Bulletin Nr. 43; September 2004

Fünf Urteile wegen sexueller Nötigung - und keine Entschädigung für die betroffene Frau

Unendliche Geschichte eines Verfahrens

«Gottes Mühlen mahlen langsam ...» pflegten unsere Altvorderen zu sagen, wenn eine Sache nicht vorwärts gehen wollte. Heutzutage haben die Mühlen der Justiz diese Rolle übernommen, zumal, wenn es um einen Polizisten als Täter geht.
Am 1. August 1999 wird S., eine junge, abgewiesene Asylsuchende, im Transitraum des Flughafens von einem Sicherheitspolizisten im Dienst mehrfach sexuell genötigt. Sein Kalkül, dass die Frau ohnehin bald ausgeschafft wird, geht nicht auf. Die Frau kann ihre Rechtsvertreterin alarmieren, die sofort benachrichtigte Polizei findet den Mann im abgeschlossenen Frauenraum, wo S. damals die einzige Bewohnerin ist. Sofortige Suspendierung, die Kantonspolizei erstattet Anzeige, die Frau erhält eine anwaltliche Vertretung durch die Opferhilfe. Was sie nicht erhält: eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde, die ihr ermöglichen würde, in die Schweiz einzureisen, damit sie als Opfer des Übergriffs weiterhin befragt werden könnte. Nach dem ersten Polizeirapport, einem Bericht der Rechtsvertreterin und einem Gespräch mit der bestellten Anwältin flüchtet sie aus dem Transit, bevor es zur Ausschaffung kommt.
 
Chronologie der Justizmühlen
«NZZ» vom 21. 9. 2000, Bezirksgericht Bülach: Sicherheitspolizist zu 6 Monaten bedingt verurteilt «NZZ» vom 5. 9. 2001, Obergericht: Berufungsprozess gegen Polizist unterbrochen, das Opfer ist nicht verschwunden, wie bis anhin behauptet, ein Brief und die Adresse liegen vor. «NZZ» vom 5. 8. 2002, Obergericht: Freispruch für den Polizisten trotz Tatverdacht. Die Geschädigte ist unauffindbar. «NZZ» vom 21. 1. 2003, Kassationsgericht: Neubeurteilung einer sexuellen Nötigung. Freispruch für Polizisten aufgehoben. «NZZ» vom 30. 8. 2004, Obergericht: Fünf Monate bedingt für den ehemaligen Grenzpolizisten, das erstinstanzliche Urteil wird bestätigt, ein Monat wird wegen der langen Prozessdauer erlassen. «...mahlen aber trefflich fein», heisst es im oben zitierten Sprichwort. Und die Mühlen der Justiz? Das letzte Urteil des Obergerichts wird vom Anwalt des Verurteilten umgehend wieder ans Kassationsgericht gezogen, der Kostenberg wächst, und das Opfer wartet vergeblich auf die zustehende Entschädigung. augenauf Zürich

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