Bulletin Nr. 37; März 2003

Romeo und Julia im Appenzöll

20 Minuten im Zug trennen zwei Kantonshauptorte - eine unendliche Distanz für zwei Liebende, wenn es den Nachbarn nicht gefällt.

Romeo, einer der Unerwünschten hier zu Lande, ein abgewiesener Flüchtling, ist dem Kanton St. Gallen zugewiesen. Seine Liebste wohnt ennet der Kantonsgrenze im idyllischen Biberfladenländli. Er liegt schwer erkrankt in einem Spital, die Entlassung erfolgt im Einverständnis aller Beteiligten: er braucht noch Pflege, was ihm die Familie seiner Julia im «falschen» Kanton anbietet. Die örtliche Polizei schreitet ein und verlangt ultimativ die Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Auf Nachfrage beim zuständigen Chef erklärt dieser, es seien Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen, dann müssten sie handeln. Es sind also nicht die verfeindeten Eltern des Paares, die das Unglück der Trennung verursachen wie im klassischen Stück. Das Pech von Romeo ist, dass man ihm von weitem ansieht, dass er kein Eingeborener ist: Er ist SCHWARZ.
Romeo ist ausserordentlich ruhig und sehr wohlerzogen, dazu noch geschwächt von seiner Krankheit. Lärm kann es also nicht gewesen sein. Der Polizeichef bleibt hart, er droht mit Konsequenzen. augenauf fragt nach: «Ja, wollen Sie denn wirklich eine Zwangsausschaffung mit Handschellen und Polizeieskorte von A nach SG befehlen? Sie machen sich ja lächerlich.» Schliesslich einigt man sich darauf, dass Besuche erlaubt seien, aber der «Lebensmittelpunkt» müsse im richtigen Kanton bleiben. Eine schriftliche Besuchserlaubnis des zuständigen Büros soll Romeo von nun an schützen, wenn er die ominöse Grenze überschreitet. Dies hindert die lokale Polizei nicht, wenig später eine morgendliche Razzia in Julias Wohnung vorzunehmen. Romeo wird auf den Posten abgeführt und - nach Studium der Besuchsbewilligung - wieder freigelassen.
Sind erneut Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen? Eine ältere Dame im gleichen Haus habe sich mehrmals in auffälliger Weise geäussert: «Es riecht im Treppenhaus...» unter anderen abfälligen Bemerkungen.
Es stinkt im Appenzöll - und nicht nach Käse.

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