Bulletin Nr. 41; März 2004

Abschieben ... nicht nur abgewiesene Flüchtlinge - auch die Verantwortung

Knebeln, spritzen, lügen

Entgegen verbindlicher Vorschriften wird bei Ausschaffungen auf dem Zürcher Flughafen noch immer geknebelt und medikamentös ruhiggestellt. Der nächste Todesfall ist programmiert - wer trägt die Verantwortung?
Das CPT (Komitee des Europarats zur Prävention von Folter) forderte nach dem Besuch in der Schweiz im Februar 2001 ein Moratorium für Zwangsausschaffungen nach Level III und Level IV. Bei solchen werden die Betroffenen gefesselt, gebunden, geknebelt. Nach zwei Todesfällen in der Schweiz während Ausschaffungsvorbereitungen war der Europarat sehr beunruhigt über diese lebensgefährlichen Massnahmen. Unter dem Druck dieser Forderung mussten die Schweizer Behörden handeln. Eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Kantonalen Justiz - und Polizeidirektoren (KKJPD) verabschiedete am 11. April 2002 Vorschriften betreffend zwangsweiser Rückführungen auf dem Luftweg. Eine gesetzliche Grundlage fehlt zwar bis heute. Immerhin haben die meisten Kantone diese Vorschriften als verbindlich angenommen. Blättern wir ein wenig in diesem Dokument.
 
I. Allgemeine Bestimmungen
Art. 1 Geltungsbereich 1 Diese Vorschriften gelten für alle von schweizerischen Polizeiangehörigen durchgeführten zwangsweisen Rückführungen auf dem Luftweg, unabhängig von der Art der anzuwendenden Zwangsmittel und unabhängig davon, ob es sich um Flüge mit Linien- oder Charterflugzeugen, die in der Schweiz oder in einem anderen Staat immatrikuliert sind, oder um solche mit einem staatseigenen Flugzeug handelt. 2 Die Vorschriften erstrecken sich von der Vorbereitung einer zwangsweisen Rückführung am Aufenthaltsort der betroffenen Person bis zur Übergabe an die Behörden des Bestimmungslandes.
 
III. Unzulässige Zwangsmittel
Art. 8 Verbotene Zwangsmittel 1 Die Atmung zurückzuführender Personen darf nie und in keiner Weise behindert werden. 2 Verboten ist namentlich - auch nur vorübergehend - den Mund und/ oder die Nase in irgendeiner Form zu knebeln oder mit der Hand bez. einem Gegenstand zuzudrücken. Am 25. November 2003 landet Myriam am Flughafen Zürich. Bevor sie dazu kommt, ein Asylgesuch zu stellen, versucht die Polizei sie nach Südafrika zurückzuschieben, wo sie den Flug angetreten hat. Sie weigert sich und fragt um Asyl. Am 6. Dezember wird ihr Gesuch zweitinstanzlich abgewiesen. Eine Woche später scheitert eine begleitete Rückschaffung nach Johannesburg. Sie wird verhaftet. Im Protokoll der Haftrichterverhandlung bemerkt der Richter, sie hätte geschrien und geschlagen. Ihre Antwort: «Mir wurde der Mund zugeklebt, da habe ich geschrien». Der Richter zweifelt: «Das ist nicht mehr erlaubt. Hat man Ihren Mund wirklich zugeklebt oder nur die Hand darauf gehalten?» «Im Flugzeug wurde mir zusätzlich ein Kissen auf den Mund gedrückt, damit ich nicht schreie.» Der Richter fragt nicht weiter nach, bemerkt nur noch väterlich: «Aber wenn Sie sich nicht gewehrt hätten, hätte man das auch nicht gemacht.» Von wem wurde Myriam auf dem Flug «begleitet»? Aus den Akten ist dies nicht ersichtlich, zwei Frauen und zwei Männer, zwei davon in Uniform. Myriam kommt jetzt ins Flughafengefängnis. Am 20. Dezember erwacht Myriam - im Flughafen Johannesburg. Der rechte Arm ist geschwollen, schmerzt und weist mehrere Einstichstellen auf. Blättern wir weiter in den Vorschriften der KKJPD:
 
Art. 13 Medikation
Eine rückzuführende Person darf nur gegen ihren Willen medikamentös ruhig gestellt werden, wenn kumulativ: - das Verhalten der Person darauf schliessen lässt, dass sie sich selber oder andere ernsthaft gefährden oder verletzen könnte, - vorgängig eine ärztliche Untersuchung erfolgt ist und aus medizinischer Sicht keine Einwände (...) Wie hätte die zierliche junge Frau, gefesselt an Händen und Füssen, sich oder andere ernsthaft gefährden können? Fest steht: Trotz eindeutiger Vorschriften wird am Flughafen Zürich geknebelt und gespritzt, Letzteres einzig, damit die Betroffenen in einem Passagierflugzeug nicht schreien können. Bei der nachträglichen Akteneinsicht ist Merkwürdiges zu lesen: «am 20. 12. 03 kontrolliert ausgereist nach Johannesburg/Südafrika (freiwillig)». Diese Vollzugs- und Erledigungsmeldung enthält eine faustdicke Lüge. Auf einem weiteren Blatt steht: «Obgenannte ist am 20. 12. 2003/0735 Uhr mit SA 3278 nach Johannesburg/Südafrika abgeflogen. Die South African Airlines stellte selber die Begleiter». Aha - was Schweizer Polizisten an Zwangsmassnahmen verboten ist, wird einfach delegiert an Begleittrupps der ausländischen Airline, die zum Rückflug verpflichtet ist. Waren diese Begleiter Angestellte der Fluggesellschaft? Waren es Polizeibeamte von Südafrika? Dürfen ausländische Begleiter auf Zürcher Boden Zwangsmethoden anwenden, welche hier verboten sind? Lauter Fragen, die zu klären sind. Wer trägt die Verantwortung, wenn der nächste Todesfall eintritt? augenauf Zürich

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