Bulletin Nr. 31; Juni 2001

Walliser Sondereinheit an der Arbeit

Der zweite Tote bei der Ausschaffung

Am 1. Mai stirbt Samson Chukwu an den Folgen eines Ausschaffungsversuches im Kanton Wallis. Für seinen Tod fühlt sich niemand verantwortlich. Aus der ersten tödlichen Ausschaffung vor zwei Jahren sind keine Konsequenzen gezogen worden.

Am Morgen des 1. Mai um 2 Uhr stürmten zwei Beamte der «unité spéciale d'intervention» - für Antiterroreinsätze geschulte Beamte der Walliser Kantonspolizei - die Zelle des schlafenden Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu.
Man drehte ihm die Arme auf den Rücken und legte ihn in Handschellen. Es ist anzunehmen, dass Samson Chukwu zu diesem Zeitpunkt bäuchlings auf der Pritsche oder am Boden lag. Eine Stunde später, um 3 Uhr, stellte ein Arzt seinen Tod fest.
Am darauf folgenden Morgen informierte die Polizei die Medien, dass bei einem Ausschaffungsversuch ein 27-jähriger Afrikaner aus noch ungeklärten Gründen gestorben sei. In der Mitteilung wurde, wie bereits beim Tod des Ausschaffungsgefangenen Khaled Abuzarifa vor zwei Jahren, festgestellt, dass es sich beim Auszuschaffenden um einen Drogenhändler gehandelt habe und er sich dem ersten Ausschaffungsversuch widersetzt habe. Der Vorfall selbst wird als absolut unerklärlich dargestellt.
Später wird bekannt, dass geplant war, Samson Chukwu mit zwei weiteren Nigerianern in einem von der Kantonspolizei Zürich organisierten Ausschaffungs-Charter nach Lagos abzuschieben. Der Start der Maschine war auf 7 Uhr morgens vorgesehen. Der Gefangene habe sich beim Eindringen der Polizisten heftig gewehrt. Die Beamten mussten die Hilfe eines Wärters anfordern, bis es ihnen zu dritt gelang, den Gefangenen vom Bettpfosten wegzuzerren und auf den Boden zu legen, um ihm die Handschellen anzulegen. Plötzlich habe das Opfer aufgehört, sich zu wehren, und die Beamten hätten erfolglos versucht, es anzusprechen. Daraufhin hätten sie Chukwu in die Seitenlage gebracht und versucht, ihn durch künstliche Beatmung und Herzmassage zu retten. Gleichzeitig holte der Wärter eine Ambulanz. Sämtliche Wiederbelebungsversuche der Polizisten wie auch der kurz darauf eintreffenden Sanität seien erfolglos verlaufen.
 
Widersprüche und Unwahrheiten
Erneut wird ein Opfer, das in der Obhut der Polizei gestorben ist, reflexartig als Drogenhändler und gewalttätig dargestellt. Das laufende Verfahren gegen Chukwu wegen eines Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz ist zurzeit in zweiter Instanz in Revision, es gibt also noch kein rechtskräftiges Urteil. Der Anwalt des Verstorbenen ist sich ziemlich sicher, dass er einen Freispruch hätte erwirken können. Die angedeutete Verhinderung des ersten Ausschaffungsversuches bestand darin, dass Chukwu auf Frage des Piloten der Linienmaschine geantwortet hat, er wolle nicht nach Afrika zurückfliegen. Darauf hat sich der Pilot geweigert, ihn als Passagier mitzunehmen. Weshalb Samson Chukwu starb, während er von den Polizisten und dem Wärter überwältigt wurde, bleibt bis heute unklar. Aus der Literatur ist bekannt, dass es bei Verhaftungen und bei der Überwältigung von Personen durch die Polizei zu Todesfällen kommen kann, wenn die körperlich und psychisch stark erregten Personen in Bauchlage mit hinter dem Rücken gefesselten Armen festgehalten werden.
Dieser Tod ist in Polizei- und Ärztekreisen unter dem Titel «positional asphyxia» oder «plötzlicher Gewahrsamstod» bekannt. Im Zusammenhang mit dem Tod von Khaled Abuzarifa wurde dieses Problem öffentlich diskutiert. Der Autopsiebericht von Professor Bär hält fest, dass beim Tod von Khaled Abuzarifa wegen der bei ihm angewandten Fesselung «auch Phänomene, wie sie bei der sog. 'positional asphyxia' beschrieben werden, mitgespielt haben».
 
Keine Reaktion der eidgenössichen SchreibtischtäterInnen
Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) zeigt sich über die Frage erstaunt, ob der Tod von Samson Chukwu zu einer Änderung der Praxis oder zumindest zu einem Traktandum bei den Koordinationssitzungen führe. Es ist nichts Derartiges geplant. Da die Durchführung der Ausschaffungen bei den Kantonen liegt, fühlt sich das BFF vom erneuten Todesfall nicht betroffen.
Nach dem Tod von Khaled Abuzarifa versuchte Jean-Daniel Gerber, der Direktor des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF), an einer Konferenz der Kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnen (KKJPD) noch zu erreichen, dass eine einheitliche Regelung der bei Zwangsausschaffungen eingesetzten Methoden geschaffen wird. Die kantonalen Stellen wollten sich aber bei 'ihrer' Methodenwahl nicht dreinreden lassen. Seither wird das Thema in verschiedenen hoch dotierten Arbeitsgruppen gewälzt. Gemäss der Wochenzeitung «Vorwärts» wird auf Herbst 2002 ein Resultat der Arbeitsgruppen erwartet. Der Sekretär des KKJPD ist zwar auch der Meinung, dass Ausschaffungsversuche mit Todesfolgen «nicht hätten passieren dürfen», dass Samson Chukwu aber gestorben sei, weil diese Konferenz nach dem ersten Ausschaffungstoten nicht entsprechend reagiert habe, weist er als polemische Interpretation zurück.Bei Kantonen und dem Bund wird die Verantwortung für die Todesfälle weiterhin umhergeschoben, ohne dass sich irgendjemand dafür zuständig erklären würde. Auch die KKJPD hat den Tod des Afrikaners nicht auf die Traktandenliste gesetzt, und somit werden alle stur so weitermachen wie bisher, in der Gewissheit, dass sie alle ja nur ihren Auftrag erfüllen.
 
 
Tag der geschlossenen Tür beim Bundesamt für Flüchtlingswesen
Am 5. Mai veranstaltete das Bundesamt für Flüchtlingswesen (BFF) in Bern-Wabern einen «Tag der offenen Tür», der sich innerhalb von kürzester Zeit in einen Tag der geschlossenen Tür verwandelte. Rund 50 Menschenrechts-AktivistInnen wollten teilnehmen, wurden aber nicht eingelassen. Mit einem Theater sollte den BesucherInnen vorgeführt werden, wie eine Level-3-Ausschaffung abläuft und wie dabei die Auszuschaffenden verpackt und verschnürt werden. Die Aktion stand für den Protest gegen die Tötung von Samson Chukwu durch Walliser Polizisten.
Das BFF seinererseits bot dem Publikum einen Parcours an mit verschiedenen Posten, die den Ablauf eines Asylverfahrens darstellen sollten und Titel wie «das unbekannte Herkunftsland» oder «unfreiwillige Rückkehr» trugen.
Die AktivistInnen wurden durch Bewachungspersonal der Securitas sowie durch interne Sicherheitsleute am Eintritt ins BFF gehindert. So entschied sich die Gruppe, vor dem Gebäude zu protestieren. Es wurden Transparente aufgehängt und Flugblätter verteilt. Die offene Tür geschlossen hat das BFF selbst, indem niemand mehr eingelassen wurde, weil das Sicherheitspersonal nicht mehr habe unterscheiden können, wer DemonstrantIn und wer BesucherIn war.
Um 14 Uhr machten die AktivistInnen das Angebot, abzuziehen, wenn ihre Flugblätter mit den Forderungen sowie Fotografien von Samson Chukwu an der Innenseite des Haupteingangs angebracht würden. Das BFF ging auf diesen Vorschlag ein.


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