Bulletin Nr. 47; Dezember 2005

Das Leben von MigrantInnen mit NEE

So etwas sollte es nie mehr geben

In den letzten Monaten sind viele Flüchtlinge an augenauf Bern herangetreten, weil ihre Asylgesuche vom Bundesamt für Migration abgewiesen worden waren oder weil das Bundesamt gar nicht erst auf ihre Gesuche eingetreten war. Das Leben ist insbesondere für Flüchtlinge mit NEE unerträglich geworden. Dafür gibt es Gründe.
Im Moment wird die Nothilfe im Kanton Bern noch im Minimalzentrum auf der Stafelalp gewährt. Das Leben dort hat durchaus Haftcharakter. Die Bewohnerinnen und Bewohner unterliegen der Ein- und Ausgrenzung. Das heisst, die Stafelalp wurde gewählt, weil sie so abgelegen liegt, und der Radius von zwei Kilometern rund um das Minimalzentrum darf nur mit spezieller Genehmigung verlassen werden.
Bleibt jemand zum Beispiel über Nacht weg, wird er mitunter von der Nothilfe ausgeschlossen. Das ist verfassungswidrig.
Hinzu kommt, dass die Minimalzentren nicht durch Hilfswerke betrieben werden. Mit dieser Aufgabe werden private Sicherheitsfirmen wie die Securitas AG oder die Organisation für Regie- und Spezialaufträge (ORS) betraut. Ihr Fokus liegt weniger auf der Betreuung als auf der Abfertigung von Flüchtlingen. Die Betroffenen werden ausschliesslich als Finanzund Sicherheitsproblem behandelt.
So etwas sollte es nicht geben. Nie mehr.


Angst vor Haft und Ausschaffung
Wir begrüssen Dora Andres’ Entscheid, das Projekt Minimalzentren fallen zu lassen. Nicht, weil diese, wie sie sagt, zu teuer sind, sondern weil dort ein Leben in Würde nicht möglich ist.
Auch nach der Schliessung der Stafelalp bleiben menschenverachtende Strukturen bestehen: Der Weg, zu Nothilfe zu gelangen, wird auch nach der Abschaffung der Minimalzentren mit grossen Schwierigkeiten verbunden sein. Obwohl Menschen mit Nichteintretensentscheid (NEE) das Recht auf Nothilfe hätten, melden sich viele nicht beim Migrationsdienst, weil sie die begründete Angst haben, sofort in Haft genommen oder direkt ausgeschafft zu werden. Wird die Nothilfe gewährt, müssen die Betroffenen alle zwei Wochen zu einem so genannten Ausreisegespräch antreten. Die Nothilfe, die vom Kanton geleistet wird, reicht bei weitem nicht aus, um die täglichen Bedürfnisse zu decken.

Perspektivlosigkeit und Selbstmordversuche
Ziel dieses Nothilfekonzeptes ist es, dass es nicht genutzt wird. Viele Menschen mit Nichteintretensentscheid sind gezwungen, sich auf der Strasse durchzuschlagen. Der Verbleib von über 60 Prozent der Asylbewerberinnen und Asylbewerbern mit NEE ist unbekannt. Es entspricht dem Interesse der Behörden, dass diese Menschen nicht mehr in der Statistik erscheinen. Somit ist ihr Auftrag, die Flüchtlinge abzuschrecken, erfüllt.
So oder so: Ob auf der Strasse, im Minimalzentrum oder in einem Durchgangszentrum, die Situation der Menschen mit NEE ist unerträglich. Es gibt für sie keine Möglichkeit, sich zu beschäftigen, zu arbeiten, oder Deutsch zu lernen. Diese Menschen leiden unter ihrer Situation, eine derartige Perspektivlosigkeit wirkt lähmend, macht krank, depressiv und treibt immer mehr Menschen in Selbstmordversuche.
In der bevorstehenden Wintersession werden die Räte voraussichtlich das Asylgesetz revidieren und ein neues Ausländergesetz verabschieden. Alle abgewiesenen Asylsuchenden werden vom Sozialhilfe-Ausschluss betroffen sein. Das Elend, das hier produziert wird, geht ins Unermessliche.
augenauf Bern

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