Bulletin Nr. 17; Mai 1997

Presseerklärung

Stellungnahme von augenauf zu den Vorgängen rund um die Selbstverstümmelung von zwei algerischen Männern in Ausschaffungshaft

An einer Pressekonferenz haben wir am vorletzten Mittwoch (16.4.97) über die Selbstverstümmelung und einen Selbstmordversuch von zwei algerischen Ausschaffungsgefangenen berichtet. Insbesondere stellten wir fest, dass die Skrupellosigkeit von Ausschaffungsbeamten ein solches Ausmass angenommen hat, dass sogar die Gefängnisdirektorin des Ausschaffungsgefängnisses Kloten sich verpflichtet fühlte, einzugreifen. Oder wie anders ist es zu erklären, dass sie einem ihrer bekanntermassen schärfsten Kritiker während einer Krisensituation Zutritt zur Arrestzelle («Bunker») ihres Gefängnisses gewährt und ihn mehrfach vor ZeugInnen auffordert, an die Öffentlichkeit zu gelangen?
Angesichts dieser Differenzen innerhalb der Behörden ist an einer dringlichen Sitzung von Justizdirektion und Fremdenpolizei beschlossen worden, der Kantonspolizei die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Transport- und damit Ausschaffungsfähigkeit von Gefangenen zu übertragen. Nach den Vorfällen, die wir als Augenzeugen im Gefängnis Kloten erlebt haben, können wir dazu nur noch feststellen, dass die Zürcher Justiz- und Polizeibehörden einmal mehr den Bock zum Gärtner bestellen.
Die am 10.4.97 misslungene Ausschaffung von K.B. wirft ein grelles Licht auf die übliche Ausschaffungspraxis der Fremden- und Kantonspolizei. Je nachdem, wie stark der Auszuschaffende sich wehrt, werden die Mittel gröber. Dazu gehören: Mit Hunden aus der Zelle jagen (v.a. bei Schwarzafrikanern), Verabreichen von Betäubungs- oder Beruhigungsmittel (einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist der Fall eines Somaliers im August 96), Fesseln mit Klebband und ähnliche Methoden. Der krasseste Fall einer zwangsweisen Ausschaffung ist uns mehrfach von ehemaligen Gefangenen zugetragen worden: ein Gefangener sei in seiner Zelle von mehreren Beamten überwältigt, in einen Stoffsack gesteckt und ins Flugzeug verfrachtet worden. Wer sich wie K.B. mit massiver Selbstzerstümmelung wehrt, wird notdürftig verarztet, aber noch schwer verletzt mit dem Psychopharmaka Nozinan vollgepumpt und als transportfähig bezeichnet.
Die Übereinkunft von Frepo und Justizdirektion vom 16.4. entspricht einem Freipass für die Kantonspolizei. Gefängnisdirektorin Ludwig kann ihre Hände in Zukunft in Unschuld waschen. Dies erscheint uns besonders zynisch, hat Frau Ludwig doch anlässlich des Besuches bei K.B. den beiden RechtsvertreterInnen unmissverständlich gesagt, dass «sie nicht wisse, was während der polizeilichen Einvernahme am selben Morgen mit ihm geschehen sei, sehr wahrscheinlich sei er dort beschimpft worden, mit ‘Arschloch’ oder so. Jedesmal wenn K.B. Kantonspolizisten sehe, bekäme er gleich einen Schub».
Auch die Geschichte von H.B., der vor seiner Ausschaffung in der Verzweiflung eine Rasierklinge geschluckt und sich die Arme verschnitten hat, ist bezeichnend. Frau Ludwig hat nämlich bereits in den Tagen zuvor sowohl ihm als auch K.B. versprochen, dass ihnen solange sie bei ihr im Gefängnis seien, nichts geschehen werde, dass sie aber nicht garantieren könne, dass das auch für den Moment gelte, in dem die Kapo die Verantwortung übernehme. Damit meinte sie ausdrücklich, dass sie alles daran setze, dass sie im Gefängnis nicht geschlagen würden, dass es aber bei der Kantonspolizei sehr wohl möglich sei.
Angesichts der heutigen Debatte über die Praktiken der Schweizer Behörden gegenüber Flüchtlingen während des Krieges bis 45 ist es dringend angebracht, die heutige Haltung der Schweiz gegenüber Flüchtlingen und ImmigrantInnen kritisch unter die Lupe zu nehmen. Insbesondere sind die rücksichtslosen Methoden der mit der Ausschaffung betrauten Kantonspolizisten zu unterbinden, anstatt sie mit noch mehr Entscheidungsbefugnissen auszustatten.
Zürich, 24. April

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