Bulletin Nr. 49; Juli 2006

Neue Munition für die Polizei

Die bessere «Mannstopp»-Wirkung

Im April 2006 empfahl die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), so genannte Deformationsgeschosse einzuführen. Trotz der gewollt ähnlichen Wirkung dieser Munition soll es sich dabei aber nicht um die gefährlichen, völkerrechtlich geächteten Dumdum-Geschosse handeln. Der Entscheid, die Deformationsgeschosse einzuführen, wurde unter dem Vorbehalt gefällt, dass die Bundesbehörden die neue Munition als völkerrechtskonform anerkennen. Hieran sind jedoch Zweifel angebracht.

Dies ist nicht der erste Anlauf, diese Munition – die übrigens unter Spezialeinheiten (Geiselnahmen, Überfälle etc.) bereits in der ganzen Schweiz im Einsatz ist – auch der Streifenpolizei zur Verfügung zu stellen. Ein neues, starkes Argument ist der Schusswechsel in Bex, bei dem ein schon angeschossener Mann noch fähig war, einen Polizisten zu erschiessen. Mit der neuen Munition wäre das nicht passiert, da diese eine bessere «Mannstopp»- Wirkung habe.
Die übrigen Argumente für die Verwendung der Deformationsgeschosse sind allerdings alles andere als überzeugend. In einer Pressemitteilung der KKJPD vom 6. April 2006 wurde behauptet, dass auch das IKRK diese Munition für den Polizeidienst empfehle, was vom IKRK jedoch postwendend dementiert wurde.

Das Geheimnis der Waffenindustrie
Das Risiko schwerer oder tödlicher Verletzung sei gemäss den gemachten Erfahrungen nicht höher als mit herkömmlicher Munition, wurde in der Pressemitteilung behauptet. Wie jedoch eine Munition eine stärkere Auswirkung auf den Getroffenen haben soll, ohne das medizinische Risiko zu erhöhen, bleibt dabei das Geheimnis der Waffenindustrie. Am klarsten wird die Frage von Hobby-Schützen beantwortet: Nur wenn zentrale Blutgefässe oder Nervenbahnen verletzt sind, ist jemand sofort bewegungsunfähig. Genau dafür ist die Dumdum-Munition entwickelt worden. Sie bohrt sich nicht gerade durch den Körper hindurch, sondern stellt sich quer und reisst möglichst viel Gewebe mit. Auch wenn eine Pistolenkugel nicht eine derart verheerende Wirkung wie eine Gewehrkugel haben kann, soll die neue Munition im getroffenen Körper einen massiv grösseren Schaden anrichten, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Ein weiteres Argument der Justiz- und PolizeidirektorInnen für die Ersetzung der herkömmlichen Munition betrifft die Gefahr des Durchschusses. Sie behaupten, dass mit der aktuellen Munition Unbeteiligte gefährdet würden, weil die Projektile durch den ersten Körper durchschlagen und danach noch eine weitere Person schwer verletzen könnten.

Die Mehrheit der Schüsse verfehlt das Ziel
Ein letztes, prinzipiell richtiges Argument ist die Häufigkeit der Schussabgabe durch Polizeibeamtinnen und -beamte. Je weniger geschossen werde, desto kleiner das Risiko. Hier stellt die Schweizer Polizei sich selbst ein gutes Zeugnis aus – ohne dies allerdings wirklich zu belegen.
Eine Analyse von Zeitungsartikeln während einer Periode von zehn Jahren zeigt ein unklares Bild: Über die Hälfte der Schüsse verfehlten das Ziel und gefährdeten so Unbeteiligte. «Ungewollte» Schussabgaben und Schüsse im Gerangel einer Verhaftung machen einen Viertel aller Fälle aus. Schon jetzt ist die Todesrate bei den Getroffenen ziemlich hoch; mit der Einführung der neuen Dumdum-Geschosse würde sie sicher noch steigen.

augenauf Bern

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