Bulletin Nr. 17; Mai 1997
Besuch im Bunker: Bericht über ein Ausschaffungsverfahren
augenauf hat an einer Pressekonferenz am 16. April die Versuche der
Zürcher Behörden dokumentiert, K. B. auszuschaffen. Der Fall wurde in den
Medien zwar aufgegriffen. Die Lage des betroffenen Algeriers ist jedoch nur
am Rande wiedergegeben worden. Wir dokumentieren deshalb den Bericht, den
das in Kontakt mit K. B. stehende augenauf-Mitglied den Medien vorgelegt
hat. Den Bericht haben wir für das Bulletin leicht redigiert.
Vorgeschichte: Sommer 1995 – beim dritten Versuch ausgeschafft
K. B. befand sich bereits im Sommer 1995 in den Händen der Zürcher
Ausschaffungsbehörden. Beim dritten Versuch gelang es der Kantonspolizei
damals, B. auszuschaffen.
Am 27. Februar 1995 identifizierte Interpol Algier B. und bestätigte der
Kapo die Richtigkeit der Personalien. Mit diesem Papier beantragte die
Frepo beim algerischen Konsulat in Genf das «laissez-passer», welches am 3.
Juli in Zürich eintraf. Es gehört seit längerem zur Praxis der Frepo, dass
sie sich durch die Interpolstelle der jeweiligen Länder x-beliebige
Identitäten bestätigen lässt. Obwohl die zuständigen Konsulate diese Praxis
kennen, stellen sie aufgrund dieser Dokumente Reisepapiere aus. Mit dem
Papier von Interpol hängt die Ausstellung der Reisepapiere nur noch von der
Tagespolitik ab.
Der erste Versuch, B. auszuschaffen, wurde am 10. Juli 1995 gestartet. Den
Akten ist zu entnehmen, dass B. in Zürich das Effektenverzeichnis (EV)
unterschrieben hat, worin eine Barschaft von Fr. 5.- aufgeführt ist. Er
verweigerte aber die Unterschrift für die Empfangsbestätigung der
Einreisesperre, welche vom 10. Juli 1995 bis zum 9. Juli 2007 gilt. In
einem später erstellten «Journal» der Kapo Zürich ist zum gescheiterten
ersten Ausschaffungsversuch zu lesen: «B. sollte ab Genf ausgeschafft
werden. Er bestieg jedoch das Flugzeug nicht, sondern setzte sich zur Wehr
und wollte dem Beamten die Waffe entwenden.» B. ergänzt, dass er bei der
Weigerung, das Flugzeug zu besteigen, vom Genfer Kantonspolizisten mit dem
Knüppel geschlagen worden sei. Es habe ein Gerangel gegeben. Zurück im
Klotener Ausschaffungsgefängnis wurde er mit mehreren Tagen Bunker
bestraft. Am 14. Juli wurde er mit einer schweren Hepatitis ins Inselspital
Bern eingeliefert.
Der zweite Ausschaffungsversuch wurde am 27. Juli 1995 gestartet. Diesmal
wird B. von zwei Zürcher Kantonspolizisten bis Genf begleitet. Sie fliegen.
In den Akten ist ausserdem ein Transportbefehl der Genfer Kantonspolizei
für die Rückreise nach Zürich mit dem Zug. Auf der mitgegebenen Verfügung
haben Genfer Kantonspolizisten handschriftlich angemerkt: «Refus de
partir». Dazu die Zürcher Kapo: «Ausschaffung gescheitert. B. erklärte, er
leide an einer ansteckenden Krankheit, worauf er nicht mitgenommen wurde,
ausser die beiden Begleiter würden bis Algier mitreisen.» Zurück in Kloten
wird B. wieder in den Bunker geführt. Diesmal für 15 Tage. Nur in
Unterhosen, ohne Decken.
Der dritte und erfolgreiche Ausschaffungsversuch fand am 11. August 1995
statt. Im Gegensatz zu den ersten zwei Ausschaffungsversuchen ist diesmal
in den Akten kein Effektenverzeichnis vorhanden. Ein kurzer Bericht über
die Ausschaffung fehlt ebenfalls. Es ist davon auszugehen, dass bei der
geglückten Ausschaffung formelle Routineschritte unterblieben sind, weil B.
gegen seinen Willen und mit Gewalt ausgeschafft worden ist.
B. selbst erklärt, dass ihm ein Schlafmittel in den Tee gemischt wurde. Da
er im Gegensatz zu den vorausgegangenen Versuchen nicht über die
bevorstehende Ausschaffung informiert worden war, trank er den Tee ohne
Verdacht. Als er sich kurz darauf plötzlich sehr müde und schwer fühlte,
ahnte er, was bevorstand. Mit einem Messer schnitt er sich mehrmals rechts
in den Unterleib. Obwohl er stark blutete, wurde er von zwei
Kantonspolizisten zum Flugzeug gebracht und bis Algerien begleitet.
Bis Algier war B. zu schwach, um sich zu wehren, er hatte sogar Mühe mit
sprechen. In Algier wurde er von der Grenzpolizei erst freigelassen, als
sein Bruder mit der ID ankam und die richtige Identität bekanntgab. B. war
unter einem falschen Namen ausgeschafft worden.
Im Laufe des Jahres 1996 ist B. erneut in die Schweiz eingereist. Im Herbst
wurde er wieder in Ausschaffungshaft genommen.
Besuch im Ausschaffungsgefängnis Kloten, 14. April 1997
Am Samstag, den 12. April, erfahre ich, dass B. im Spital sei. Ich vermute,
dass er am Donnerstag erneut ausgeschafft werden sollte und er sich auf
seine Art gewehrt hat. Doch Genaues weiss ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Am Sonntagnachmittag frage ich direkt in der Zentrale von Kloten II an, ob
ich B. – wie – abgemacht besuchen könne. Der zuständige Wärter L. sagt mir
nach Rücksprache mit dem Wärter im 2. Stock, dass B. wohl verletzt, aber
anwesend sei. Ein längerer Spitalaufenthalt sei nicht nötig gewesen.
Als ich am Montagmorgen zusammen mit der Rechtsanwältin B. in der Zentrale
des Ausschaffungsgefängnisses stehe, sehe ich den Gesichtern der in der
Zentrale anwesenden Wärter L. und T. an, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Bevor ich mich genauer erkundigen kann, kommen zwei Kantonspolizisten
herein. Von Herrn L. erfahren wir nur, dass B. genau jetzt eine
polizeiliche Einvernahme habe, von der L. gestern noch nichts wusste. Wir
müssten auf jeden Fall eine halbe Stunde warten. Er wisse aber noch nicht,
ob wir B. dann sehen könnten. Er könne im Augenblick nicht mehr sagen. Er
werde uns später genauer informieren. Zum Warten werden wir in die
Besucherzelle geführt.
Nach einer Stunde läute ich. L. teilt uns mit, dass wir leider vergeblich
gewartet hätten. B. habe sich am Donnerstag selber verletzt und gestern
Sonntag die Zelle zusammengeschlagen. Dafür sei er mit Bunker bestraft
worden. Es würden mindestens 5 Tage sein. Während dieser Zeit könne er
keinen Besuch empfangen. Es täte ihm leid wegen der zur gleichen Zeit
angeordneten Einvernahme, aber er habe das erst heute morgen erfahren. Die
Gefangenen würden einfach so bestellt (Bring doch mal den und den rüber),
das falle nicht in seinen Aufgabenbereich.
Ich bitte L. darum, die Verfügung der Bunkeranordnung der Rechtsanwältin
von B. zu schicken. L. ist sehr erstaunt. Er hätte nicht gewusst, dass wir
die Rechtsvertreter von B. seien. Da sehe die Sache anders aus. L. geht
zurück in die Zentrale, um abzuklären, ob wir B. besuchen können. Nach
wenigen Minuten kommt er mit dem Bescheid zurück, dass die
Gefängnisdirektorin, Frau Ludwig, mit uns reden werde. Sie schildert uns
detailliert, was seit Donnerstag mit B. geschehen ist
Der Bericht der Direktorin
Am Donnerstagmorgen hätte B. ausgeschafft werden sollen. Mit einer
Einweg-Rasierklinge habe er sich um 7 Uhr den Oberkörper massiv verletzt.
Als Wärter und Kantonspolizisten zusammen mit ihr in die Zelle traten, habe
B. seinen Kopf heftig an die Wand und den Boden geschlagen. «Ich habe sechs
Mann gebraucht, um ihn zu beruhigen.»
Trotzdem bescheinigen Kapo und Frepo in Anwesenheit von Frau Ludwig, dass
B. – notdürftig verarztet – reisefähig sei. Er war zu diesem Zeitpunkt mit
Hand- und Fussschellen an die Bahre gefesselt. Zusätzlich trug er
Fussketten. So musste er in den Polizeibereich des Gefängnisses gebracht
worden sein, wo eigentlich die Zuständigkeit von Frau Ludwig aufhört.
Selbst die Sanität bestätigte hier die Reisefähigkeit von B. Nun wehrte
sich Frau Ludwig vehement gegen die Ausschaffung von B. («Nur über meine
Leiche»). Ein herbeigerufener Psychiater schloss Suizidgefahr aus,
bestätigte aber «akute Gefahr für Fremdgefährdung». Nachdem Frau Ludwig den
zwei Kantonspolizisten, die B. bis Algier begleiten sollten, gesagt hatte,
dass sie ihn von ihr aus mitnehmen können, aber selber verantwortlich dafür
seien, dass niemandem etwas geschehe, wurde B. nach drei Stunden von der
Kantonspolizei wieder freigegeben.
Frau Ludwig hatte bereits in den Tagen zuvor sowohl B. als auch dem
Mithäftling H.B. versprochen, dass ihnen bei ihr im Gefängnis nichts
geschehen werde. Für den Bereich, in dem die Kantonspolizei zuständig sei,
könne sie das allerdings nicht garantieren. Sie meinte ausdrücklich, dass
sie alles daran setzen werde, dass sie im Gefängnis nicht geschlagen
werden. Bei der Kapo seien Schläge aber sehr wohl möglich.
Am Sonntag, den 13. April 1997, muss B. ausgerastet sein. Der anwesenden
Wärterin sagte er nur noch «So. Ich fühle mich schlecht, es kommt wieder
über mich.» Sie hatte gerade noch Zeit, die Zelle fluchtartig zu verlassen,
bevor B. damit begann, die Zelle zu zerstören. Er zerstörte alles – den
Fernseher, Bett, Tisch. Frau Ludwig hatte Pikett und ordnete an, dass B. in
die «Sicherheitszelle» (sprich: Bunker) verlegt wird, und ihm – «zu seinem
Schutz» – alle Kleider abgenommen werden. Wie der tobende B. in den Bunker
gebracht wurde, darüber schwieg sie sich aus. In der ganzen Umgebung sei
kein Psychiater zu erreichen gewesen. Der «Hausarzt» ordnete
Beruhigungsmittel an (Nozinan). Später sagte B. gegenüber dem Dolmetscher,
er könne sich an nichts mehr erinnern.
Am Montag wurde er ohne betreuende Begleitung von zwei Kantonspolizisten
zur polizeilichen Einvernahme geführt, trotz den Protesten von Frau Ludwig,
dass dies im jetzigen Zeitpunkt nicht nur unnötig, sondern auch
unverantwortlich sei. Was dort mit ihm geschehen sei, wisse sie nicht, sehr
wahrscheinlich sei er beschimpft worden, mit «Arschloch» oder so. Jedesmal,
wenn B. Kantonspolizisten sehe, bekäme er gleich einen Schub.
Besuch im Bunker
Zum Schluss bietet Frau Ludwig uns an, B. im Bunker zu besuchen und uns
selber von seinem Zustand zu überzeugen. Zusammen mit Herr Rohner, dem
Verwalter von Kloten II, und zwei Wärtern stehen wir vor dem Bunker. Durch
den Spion ist von B. nichts zu sehen. «Er ist vorher schon zusammengekrümmt
in der Zellenecke gelegen», sagt Rohner, und schliesst die vergitterte
Zellentür ganz auf. Die Rechtsanwältin B. und ich gehen rein.
Mir krümmt sich der Magen. B. liegt, mit einer Wolldecke halb zugedeckt und
kaum ansprechbar, in der Zellenecke. Der Oberkörper ist mit zum Teil
klaffenden Schnitten überdeckt, die nach wie vor nur notdürftig verarztet
sind. Die Ellbogen sind verbunden. Er trägt noch immer die teilweise
zerrissene, blutverschmierte Trainerhose, die er bereits am Donnerstag anhatte.
Ich knie nieder und gebe B. die Hand, streiche ihm über den Kopf – reden
kann ich kaum. Er ist ziemlich apathisch, müde, klagt über Kopfschmerzen.
Er bringt es knapp fertig, mir zu sagen, dass sein Fuss gebrochen sei –
mehr mit Gesten, die durch ein Nuscheln begleitet werden. Ich sage B., dass
er nächstens ins Spital gebracht wird, er also keine Angst haben muss, wenn
er geholt wird. Ich werde ihn besuchen kommen. Zum Fuss von B. meint ein
kräftiger Wärter, er hätte am Morgen, als B. zum Verhör geführt worden sei,
bereits die Kantonspolizisten gefragt, weshalb er nur einen Socken und
einen Schuh anziehe. Anscheinend sei der Fuss gebrochen oder sowas
ähnliches. Darüber, wie B. zum Verhör gebracht wurde, schweigt er.
Draussen doppelt Frau Ludwig nach, dass B. in diesem Zustand als reisefähig
bezeichnet worden sei. Sie wolle, dass er ins Spital verlegt und gepflegt
werde, damit er wenigstens mit erhobenem Kopf in Algier aussteigen könne.
Als ich nochmals insistiere, dass B. beim heutigen Arztbesuch genau auf
Hirnerschütterung und Blutgerinsel untersucht werde – was bis zu diesem
Zeitpunkt nicht gemacht worden ist – wiegelt sie ab. Sie könne dem Arzt
nichts befehlen.
Um 16 Uhr telefoniere ich mit Frau Ludwig, um zu erfahren, wo B. jetzt ist.
Er sei jetzt gerade beim Arzt. Sie hat nochmals mit der «hauseigenen»
Krankenschwester gesprochen. Diese hat B. am Donnerstag und Freitag mit
ihren beschränkten Möglichkeiten auf Hirnerschütterung untersucht. Damals
hatte er keine Beschwerden oder auffallende Merkmale. Er selber hat
ausdrücklich nicht über Kopfweh geklagt. Als Beruhigungsmittel ist ihm seit
Donnerstagmorgen Nozinan gegeben worden. Die Krankenschwester ist heute
selber erstaunt darüber gewesen, wie apathisch B. mit der von ihr
verordneten Dosis sei. Das sei ungewöhnlich. Sie wolle dem nochmals nachgehen.
Eine Stunde nachdem wir weg waren, ist Frau Ludwig nochmals zu B. gegangen.
Er sei bolzengerade dagesessen und habe wesentlich weniger apathisch
gewirkt. Ich habe ihn ja auch eine halbe Stunde nach dem Polizeiverhör
gesehen, für das B. wieder mit Nozinan beruhigt worden ist.
Um 18 Uhr telefoniere ich nochmals mit Frau Ludwig. Die ärztliche Diagnose
ist jetzt gestellt: Gebrochener Zeh und leichte Hirnerschütterung – also
kein weiterer Spitalaufenthalt nötig. B. soll aber am Mittwoch, den 17.
April, in die psychiatrische Klinik Rheinau zur genaueren Abklärung
überführt werden.
Besuch vom 16. April 1997
Ich besuche B. nochmals, um mit ihm selber über alles zu sprechen. Bei
dieser Gelegenheit erfahre ich von Frau Ludwig, dass auf Donnerstagmorgen
eine Krisensitzung zwischen der Justizdirektion, der Frepo und der Kapo
angesetzt ist. (Zu den «Ergebnissen» dieser Krisensitzung nebenstehende
Erklärung von augenauf)
Zu Beginn des Gespräches wirkt B. müde, nach etwa einer Stunde lässt die
Wirkung des Nozinans aber spürbar nach. Diesmal hat er die Psychpoharmaka
etwa anderthalb Stunden vor meinem Besuch erhalten.
B. schildert mir eindrücklich, wie er sich am Sonntagnachmittag gefühlt
habe. Mit der massiven Selbstzerstümmelung vom Donnerstagmorgen hat er eine
Hemmschwelle überschritten. Wenn in ihm, wie am Sonntag, das Bild eines
kaputten Fernseher oder Tisches aufsteige, sei dieser Gegenstand kurz
darauf zerstört. B. hat Angst davor, dass man ihn bis zum Äussersten
treiben könnte. Dass er beim nächsten Ausschaffungsversuch auch auf
Menschen losgehen könnte. Denn eines ist klar: Er will auf keinen Fall nach
Algerien ausgeschafft werden. Wenn er am Donnerstag als reisefähig
bezeichnet worden sei, so müsse er halt das nächste Mal nochmals einen
Zacken zulegen...
Gegen Ende des Besuches frage ich die beiden anwesenden Betreuer, ob sie
wissen, wie B. am Sonntag aus seiner Zelle gebracht, ausgezogen und
beruhigt worden sei. Damit bringe ich die zwei in arge Verlegenheit. In
Anwesenheit des Vizedirektors des Flughafengefängnisses, Herrn Hablützel,
deuten sie mir an, dass ihnen B. leid tue und sie ihn verstehen würden.
Aber sie könnten mir ohne grünes Licht von oben keine Auskunft geben. Sie
seien nur kleine Fische und es gehe schnell bis... Es folgt die
Fussbewegung, die man beim gründlichen Ausdrücken einer Zigarette am Boden
macht. Bis jetzt seien sie über den Sonntag auch nicht befragt worden. Sie
wären aber sehr interessiert daran, ihre Beobachtungen genau schildern zu
können.
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