Bulletin Nr. 42; Juni 2004

Das Zürcher Obergericht erteilt gewalttätigen Beamten einen Blankoscheck zum Weiterprügeln

Polizeigewalt - eine «Amtspflicht»

Goran B., Opfer von massiver Polizeigewalt, hat nach erfolglosen Klagen und Rekursen vor Zürcher Gerichten nun eine Staatshaftungsklage eingereicht. Chronologie eines Polizei- und Gerichtsskandals.
Der 48-jährige Serbe Goran B. wird am Sonntag, den 4. November 2001, von 3 Polizisten und 2 Polizistinnen in seiner Mansarde im Kreis 5 in Zürich gewalttätig überfallen und verletzt zurückgelassen. Goran B. glaubt zuerst an einen Raubüberfall. Die Zivilen, die sich nicht als Polizeibeamte zu erkennen geben, werfen ihn zu Boden und schlenzen seine Arme derart auf den Rücken, dass sie Gorans rechte Schulter, insbesondere die Rotationsmanschette, schwer verletzen. Danach lassen sie ihn etwa 15 lange Minuten gefesselt liegen. Anschliessend zieht der Trupp wieder ab - die BeamtInnen haben sich in der Tür geirrt. 25 Jahre lang hat Goran B. in der Schweiz gearbeitet und nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Und die 5-köpfige Drogenfahndertruppe der Zürcher Stadtpolizei hat ihn nicht etwa beim Drogen dealen, sondern beim TV-Gucken in seinem Zimmer «erwischt». Seit jenem Tag im November 2001 kann Goran B. den rechten Arm nicht mehr benützen. Der Nachtschicht-Lagerist bei der Migros Genossenschaft Zürich versucht, sich im Einverständnis mit der Arbeitgeberin als «einarmiger» Magaziner durchzubringen. Dabei klappt er mehrmals zusammen und fällt auf die rechte Seite. Seither ist die ganze rechte Körperseite schmerz-traumatisiert. Weitere Arbeitsversuche werden abgebrochen. Von sich aus stellt ihm die Migros einen Anwalt, um gegen die Polizisten strafrechtlich vorzugehen. Dieser gibt jedoch den Fall wieder ab, weil sein Bruder Polizeioffizier ist. Eine Anwältin übernimmt und reicht Klage ein. Die Polizei bietet von sich aus eine Entschädigung von 17 000 Franken an, «ohne Anerkennung einer Rechtsschuld» und «per Ende aller Ansprüche». Da Goran aber arbeitsunfähig bzw. nicht vermittelbar ist und eine Familie mit 4 Kindern zu ernähren hat, tritt er darauf nicht ein. Die Anwältin stellt Goran eine Rechnung von 7000 Franken - sie hatte es versäumt, sich um unentgeltliche Rechtsvertretung zu bemühen… Später übernimmt ein Innerschweizer Anwalt, dem das Vertreten mittelloser Klienten geläufiger ist, den Fall. Der mit dem Verfahren betraute Zürcher Bezirksanwalt Michael Scherrer stellt im April 2003 die Untersuchung gegen die Polizei ein. Darauf verlangt Goran eine Überprüfung durch das Bezirksgericht. Dieses schützt die Einstellungsverfügung. Goran erhebt Rekurs beim Zürcher Obergericht. Auch diese Instanz kommt letztlich zur Auffassung, die Polizisten hätten «zu Recht», ja sogar «verhältnismässig» gehandelt und nur ihre «Amtspflicht» getan, selbst dann, als sie sich in der «Wohnung» von Goran B. «irrten». Als Rechtfertigungsgrund wird Art. 32 StGB herangezogen, der da lautet: «Straflosigkeit der Straftat, wenn sie in Ausübung der Amtspflicht geboten war». Das Polizeiopfer muss zudem die Entscheidung des Obergerichts über mehr als 1000 Franken selber berappen.
 
Fünf Monate später schlagen dieselben Polizisten wieder zu
Die Entscheidung des Obergerichts bedeutet, dass es unter dem Begriff «Amtspflicht» zulässig ist, Unbescholtene auf haltlosen Verdacht hin in ihren Wohnräumen zu überfallen, zu verletzen und sie in verletztem Zustand sich selbst zu überlassen. Im Fall Goran B. haben sich die Richter auch über die angezeigten Vergehen wie Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, schwere Körperverletzung, Amtsmissbrauch, Freiheitsberaubung und Unterlassung der Nothilfe hinweggesetzt, um exzessive Polizeigewalt zu schützen. Ein Weiterzug an das Bundesgericht ist hinfällig, da die Polizisten als Staatsangestellte nicht persönlich haftbar sind. Hängig ist jetzt eine Staatshaftungsklage (Richten Staatsangestellte in Ausübung ihres Berufes Schaden an - vorsätzlich oder fahrlässig - sind sie nicht als Privatpersonen dafür haftbar. Für solche Fälle gibt es die Staatshaftungsklage. Wird sie gutgeheissen, sind dann Kanton oder Bund schadenersatzpflichtig.). Mit ihren Entscheiden haben die Richter zweifellos ein falsches Signal gesetzt. Die Drogenfahndertrupps der Zürcher Stadtpolizei könnten sich zu ähnlichen Übergriffen geradezu ermuntert fühlen. Der spitalreif geprügelte Eldar S. (siehe Bulletin Nummer 34) hatte es jedenfalls fünfeinhalb Monate später mit exakt denselben drei Tätern zu tun. augenauf Zürich
 
 
BA Scherrer nicht mehr haltbar
Der Zürcher Regierungsrat hat in dritter Instanz der Auswechslung des zuständigen Bezirksanwalts im Fall Eldar S., lic.iur. Michael Scherrer, zugestimmt. Die Untersuchung gegen diverse Mitglieder der Zürcher Stadtpolizei wird neu sogar einer anderen Bezirksanwaltschaft zugeteilt, nämlich derjenigen des Kantons Zürich. Damit bestätigt der Regierungsrat, dass Scherrer die Polizeiseite krass bevorteilt hat. Eldar S. war am 21. April 2002 durch je 2 Zivil- bzw. Uniformpolizisten aus bisher ungeklärten Gründen schwer verletzt und mehrfach mit dem Tod bedroht worden. Für weitere Infos siehe: www.eldar.ch


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