Todesfälle in Polizeigewahrsam, zumal während maximaler
Gewaltanwendung gegenüber Ausländern, bergen ein hohes Risiko, von der
Öffentlichkeit als polizeiliches Fehlverhalten gedeutet zu werden. Das macht
umsichtiges Vorgehen der Ermittler notwendig. Als gilt es, eventuelle neutrale
Zeugen zu ignorieren und eine Spurensicherung durch die Kripo zu vermeiden.
Falls letzteres mißlingt, steht zu hoffen, daß sich die Kripo an der kollegialen
Spurenverwischung beteiligt und eine sofortige getrennte Vernehmung der
beteiligten Beamten vermeidet. Das gibt der Rechtsmedizin die Möglichkeit,
aufgrund kollegialer Auswahl an unverfänglichen Vorinformationen einen
natürlichen Tod oder einen selbstbeigebrachten Tod zu bescheinigen. Damit
können die Staatsanwaltschaftssprecher gegenüber der gläubigen
Journalistengemeinde ein Fehlverhalten der Exekutivkollegen in Uniform leicht
ausschließen. Bleibt zu hoffen, daß keine Anzeige erfolgt, also ein
Ermittlungsverfahren vermieden werden kann. Falls aber Angehörige, zum Teil von
kritischen Juristen im Ausland ausfindig gemacht, Strafanzeige stellen, ist zu
hoffen, daß in der nachträglichen Beamtenbefragung die genauen Sterbeumstände
genügend vage und widerspruchsfrei bleiben, so daß die Ermittlungen eingestellt
werden können. Bleibt zu hoffen, daß sich keine neutralen Zeugen melden oder von
den Nebenklagevertretern finden lassen. Falls aber doch, dann sind deren
Aussagen gegenüber der Rechtsmedizin und Öffentlichkeit selektiv zurückzuhalten,
damit auch in weiteren rechtsmedizinischen Gutachten polizeigewaltfreie
Todesursachenversionen, notfalls unter Einsatz übersinnlicher Fähigkeiten, zur
Verfügung gestellt werden können. Auf diese Weise ist zu erwarten, daß die
Nebenklagevertretung niemals in Ballbesitz kommt, da auch geschicktes
Eingrätschen nichts gegen die eingespielten
staatsanwaltschaftlich-rechtsmedizinischen Doppelpässe ausrichten kann, zumal
die Staatsanwaltschaft auch den Schiedsrichter stellt und die Richterschaft
keine Eintrittskarten erhält oder nach Abpfiff nichts mehr erzwingen will.
Man sieht also, daß die staatstragende Aufgabe der deutschen Medizin,
natürliche Gewahrsamstode zu bescheinigen, 1945 nicht geendet hat, als sie auf
einen hunderttausendfachen Fundus an bescheinigten Lungenentzündungen und
Herzversagen aus Euthanasieanstalten und Konzentrationslagern zurückblicken
konnte. Aber kann sich denn die Staatsmacht und ihre Anwälte auch nach einem
halben Jahrhundert nationalsozialistischer Verdrängung noch auf ihre
Rechtsmediziner verlassen? Gibt es heutzutage Bescheiniger natürlicher
Gewahrsamstode nicht nur in Folterdemokratien wie der Türkei? Und ließe sich
hier und heute verplanbar erwarten, daß Rechtsmediziner auch bei eindeutigen
oder typischen Gewahrsamserstickungen einen "plötzlichen Tod aus natürlicher
innerer Ursache" oder phantasiereiche Selbsterstickungsversionen bescheinigen?
Oder daß sie vor einem Rätsel zu stehen meinen, wenn ihre US-amerikanischen
Kollegen aufgrund umfangreicher Untersuchungen und Fachveröffentlichungen von
ganz normalen "Sudden in Custody Deaths", mehrheitlich aufgrund "Postional
Asphyxia" beschrieben, ausgehen? Das Rätsel ereignete sich am 15.5.98 auf
der Frankfurter Hauptwache, als es zehn Polizisten nach heftigstem Kampf
gelungen war, dem 32jährigen Nigerianer Agbai-John in Bauchlage Hände und Füße
zu fesseln. Wer wo und wie lange auf ihm kniete, saß und mit den Händen auf den
Boden preßte, bleibt bei der verspäteten sanften Fragetechnik der Kripo
Landeskollegen vage, auch bleibt unklar, weshalb PHK Kr. dem längst
Überwältigten die gefesselten Arme rücklings überstrecken mußte, wie er selbst
aussagte. Jedenfalls fiel Agbai-John ins Koma, aus dem er dank
komplikationsträchtiger Krankenhausbehandlung nie mehr erwachte. Obduzent
Priv.Doz. F.U. Lutz erkannte im vorläufigen Gutachten: "In Anbetracht der
Vorgeschichte ist eine Vergiftung durch Rauschmittel anzunehmen", da ihm nicht
gesagt worden war, daß ebendies seit zwei Wochen bereits ausgeschlossen worden
war. So konnte Staatsanwalschaftssprecher Job Tilmann der Frankfurter Rundschau
berichten, "Ärzte und Gerichtsmediziner ... stünden diesbezüglich vor einem
Rätsel" (FR vom 13.6.98, S. 23). Auch im ausführlichen Gutachten von Dr. Lutz
und im Nachgutachten von Prof. Dr. Rainer Mattern als auch im
Nach-Nach-Gutachten von Prof. Bratzke bleibt für Eingeweihte naheliegende
Diagnose "Positional Asphyxia" und "Sudden in Custody Death" unerwähnt. In
den USA wurden bereits vor zehn Jahren im Hauptorgan der Rechtsmediziner,
"American Journal of Forensic Medicine and Pathology", Untersuchungen zu "Death
in Custody" und "Positional Restraint" veröffentlicht. In der gleichen
Fachzeitschrift erschienen 1992 zwei umfangreiche Arbeiten zur lagebedingten
Erstickung im Polizeigewahrsam: "Positional asphyxia during law enforcment
transport" 9(2): 90-97 und: "Postional Asphyxia in Adults" 13(2): 101-107.
Ein zweites Rätsel konnte Rechtsmediziner Mattern, Direktor der Heidelberger
Rechtsmedizin, trotz eines fast gleichen Überwältigungsablaufs am 15.1.97 im
Bahnhof Baden-Baden, leicht lösen: "Es ist daher am ehesten davon auszugehen,
daß die Herzmuskelentzündung ursächlich für den bei der Festnahme erlittenen
Herzstillstand gewesen war ... " Diese beiden Fälle von lagebedingter
Erstickung (mit zusätzlicher Gewalteinwirkung) werde ich ausführlicher in der
nächsten Ausgabe schildern. Zwei ältere Fälle habe ich im Dezember 1995 bereits
in "Betrifft Justiz" und "Unbequem" mit dem damaligen papierlosen
Erkenntnisstand berichtet: die finalen Knebelungen im Frankfurter
Flughafen-BGS-Gewahrsam 93 und 94, die ich in der übernächsten Ausgabe mit
Schwerpunkt rechtsmedizinischer Steilvorlagen schildern werde. Für mich gab
es schon im Zusammenhang mit den Gutachten zum Tod nach Knebelung mit dicken
Socken am 30.8.94 keinen vernünftigen Zweifel an der Einschätzung, daß nach
heftigstem Kampf mit erheblichem Sauerstoffdefizit jede Einschränkung der Atmung
zur Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel führen kann. Ähnlich hat auch die
Verklebung des Mundes bei offener Nase 1992 im Flughafen Shiphol bei einem
Rumänen zu bleibenden Lähmungen geführt wie ja auch der jüngste Erstickungsfall
in Belgien mit einem Kissen zum Tod führte. Bei den nun in Frage stehenden
Fällen scheint zunächst einmal eine Erstickung erstaunlich, wenn nicht
unmittelbar die Halsschlagader oder die Luftröhre gezielt und meist bei der
Obduktion durch Blutergüsse nachweisbar eingedrückt wurde. Vergegenwärtigt
man sich jedoch, wie erschöpft und mit weit aufgerissenen Mündern
Leistungssportler nach einem Mittelstreckenlauf nach Luft ringen,
vergegenwärtigt man sich, daß die Kreuzigung nach Geißelung und kräftemäßiger
Erschöpfung sicher zum Erstickungstod führte, dann läßt sich eine lagebedingte
Erstickung, wie sie in den amerikanischen Studien beschrieben wird, durchaus
vorstellen. Als Voraussetzung nennen die Studien vorausgegangenen heftigen
Widerstand und erhebliche Fesselungs- und Bauchlagen-Fixierung: "The subject
must be in a restrictive position that interferes with pulmonary gas exchange;
the subject cannot escape the position;" (An Analysis of in Custody Deaths an
Positional Asphyxication, S. 3 by Darell L. Ross, Ph.D. in "The Police Marksman"
3/4 96). In dieser Untersuchung werden 44 Todesfälle nach Fesselung in Bauchlage
aufgelistet. Der selbe Autor veröffentlicht im gleichen Journal 11/12 97 eine
Übersicht über "148 sudden death cases" nach Auswertung von "212 published
medical studies": in 58 Prozent nimmt er eine Todesverursachung durch
"Positional Asphyxia" an - das entspricht 86 Fällen. Es fällt schwer zu glauben,
daß die gutachterlich beauftragten Rechtsmediziner in Heidelberg und
Frankfurt/Main die Vielzahl von Fällen und Veröffentlichungen seit 1992 nicht
zur Kenntnis genommen haben sollten. Andererseits zeigt die
Nicht-zur-Kenntnisnahme eine diesbezügliche fachliche Rückständigkeit, die in
anderen medizinischen Fachdisziplinen für skandalös angesehen würde und die
Suche nach entsprechend weitergebildeten Gutachtern in beiden und sicherlich
noch weiteren Fällen in Deutschland erforderlich macht.