Bulletin Nr. 36; Dezember 2002

Ein Buch schildert, was Beamte im Frühjahr 2002 Eldar S. angetan haben

Polizisten ausser Rand und Band

augenauf berichtete im Bulletin Nummer 34 ausführlich, wie Eldar S. im April dieses Jahres von der Zürcher Stadtpolizei misshandelt wurde. Nun hat Schanül Salinger vom Komitee «Eldar S.» ein Buch zum Polizeiübergriff veröffentlicht.

Am 21. April verliess Eldar S. etwa um 18 Uhr die Tankstelle seines Vaters im gutbürgerlichen Zürcher Kreis 6, um in der Stadt noch etwas zu holen. Etwa um 22.30 Uhr wurde Eldar schwer verletzt ins Zürcher Kantonsspital eingeliefert. Dazwischen befand er sich in der «Obhut» der Zürcher Stadtpolizei.
 
Der Fall
Eldar S. war auf seinem Weg zum Bahnhof von zwei zivil gekleideten Polizeibeamten abgefangen und schwer zusammengeschlagen worden. Anschliessend wurde er, der glaubte, von Nazi-Schlägern angegriffen worden zu sein, auf die «Urania»-Hauptwache der Stapo Zürich transportiert. Dort wurde er - so seine Aussage - ein zweites Mal von anderen Beamten schwerstens malträtiert, einem Bezirksanwalt und einem Notfallarzt vorgeführt und dann ins Kantonsspital transportiert. Offensichtlich wollte ihn die Stadtpolizei Zürich aus dem Spital weg ein zweites Mal verhaften, was die anwesenden Ärzte - schockiert durch seine schweren Verletzungen - verhinderten. Eldar wurde zu seinem Schutz in eine psychiatrische Klinik verlegt.
Eldars Vater gelang es, ReporterInnen von «Schweiz Aktuell» und von «Tele24» zu mobilisieren. Beide Sender zeigten am 23. April ausführliche Berichte über das Schicksal von Eldar - die Polizei stritt alles ab.
 
Das Komitee
Danach war zuerst einmal mediale Funkstille. Doch im Zürcher Kreis 6 geschah etwas für uns von augenauf sehr Erstaunliches und sehr Erfreuliches. Zuerst begann eine Einzelperson aus dem Quartier, dann ein ganzes Komitee, sich für Eldar S. einzusetzen, veröffentlichte einen Zeugenaufruf und ein erstes «Eldar-Info».
Doch erst ein Communiqué der Polizei scheuchte die Zürcher Medien auf. In diesem Communiqué, das sich unterdessen im Internet-Archiv der Zürcher Stapo nicht mehr finden lässt (!), informierte die Hermandad über die «Verhaftung eines mutmasslichen Drogenhändlers». Die meisten Zeitungen brachten die Meldungen als Randnotiz, nur die Gratis-Zeitung «Zürich-Express» war sich nicht zu blöde, auf dem Aushang «Dealer bezog üppig Prügel» zu titeln.
An diesem Punkt kippte das Komitee «Eldar S.» die Stimmung. Mit einer Reihe von Aktionen, Kundgebungen, Pressekonferenzen und regelmässigen «Eldar-Infos» gelang es, einige JournalistInnen zum Nachforschen zu bewegen. Ein minuziöses Protokoll von Eldar S. wurde veröffentlicht - wer ihn und seinen ausgesprochen rechtschaffenen, im Quartier beliebten Vater kennenlernte, kam einfach nicht umhin, an der Mär vom gewalttätigen Drogenhändler zu zweifeln. Vom Vorwurf des Drogenhandels gegen Eldar S. ist inzwischen nichts mehr übrig.
Zusammen mit weiteren «Pannen» im Stadtzürcher Polizeibetrieb (einem angeblichen Einbrecher wurde ein Bein abgefahren, Zürcher Polizisten überfuhren auf einer Verfolgungsjagd einen Rentner, die Chefin der Stadtzürcher Kriminalpolizei musste im Zusammenhang mit einer Affäre gehen …) entstand die «Zürcher Polizeiaffäre».
 
Das Buch
Doch noch steht ein Happyend für den schwer malträtierten und traumatisierten Eldar S. aus. Selbstverständlich wird von Seiten der Behörden mit allen Mitteln versucht, Eldar zum Täter zu machen. Eldar verbrachte seit dem fatalen 21. April mehrere Monate in psychiatrischen Kliniken, ein Umstand, der von der Polizei genüsslich ausgeschlachtet wird. Der Prozess gegen die zum Teil bekannten, zum Teil unbekannten Schläger aus dem Polizeicorps der Stadt Zürich steht aus, genauso wie der selbstverständlich angestrengte Prozess gegen Eldar S., der seinerseits durch die Stapo Zürich angezeigt worden ist.
In dem Buch «Der Fall Eldar S.» schildert Schanül Salinger, einer der treibenden Kräfte im Komitee «Eldar S.», seine Sicht der Dinge. Das Buch ist gut und witzig geschrieben und überaus detailreich. Der Herausgeber verliert sich zwar da und dort in unbewiesenen (unbeweisbaren?) Behauptungen und tendiert manchmal auch zu Verschwörungstheorien. Manche Einschätzungen teilen wir von augenauf nicht - trotzdem empfehlen wir das Werk allen, die einen Einblick in die Funktionsweise von Medien, Polizei und Öffentlichkeit der real existierenden Schweiz gewinnen wollen.
 
 
Der Fall Eldar S.
Folter - Trauma - Psychiatrie
Ein Bericht über Zürcher Polizeifolter und den Versuch, das Opfer zu brechen und die Täter nicht zu finden.
Hrsg. Schanül Salinger
ISBN 3-905429-05-5, 25 Franken
Bestellung:
Buchhandlung Paranoia City
Bäckerstrasse 9
8004 Zürich
Telefon 01 241 37 05
paranoiacity@paranoiacity.ch


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