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Beitrag für augenauf Bulletin, Okt. 2000

Prügeln, bis der Mann ausgeschafft ist

augenauf Basel hat am 22. September 2000 eine Strafanzeige wegen Nötigung, Tätlichkeit, einfacher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Gefährdung des Lebens gegen den FDP-Regierungsrat Andreas Koellreuter und weitere unbekannte Personen aus dem Kanton Baselland eingereicht. Dabei geht es um die Ausschaffung von Ali X, der zuvor im Kanton Baselland unter rechtswidrigen Haftbedingungen festgehalten wurde.

Ali X wurde am 19. August dieses Jahres aus Liestal über Genf in den Libanon zurückgeschafft. Da augenauf Basel den Libanesen diverse Male in Ausschaffungshaft besucht hatte und zu seinen Gunsten beim Kanton Baselland interveniert hatte, wusste die Polizei des Kantons Baselland, dass die Ausschaffung unter besonderer Beobachtung stattfand. Man würde annehmen, dass dies zu einem vorsichtigen Handeln von Seiten der Behörden führen würde. Doch weit gefehlt. Die Baselbieter Behörden schafften den Mann mit massiver Gewalt nach Beirut aus, wo Ali X umgehend für zehn Tage inhaftiert wurde.
Hier der Bericht, den der Ausgeschaffte uns aus dem Libanon zukommen liess:

«Einen Tag vor meiner Ausschaffung schickte mir der Anwalt am Nachmittag einen Brief, um mich zu informieren (...) Kurz nach Ankunft des Briefes kam die Polizei. Sie waren zu dritt und überführten mich ins Gefängnis Liestal. Sie haben mich in einem sehr kleinen Zimmer untergebracht. Etwas später brachten sie mir Handschellen und haben mich mit diesen an den Händen gefesselt. Die Füsse wurden mir mit Plastikband zusammengebunden. Sie haben mir eine Kappe auf den Kopf gesetzt, die ebenfalls den Hals bedeckte.
Dann begannen sie mich mit Polizeistöcken zu schlagen, gaben mir Fusstritte und schlugen mit Fäusten auf mich ein. Sie waren gnadenlos. Nach ca. einer Stunde brachten sie mich in ein Zimmer, in welchem eine Kamera installiert war. Dann brachten sie eine Bodenmatte. Sie wickelten und banden mich darin ein für ca. 2 Stunden. Danach kamen zwei Personen, einer davon arbeitet im Gefängnis. Dieser verursachte mir Schmerzen an den Füssen, während der andere mir die Handschellen an den Füssen befestigte. Er ist derjenige, der mit mir nach Libanon gekommen ist. Dann nahmen sie die Bodenmatte mit und liessen mich bis am morgen auf dem Boden schlafen/liegen. Sie gaben mir eine schwarze Tablette und sagten, dies sei gegen die Schmerzen. Am Morgen kamen drei Personen und nahmen mich nach Genf, mit den Handschellen an den Händen. (...)
Das ist alles, an was ich mich erinnern kann, denn ich war schwindlig von der schwarzen Tablette, die sie mir in der Nacht gegeben haben.»

Die Stellungnahme der Behörden

Die Baselbieter Polizei bzw. Andreas Koellreuter als ihr Vorgesetzter (Vorsteher der Justiz-, Militär- und Polizeidirektion) bestreiten natürlich, für die Verletzungen verantwortlich zu sein. Sie haben etwa eine Stunde, nachdem sie im Besitz der Anklageschrift waren, ein Communiqué zu Handen der Medien der Region verschickt, in dem sie rechtliche Schritte gegen augenauf androhten. Ali X sei «von den Mitarbeitenden der Fremdenpolizei und der Polizei mit grösster Geduld und immer unter Wahrung der Menschenwürde – wie es generell dem Verhalten im Kanton Baselland entspricht – betreut worden». In Interviews gegenüber Radiostationen behauptete Stephan Mathis, Direktionssekretär, Ali X habe randaliert, sei mit dem Kopf gegen die Wand gerannt, und deshalb habe man ihn – zu seinem eigenen Schutz – fesseln müssen.

Ausserkantonale Untersuchung

Genau aus diesem Grund hat augenauf Basel in der Klage beantragt, dass eine ausserkantonale Stelle die Untersuchungen führt. Üblicherweise halten sich Behörden in einer solchen Situation mit Äusserungen zurück und verweisen auf das laufende Verfahren. Nicht so der Kanton Baselland: Bevor auch nur eine Untersuchung eingeleitet werden konnte, weiss die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion schon, wie das Urteil aussieht: Freispruch auf der ganzen Linie für die prügelnden Beamten und ihren Vorgesetzten.

Die Gerichtsmedizin

augenauf Basel ist im Besitz eines Gutachtens des libanesischen Gerichtsmediziners W.A.S. Dieser hat Ali X am erstmöglichen Termin, nämlich am 31. August 2000, als er im Libanon aus der Haft entlassen wurde, untersucht und dabei diverse nach wie vor schmerzhafte Quetschwunden und Prellungen an Kopf, Nase, an den Hand- und Fussgelenken sowie am Oberschenkel festgestellt. Der Arzt verordnete Behandlung sowie zwei Wochen Bettruhe.
Weil die Baselbieter Behörden ja gar nicht bestreiten, dass Ali X verletzt ausgeschafft wurde, jedoch behaupten, er habe sich die Wunden selbst zugefügt, hat augenauf Basel mit W.A.S. Kontakt aufgenommen und ihn gefragt, ob es denkbar sei, dass sein Patient sich die Verletzungen selbst zugefügt habe. Der Arzt erachtet dies als vollkommen unmöglich. Zum gleichen Schluss gelangte aufgrund des Gutachtens ein Basler Gerichtsmediziner.

Die politische Dimension

Die Behörden des Kantons Baselland haben ihre brutalen Prügler vorgeschickt, die einen Mann spitalreif geschlagen haben. Sie haben dies getan im Bewusstsein, dass eine Menschenrechtsgruppe ihr Augenmerk auf diese Ausschaffung richtete. Was lässt dies für Schlüsse zu?
Man scheint das Verprügeln von Ausschaffungshäftlingen und auch anderer Personen im Polizeikorps des Kantons Baselland ganz offensichtlich normal zu finden. Und man glaubt, dies ungestraft tun zu können – denn die Opfer sind üblicherweise Menschen, die sich nicht wehren können. Anders ist das Verhalten der Beamten nicht zu erklären.
In die gleiche Richtung weisen auch die Aussagen des Einsatzleiters der Liestaler Polizei, Erich Wagner, der das polizeiliche Vorgehen an der Antirassismus-Demonstration vom 9. September in Liestal leitete. In einem Interview in der Basler Zeitung vom 12. September antwortet er auf die Frage «Wie beurteilen Sie die Gerüchte, dass die Polizei zahlreiche Sympathisanten der rechten Szene in ihren Reihen hat?»: «Schauen Sie: Die Polizei Baselland hat rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich kann nicht für jeden Einzelnen die Hand ins Feuer legen. Bedenken Sie, welche Erfahrungen diese Leute in ihrer Laufbahn machen, mit was für Leuten sie sich herumschlagen müssen...» Dies legt den Schluss nahe, dass der brutale Übergriff auf Ali X ein Racheakt dafür war, dass einer "dieser Leute" sich getraute, sich zu wehren.

Der Vertuschungsversuch

augenauf wurde von den OrganisatorInnen der erwähnten Antirassismus-Demonstration, der IG gegen Rechts & Co., eingeladen, an der Schlusskundgebung eine Rede zu halten. Der von uns nun verklagte FDP-Regierungsrat Andreas Koellreuter machte seine eigene Teilnahme an der Schlusskundgebung der von einem breiten Bündnis getragenen Demonstration davon abhängig, dass augenauf nicht zu einem konkreten Fall spreche. Bei diesem Fall handelte es sich selbstverständlich um die Ausschaffung von Ali X.
Mit andern Worten: Er wollte verhindern, dass augenauf den TeilnehmerInnen der Demo ein Beispiel aus dem Liestaler Behördenalltag weitergab, für den er, Regierungsrat Andreas Koellreuter, politisch verantwortlich ist. Dass augenauf sich keinen Maulkorb umbinden liess, versteht sich von selbst.
Aus diesem Grund begnügen wir uns nicht damit, die an der Ausschaffung beteiligten, prügelnden Polizisten einzuklagen, sondern richten unsere Strafanzeige auch gegen Regierungsrat Andreas Koellreuter.

augenauf fordert:

  • Die seriöse Untersuchung der Strafklage durch eine ausserkantonale Stelle unter Beizug von Zeugen (Ali X selbst, seine Mutter, Personal des Middle-East-Fluges Genf-Beirut, vom 19. August 2000, gegebenenfalls Zollbeamte)
  • Das Ende der rechtswidrigen Haftbedingungen, denen Ausschaffungshäftlinge im Kanton BL unterworfen werden.

Vorgeschichte

Am 3. August erhält augenauf Basel einen Anruf, dass sich im Bezirksgefängnis Liestal ein Libanese mit einem Hungerstreik gegen seine Ausschaffung wehrt. Einen Tag später besuchen wir den Mann und veröffentlichen ein erstes Pressecommuniqué, in dem wir

  • seine Freilassung fordern,
  • auf seine Verfolgung im Libanon hinweisen (der Mann war 1996 schon einmal aus der Schweiz ausgeschafft worden, und wurde damals am Flughafen direkt von der syrischen Geheimpolizei verhaftet und drei Monate lang gefoltert und verhört)
  • die rechtswidrigen Haftbedingungen anprangern und
  • eine sofortige Untersuchung durch einen unabhängigen Arzt verlangen (Ali X war bei einem Attentat 1989 schwer verletzt worden. Er hatte mit mehreren Schusswunden überlebt, eine davon am Hals, die ihm das Sprechen stark erschwert. Seither leidet Ali X unter Ohnmachtsanfällen und Atemnot, wacht nachts auf und verspürt innere Panik.)

Die regionale Presse berichtet, Ali X bricht seinen Hungerstreik ab und wird wieder nach Sissach ins eigentliche Ausschaffungsgefängnis verlegt. augenauf reicht eine Beschwerde wegen der Haftbedingungen in Liestal und der Forderung nach einer unabhängigen medizinschen Untersuchung ein.
Die Beschwerde wird abgeschmettert. Am 17. August erfahren wir von der bevorstehenden Ausschaffung und versuchen nochmals, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Beim Besuch am 18. August ist Ali X in einem miserablen Zustand, er ist am Rande der Verzweiflung und spricht von Selbstmord. augenauf Basel nimmt mit der Fremdenpolizei und dem BFF Kontakt auf, wendet sich nochmals an die Presse. In dieser Nacht wird Ali X wieder nach Liestal gebracht und misshandelt.
Am 19. August 2000 wird Ali X über Genf nach Beirut ausgeschafft. Telefonate mit Fremdenpolizei, BFF und Kantonspolizei BL ergeben nicht mehr als die genauen Flugzeiten – nachdem das Flugzeug abgehoben hat.
Die Mutter von Ali X wird am 22. August informiert, dass ihr Sohn in Beirut im Gefängnis sei. Sie kann ihn besuchen. Er wird beschuldigt, mit falschen Papieren gereist zu sein. Diese Information kann nur von den Schweizer Behörden stammen, da Ali X den Libanon mit seinem eigenen, gültigen Pass verlassen hatte. Laut der Mutter hat Ali X überall blaue Flecken und eine schlimme Nase als Folge der gewaltsamen Ausschaffung.
augenauf wendet sich ans Internationale Rote Kreuz in Beirut, an die Schweizer Botschaft, an Amnesty International (jeweils mit Kopie an BFF und UNHCR).
Am 31. August wird Ali X entlassen und sofort ins Spital gebracht. Dort wird er vom Gerichtsmediziner untersucht.

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