Bulletin Nr. 47; Dezember 2005

Fragwürdige Inhaftierungen von abgewiesenen Asylsuchenden

Keine Ausschaffung nach Äthiopien!

augenauf Basel ist zurzeit in Kontakt mit äthiopischen Frauen, die verhaftet worden sind, obwohl eine Ausschaffung in ihre Heimat faktisch unmöglich ist. Wir dokumentieren einen Text von UnterstützerInnen, der sich mit den rechtlichen, politischen und humanitären Fragen dieser Situation beschäftigt.
Bis vor kurzem weigerten sich die äthiopischen Behörden, mit der Schweiz bei der Rückschaffung abgewiesener äthiopischer Asylsuchender zusammenzuarbeiten. Seit dem Sommer sind sie dazu aber unter gewissen Umständen bereit. Voraussetzung ist die Existenz eines Dokuments, das die äthiopische Staatsangehörigkeit der betreffenden Person bestätigt. Neben Reisepässen und Identitätskarten werden auch Schüler- und Studentenausweise sowie vor allem ein so genanntes Basic Data Sheet akzeptiert. Dieses Datenblatt mit den wichtigsten Personalien sollen die äthiopischen Sans Papiers unterschreiben, wozu sie von den kantonalen Migrationsämtern seit einiger Zeit aufgefordert werden. Liegt ein Basic Data Sheet oder ein anderes Identifikationspapier vor, sind die äthiopischen Behörden grundsätzlich bereit, Ersatzreisepapiere auszustellen und bei Rückschaffungen mitzuwirken.
Um die fragile Zusammenarbeit mit den äthiopischen Behörden nicht zu gefährden, hat das Bundesamt für Migration die Kantone aufgefordert, die betroffenen Personen mit Vorladungen und gewissem Druck zur Unterschrift der Basic Data Sheets zu bewegen, auf Zwangsmassnahmen aber vorderhand zu verzichten. Bis auf den Kanton Baselland, der Mitte Oktober ein halbes Dutzend Äthiopierinnen und Äthiopier in Ausschaffungshaft setzte, obwohl keine Identifikationspapiere vorliegen und eine Ausschaffung deshalb faktisch unmöglich ist, haben sich alle Kantone an diese Weisung gehalten. Zurzeit, d. h. Anfang Dezember, liegen beim Bundesgericht mehrere Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen das Migrationsamt Baselland. Ob die durch den Kanton Baselland angeordneten Inhaftierungen rechtmässig sind oder ob es sich dabei um Beugehaft handelt, wird das Bundesgericht vermutlich noch vor Jahresende entscheiden.
Unabhängig vom Entscheid des Bundesgerichts ist die jüngste Praxisänderung der Bundesbehörden äusserst fragwürdig. Die schon lange problematische Menschenrechtslage in Äthiopien hat sich seit den nicht korrekt verlaufenen Wahlen vom vergangenen Mai markant verschlechtert. Kurz nach den Wahlen und Ende Oktober wurden bei Protestdemonstrationen in Addis Abeba jeweils über 40 Menschen erschossen und Hunderte verhaftet. Weil zudem an der Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien seit einiger Zeit grössere Truppenverschiebungen beobachtet werden, wird über die Gefahr eines erneuten Kriegs spekuliert. Angesichts der Unruhen in der Hauptstadt und des Kriegsrisikos hat das EDA, ebenso wie beispielsweise auch das britische Aussenministerium, Anfang November von Reisen nach Äthiopien abgeraten.
Dass unter diesen Umständen nun eine Rückschaffungsaktion anläuft – mit einer grösseren Zahl von Rückschaffungen ist Ende Jahr bzw. Anfang 2006 zu rechnen –, ist unter rechtlichen und humanitären Aspekten äusserst fragwürdig. So befinden sich beispielsweise unter den in Basel Inhaftierten junge ehemalige StudentInnen und GymnasiastInnen. Auch wenn sie eine massive individuelle Verfolgung im Asylverfahren nicht nachweisen konnten und in einigen Fällen mangels Papieren auf die Asylgesuche gar nicht eingetreten wurde, so kann eine persönliche Gefährdung im Falle einer Rückschaffung keineswegs ausgeschlossen werden. Sie gehören nämlich zu jenen gebildeten Schichten der Hauptstadt, die politische Reformen fordern und gegen die das Regime zurzeit mit aller Härte vorgeht. Es wäre interessant zu wissen, wie die Bundesbehörden die gegenwärtige Menschenrechtslage in Äthiopien beurteilen und wer die politische Verantwortung übernimmt, falls einzelne Asylsuchende – entgegen der Zusicherungen der äthiopischen Behörden – nach ihrer Rückschaffung inhaftiert und misshandelt werden.

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