Bulletin Nr. 17; Mai 1997

Papierlose Ex-Häftlinge: Leben im Niemandsland

6000 mal pro Jahr wird im Kanton Zürich die Ausschaffungshaft verfügt. Viele dieser von den Zwangsmassnahmen Betroffenen werden vor Ablauf der Maximaldauer wieder aus der Haft entlassen, weil die Papierbeschaffung erfolglos verlief oder die Zwangsdeportation nicht geglückt ist. Menschen unter uns, über die der Staat dicke Dossiers führt, die in Fahndungscomputern ausgeschrieben und von der Fremdenpolizei peinlichst verfolgt werden, deren Existenz dieser Staat aber gleichzeitig nicht anerkennt, weil er sich weigert, ihnen Papiere und einen Aufenthaltsstatus zuzuerkennen.
Was passiert, wenn ein Häftling aus dem Ausschaffungsgefängnis in Kloten entlassen werden muss? Man stellt ihn in der Regel auf dem Bahnhof des Flughafen Klotens ab, gibt ihm den nach Abzug der Spesen verbleibenden Rest des Lohnes für die im Knast geleistete Arbeit in die Hand, und befiehlt ihm, das Land auf eigene Faust zu verlassen. Obwohl die Bürokraten nicht in der Lage waren, die Ausschaffung während den mehrmonatigen Gefängnisaufenthalten zu organisieren, wird das Ziel des staatlichen Handelns – die Vertreibung der betroffenen Personen aus der Schweiz – nicht aufgegeben. Und diesem Ziel werden sämtliche behördliche Handlungen untergeordnet, die nach der Entlassung aus der Ausschaffungshaft folgen.
Eigentlich müssten die Ex-Häftlinge bei ihrer Entlassung mindestens mit einer Haftentlassungsverfügung ausgestattet werden. Diese Haftentlassungsverfügung enthält in der Regel auch eine Vorladung der Fremdenpolizei. Nach einem Monat verlangt diese den Nachweis der seit der Haftentlassung getätigten Ausreisebemühungen. Uns sind jedoch diverse Fälle bekannt, in denen diese Haftentlassungsverfügungen nicht oder nur unvollständig ausgehändigt wurden. Dies hat Konsquenzen: Die Verfügung ist das einzige Dokument, das die Häftlinge vorweisen können. Es wäre der Beweis dafür, dass die betroffene Person nicht ausgeschafft werden kann. Fehlt diese Verfügung, so ist auch dieser Nachweis nicht möglich.
Eine Haftentlassungsverfügung schützt allerdings nicht vor Verhaftungen. Eine Mehrheit der entlassenen Ausschaffungshäftlinge sind im kriminalpolizeilichen Fahndungscomputer RIPOL wegen einer Wegweisung oder einer Einreisesperre zur Verhaftung ausgeschrieben. Es gibt keine gesicherten Informationen, wann die Fremdenpolizei dieses Ausschreibungen beantragt. Es gibt jedoch Hinweise, dass dies in der Regel dann erfolgt, wenn ein Ausschaffungsversuch unmittelbar bevorsteht. Verläuft dieser nicht nach Wunsch der Frepo, so wird die Ripol-Ausschreibung nicht etwa gelöscht. VertreterInnen von «augenauf» haben nach Verhaftungen entlassener Ausschaffungshäftlinge mehrmals bei den zuständigen Ausschaffungsbeamten nachgefragt, warum die Betroffenen immer noch zur Fahndung ausgeschrieben seien. Die Beamten antworteten darauf, dass eine Löschung des Ripol-Eintrages nicht in der Kompetenz von Zürich liege, zu «kompliziert», zu «zeitaufwendig» oder schlicht «nicht möglich» sei.
 
Rechtswidrig im Ripol ausgeschrieben
Das waren glatte Lügen. Tatsache ist nämlich, dass das Bundesamt für Ausländerfragen BFA und das Bundesamt für Polizeiwesen BAP bereits am 10. Juli 1996 diese Frage in einer «Weisung über die Ausschreibung von Fernhaltemassnahmen im Ripol bei Personen, deren Ausreise vorübergehend blockiert ist», geregelt haben. Gemäss dieser Weisung haben die kantonalen Fremdenpolizeistellen den Auftrag, den Bund sofort zu informieren, wenn ein im Ripol ausgeschriebener Ausländer nicht ausgeschafft werden kann. Der Datensatz des Betroffenen wird in diesem Fall mit dem Hinweis ergänzt, dass die «Ausschaffung zur Zeit nicht möglich» sei. Damit soll gemäss Weisung verhindert werden, dass die Betroffenen «unnötigerweise hinsichtlich ihrer Anwesenheitsberechtigung überprüft oder gar festgehalten» werden.
augenauf hat die Justizdirektion und die Polizeidirektion im April nochmals auf diese Weisung hingewiesen und verlangt, dass bei der Entlassung aus der Ausschaffungshaft die entsprechende Mitteilung an das BAP erfolgt. Allerdings schützt die von Bern angeordnete Ergänzung der Datensätze die betroffenen Ausländer nicht vor willkürlichen Verhaftungen. Einerseits sind die Ripol-Einträge mit dem Zusatz «Ausschaffung zur Zeit nicht möglich» für die verhaftenden Polizeibeamten widersprüchlich. Andererseits werden mit diesen Einträgen die Betroffenen speziell markiert und als renitente Illegale deklariert. Und das kann erhebliche Folgen haben, wie die permanenten Übergriffe der Polizei gegen entlassene Ausschaffungshäftlinge zeigen.
Deshalb sagt selbst der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte, dass diese Ripol-Praxis der Behörden gegen geltendes Recht verstosse. Die entsprechende Weisung des BAP und des BFA verstosse gegen das Datenschutzgesetz, erklärte er der Wochenzeitung Vorwärts. Wir zitieren aus dem Schreiben des Datenschutzbeauftragten: «Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es unzulässig, über Personen, die nicht ausgeschafft werden dürfen, im Fahndungsregister RIPOL Vermerke zu führen, welche auf eine Pflicht zur Ausschaffung bzw. zur Vornahme vorbereitender Handlungen hindeuten. Die fraglichen Datensätze sind zu löschen bzw. für die Zeit, in denen sie nicht zutreffen, zu unterdrücken.»
 
Papierfragen
Die Löschung der Ripol-Ausschreibung löst allerdings das Papierproblem noch nicht. Im Prinzip hätten Ausschaffungshäftlinge in aller Regel Anspruch auf eine vorläufige Aufnahme, eine sogenannte F-Bewilligung. Gemäss einem Grundsatzentscheid der Asylrekurskommission vom 27. Juni 1995 muss eine vorläufige Aufnahme spätestens zwölf Monate nach dem angeordneten Wegweisungstermin erfolgen, wenn der betroffene Ausländer die Schweiz nicht legal verlassen kann. Bei entlassenen Ausschaffungshäftlingen ist diese 12-Monatsfrist in der Regel abgelaufen, sodass eine vorläufige Aufnahme angeordnet, entsprechende Papiere ausgestellt und die Möglichkeit zu einer legalen Arbeit geschaffen werden müsste. In Besitz von F-Bewilligungen kommen aber nur die wenigsten Ex-Häftlinge. Der Weg zu einer solchen Bewilligung ist entsprechend beschwerlich. Bedingung ist erstens, dass der Ausländer einen Rechtsbeistand findet, der den nötigen Antrag an die Fremdenpolizei stellt. Bedingung ist zweitens, dass die Fremdenpolizei auch bereit ist, ein Gesuch für die vorläufige Aufnahme an das Bundesamt für Flüchtlinge zu stellen. Das BFF schliesslich hält sich schlicht nicht an den erwähnten Grundsatzentscheid der Asylrekurskommission. Bei der Erteilung von F-Bewilligungen herrscht reine Willkür.
Um das Papierproblem zu lösen, stellt der Kanton Zürich einzelnen Personen, die einmal ein Asylgesuch gestellt haben, einen Asylbewerberausweis (N-Ausweis) aus, der einen Monat gültig ist. Diese Massnahme ist mit dem BFF abgesprochen, das diese einmonatigen N-Ausweise als Verlängerung der Ausreisefrist interpretiert. Eine rechtliche Grundlage hat diese Praxis selbstverständlich nicht. Sie ist vielmehr ein Mittel, die Ausweisfrage auf die billigste Tour zu regeln. Faktisch wird damit ein neuer Sonderstatus geschaffen, der die Betroffenen zusätzlich drangsaliert. Sie unterstehen insbesondere einer monatlichen Meldepflicht und einem generellen Arbeitsverbot.
Wie man mit der Papierfrage auch umgehen könnte, zeigt der Kanton Zug. Dort werden F-Bewilligungen standardmässig beantragt. Weil diese Anträge vom BFF trölerisch behandelt werden, erhalten die betroffenen Personen zudem einen kantonalen Ausweis, der sechs Monate gültig ist und festhält, dass ein Antrag auf vorläufige Aufnahme hängig ist.
 
Geld und Wohnung: das Straflager
Unabhängig von der Papierfrage haben entlassene Ausschaffungshäftlinge das Recht auf eine finanzielle Überlebenshilfe. Für diese Hilfe zuständig ist entweder die Fürsorge der Wohnsitzgemeinde (für Ausländer, die noch nie ein Asylgesuch gestellt haben), oder die Asylorganisation in Vertretung des BFF (für Personen, die einst oder jetzt eine N-Bewilligung haben). Wenn sich die Betroffenen dazu entscheiden, eine solche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, werden sie entweder zur kantonalen Asylorganisation (AO) an der Limmatstrasse in Zürich oder zur Zentralen Abklärungs- und Vermittlungsstelle (ZAV) des Sozialdepartements der Stadt Zürich geschickt. Sowohl ZAV wie AO platzieren die Leute in der Regel im Rohr, einem «Durchgangszentrum mit besonderen Aufgaben». «Rohr» ist eine Barackensiedlung, die neckischerweise unmittelbar vor dem Ausschaffungsgefängnis steht. Das Flüchtlingslager ist ein Sanktionsinstrument der Asylorganisation, in das Asylbewerber geschickt werden, wenn sie sich gegen das Regime der Flüchtlingsheime auflehnen. Gleichzeitig ist «Rohr» die mit Abstand billigste Unterkunft, weil weder Animation noch Deutschkurse angeboten werden. Neben dem Sackgeld von 3 Franken erhalten die Ausländer dort in einem Kiosk Lebensmittel im Wert von 10 Franken pro Tag. Im «Rohr» habe die entlassenen Ausschaffungshäftlinge auch ein Postadresse, was als Schutz vor weiteren Repressalien der Polizei von Bedeutung sein kann.
AO und ZAV haben jedoch keine rechtliche Handhabe, mit der sie die ehemaligen Ausschaffungshäftlinge dazu zwingen können, im Straflager der Asylorganisation beim Flughafen Kloten wohnhaft zu sein. Es ist ein offenes Geheimnis, dass man mit dieser Platzierung die Leute so unter Druck setzen will, dass sie sich über kurz oder lang wieder in den informellen Sektor zurückziehen.
In Einzelfällen ist es ehemaligen Ausschaffungshäftlingen zusammen mit Rechtsbeiständen schon gelungen, sich eine eigene Unterkunft zu organisieren. Diese darf allerdings nicht mehr als 460 Franken im Monat kosten. Das ist der Maximalbetrag, den die AO für Unterkunft zu zahlen bereit ist. Zusätzlich erhalten sie als Bargeld ausgehändigt: 3 Franken Sackgeld pro Tag, 10 Franken für Lebensmittel und 30 Franken für Kleider und Schuhe pro Monat. Das sind insgesamt 420 Franken im Monat. Zusätzlich übernimmt die AO die Kosten der Krankenkasse.
Wollen die ehemaligen Ausschaffungshäftlinge das ihnen zustehende Unterstützungsgeld ausserhalb des Zentrums «Rohr» abholen, so stossen sie auf ein neues Problem. Abgewickelt werden diese Zahlungen nämlich von der Zürcher Stadtverwaltung. Vom Sozialamt bekommen die Leute einen Cheque, der gleichentags in der nächsten Kantonalbankfiliale eingelöst werden muss. Doch die Bank zahlt nur an Personen aus, die einen Ausweis vorlegen können. Deshalb schickt die Asylorganisation die bei ihr vorsprechenden Ausländer, die kein Papier auf sich tragen, sofort wieder zur Fremdenpolizei. Ob man dort zu Papieren kommt, ist wiederum ein reines Glücksspiel. Gleichzeitig droht bei diesen Besuchen auf der Fremdenpolizei auch wieder staatliche Willkür. Uns ist ein Fall bekannt, in dem ein ehemaliger Ausschaffungshäftling von einem solchen Termin bei der Frepo weg verhaftet, in Haft gesetzt und kurz darauf deportiert worden ist.
Angesichts dieser Repressions- und Schikanierungspolitik ist es verständlich, dass die Zahl der entlassenen Ausschaffungshäftlinge, die sich weiterhin mit den Schweizer Behörden einlassen, sehr klein ist. Die Alternative ist der «informelle Sektor», in dem sich der Grossteil der «sans papier» aufhalten.

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