Bulletin Nr. 1; Februar 1995

Echo der Zeit vom 7.2.95

Dass Zürichs Politiker den Letten nicht schliessen sondern ausdünnen, hat zum einen sachliche Gründe. Die Polizei versucht die Drogensüchtigen langsam zu vertreiben und nicht auf einen Schlag. Das Platzspitzdesaster, als die Gitter von einem Tag auf den andern hochgezogen worden sind, sitzt den Verantwortlichen noch tief in den Knochen. Das Wort "Ausdünnung" kam aber auch zu Ehren, weil es den Sachverhalt der Räumung mit Süchtigen, die plötzlich heimatlos werden, sanfter umschreibt. Dieser Ansicht ist jedenfalls die Linguistin Renée Zwolanek, die an der Universität Zürich Studentinnen und Studenten in die Sprachkunde einführt. Zum Wort Ausdünnung sagt sie:
Das ist eine weitere Verharmlosung dessen, was wirklich passiert. Ausdünnung ist meiner Meinung nach reichlich diffus. Was "verdünnen" wir? Was "dünnen wir aus"? Auch wieder Menschen.
Auch wieder Menschen wie damals am Platzspitz. Ausdünnung wurde im Spätsommer letzten Jahres in die Welt gesetzt, nach einer Krisensitzung vom Bundesrat und Zürcher Behörden in Bern. Der Zürcher Stadtpräsident Estermann sprach von einer raschen Ausdünnung des Lettens, und die Medien übernahmen den Ausdruck eilfertig, mal mit mal ohne Anführungszeichen. Ausdünnung ist allerdings nicht das einzige Wort, welches die aktuelle Drogenpolitik eher beschönigt. Im Gegenteil. In Zeitungsspalten und im Äther wimmelt es nur so davon. Ein Beispiel sind die sogenannten flankierenden Massnahmen. Sie umschreiben schwammig, dass nach der Lettenräumung ein ganzes Heer von Polizisten durch Zürich streifen wird. Ein anderes Beispiel ist die Rückführung, welche die Vertreibung Drogensüchtiger in ihre Heimatgemeinden meint, auch gegen den Willen der Betroffenen. Solche abstrakten Begriffe wie eben "flankierende Massnahmen" oder "Rückführung" sollen die Leute beruhigen, glaubt die Linguistin Renée Zwolanek. Und sie fügt weitere Ausdrücke hinzu, welche allerdings anders geartet sind und nicht beruhigen, sondern aufhetzen sollen. Es sind dies Übertreibungen, sogenannte Metaphern, wie etwa "Krebsgeschwür Letten", ein Wort, dessen Herkunft die gebürtige Wienerin im 3. Reich ortet:
Ein Krebsgeschwür am gesunden Volkskörper, das ist in Hitlerreden belegt, so wird geredet, wenn man den guten, den Normalbürger dazu bringen will, dass er auch wieder keinen Menschen sieht. Sondern du bist ein Schandfleck, du bist ein Krebsgeschwür, du bist kein Mensch.
Von einem "Krebsgeschwür" schrieb denn auch die SVP, jene Partei also, welche die Drogensüchtigen schon lange nicht mehr am Letten sehen will. Aus der Küche des Blick stammt hingegen eine andere Metapher, welche neben "Geschwür", "Lettensumpf" und "Drogenslum" weit verbreitet ist, die "Drogenhölle". Schon vor zwei Jahren setzte das Boulevardblatt den Begriff in fetten Lettern, und ein Jahr später stimmte auch FdP-Parteipräsident Steinegger ein, als er bestätigte, die Drogenszene Letten ist wirklich die Hölle. Erstaunlich ist, dass auch der an sich liberale Zürcher Tages-Anzeiger bei diesem Wettspiel um das stärkste Wort mitbot, mit "Schandmal Letten", im letzten Herbst. Ein Wort, welches den Blick nur vier Tage später aufgegriffen hat, und seither als "Schandfleck Letten" verwendet. Die drogenpolitische Sprache von Politikern und Medien ist also über weite Strecken eine Sprache, die einerseits auf beruhigende Begriffe und andererseits auf knallige Schlagworte setzt. Die Linguistin Zwolanek wehrt sich dagegen und fordert deshalb eine ganz neue Sprache:
Es sollte ehrlicher darüber geredet werden. Die einfachen Dinge, so unangenehm sie auch sind, sollte man einfach sagen.
Die Sprachkundlerin schränkt aber auch gleich selbst ein:
Die Frage ist, wollen die Leute eigentlich so eine Sprache. Wollen wir das. Haben wir es nicht viel leichter, wenn wir entweder beruhigt oder aufgeregt werden. Wie schon gesagt: Wir haben es sehr viel leichter, wenn ich mich dabei beruhige, dass das "Geschwür" in ein "Auffanglager" kommt.

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