Bulletin Nr. 36; Dezember 2002
augenauf verhindert den Tod eines drogenkranken Asylsuchenden
Die ORS handelt lebensgefährlich
Lebensgefährliche Schlampereien im ORS-Minimalzentrum Rohr führen
zu einer Strafanzeige gegen die Zentrumsleitung: Der Vorwurf lautet auf
schwere Körperverletzung, Aussetzung, Nötigung und Verstoss gegen das
Betäubungsmittelgesetz.
Im Oktober 2001 wird der 37-jährige abgewiesene Asylbewerber A. S. in das
von der ORS geführte Minimalzentrum Rohr verlegt. Dieses Zentrum gilt als
schärfste Sanktionsstufe für so genannte «renitente» Asylbewerber. Das
Taschengeld ist auf 2 Franken pro Tag reduziert, Esswaren können nur im
zentrumseigenen Kiosk gegen abgegebene Gutscheine bezogen werden. Die
Bedingungen sind auf das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung
reduziert.
In diesem Zentrum ist eine komplexe Mischung von Leuten mit verschiedensten
Problemen untergebracht. Die Palette reicht von psychisch Auffälligen bis
zu Suchtkranken, die in den anderen Asylheimen belastend oder nicht tragbar
sind. Allein schon die Tatsache, dass Menschen, die schwere gesundheitliche
Probleme haben, in ein Zentrum mit minimaler Unterstützung und Betreuung
gesteckt werden, ist fahrlässig. Die Kombination der verschiedenen Probleme
ist explosiv. Verstösse gegen die Hausordnung werden mit Zentrumsverbot
geahndet.
ORS-Angestellte geben Methadon ab
A. S. ist drogenabhängig und nimmt am Methadonprogramm teil. Die
Methadonabgabe läuft in eigener Regie im Zentrum. Aus Kostengründen findet
so eine fatale Vermischung von medizinischer Betreuung und einem
Disziplinarregime statt, deren Folgen nicht auf sich warten lassen.
Am 12. Juni 2002 wird A. S. aus dem Methadonprogramm abgemeldet und als
«untergetaucht» bezeichnet. Einige Tage später taucht er wieder im Zentrum
auf und erhält weiterhin Methadon. Ab diesem Zeitpunkt ist die ärztliche
Aufsicht über die Methadonabgabe nicht mehr gewährleistet. Am 24. Juni wird
er eines Diebstahls verdächtigt und erhält deshalb zehn Tage
Zentrumsverbot. Obwohl ihm der Diebstahl nicht nachgewiesen werden kann,
entscheidet die Zentrumsleitung, dass die letzten von der Verfassung
vorgeschriebenen Unterstützungen entfallen sollen. Dies ungeachtet des
gesundheitlichen Zustandes von A. S.: Er hat Herz- und Lungenprobleme sowie
eine Hepatitis. An Stelle der bedürfnisgerechten Betreuung tritt das
Disziplinarregime. Die Heimleitung gefährdet damit bewusst die körperliche
Unversehrtheit von A. S. Er übernachtet teilweise im Wald neben dem
Zentrum, manchmal in einer Toilette in der Stadt Zürich. Die ersten Tage
erhält er weiterhin Methadon, das dann laut seinen Aussagen plötzlich
abgesetzt wird.
Was das Absetzen von Methadon bei einem abhängigen Patienten bewirkt, ist
allgemein bekannt. In seinem schlechten Gesundheitszustand hat dies fatale
Folgen und muss als Körperverletzung betrachtet werden.
Notfallmässige Operation
Am 3. Juli 2002 wird A. S. in stark verwirrtem Zustand in die
psychiatrische Klinik Hard eingewiesen. Gleichentags wird er ins Spital
Bülach transferiert, wo eine schwere Entzündung von Lunge und Herzklappe
festgestellt wird.
Am 19. Juli wird A. S. im Universitätsspital Zürich einer notfallmässigen
Herzoperation unterzogen. Zehn Tage später wird er zur Rehabilitation in
die Höhenklinik Wald transferiert. Dort besucht ihn die Heimleiterin
mehrfach. Sie versucht, A. S. klarzumachen, dass er an diesen Ereignissen
selbst Schuld sei. Indirekt rät sie ihm von rechtlichen Schritten ab und
versucht zu erwirken, dass er den Kontakt mit augenauf abbricht.
A. S. wird am Freitag, 6. September 2002, aus der Höhenklinik entlassen und
trotz den von augenauf geäusserten Bedenken wieder im Minimalzentrum Rohr
untergebracht. Am nächsten Mittwoch, dem 11. September, besuchen zwei
augenauf-Mitglieder A. S. Sein Gesundheitszustand ist sehr schlecht. Am
Mittag ist er zu einer Besprechung mit ORS-Direktor René Burkhalter
geladen. Dieser und die Zentrumsangestellten wollen ihm einreden, dass er
an dieser Geschichte die alleinige Schuld trage. Die ORS betont, dass A. S.
während des Zentrumsverbotes weiterhin Methadon erhalten habe, was A. S.
jedoch bestreitet. A. S. wird massiv unter Druck gesetzt und mit Vorwürfen
bombardiert. Auch zu diesem Zeitpunkt ist seine schlechte Verfassung kaum
ein Thema. Im Gegenteil: Es scheint den ORS-Angestellten mehr daran zu
liegen, die Geschichte unter den Teppich zu kehren als sich um A. S.'
Genesung nach der Herzoperation zu kümmern.
Direktor Burkhalter betont übrigens gegenüber augenauf die psychologische
und medizinische Kompetenz seiner Zentrumsangestellten.
Wieder Notfall
Das «fachkundige» ORS-Personal erkennt den katastrophalen
Gesundheitszustand von A. S. nicht. Aber für die Laien von augenauf ist die
akute Verschlechterung offensichtlich. Noch am gleichen Tag wird A. S. von
augenauf-Mitgliedern zu einem «Asylarzt» gebracht, der die notfallmässige
Überweisung ins Universitätsspital anordnet. Sogar nach einer Herzoperation
ist die Zentrumsleitung nicht in der Lage, den Zustand eines Schützlings zu
erkennen und ihn angemessen zu versorgen. Die Betreuung erschöpft sich im
Festhalten an einer strikten Hausordnung, die angebliche oder wirkliche
Unregelmässigkeiten sofort bestraft. Zum zweiten Mal schwebt A. S. in
Lebensgefahr. Am 13. September findet eine weitere, notfallmässige
Herzoperation statt. Danach bleibt A. S. weitere 10 Tage im
Universitätsspital. Dann wird er wieder in die Höhenklinik Wald
transferiert. Nach dem zweiten lebensgefährlichen Zwischenfall wird einigen
Beteiligten endlich der Ernst der Lage klar. Mit einigem «Gstürm» gelingt
es augenauf,
die Verlegung von A. S. in eine betreute Institution zu erzwingen.
Inzwischen hat der Rechtsvertreter von A. S. gegen die Leitung des
Minimalzentrums Rohr eine Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung,
Aussetzung, Nötigung und Verstoss gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften
zur Methadonabgabe eingereicht.
augenauf Zürich
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