Fenster schliessen Quelle: «Unbequem» (Zeitung der BAG Kritischer Polizisten und Polizstinnen, Dezember 1998)
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Spiel mir das Lied vom Tod

Die Rechtsmedizin in den Zeiten der Ausländerflut

von Claus Metz
 Todesfälle in Polizeigewahrsam, zumal während maximaler Gewaltanwendung gegenüber Ausländern, bergen ein hohes Risiko, von der Öffentlichkeit als polizeiliches Fehlverhalten gedeutet zu werden. Das macht umsichtiges Vorgehen der Ermittler notwendig. Als gilt es, eventuelle neutrale Zeugen zu ignorieren und eine Spurensicherung durch die Kripo zu vermeiden. Falls letzteres mißlingt, steht zu hoffen, daß sich die Kripo an der kollegialen Spurenverwischung beteiligt und eine sofortige getrennte Vernehmung der beteiligten Beamten vermeidet. Das gibt der Rechtsmedizin die Möglichkeit, aufgrund kollegialer Auswahl an unverfänglichen Vorinformationen einen natürlichen Tod oder einen selbstbeigebrachten Tod zu bescheinigen.
Damit können die Staatsanwaltschaftssprecher gegenüber der gläubigen Journalistengemeinde ein Fehlverhalten der Exekutivkollegen in Uniform leicht ausschließen. Bleibt zu hoffen, daß keine Anzeige erfolgt, also ein Ermittlungsverfahren vermieden werden kann. Falls aber Angehörige, zum Teil von kritischen Juristen im Ausland ausfindig gemacht, Strafanzeige stellen, ist zu hoffen, daß in der nachträglichen Beamtenbefragung die genauen Sterbeumstände genügend vage und widerspruchsfrei bleiben, so daß die Ermittlungen eingestellt werden können. Bleibt zu hoffen, daß sich keine neutralen Zeugen melden oder von den Nebenklagevertretern finden lassen. Falls aber doch, dann sind deren Aussagen gegenüber der Rechtsmedizin und Öffentlichkeit selektiv zurückzuhalten, damit auch in weiteren rechtsmedizinischen Gutachten polizeigewaltfreie Todesursachenversionen, notfalls unter Einsatz übersinnlicher Fähigkeiten, zur Verfügung gestellt werden können. Auf diese Weise ist zu erwarten, daß die Nebenklagevertretung niemals in Ballbesitz kommt, da auch geschicktes Eingrätschen nichts gegen die eingespielten staatsanwaltschaftlich-rechtsmedizinischen Doppelpässe ausrichten kann, zumal die Staatsanwaltschaft auch den Schiedsrichter stellt und die Richterschaft keine Eintrittskarten erhält oder nach Abpfiff nichts mehr erzwingen will.
Man sieht also, daß die staatstragende Aufgabe der deutschen Medizin, natürliche Gewahrsamstode zu bescheinigen, 1945 nicht geendet hat, als sie auf einen hunderttausendfachen Fundus an bescheinigten Lungenentzündungen und Herzversagen aus Euthanasieanstalten und Konzentrationslagern zurückblicken konnte. Aber kann sich denn die Staatsmacht und ihre Anwälte auch nach einem halben Jahrhundert nationalsozialistischer Verdrängung noch auf ihre Rechtsmediziner verlassen? Gibt es heutzutage Bescheiniger natürlicher Gewahrsamstode nicht nur in Folterdemokratien wie der Türkei? Und ließe sich hier und heute verplanbar erwarten, daß Rechtsmediziner auch bei eindeutigen oder typischen Gewahrsamserstickungen einen "plötzlichen Tod aus natürlicher innerer Ursache" oder phantasiereiche Selbsterstickungsversionen bescheinigen? Oder daß sie vor einem Rätsel zu stehen meinen, wenn ihre US-amerikanischen Kollegen aufgrund umfangreicher Untersuchungen und Fachveröffentlichungen von ganz normalen "Sudden in Custody Deaths", mehrheitlich aufgrund "Postional Asphyxia" beschrieben, ausgehen?
Das Rätsel ereignete sich am 15.5.98 auf der Frankfurter Hauptwache, als es zehn Polizisten nach heftigstem Kampf gelungen war, dem 32jährigen Nigerianer Agbai-John in Bauchlage Hände und Füße zu fesseln. Wer wo und wie lange auf ihm kniete, saß und mit den Händen auf den Boden preßte, bleibt bei der verspäteten sanften Fragetechnik der Kripo Landeskollegen vage, auch bleibt unklar, weshalb PHK Kr. dem längst Überwältigten die gefesselten Arme rücklings überstrecken mußte, wie er selbst aussagte. Jedenfalls fiel Agbai-John ins Koma, aus dem er dank komplikationsträchtiger Krankenhausbehandlung nie mehr erwachte. Obduzent Priv.Doz. F.U. Lutz erkannte im vorläufigen Gutachten: "In Anbetracht der Vorgeschichte ist eine Vergiftung durch Rauschmittel anzunehmen", da ihm nicht gesagt worden war, daß ebendies seit zwei Wochen bereits ausgeschlossen worden war. So konnte Staatsanwalschaftssprecher Job Tilmann der Frankfurter Rundschau berichten, "Ärzte und Gerichtsmediziner ... stünden diesbezüglich vor einem Rätsel" (FR vom 13.6.98, S. 23). Auch im ausführlichen Gutachten von Dr. Lutz und im Nachgutachten von Prof. Dr. Rainer Mattern als auch im Nach-Nach-Gutachten von Prof. Bratzke bleibt für Eingeweihte naheliegende Diagnose "Positional Asphyxia" und "Sudden in Custody Death" unerwähnt.
In den USA wurden bereits vor zehn Jahren im Hauptorgan der Rechtsmediziner, "American Journal of Forensic Medicine and Pathology", Untersuchungen zu "Death in Custody" und "Positional Restraint" veröffentlicht. In der gleichen Fachzeitschrift erschienen 1992 zwei umfangreiche Arbeiten zur lagebedingten Erstickung im Polizeigewahrsam: "Positional asphyxia during law enforcment transport" 9(2): 90-97 und: "Postional Asphyxia in Adults" 13(2): 101-107.
Ein zweites Rätsel konnte Rechtsmediziner Mattern, Direktor der Heidelberger Rechtsmedizin, trotz eines fast gleichen Überwältigungsablaufs am 15.1.97 im Bahnhof Baden-Baden, leicht lösen: "Es ist daher am ehesten davon auszugehen, daß die Herzmuskelentzündung ursächlich für den bei der Festnahme erlittenen Herzstillstand gewesen war ... "
Diese beiden Fälle von lagebedingter Erstickung (mit zusätzlicher Gewalteinwirkung) werde ich ausführlicher in der nächsten Ausgabe schildern. Zwei ältere Fälle habe ich im Dezember 1995 bereits in "Betrifft Justiz" und "Unbequem" mit dem damaligen papierlosen Erkenntnisstand berichtet: die finalen Knebelungen im Frankfurter Flughafen-BGS-Gewahrsam 93 und 94, die ich in der übernächsten Ausgabe mit Schwerpunkt rechtsmedizinischer Steilvorlagen schildern werde.
Für mich gab es schon im Zusammenhang mit den Gutachten zum Tod nach Knebelung mit dicken Socken am 30.8.94 keinen vernünftigen Zweifel an der Einschätzung, daß nach heftigstem Kampf mit erheblichem Sauerstoffdefizit jede Einschränkung der Atmung zur Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel führen kann. Ähnlich hat auch die Verklebung des Mundes bei offener Nase 1992 im Flughafen Shiphol bei einem Rumänen zu bleibenden Lähmungen geführt wie ja auch der jüngste Erstickungsfall in Belgien mit einem Kissen zum Tod führte. Bei den nun in Frage stehenden Fällen scheint zunächst einmal eine Erstickung erstaunlich, wenn nicht unmittelbar die Halsschlagader oder die Luftröhre gezielt und meist bei der Obduktion durch Blutergüsse nachweisbar eingedrückt wurde.
Vergegenwärtigt man sich jedoch, wie erschöpft und mit weit aufgerissenen Mündern Leistungssportler nach einem Mittelstreckenlauf nach Luft ringen, vergegenwärtigt man sich, daß die Kreuzigung nach Geißelung und kräftemäßiger Erschöpfung sicher zum Erstickungstod führte, dann läßt sich eine lagebedingte Erstickung, wie sie in den amerikanischen Studien beschrieben wird, durchaus vorstellen. Als Voraussetzung nennen die Studien vorausgegangenen heftigen Widerstand und erhebliche Fesselungs- und Bauchlagen-Fixierung: "The subject must be in a restrictive position that interferes with pulmonary gas exchange; the subject cannot escape the position;" (An Analysis of in Custody Deaths an Positional Asphyxication, S. 3 by Darell L. Ross, Ph.D. in "The Police Marksman" 3/4 96). In dieser Untersuchung werden 44 Todesfälle nach Fesselung in Bauchlage aufgelistet. Der selbe Autor veröffentlicht im gleichen Journal 11/12 97 eine Übersicht über "148 sudden death cases" nach Auswertung von "212 published medical studies": in 58 Prozent nimmt er eine Todesverursachung durch "Positional Asphyxia" an - das entspricht 86 Fällen. Es fällt schwer zu glauben, daß die gutachterlich beauftragten Rechtsmediziner in Heidelberg und Frankfurt/Main die Vielzahl von Fällen und Veröffentlichungen seit 1992 nicht zur Kenntnis genommen haben sollten. Andererseits zeigt die Nicht-zur-Kenntnisnahme eine diesbezügliche fachliche Rückständigkeit, die in anderen medizinischen Fachdisziplinen für skandalös angesehen würde und die Suche nach entsprechend weitergebildeten Gutachtern in beiden und sicherlich noch weiteren Fällen in Deutschland erforderlich macht.

Claus Metz ist Mitglied des IPPNW
 
 
 
 

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