Bulletin Nr. 45; Juni 2005
Deportation in den Knast ist kein Asylgrund
Papiere statt Ausschaffung!
Joâo Lutalakio lebte in der Schweiz, wurde in Ketten gelegt
und deportiert, überlebte berüchtigte Gefängnisse und
kehrte zu uns zurück. Jetzt will ihn die Ausschaffungsindustrie
wieder mit Gewalt ausser Landes schaffen. Sein Fall ist
exemplarisch für die menschenverachtende Schweizer Asylpolitik
unter Christoph Blocher: Es gibt keinen Asylgrund.
Anfang April 2005 lehnt die Asylrekurskommission die Beschwerde
gegen den negativen Asylentscheid des Bundesamtes
für Flüchtlinge (BFF) im Fall von Joâo Lutalakio ab. Das
Bundesamt für Migration legt in der Folge den Ausreisetermin
von Joâo auf den 6. Juni 2005 fest. Das Zürcher
Migrationsamt wird beauftragt, die Ausreise
zu überwachen. Joâo werden Zwangsmassnahmen
angedroht, wenn er nicht alles
unternimmt, um bei der kongolesischen und
der angolanischen Botschaft Reisepapiere
für die Rückkehr in eines der beiden Länder
zu beschaffen.
Dies wäre alles nichts Aussergewöhnliches,
würde sich hinter diesem Namen nicht
eine ganz besondere Geschichte verbergen.
Zweimal versuchten die Behörden, Joâo
unter falschem Namen aus der Schweiz auszuschaffen.
1997 wurde er mit einer angolanischen
Passkopie, die auf den Namen
Rafael José Mugingo lautete, nach Moskau
gebracht, obwohl der angolanische Botschafter
in Bonn nach einem Telefongespräch
mit Joâo mitteilte, dieser sei mit
Sicherheit ein Kongolese und erhalte deshalb
kein Laissez-Passer für Angola. Joâo zerriss diese Kopie
beim Umsteigen in Moskau. Die russischen Beamten auf dem
Flughafen weigerten sich darauf, den Weitertransport des
Ausschaffungsgefangenen nach Luanda in die Wege zu leiten.
Er kehrte in die Schweiz zurück.
Im Jahr 2000 gelang es dem Bundesamt für Flüchtlinge
nach mehreren Anläufen, von der kongolesischen Botschaft
ein Laissez-Passer zu erhalten, ohne dass diese Joâo jemals
gesehen hatte. Jahrelang hatte man versucht, mit Hilfe
verschiedener Briefe, von denen einfach behauptet werden
konnte, sie seien an Joâo gerichtet gewesen, die Botschaft
von der nun kongolesischen Staatszugehörigkeit Joâos zu
überzeugen.
Im August 2000 – nachdem er neun Monate Ausschaffungshaft
schon längst hinter sich gebracht hatte – wurde
Joâo von Zürcher Kantonspolizisten bei sich zu Hause abgeholt
und nach Kloten gebracht. Dort wurde er zusammen mit
zwei weiteren Afrikanern in Windeln gepackt, in Ketten gelegt
und in einen vom BFF bei der Firma Skywork gecharterten Jet
gesetzt. Der Jet flog nach Kinshasa – mitten in den von einem
offenen Bürgerkrieg zerrütteten Kongo – ohne dass die
kongolesischen Behörden über den Flug informiert worden
waren. Das Flugzeug wurde noch auf dem Flughafen Ndjili von
bewaffneten Kräften des kongolesischen Herrschers Laurent
Kabila umstellt. Die mitfliegenden Kantonspolizisten und das
Flugpersonal wurden unter Hausarrest gestellt. Die Schweizer
konnten das Land nach Interventionen des Schweizer
Botschafters im Kongo wieder verlassen. Joâo und die beiden
mit ihm ausgeschafften Schwarzen verschwanden in den
Kerkern der Geheimdienste von Laurent Kabila. Für sie
interessierte sich die Schweizer Botschaft nie.
Rückkehr in die Schweiz
Von den beiden anderen Ausgeschafften wissen wir nicht, ob
sie noch leben. Von Joâo hingegen schon. Er wurde nach einigen
Tagen in das berüchtigte Militärgefängnis Makala eingeliefert.
Sein Durchhaltewille half ihm, neun Monate in dieser
Hölle zu überleben. Im Frühling des Jahres 2001 wurde Joâo
aus der Haft entlassen. Einige Monate später konnte er das
Land verlassen. Er kam – nach einer weiteren Reise ins Ungewisse
– im Herbst 2001 in der Schweiz an; mit den Fotos,
die den in Ketten gelegten Joâo Lutalakio nach der Ausschaffung
und vor seiner Verhaftung auf dem Flughafen von
Ndjili zeigen.
Nichts ist ein Grund für Asyl
Das zweite Asylgesuch, das Joâo mit der Unterstützung von
augenauf nach seiner Rückkehr in die Schweiz einreichte, ist
vom BFF nach anderthalb Jahren abgelehnt worden. Die Geschichte
seiner Inhaftierung, der Original-Entlassungsausweis
aus dem Militärgefängnis Makala, Berichte von internationalen
Organisationen über die Lage im Kongo – all das wurde
von den Behörden als Zwecklüge dargestellt. Eine besonders
peinliche Rolle spielte dabei die Schweizer Botschaft in
Kinshasa, die sich im August 2000 für die festsitzenden
Schweizer eingesetzt hatte, aber keinen Finger gekrümmt
hatte, um die im Kerker vor sich hin schmorenden Schweizer
Ausschaffungshäftlinge zu unterstützen. Dieselbe Botschaft
hatte vom BFF den Auftrag, die Darlegungen von Joâo im
Asylantrag zu verifizieren. Sie kam im Rahmen ihrer «Recherchen
» zum Schluss, dass nichts von dem, was Joâo erlebt
hatte, der Wahrheit entspreche. Auch die diversen Kontakte,
die wir während Joâos Aufenthalt im Gefängnis über Drittpersonen
hatten, trugen für die Schweizer Behörden nichts
zur Glaubwürdigkeit der Geschichte bei.
Die Asylrekurskommission entschied schliesslich nicht
mehr, welche Geschichte wie weit der Wahrheit entsprach.
Kurz zusammengefasst lautete der höchstrichterliche Spruch:
Wie auch immer die Tatsachen liegen, nichts ist ein Grund für
Asyl. So wird unter anderem zum Gefängnisaufenthalt argumentiert:
Falls Joâo nicht im Gefängnis war, gibt es keine Gefährdung.
Falls er trotzdem dort war, ist er ja ordentlich
entlassen worden; und somit besteht auch keine Gefahr mehr.
Das ist die Logik der Schweizer Flüchtlingspolitik im Jahre
zwei mit Blocher.
Dass hier die Demokratische Republik Kongo auch noch
als perfekter Rechtsstaat behandelt wird, ist nur noch eine
weitere Ironie dieser Kommission. Weiter ist es auch überhaupt
nicht mehr relevant, woher Joâo ursprünglich kam. Dies
zeigte sich ja schon an den früheren verschiedenen Ausschaffungsdestinationen.
Und jetzt soll Joâo erneut ausgeschafft werden. Entweder
in den Kongo, oder nach Angola, wie die Asylrekurskommission
schreibt. In beiden Länder sei er nicht gefährdet. Aus
Angola, dem Land, in dem er geboren wurde, ist Joâo vor 20
Jahren geflohen, nachdem er als Jugendlicher für die Unita
kämpfen musste. Aus dem Kongo floh er, nachdem er in einem
Militärgefängnis des Regimes fast ums Leben gekommen ist.
Stoppt die Ausschaffungsbeamten und Schreibtischtäter
Joâo hat weder im Kongo noch in Angola eine Perspektive. Von
den Botschaften der beiden Länder in der Schweiz wird er
kaum Papiere erhalten, die ihm Sicherheit in Afrika garantieren.
Wenn eine der beiden Vertretungen ein Laissez-Passer
ausstellt, so ist das ein Wisch, der zwar die Ausschaffung
möglich macht – mehr aber nicht. Die Schweiz trägt nicht nur
die Verantwortung für die menschenverachtende Ausschaffung
von Joâo im August 2000. Sie ist auch schuld daran, dass
er zehn Monate lang im Knast war – und nur mit Glück
überlebt hat. Sie hat seit seiner Ausschaffung nichts für die
Rehabilitierung ihres Opfers unternommen – sondern
Schreibtischtäter und Ausschaffungsbeamte haben ihre Taten
sogar systematisch verleugnet. Joâo hat sich selbst eine neue
Lebensperspektive in der Schweiz aufgebaut: als Casserollier
in einem Restaurant in der Nähe von Zürich. Heute wollen ihm
die Schweizer Behörden auch dieses neue Leben wieder
zerstören. Und ihn – wenns hart auf hart kommt – erneut mit
Gewalt und Terror ausser Landes schaffen.
Staatlich verordnete Perspektivlosigkeit
Und wenn sie ihn nicht ausschaffen können, so droht ihm ein
Leben im Nichts. So wie Tausende abgewiesener Flüchtlinge
und eine täglich wachsende Zahl von Menschen mit Nichteintretensentscheiden,
die von 10 Franken Zehrgeld pro Tag
leben – ohne ein Recht zu arbeiten, ohne das Recht, sich in die
schweizerische Gesellschaft zu integrieren – und immer
bedroht von der Vertreibung durch Rayonverbote, von einem
Leben in lagerähnlichen «Sammelunterkünften» und von den
Vergällungsmassnahmen des Bundesgesetzes über die
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht.
Für diese Menschen fordern wir das Recht auf eine
Perspektive in der Schweiz. Wer wie Joâo zehn Jahre in der
Schweiz lebt, wer wie Joâo einen Job und eine Lebensperspektive
in der Schweiz hat, wer wie Joâo keine Papiere
hat, die ihm ein Leben in den Herkunftsländern möglich
machen würde, hat Anspruch auf einen Aufenthaltsstatus und
das Recht zu arbeiten. Dass alle Joâos der Schweiz, die Tausenden
von Flüchtlingen, die weder hier sein dürfen noch das
Land verlassen können, Papiere erhalten, dafür kämpfen wir
mit Joâo zusammen. Joâo sagt: «Je suis là». Joâo ist da. Joâo
bleibt.
augenauf Zürich
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