Zusicherung wurde im Wortlaut am 28. Februar 2007 abgegeben und ist mit der deutschen Übersetzung über das Türkische Auswärtige Amt für die Übergabe an die schweizerischen Behörden am 2. März 2007 mit einem Eilschreiben übersendet worden. Wir haben erfahren, dass die Zusicherung (2. März) über die Türkische Botschaft in Bern den schweizerischen Behörden übergeben worden ist.»
Übersetzung in der Schweiz: «Es ist festgestellt worden, dass die Zusicherungserklärung mit dem gleichen Schriftsatz ausgestellt werden kann und am 2. März 2007 ist beim Aussenministerium der Antrag um unverzügliche Zustellung an die Schweizer Behörde gestellt worden. Man hat erfahren, dass die Zusicherungserklärung zusammen mit einer Note von der Botschaft der Republik Türkei zugestellt worden ist.»
Als das BJ daraufhin wieder behauptet, die geforderte Zusicherung sei nun vorhanden, ohne dass sich etwas geändert hat, wird erneut eine Beschwerde in Bellinzona eingereicht. Diese wird am 21. Juni abgelehnt. Das Bundesstrafgericht stellt dabei fest, dass:
«– die türkische Botschaft innert vom BJ angesetzter Frist am 16. Mai 2007 eine Erklärung des türkischen Justizministeriums (in türkischer Sprache und in deutscher Übersetzung) übermittelte, wonach die erwähnte Zusicherung vom zuständigen Generaldirektorat für Völkerrecht und Auswärtige Beziehungen des Justizministeriums im Wortlaut am 28. Februar 2007 abgegeben und am 2. März über die türkische Botschaft in Bern den schweizerischen Behörden übergeben worden sei.
- gemäss der Erklärung des türkischen Justizministeriums die Garantieerklärung tatsächlich vom zuständigen türkischen Justizministerium am 28. Februar 2007 abgegeben und von der türkischen Botschaft am 2. März 2007 den schweizerischen Behörden übermittelt worden ist.
- die Einwendungen von Esiyok insgesamt und im Einzelnen offensichtlich unbegründet sind.»
Was auf den ersten Blick vielleicht noch halbwegs logisch erscheint, wird zu einem absolut unverständlichen Entscheid, wenn man eine kleine Unterlassung im Entscheid des Bundesstrafgerichts nachholt: Es ist nämlich nach wie vor festzuhalten, dass die Schweizer Behörden weiterhin nicht im Besitz einer Erklärung des türkischen Justizministeriums sind, in welchem dieses ein Einverständnis zum vom Bundesgericht geforderten Monitoring abgibt. Es liegt einzig eine schriftliche Behauptung vor, man habe dieses Papier unterzeichnet und der Schweiz übermittelt.
Falls nun also jemand vom Bundesamt für Justiz wissen möchte, wie der Wortlaut des Einverständnisses des türkischen Justizministeriums ist, und ob zum Beispiel das Recht auf das Monitoring eingeschränkt ist durch türkische Gesetze oder zukünftige Gesetzesänderungen, müsste das BJ korrekterweise antworten: Das wissen wir leider nicht, denn wir haben dieses Papier gar nie erhalten. Staatsräson muss eben nicht zwingend logisch sein.
Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2007 im Asylverfahren von Mehmet Esiyok
Das oberste Gericht im Asylverfahren hebt den negativen Asylentscheid des Bundesamtes für Migration auf und weist den Fall wegen massiver Mängel zur Neubeurteilung an das Bundesamt für Migration (BFM) zurück. Mit diesem Entscheid setzt sich erstmals ein Richtergremium vertieft mit den praktischen Fragen dieses Falls auseinander und beweist somit eine echte Unabhängigkeit gegenüber der Landesregierung.
Das BFM wird in nächster Zeit noch viel zu tun haben, um die Fragen des Bundesverwaltungsgerichts zu beantworten. Das heisst jedoch auch, dass ein definitiver Asylentscheid nicht so bald zu erwarten ist und sich Esiyoks Haftdauer zusehends verlängert.
Revisionsgesuch ans Bundesgericht
Am 17. Juli wird ein Gesuch um Revision des früheren Entscheides ans Bundesgericht eingereicht.
Für das Revisionsgesuch werden hauptsächlich zwei Gründe angeführt: Erstens konnten neue wesentliche Beweismittel beschafft werden, und zweitens wurden wichtige Tatsachen beim ersten Entscheid nicht berücksichtigt.
Die neuen Beweismittel sind ein Teil der Akten des Strafverfahrens gegen Mehmet Esiyok. Das Verfahren basiert hauptsächlich auf den Aussagen eines einzigen Belastungszeugen, einem mutmasslichen PKK-Kämpfer, der 1996 verhaftet worden ist. Seine in Polizeihaft gemachten Aussagen widerruft er vor Gericht mit der Begründung, er sei schwer gefoltert worden. Gemäss der Antifolterkonvention ist jedoch eine Auslieferung verboten, wenn diese auf belastenden Aussagen beruht, die unter Folter zustande gekommen sind. Die Abklärung, ob dem so ist, obliegt dem ersuchten Staat, das heisst in diesem Fall der Schweiz. Diese Abklärungen sind nicht getätigt worden, obwohl hier die Wahrscheinlichkeit der Folter sehr hoch ist. Dies ergibt sich allein schon aus dem Zeitpunkt der Aussagen. Auch das Bundesgericht beschreibt diesen Zeitraum in der Türkei als «bürgerkriegsähnlichen Zustand».
Nebst diesen neuen Beweismitteln wird die Revision beantragt, weil wichtige Tatsachen im ersten Entscheid unbeachtet blieben. So stützt sich das Auslieferungsbegehren auf einen Haftbefehl des staatlichen Sicherheitsgerichtes in Erzurum. Diese staatlichen Sicherheitsgerichte gelten nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht als unabhängig.
Weiter ist das Delikt, weswegen Esiyok angeklagt worden ist, eindeutig ein politisches Delikt. Auslieferungen wegen politischer Delikte sind jedoch nicht zulässig. augenauf Zürich쇓
Viele ungeklärte Fragen
Im Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts wird das BFM gezwungen, sich mit einer ganzen Liste von Punkten auseinanderzusetzen und entsprechende Fragen zu beantworten, die bisher umgangen wurden:
|
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Zurück zum Archiv