Bulletin Nr. 39; Oktober 2003

Nach einer Odyssee von seiner Heimat in die Schweiz setzt die Polizei einen Somalier im Wald aus

«Zero tolerance» im St. Galler Rheintal
K. hat kein Glück - er stammt aus einem Land, das seit zwölf Jahren keine funktionierende Regierung mehr hat und von einem grausamen Bürgerkrieg zerrissen ist. Auf komplizierten Umwegen kommt er am Flughafen Zürich-Kloten an und stellt am 28. März ein Asylgesuch. K. ist Somalier, kann also nicht in sein Heimatland ausgeschafft werden. Da ist das Interesse gross, ihn in das Drittland abzuschieben, aus dem er in die Schweiz einreist. Nur, dieses Drittland will ihn nicht, da er kein Originaldokument dabei hat. Die Folge: Ausschaffungshaft, weil die Behörden hoffen, die Bewilligung für die Abschiebung doch noch zu erhalten. Vergeblich: Am 5. August wird er freigelassen und kommt nun in ein ordentliches Inlandverfahren. Seine Erleichterung und seine Freude sind gross. Die Empfangsstelle Kreuzlingen weist ihn am 14. August dem Kanton St. Gallen zu. Schon kommt der erste Dämpfer. K. kommt in ein Durchgangszentrum weitab auf den Hügeln - ein ehemaliges Schul-Ferienhaus auf dem Buchserberg. Ein hauseigener Kleinbus ist die einzige Verbindung zur Welt. Er kommt sich vor wie verbannt. Am nächsten Tag versucht K., sich einigermassen zu orientieren, und fährt mit diesem Bus ins Tal. Zusammen mit zwei andern Somaliern schaut er sich das Dorf und den Bahnhof an. Polizeikontrolle! Ausweis! Sie werden auf den Posten gebracht und gefilzt. Alles ist in Ordnung, K. hofft, dass man sie wieder gehen lässt, um den Bus nicht zu verpassen, der sie wieder auf den Berg bringen soll. Sie werden in einen Polzeiwagen gedrängt und fahren los, ohne Erklärung. Irgendwo, weit vom Dorf und weit vom Asylzentrum, stösst man sie aus dem Polizeiwagen - ausgesetzt im Wald. Mühsam suchen die Berg-Ungewohnten den steilen Aufstieg und kommen völlig erschöpft oben an. Der Heimleiter zuckt nur die Achseln: da könne man nichts machen, die Polizei wolle eben nicht, dass die Heimbewohner beim Bahnhof herumhängen. Das sei normal. K. ist entsetzt und traurig. Es ist nicht einfach, sich an die «Schweizer Normalität» zu gewöhnen, vor allem, wenn man jung ist und eine dunkle Hautfarbe hat. augenauf Zürich

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