Bulletin Nr. 30; März 2001

«Vorsorgliche Wegweisung» - verantwortungslos

Wie sich die Schweiz Asylsuchende vom Leibe hält

Fast zwei Monate verbrachte der Tunesier R. D. in den Flughafen-Transiträumen von Kloten und Sofia. Immer drohte die Rückschaffung in sein Heimatland, wo Folter und eine langjährige Gefängnisstrafe auf ihn warten. Nur mit der Hilfe von Menschenrechtsorganisationen kann R. D. jetzt in der Schweiz auf die Behandlung seines Asylgesuches warten.
Der Tunesier R. D. fliegt am 26. September 2000 nach Zürich, weil er in der Schweiz ein Asylgesuch stellen will. In Tunesien ist er als Regimegegner in Abwesenheit zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er ist Mitglied der «Enahda», einer in Tunesien verbotenen Partei. R. D. wird von einem Kollegen begleitet, ebenfalls Flüchtling. Im Transitraum des Flughafens Kloten ist den beiden Männern plötzlich unwohl; überall stehen Polizisten mit Maschinenpistolen. Sie beschliessen deshalb, nach Bulgarien weiterzureisen, denn ihr Flugbillet ist bis nach Sofia ausgestellt.
Die beiden Männer bleiben nur 14 Tage in Sofia; sie merken, dass dort die Chancen auf Asyl sehr gering sind. Sie wollen jetzt doch in der Schweiz ihren Antrag stellen. Ausserdem geht es dem Kollegen von R. D. gesundheitlich sehr schlecht. Nach der Ankunft in Zürich muss er deshalb sofort in Spitalpflege verbracht werden. Sein Asylgesuch wird von den Behörden entgegengenommen.
 
Vom Transit in Zürich in die Psychiatrie ...
Anders verhält es sich bei R. D.: Für ihn beginnt mit der Ankunft in Kloten vom 10. Oktober 2000 ein neuerliches Horrorszenario. Mit Hilfe von augenauf stellt er ein Asylgesuch, muss jedoch im Transitbereich des Flughafens bleiben. Nach einer Befragung durch das BFF wird am 18. Oktober entschieden, dass er vorsorglich nach Bulgarien weggewiesen wird. Via augenauf wird am 20. Oktober gegen den Entscheid rekurriert und ein Gesuch für aufschiebende Wirkung gestellt; die Asylrekurskommission (ARK) lehnt das noch am gleichen Tag ab. Am 22. wird R. D. ins Flugzeug verbracht. Er hat grosse Angst und gerät in Panik. Die Polizei schlägt ihn. Die Ausschaffung muss abgebrochen werden. R. D. ist nicht mehr flugtauglich.
In Zürich wird er in eine psychiatrische Klinik gebracht. Dort bleibt er fünf Tage. augenauf versucht in dieser Zeit mit juristischen Mitteln, die drohende Ausschaffung von R. D. zu verhindern - erfolglos. Die Polizei holt ihn am 27. Oktober aus der psychiatrischen Klinik ab und verfrachtet ihn direkt ins Flugzeug nach Sofia. Der Tunesier wird, da er keine gültigen Papiere auf sich hat, von der Flughafenpolizei mit einem Reisedokument ausgestattet. In diesem Dokument ist nicht vermerkt, dass er hier in der Schweiz um Asyl nachgesucht hat.
 
... von der Psychiatrie in den Transit von Sofia
In Sofia angekommen, verbleibt R. D. wieder im Transitgebäude des Flughafens. Anders als in Zürich gibt es dort jedoch überhaupt keine Infrastruktur für Asylsuchende. Ein augenauf-Mitglied schickt ihm Geld, damit er sich verpflegen kann. Ausserdem werden das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und das Bulgarische Helsinki-Komitee eingeschaltet, welche sich um R. D. kümmern. Nur dank diesen Organisationen kann in den ersten Stunden seines Sofia-Aufenthalts eine Rückschaffung nach Tunesien gerade noch verhindert werden.
R. D. bleibt mehr als einen Monat im Transitbereich des Flughafens Sofia. Schliesslich entscheiden die bulgarischen Behörden, dass sie ihn nicht einreisen lassen. Am 1. Dezember wird er zurück nach Zürich geflogen. Auch hier sitzt er wieder im Transitbereich fest. Die Asylrekurskommission lehnt zur gleichen Zeit, als er am Flughafen Kloten ankommt, seine Beschwerde vom 20. Oktober gegen die Rückschaffung nach Bulgarien ab. Plötzlich will niemand mehr für R. D. zuständig sein. Die Gefahr droht, dass er erneut nach Bulgarien abgeschoben wird. Die Konsequenz wäre: R. D. würde von den bulgarischen Behörden sofort nach Tunesien abgeschoben.
Am 4. Dezember schliesslich kommt die Entwarnung. Das BFF erteilt für R. D. eine Einreisebewilligung. Fast zwei Monate Transit in Sofia und Kloten, dazwischen ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klink, liegen hinter ihm. Jetzt beginnt das normale Asylverfahren in der Schweiz.
augenauf Zürich

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