Bulletin Nr. 42; Juni 2004

Das Berner Polizeigesetz schützt nicht vor Diskriminierungen, es legalisiert sie

Wegweisungen nach Lust und Laune
Auszug aus dem Polizeigesetz des Kantons Bern (PolG) Der Grosse Rat des Kantons Bern, auf den Antrag des Regierungsrates, beschliesst: 1. Aufgaben Allgemeine Polizeiaufgaben 1 Die Polizei hat folgende Aufgaben: (...) Art. 29 Wegweisung, Fernhaltung Die Polizei kann Personen von einem Ort vorübergehend wegweisen oder fernhalten, sofern (...) b) der begründete Verdacht besteht, dass sie oder andere, die der gleichen Ansammlung zuzurechnen sind, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder stören (...) Im vergangenen Monat wurde es in den Medien wieder lauter um die Wegweisungen. Die Polizei nimmt diese nach Art. 29 des PolG vor. Dabei sorgt vor allem Littera b für Aufsehen. Der Artikel ist im Volksmund auch als «Lex Wasserfallen» bekannt, benannt nach dem ehemaligen Berner Polizei- und heutigen Finanzdirektor Kurt Wasserfallen, welcher das Polizeigesetz 1998 um eben diesen Passus erweitert hat. Der Wegweisungsartikel 29b stellt eine vage Angelegenheit dar: zu unklar ist definiert, ab wann öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört werden und dementsprechend gross ist das Risiko eines Missbrauchs durch die Polizei. Diese betrachtet es als legitim, Personen rein aufgrund des Erscheinungsbildes und einer nicht alltäglichen Lebensform von gewissen öffentlichen Plätzen wegzuweisen. Es reicht schon aus, der Punkerszene anzugehören oder allgemein als «randständig» angesehen zu werden. Auch gehört es zur Tagesordnung, Personen aufgrund ihrer Hautfarbe und wegen des Verdachts auf Drogenhandel von verschiedenen Orten fernzuhalten. Der Entscheid festzustellen, ab wann die öffentliche Ordnung gestört wird, liegt im Ermessen der Polizei und unterliegt so vollkommen deren Subjektivität. Seit dem Inkrafttreten des Artikels 29b im Jahr 1998 hat die Polizei hunderte von Wegweisungen verfügt. Auf Betreiben des Regierungsstatthalters hat sie ihn jedoch «verbessert»: Es wird nun nicht mehr für ein Jahr weggewiesen, sondern «nur» noch für einen Zeitraum von drei Monaten. Dafür kann die Verfügung nach Ablauf der Frist wieder neu erhoben werden - eine beträchtliche Kontrolle der persönlichen Bewegungsfreiheit einer Person! In einem aktuellen Fall haben 19 Personen Ende 2002 eine dreimonatige Wegweisung vom Bahnhof Bern kassiert. Laut Polizeiprotokoll sollen sie sich «in Gruppen von Randständigen aufgehalten haben, in denen erheblich Alkohol konsumiert worden sei. (...) Passanten sollen aggressiv angebettelt worden sein, teils habe um die Gruppe eine grosse Unordnung geherrscht.» In den Wegweisungsverfügungen wurde diesen 19 Personen für drei Monate verboten, sich im Bahnhofsbereich «in Personenansammlungen aufzuhalten, in welchen Alkohol konsumiert wird». Die Betroffenen haben daraufhin eine Beschwerde eingereicht. Fürsprecher Daniele Jenni befasst sich mit diesem Fall und begleitet die 19 BeschwerdeführerInnen. Nachdem er beim DSI (Direktion für öffentliche Sicherheit) und beim Regierungsstatthalter erfolglos eine Beschwerde eingereicht hat, entschloss er sich dazu, die Beschwerde bis vor das Bundesgericht weiterzuziehen.
 
Knebelung der persönlichen Bewegungsfreiheit
Jenni stellt den Wegweisungsartikel grundsätzlich in Frage: er erklärt ihn für verfassungswidrig, weil er dem übergeordneten Recht widerspreche, da sowohl Kantons- und Bundesverfassung, als auch die europäische Menschenrechtskonvention Grundrechtsordnungen enthielten, die mit dem Wegweisungsartikel nicht vereinbar seien. Der Artikel diskriminiert eine Gruppe mit unüblichem Aussehen und Verhalten, was per se nicht strafbar ist. Das Verwaltungsgericht ist jedoch anderer Meinung: Es prüft die Beschwerde am 17. Mai dieses Jahres (es erstaunt kaum, dass trotz jahrelanger Zweifel seitens linker JuristInnen und PolitikerInnen an der Verfassungsmässigkeit des Artikels dieser erst jetzt geprüft wird) und weist sie ab. Nach Auffassung des Gerichts verstösst der Wegweisungsartikel nicht gegen die Grundrechte. Im Falle der Wegweisungen vom Bahnhof Bern hätten zudem die Interessen der Öffentlichkeit Vorrang gegenüber der persönlichen Freiheit Einzelner (siehe Art. 36 BV: Einschränkung von Grundrechten). Der Regierungsrat geht sogar noch weiter: Er bezeichnet den Artikel 29b als wichtiges Instrument für die polizeiliche Arbeit, da er der Polizei ermögliche, an Orten, wo die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört werde, Personen von einer Ansammlung fernzuhalten, ohne dass bereits ein konkretes Delikt nachgewiesen werden müsse (gemäss Antwort des Regierungsrates auf die Motion der SP zur Aufhebung des Wegweisungsartikels 29b vom 16. September 2003). Ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass die Polizei auf rein subjektiver Basis darüber entscheidet, wann die öffentliche Ordnung gestört wird. Der Artikel 29b knebelt die persönliche Bewegungsfreiheit und ermöglicht - gesetzlich geschützt -, Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Lebensformen zu diskriminieren. augenauf besteht weiterhin auf dem Recht der persönlichen Bewegungsfreiheit und wehrt sich gegen die Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Raums! augenauf Bern

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