Bulletin Nr. 44; Dezember 2004

Der Bundesrat schickt ein «Zwangsanwendungsgesetz» in die Vernehmlassung

Nicht töten, nur quälen

Ende November ist das Zwangsanwendungsgesetz (ZAG) in die Vernehmlassung geschickt worden. Darin wird nicht nur die Anwendung von Gewalt explizit erlaubt - auch der Einsatz von Elektroschocks wird wieder salonfähig.
Seit der Einführung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht vor beinahe 10 Jahren sind schätzungsweise rund 30 000 Personen von Schweizer Polizisten zwangsweise ausser Landes gebracht worden. Bei der Entwicklung der Methoden zur Deportation besonders widerstandsfähiger AusländerInnen waren die zuständigen Polizeibeamten ausserordentlich kreativ. Um die Menschen gefügig zu machen, wurden sie vor dem Flug nackt in Zellen gesperrt, geprügelt und mit dem Tod bedroht. Um die Menschen im Flugzeug ruhig zu stellen, steckte man sie in Zwangsjacken, zog ihnen Windeln an, legte sie in Ketten, drückte ihnen Kissen auf den Mund, knebelte sie mit Klebbändern, und schliesslich konstruierte man auch noch einen Schweizer Ausschaffungshelm. In gewissen Fällen kam auch der Herr Doktor und brach die Renitenz mit der Spritze. Kurz: Um ihre AusländerInnen loszuwerden, hat die offizielle Schweiz folterähnliche Methoden ins Repertoire staatlichen Handelns aufgenommen. Khaled Abuzarifa (3. März 1999), Samson Chukwu (1. Mai 2001) und Hamid Bakiri (20. September 2001) bezahlten das mit dem Leben. Die Europäische Kommission zur Verhütung der Folter (CPT) hat deswegen bereits im Jahr 2001 die Sistierung der Zwangsausschaffungen gefordert. Dazu kam es nicht - wohl aber zu einem hektischen Treiben unter den TechnokratInnen des Ausschaffungsgeschäfts. Sie entwarfen Richtlinien, die verhindern sollten, dass weitere Auszuschaffende den begleitenden Beamten unter der Hand wegsterben.
 
Das Apartheidiland soll reingewaschen werden
Aus der Arbeit an diesen Richtlinien ist ein Gesetzgebungsprozess geworden, der das Apartheidiland vom derben Vorwurf, rassistische und folterähnliche Praxen anzuwenden, entlasten soll. Drei Jahre nach dem Tod von Khaled Abuzarifa hat die erste Kommission zu tagen begonnen. Viereinhalb Jahre später liegt nun ein Gesetzgebungsprojekt auf dem Tisch, das versucht, die menschenverachtende Ausschaffungspraxis rechtsstaatlich zu legitimieren. Dieser Versuch musste scheitern. Ein Scheitern, das sinnbildlich wird, wenn in Artikel 3 des Gesetzesentwurfs ein Verbot von erniedrigenden und beleidigenden Handlungen postuliert, im Begleittext das Anziehen von Windeln auf Langstreckenflügen jedoch «im Einzelfall für angebracht» erklärt wird. Solche Beispiele gibt es viele. Artikel 18 hält fest, dass «Arzneimittel ... nur gestützt auf eine medizinische Indikation» und nicht «an Stelle von Hilfsmitteln» (Fesseln und Handschellen) verabreicht werden dürfen. In Artikel 17 ist jedoch davon die Rede, dass «die aus medizinischen Gründen ruhig gestellten» Deportees von einer «medizinisch geschulten Person überwacht werden» müssen. Artikel 7, Absatz 2 sagt, dass keine Hilfsmittel eingesetzt werden dürfen, die «die Atemwege beeinträchtigen». Artikel 7, Absatz 1 erklärt jedoch den Einsatz von Fesselungsbändern für legal, mit denen man die Betroffenen immobilisiert ... und verhindert, dass sie frei atmen können.
 
«Schafft uns diese Menschen vom Hals»
Die Botschaft dieses Gesetzes ist klar: «Liebe Ausschaffungsbeamte, schafft uns diese Menschen vom Hals. Die Mittel, die ihr einsetzt, sind uns egal. Nur wegsterben darf euch keiner mehr.» Man hätte das Zwangsanwendungsgesetz auch in Kurzform fassen können: Quälen erlaubt, töten verboten. Dass zu guter Letzt auch noch der Einsatz der so genannten Non-Letal-Weapons - der nicht tödlichen Taser (Schlagstöcke mit Elektroschock-Funktion) - gegen verängstigte Flüchtlinge in der Enge eines Flugzeugs erlaubt wird, sagt eigentlich alles.

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