Bulletin Nr. 41; März 2004

Kesseltreiben in Landquart - ein Augenzeugenbericht

Das WEF als Freibrief für Polizeigewalt
Nach der friedlichen Anti-WEF-Demonstration in Chur vom 24. Januar machte ich mich mit dem ersten Zug auf den Heimweg. In Landquart war die Reise kurz vor 16 Uhr vorerst zu Ende. Der Zug blieb stehen. Die Polizei begann ihn, von einer Seite herkommend, zu räumen. Ich setzte mich am entgegengesetzten Ende in einen der ersten Waggons. Dieser war zur Hälfte mit Jugendlichen gefüllt, die nur nach Hause wollten. Nun wurde auch ihnen klar, dass sie brutal in einen Polizeikessel getrieben werden würden. Unsicherheit und Angst über das Kommende prägten die Stimmung. Als der erste Polizist mit seinem Tränengasgewehr in den Händen ins Zugabteil stürmte und lauthals alle zum Verlassen des Zuges aufforderte, entlud sich die Spannung in Sprechchören: «Haut ab!» oder «Wir wollen weiterreisen!», schallte es dem nervösen Polizisten entgegen. Schnell füllten weitere Uniformierte das Abteil. Brutal rissen sie die Widerspenstigen aus den Sitzen. Panik brach aus. Schnellstmöglich versuchten die verängstigten Leute den Zug zu verlassen. Auch ich stand bald auf dem Perron. Ein nächster Polizeikordon drängte mich auf die Höhe des folgenden Wagens. Die Uniformierten in voller Kampfmontur zeigten wenig Verständnis für die Fliehenden. Mit Schimpfwörtern auf Französisch, Fusstritten und Schlagstöcken trieben sie uns auf dem Perron weiter. Am Ende des nächsten Waggons angekommen, wagte ich einen Blick zurück. Der Polizeikordon war nur wenige Meter hinter mir.
 
Im Innern des Zuges eine Tränengaspetarde abgefeuert
Plötzlich ertönte ein lauter Knall. An einem Fenster in der Zugmitte sah ich Funken sprühen. Ein Polizist hatte im Innern des Zuges eine Tränengaspetarde abgefeuert. Ich erschrak. Entsetzte Schreie waren zu hören. Ein Fenster wurde aufgerissen. Leute drängten sich mit tränenden Augen neben mir aufs Perron und schnappten nach Luft. Ich blickte nochmals auf den mittlerweile mit dichtem Nebel gefüllten Zug. Das Tränengas waberte zwischen den fliehenden Menschen aufs Perron. Da näherte sich der nächste Polizeikordon auf dem Perron. In Angst um meine Augen wandte ich meinen Blick ab und liess mich mit der Menge dem weiteren Schicksal entgegentreiben. Tausende Polizisten und gegen 6500 Milizsoldaten aus der ganzen Schweiz - unterstützt von deutschen Wasserwerfern - kesselten nach der bewilligten Churer Demonstration in Landquart während Stunden über tausend Personen ein. Die «Ordnungshüter» setzten auf engstem Raum Tränengas, Wasserwerfer, Schockgranaten, Gummigeschosse und Knüppel ein. 1082 Personen wurden fichiert. Der Einsatz missachtete die Grundrechte der persönlichen Freiheit, der Versammlungsfreiheit und der freien Meinungsäusserung. Die Verantwortlichen des Polizeieinsatzes nahmen bewusst Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Gefährdung durch giftige Gase in Kauf. Die Repression in Landquart bedeutet für die Schweiz eine neue Qualität polizeilicher Verfolgung. aufgezeichnet von augenauf Bern Weitere Informationen zum Einsatz von Tränengas: www.ssi-media.com/pigbrother/Dokgas.htm
 
 
Vertrauen ist gut - Kontrolle unnötig
Die Institution «Jugendparlament» soll junge StaatsbürgerInnen mit der parlamentarischen Praxis vertraut machen und politisches Interesse wecken. In der Realität lernen die Kids jedoch vor allem den Frust kennen, da die ergrauten Damen und Herren im «richtigen» Parlament die Vorschläge des Nachwuchses mit schöner Regelmässigkeit ignorieren. Aus dem Jugendparlament 2002 resultierte eine Petition, die der Polizei den Einsatz von CS-Gas und Gummigeschossen verbieten will. Die linksgrüne Fraktion im Nationalrat nahm dieses Anliegen auf und reichte eine Motion ein, um die Anwendung von Chemiekampfstoffen zu verbieten oder einzuschränken. Am 13.10.2003 empfiehlt die Rechtskommission Ablehnung. Am 11.2.2004 empfiehlt auch der Bundesrat Ablehnung, primär weil er Tränengas für ein adäquates Mittel hält. Er gibt sich «davon überzeugt, dass die Kantone weiterhin beim Einsatz chemischer Substanzen im Polizeieinsatz mit der gebührenden Umsicht und unter strikter Beachtung der Verhältnismässigkeit vorgehen». Am 10.3.2004 schliesslich lehnt der Nationalrat die Petition ab.


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite