Bulletin Nr. 39; Oktober 2003

Klinkenputzen in «Mattos Reich»

Wohl oder Weh des Patienten

Am 29. November 2002 genehmigte der Senat der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften (SAMW) Richtlinien zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen. Ein Beispiel zeigt, wie wenig diese in der Praxis zählen.
Auslöser für die Formulierung neuer SAMW-Richtlinien waren gravierende Vorfälle bei Zwangsausschaffungen. Wir erinnern an den Erstickungstod von Khaled Abuzarifa im März 1999, wo ein Arzt beteiligt war und die tödliche Knebelung überprüft und gutgeheissen hatte. Aus den Richtlininien: 1.1. «Die grundlegenden ethischen und rechtlichen Bestimmungen, welche die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit regeln, insbesondere die Vorschriften über Patienteneinverständnis und Vertraulichkeit, gelten auch für Personen unter Freiheitsentzug.» 1.2. «... letztlich sein Ziel stets das Wohlergehen und die Respektierung der Würde des Patienten bleibt.» 5.1. «Die unter Freiheitsentzug stehende Person hat Anrecht auf die gleiche Behandlungsqualität wie die Bevölkerung im Allgemeinen.» Richtlinien sind eines, ob sich die beteiligten Ärzte daran halten, ein anderes. Eine kürzliche Erfahrung mit dem PPD (Psychiatrisch Psychologischer Dienst der Justizdirektion des Kantons Zürich) und mit der Direktion des Psychiatriezentrums Embrach zeigt, dass - gegen das Wohl des Patienten - die Rechtsvertreterin des Gefangenen erheblich blockiert wurde. Der PPD weigerte sich, eine Hospitalisierungsbestätigung herauszugeben, und von der Klinik war eine solche nur unter grossem Energie- und Zeitaufwand zu kriegen. Ein inhaltlicher Arztbericht war erst nach Entlassung respektive Rückschaffung in die Ausschaffungshaft erhältlich.
 
«Für eine Beschwerde, Herr Direktor»
Was ist geschehen? A. hat, nachdem bei einer Haftverlängerung am 19. Juli 2003 die bevorstehende Ausschaffung in ein Drittland angekündigt wird, von Samstag bis Dienstag Essen und Trinken verweigert und befindet sich in einem bedenklichen Zustand, als die Rechtsvertreterin ihn im Gefängnis in Kloten besucht. Auf Intervention bei der Gefängnisleitung wird für den nächsten Morgen eine Konsultation beim Notfallpsychiater organisiert, die Notfalleinweisung folgt am 23. Juli durch fürsorgerischen Freiheitsentzug ins Psychiatriezentrum Hard. Der Flug vom 24. Juli wird annuliert. Bei einem Besuch in der Klinik am nächsten Tag weigert sich die Stationsärztin, die Hospitalisation zu bestätigen, dies sei Chefsache und müsse schriftlich angefordert werden. Eine Entbindungserklärung vom Arztgeheimnis hat der Patient bereits unterschrieben. So darf die Besucherin auf einem Blatt Papier, das von der Stationsleitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt wird, ein handgeschriebenes Gesuch zum Hauptgebäude tragen und beim Büro des Direktors anklopfen. Ohne Erfolg. Bei der Portierloge verlangt sie den Direktor zu sprechen. Auf telefonische Anmeldung öffnet sich dann die geheimnisvolle Türe doch noch. Der ältere Herr will zuerst wissen, von welcher Organisation diese Besucherin denn komme und wozu sie ein solches Zeugnis brauche. «Für eine Beschwerde an die nächsthöhere Instanz, Herr Direktor, zum Beispiel an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof!» Er runzelt die Stirn und meint, er dürfe das doch nicht ohne Einverständnis des Patienten. Das Einverständnis des Patienten hält er zwar bereits in der Hand, aber offenbar hat er es, trotz aufgesetzter Brille, nicht gelesen. Endlich gibt er nach und geht voran über den langen Gang zum Sekretariat, wo dann der hart errungene Satz getippt und vom stellvertretenden Direktor wortlos unterzeichnet wird. «Matto regiert», geht es der Wartenden durch den Kopf. Ein inhaltlicher Bericht ist bei diesen Zuständen nicht zu erwarten. Auch der PPD weigert sich, eine Kopie des Einweisungsberichts herauszugeben. Auf einen langen Gesuchsbrief erfolgt auf telefonische Nachfrage ein Anruf des Sekretariats: man könne ja den Austrittsbericht der Klinik verlangen. So ist das. Für das Wohl des suizidalen Patienten wäre einzig und allein die Veränderung der rechtlichen Situation eine wirksame Therapie, aber die zuständigen Ärzte tun alles, um der Rechtsvertreterin Steine in den Weg zu legen. Trotz aller Hindernisse hat sich die Eingabe der Beschwerde gelohnt: A. ist inzwischen eingereist und in einem ordentlichen Asylverfahren. augenauf Zürich

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite