Bulletin Nr. 51; Dezember 2006

Einsichten in die Zürcher Polizeidatenbank «Polis»

Fichenwahn in Zürich

Niemand weiss, wer in der Zürcher Polizeidatenbank «Polis» alles gespeichert ist. Seit Ende der Neunzigerjahre wurden insgesamt über 900 000 Personen registriert. 15 engagierte Zürcherinnen und Zürcher verlangen nun Einsicht in die elektronischen Fichen und wollen wissen, was die Polizei über sie weiss.

Mit der Unterstützung des Komitees gegen das Polizeigesetz und der Menschenrechtsgruppe augenauf haben 15 Personen am 2. November in einer Kollektiveingabe bei der Kantonspolizei und den Stadtpolizeien von Zürich und Winterthur ein Einsichtsbegehren in die Polizeidatenbank «Polis» gestellt. Das Komitee gegen das Polizeigesetz und augenauf laden alle Interessierten ein, ebenfalls Einsicht zu verlangen. Unterlagen zum Verfahren (mit Standardbriefen) sind auf www.augenauf.ch verfügbar.

Über 900 000 Fichierte
In der wild vor sich hin wuchernden Polizeidatenbank sind heute über 900 000 Personen registriert. In der als Geschäftsdatenbank angelegten Megadatei speichern die Zürcher Polizeikorps detaillierte Profile der Personen mit Angaben zu Telefonnummern, Wohnsitz, Aufenthaltsstatus, ArbeitgeberIn, Konfession, Haarfarbe, Kinder, LebenspartnerInnen, Hotelübernachtungen und Hinweise auf die (vermeintliche oder tatsächliche) «Gefährlichkeit» (Warnungshinweis). In «Polis» wird man erfasst, wenn man Anzeige erstattet, den Verlust eines Fahrrades oder eines Ausweises meldet, in ein Ermittlungsverfahren verwickelt ist, eine Beschwerde bei der Polizei vorbringt oder wenn man ganz einfach in einem Rapport irgendeiner Zürcher Polizeistelle erwähnt wird. Die Daten bleiben bis zu zehn Jahren gespeichert. Sie werden von niemandem auf ihre Richtigkeit hin überprüft und allenfalls angepasst. Eine Korrektur falscher Angaben können die Registrierten bis heute nicht vornehmen lassen.

Hauptarbeitsmittel für rund 3000 PolizistInnen
Direkten Zugriff auf die Daten haben alle PolizeibeamtInnen im Kanton Zürich. «Polis» ist eines der wichtigsten Hilfsmittel in der polizeilichen Alltagsarbeit. Darin werden alle Rapporte gespeichert, die Journale aller Polizeiposten geführt und alle polizeilichen Befragungen abgelegt. In «Polis» kann nachgeschaut werden, ob eine an der Zürcher Langstrasse kontrollierte Person schon einmal von der Polizei in der Drogenszene kontrolliert worden ist, ob ein Mann mit einem Mann zusammenlebt oder ob ein Fussballfan als «gewaltorientiert» geführt wird. Vor ihrem Einsatz schauen die Polizeibeamten in «Polis» nach, ob eine Zielperson als «gefährlich» vermerkt ist und passen ihr Vorgehen im Umgang mit dieser Person entsprechend an. Die Zürcher «Polis»-Daten können auch an eine Vielzahl anderer Amtsstellen weitergegeben werden (unter anderem an Polizeidienste, Botschaften, Fremdenpolizeien, Grenzstellen und «weitere Amtsstellen»).

Ohne Rechtsgrundlage
«Polis» wird seit Beginn ohne Rechtsgrundlage ausgebaut. Die Datenschützer der Stadt und des Kantons Zürich kritisieren seit Jahren diese tägliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Registrierten durch die Polizeiorgane. Mit der Verabschiedung der «Polis»-Verordnung hat der Regierungsrat im Sommer 2005 einen ersten Schritt zur Behebung dieses groben Mangels gemacht. Gegen die Verordnung, welche die Persönlichkeitsrechte der Registrierten völlig ungenügend schützt, wurde Beschwerde erhoben. Erst mit dem neuen Polizeigesetz, das der Zürcher Kantonsrat zurzeit behandelt, soll nun die unbestrittenermassen notwendige gesetzliche Grundlage für die extensive Datenerfassung und Datenspeicherung nachgereicht werden. Im Entwurf des Polizeigesetzes fehlen allerdings auch griffige Massnahmen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der registrierten Personen.

Einsicht verlangen!
Nur wenige wissen, dass PolizeibeamtInnen jederzeit in eine Vielzahl von sehr persönlichen Informationen Einsicht nehmen können. Mit der Kollektiveinsicht wollen das Komitee gegen das Polizeigesetz und augenauf die Öffentlichkeit für diesen Tatbestand sensibilisieren. Wir rufen alle Interessierten dazu auf, sich am Einsichtsbegehren zu beteiligen.

Sehr verschiedene Antwortzeiten

Die an die verschiedenen Polizeikorps eingereichten Anfragen um Einsichtnahme werden offensichtlich mit sehr unterschiedlichem Tempo bearbeitet. Die Kantonspolizei lieferte die ersten Antworten innerhalb von Tagen und erledigte inzwischen alle Anfragen. Auch die Stadtpolizei Winterthur beantwortete bisher alle Anfragen – allerdings war es für diese auch sehr einfach: Keiner der GesuchstellerInnen hatte überhaupt einen Eintrag. Das Schlusslicht ist klar die Zürcher Stadtpolizei (Stapo), die bisher erst drei negative Antworten zustande brachte. Sobald auch von der Stapo alle Antworten eingegangen sind, werden wir diese mit den Betroffenen analysieren und weiter informieren. Um einen möglichst grossen Überblick zu gewinnen, sind wir auf Zusendungen weiterer Akten von jenen, die ihre Einsichtsgesuche selbst gestellt haben, angewiesen.

augenauf Zürich



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