Bulletin Nr. 42; Juni 2004

Der «Fall» von Aubonne - ein Jahr danach

Am 28. Juni 2004 stehen die beiden Polizeiopfer vor Gericht

Am 1. Juni 2003 entgingen zwei Anti-G8-AktivistInnen in Aubonne nur knapp dem Tod: Sie hatten sich an ein Seil gehängt, das über eine Autobahnbrücke gespannt war und blockierten den Verkehr. Ein Polizist schnitt das Seil kurzerhand durch. Martin stürzte in die Tiefe und verletzte sich schwer. Geistesgegenwärtige DemonstrantInnen konnten Gesines Fall stoppen.
Im April 2004 organisierte augenauf mit verschiedenen Antirepressionsgruppen eine Veranstaltungsreihe mit Martin und Gesine durch die Schweiz. Die beiden Polizeiopfer sind noch heute schwer gezeichnet: Martin blieb nach dem Sturz mit Hals- und Wirbelbrüchen über 20 Minuten in einem Bachbeet liegen, weil sich die anwesenden Polizeibeamten zuerst um den Verkehrsfluss und die Verhaftung der übrigen AktivistInnen kümmerten. Martin wird nie mehr ganz gesund werden. Gesine leidet seit der Aktion an posttraumatischem Stress (CPTSD - Complex Post Traumatic Stress Disorder). Gegen den Beamten, der das Seil kappte, wurde von Staatsseite eine Untersuchung wegen fahrlässiger Körperverletzung (!) eingeleitet. Martin und Gesine erstatteten Anzeige gegen ihn und den Einsatzleiter wegen Gefährdung ihrer Leben, unterlassener Hilfeleistung und schwerer Körperverletzung. Bis zum heutigen Tag liegt noch immer keine Anklage vor. Unter anderem deshalb muss die Arbeit des Untersuchungsrichters als parteiisch eingestuft werden: Er äusserte kurz nach dem Geschehen gegenüber der Presse, es sei mit Sicherheit auszuschliessen, dass der Polizeibeamte auf Befehl gehandelt habe, obwohl die Untersuchung gerade erst eingeleitet wurde. Er weigerte sich zu veranlassen, dass die Anwaltskosten für den Zivilprozess von Martin vom Staat übernommen werden, obwohl Martin von ihm selbst als Opfer des Einsatzes eingestuft wird. Eine höhere Instanz revidierte diese Entscheidung. Er weigerte sich, Gesine ebenfalls als Opfer des Polizeieinsatzes einzustufen, obwohl dadurch auch ihr Leben gefährdet war und sie immer noch unter den Folgen des Einsatzes leidet. Der Richter ist kürzlich ersetzt worden, jedoch nicht aufgrund seiner Parteiergreifung, sondern weil sein Verhalten gegenüber dem Anwalt der Opfer gegen die Berufsvorschriften verstiess. Seit mehreren Jahren ist eine Eskalation der Gewalt seitens der Polizei festzustellen. Immer öfters sieht man Beamte mit Schusswaffen an Ordnungseinsätzen. Ganze Gebiete werden zu rechtsfreien Sonderzonen erklärt (WEF-Davos). Am 28. Juni 2004 wird den beiden AktivistInnen in Nyon der Prozess gemacht. Aus diesem Anlass findet vom 26. bis 28. Juni in Genf ein Antirepressionstreffen mit internationaler Beteiligung statt. Themen sind konkrete Repressionsbeispiele (Davos, Genua, Göteborg), internationale Koordinierung des Widerstandes gegen Repression und der Umgang mit traumatisierten Gewaltopfern. Nähere Informationen finden sich unter: www.aubonnebridge.net. Da der Prozess kostspielig ist, sind die Polizeiopfer auf Spenden (Association «Eau Bonne», 1418 Vuarrens, Compte Postal 17-32 86 14-4, Poste Suisse, Bern) angewiesen.

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