Bulletin Nr. 39; Oktober 2003

Nicht tödliche Waffen: Sinkt die Hemmschwelle der Polizei?

Polizeirüstungs-Industrie sucht Abnehmer

Während der Anti-G8-Proteste rund um den Genfersee setzten die Polizeitruppen neben Tränengas und Gummigeschossen auch Knallschockgranaten gegen DemonstrantInnen und PassantInnen ein. Was sind das für neue Waffen? Wozu dienen sie?
Die traditionell sonst nur von Anti-Terror-Einheiten eingesetzten «concussion grenades» und «stun grenades» (Schockgranaten) führten zu leichten bis schweren Beinverletzungen, Verbrennungen, Hörschäden etc. Mitte Juli setzte die französische Polizei etwa 500 Tränengaspetarden und 60 Schockgranaten gegen RaverInnen in der Bretagne ein und verletzte über 20 Menschen schwer - ein Raver, der eine Schockgranate zurückwerfen wollte, verlor seine Hand. Ebenfalls im Juli verkündeten Polizeiverantwortliche, dass die SPTK (Schweizerische Polizeitechnische Kommission) den Einsatz der Elektroschockwaffe «Taser» für mehr oder minder unbedenklich hält und darum deren Anschaffung durch die kantonalen Polizeicorps empfiehlt. Die Taser werden in den USA von etwa 2500 Police Departments eingesetzt - über deren Effektivität im Polizeialltag kann sich mensch mittels Polizeivideos auf der Website der Herstellerfirma Taser informieren. So genannt «non lethal» - nicht tödliche - Waffen werden immer mehr zu einem Mittel zur «crowd control» - der Kontrolle der «Massen», die u. a. in Form von sozialen und politischen Bewegungen auf der Strasse für ihre Anliegen demonstrieren. Und in Zeiten von «friedenserhaltenden Militäreinsätzen» oder anderen Konflikten «unterhalb der Kriegsschwelle» sind auch Armeestrategen dankbar für die Entwicklung von «non lethal» oder «less lethal» weapons. Traditionelle Rüstungsfirmen wie auch spezialisierte Polizeirüstungsfirmen im In- und Ausland wetteifern seit Jahren in der Entwicklung von immer futuristischer anmutenden nicht tödlichen Waffen, die in Werbeoffensiven weltweit Militär, Polizei und privaten Sicherheitsfirmen angeboten werden.
 
Gas und Gummi haben Tradition
Während sich der Einsatz der nichttödlichen Waffen gegen hiesige soziale und politische Bewegungen in Grenzen hält, wird durch den Export in Trikont-Länder die dortige Repressionsmaschinerie in Schwung gehalten: Elektroschockbetäubungswaffen, Stun- und Concussion-Granaten und viele mehr werden gegen dortige soziale und politische Protestbewegungen eingesetzt. Auch die offizielle Schweiz hat in der Vergangenheit mit tödlichen und nicht tödlichen Waffen experimentiert. So wurde seit den 1920er-Jahren im hiesigen militärischen Chemiewaffenprogramm u.a. Senf- und Tränengas produziert. 1945 wurde das Senfgas verbrannt und die Überreste der ursprünglich 25 Tonnen Tränengas in 50-Kilogramm-Fässern in Erstfeld eingelagert - um weiterhin für Armeeübungen, Polizeiaktionen im Armee-Ordnungsdienst und für städtische Polizeikorps zur Verfügung zu stehen. augenauf Zürich hat ein Dossier zu den neuen Polizeiwaffen zusammengestellt, das von Interessierten auf Anfrage benutzt werden kann. augenauf Zürich

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