Bulletin Nr. 27; März 2000
Die Leiterin der Asylunterkünfte Dornach (SO) tritt zurück
Chronik eines lange überfälligen Rücktritts
Jahrelang haben die Auseinandersetzungen zwischen der Leiterin der
Asylunterkünfte Dornach, Corrie Kaltschmied, und den Bewohnern der
Asylheime gedauert. Nun sind sie endlich vorbei. Corrie Kaltschmied hat
demissioniert. Aktionen und Pressearbeit von augenauf und den betroffenen
Flüchtlingen haben zu Aufruhr in der kleinen, reichen Solothurner Gemeinde
geführt, in der Flüchtlinge im Container gehalten werden und in der soeben
der Steuersatz gesenkt wurde.
30. November 1999: augenauf Basel nimmt die Filmpremiere des von der
Gemeinde Dornach finanzierten Films «Leben in Dornach» zum Anlass, um die
Dornacher Bevölkerung über die Schattenseiten des Lebens in Dornach
aufzuklären. Die Flüchtlinge, die in den Asylunterkünften in Dornach leben,
beklagen sich, unwürdiger als Tiere gehalten zu werden. Deshalb verteilt
augenauf ein Flugblatt und informiert die regionale Presse. Auszug aus dem
Flugblatt:
«Seit Jahren ist das Leben in den Asylunterkünften im Dorf von einer
feindlichen, rassistischen und diskriminierenden Atmosphäre geprägt. Der
Alltag wird durch die Leiterin, Frau Kaltschmied, dominiert. Alle
zuständigen Stellen und Gremien in Dornach wissen dies. Die Caritas hat aus
diesem Grund schon vor Monaten angeboten, die Leitung der Unterkünfte zu
übernehmen. Die beiden Pfarrämter wurden bei der Gemeinde vorstellig, weil
sie mit immer wiederkehrenden Klagen der HeimbewohnerInnen konfrontiert
wurden.»
Was sind die konkreten Vorwürfe?
- Corrie Kaltschmied verweigert dringend notwendige Arztbesuche von
Flüchtlingen und verteilt stattdessen willkürlich rezeptpflichtige
Medikamente an die Kranken.
- Sie führt zu jeder Tages- und Nachtzeit Anwesenheitskontrollen
durch. Es ist keine Seltenheit, dass sie morgens um 2 Uhr in den Zimmern
erscheint und den Leuten die Bettdecke wegzieht. Trifft sie jemanden nicht
an, wird das Bettzeug beschlagnahmt, und die Leute müssen die nächste Zeit
ohne zurechtkommen.
- Wer bei der Taschengeldausgabe nicht anwesend ist (auch bei
regulärer Abmeldung), erhält nichts.
- Kommt Corrie Kaltschmied zu dem Schluss, dass jemand seine
Putzpflichten vernachlässigt, greift sie zur Kollektivstrafe für die ganze
Gruppe und kürzt das karge Taschengeld aller.
- Sie ignoriert das Postgeheimnis und öffnet Briefe an die
BewohnerInnen - sowohl solche von offiziellen Behörden als auch
Privatkorrespondenz.
Zudem sind die baulichen Gegebenheiten und die Ausstattung im Container, in
dem die meisten Flüchtlinge leben, katastrophal. Die Heizungen heizen nur
teilweise, beim Kochherd funktionieren nicht alle Kochplatten, der Abzug
hat den Geist schon lange aufgegeben, und zusätzlich wimmelt es von
Kakerlaken. Von den etwa 20 Neonröhren im Gemeinschaftsraum funktioniert
noch genau eine, und hineineinregnen tut’s auch.
augenauf fordert im Flugblatt:
- die sofortige Suspendierung der Heimleiterin
- eine Untersuchung der Vorfälle und
- die Offenlegung der Buchhaltung.
Presse und Gemeinde reagieren
«Vorwürfe zwingen Dornach zum Handeln», «Leiterin im Schussfeld der Kritik»
titeln die Blätter der Region und berichten über die Aktion von augenauf.
Aufgrund des Drucks sieht sich der Gemeindepräsident von Dornach, Hans
Walter (FDP), gezwungen, eine Untersuchung einzuleiten. Er gibt sich empört
und redet von einem Schreiben einer anonymen Gruppe (das Flugblatt ist mit
augenauf, Postfach und Telefonnummer unterschrieben). Der Presse gegenüber
bestreitet er, schon früher von den Problemen gehört zu haben - wobei er
nachweislich lügt. Er sagt einzig, dass die Leiterin «bei der Durchsetzung
der Hausordnung eher ein Feldweibel als eine Soldatenmutter» sei. Dass er
die Leiterin jahrelang gedeckt hat, obwohl er von verschiedenen Seiten
mehrfach auf die Schwierigkeiten hingewiesen wurde, verschweigt er.
4. Januar 2000: Die Untersuchung ist abgeschlossen. Der Kanton Solothurn
hat die Buchhaltung der Unterkünfte überprüft - die anderen Vorwürfe sind
von der Gemeinde selbst untersucht worden. Zwei Flüchtlinge und die
Betreuerin sind von der Asylberwerberkommission und Gemeindeangestellten
befragt worden. Das Resultat erstaunt nicht weiter: Einzig im Bereich, den
der Kanton untersucht hat, wird festgestellt «dass das Asylabrechnungswesen
fehlerhaft und lückenhaft umgesetzt» worden sei. Die Gemeinde stellt fest,
«dass die Vorwürfe an die weiterhin das volle Vertrauen der
Gemeinderatskommission geniessende Asylbewerberbetreuerin, soweit sie sich
auf strafrechtlich relevante Sachverhalte beziehen, nicht zutreffen», dass
jedoch die «bauliche und ausstattungsmässige Situation in der Unterkunft
mangelhaft ist».
Jubel unter den Flüchtlingen
Aber: Corrie Kaltschmied verlässt per 31. Januar 2000 - «unter bester
Verdankung der geleisteten Dienste» - die Asylunterkünfte.
Die Gemeinde erachtet es nicht für nötig, die Bewohner der Unterkünfte zu
informieren. augenauf besucht die Flüchtlinge am Mittag desselben Tages und
teilt ihnen mit, dass die verhasste Leiterin per Ende Monat ihren Job los
ist. Jubel bricht aus. Ein Sieg, an den kaum jemand der Bewohner mehr
geglaubt hatte - die Frau muss ihren Posten räumen.
Es dauert auch nur wenige Tage, bis die ersten Handwerker im Container
auftauchen, das defekte Dach reparieren, gross angelegte
Desinfektionsmassnahmen einleiten, Lampen flicken und ersetzen.
Gleichzeitig wird das Baugesuch für einen Neubau vorangetrieben.
Auszahlungen werden neuerdings pünktlich und mit zwei anwesenden
AuszahlerInnen vorgenommen - Auszahlungen durch eine einzelne Person sind
streng verboten. Klappt es einmal nicht, genügt ein Telefonanruf an die
Gemeinde, und die Auszahlung wird korrekt vorgenommen.
augenauf Basel freut sich natürlich auch über den Rücktritt und die
eingeleiteten Massnahmen. Doch in der Stellungnahme stellen wir auch fest
(Auszug): «Wenn die Untersuchungskommission von einer fehlerhaft geführten
und lückenhaft umgesetzten Buchhaltung schreibt und wenn ab sofort ein
Revisor zugezogen wird, sieht sich augenauf in seinen Vorwürfen dort
bestätigt, wo es schriftliche Beweise gibt. Dies ist im Bereich der
schikanösen Kontrollen und der Medikamentenabgabe nicht möglich - dort
steht immer Aussage gegen Aussage. Offensichtlich werden die Aussagen der
Leiterin stärker gewichtet als diejenigen der betroffenen Flüchtlinge.
augenauf Basel kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gemeinde
das Problem mit der Leiterin der Unterkünfte lösen wollte, ohne gegen diese
Stellung zu beziehen, weil die Gemeinde sich damit selbst disqualifiziert
hätte. Die Vorfälle in Dornach sind seit Jahren bekannt - nicht zuletzt
deshalb wurde eine Asylbewerberkommission ins Leben gerufen, die ihrerseits
jedoch auch untätig blieb. Dadurch, dass die Gemeinde der Leiterin der
Unterkünfte nahelegte zu kündigen und ihr eine schöne Abfindungssumme
zusprach, ist sie den Weg des geringsten Widerstandes gegangen.»
Kopfprämien für die Lagerverwalterin
Corrie Kaltschmied, die eine 50-Prozent-Stelle in Dornach innegehabt hat,
wird der Abgang mit 8000 Franken vergoldet. Diejenige Frau, welche die
Flüchtlinge über Jahre schikanierte und ihnen Geld vorenthielt, wird
belohnt, die Bewohner kriegen weiterhin ihr karges Tagesgeld von 13.10
Franken.
Kaltschmieds Abgang ändert auf jeden Fall einiges im Alltag der
Flüchtlinge. Doch am System, wie es in Dornach gehandhabt wird, ändert sich
wenig:
Kaltschmieds Gehalt hat sich aus einem Grundlohn zusammengesetzt, der mit
einer Prämie für jeden im Heim lebenden Flüchtling ergänzt worden ist. Im
Klartext: Je mehr Flüchtlinge, desto höher der Lohn; Kopfprämien wird
dieses System genannt. Bis anhin steht eine Änderung der
Gehaltszusammensetzung nicht zur Diskussion.
Die Asylbewerberkommission, die 1998 gegründet worden ist, wird zwar von
drei auf fünf Personen aufgestockt. Die Gemeinderatsversammlung, an der
dies beschlossen wurde, lässt für viel Hoffnung allerdings keinen Raum. Das
Traktandum ist innerhalb weniger Minuten abgehandelt worden - Wortmeldungen
grundsätzlicher Art hat es keine gegeben.
Im Kanton Solothurn bleibt das unbeschränkte Arbeitsverbot für Flüchtlinge
weiterhin bestehen – eine noch restriktivere Haltung als in den
allermeisten anderen Schweizer Kantonen.
Widerstand macht sich bezahlt
Der Gemeinde Dornach hat bei der Bewältigung des «Skandals Kaltschmied» die
Möglichkeit nicht ergriffen, ihren Umgang mit den Flüchtlingen in der
Gemeinde zu ändern. Gemeindepräsident Walter ist vor allem daran gelegen,
möglichst schnell wieder aus den Schlagzeilen zu verschwinden und die ganze
Sache vergessen zu können. Kann er auch, tritt er doch per Ende März selbst
zurück.
Doch trotz alledem: Die Aktion in Dornach hat gezeigt: Widerstand lohnt
sich. Mit beharrlichem Insistieren und öffentlichen Aktionen lässt sich
etwas erreichen. augenauf bleibt dran.
augenauf Basel
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