Bulletin Nr. 49; Juli 2006
Repressionspolitik ausgebremst – Winterthur krebst zurück
Fadenscheinige Wegweisung abgeschmettert
Allein wegen des Tragens eines Palästinenser-Tuchs oder eines
schwarzen Schals darf niemand aus Winterthur weggewiesen
werden. Der erste Winterthurer Wegweisungsfall endete in einem
Fiasko – für die Behörden.
Kurz bevor er ins Finanzdepartement des Kantons Zürich geflüchtet
ist, hat der einstige Winterthurer Polizeichef Hans Hollenstein noch
eine Pioniertat begangen. Er hat in die Allgemeine Polizeiverordnung
der Stadt Winterthur einen Wegweisungsparagrafen eingefügt,
der die für ihre Repression bekannte Eulachstadt vor bösen
Buben und Mädchen schützen sollte. Am 27. November 2004 kam
der Paragraf anlässlich einer vom Winterthurer Stadtrat verbotenen
Demonstration gegen die SVP zum ersten Mal zur Anwendung.
Beamte der Stadtpolizei Winterthur packten am Bahnhof vorsorglich
junge Leute ein, die TeilnehmerInnen der Demonstration hätten
werden können. Auf dem Posten wurde den Leuten ein Fötzel
übergeben, auf dem stand, dass ihnen für zwölf Stunden das Betreten
des Winterthurer Stadtgebiets verboten sei, weil sie die öffentliche
Sicherheit gefährdeten.
Mit der Hilfe von augenauf haben zwei Betroffene diese Verfügung
beim Winterthurer Stadtrat angefochten – und verlangt, dass
die Verfassungswidrigkeit des entsprechenden Paragrafen festgestellt
werde. Am 17. Mai 2006 hat der Winterthurer Stadtrat entschieden,
die Wegweisung sei nicht rechtens. Das bedeute jedoch
nicht, dass der entsprechende Wegweisungsparagraf verfassungswidrig sei.
Dieser könne nämlich sehr wohl so angewendet werden,
dass das Vorgehen der Polizei einer rechtlichen Überprüfung standhalte.
Nicht akzeptabel sei jedoch, dass man zwei Menschen an
einem Demonstrationstag aus Winterthur vertreibe, und als Grund
für diese Aktion einzig und allein das Tragen eines Palästinenser-
Tuches oder eines schwarzen Schals angebe.
Da nach Meinung des zuständigen Juristen eine Entschädigung
der EinsprecherInnen im Rahmen der erstinstanzlichen Überprüfung
der Wegweisung durch den Stadtrat nicht möglich sei, ist
die 18 Monate danach verfügte Aufhebung der Wegweisungsverfügung
die einzige Rechtsfolge, die dieses erste Debakel des Winterthurer
Wegweisungsparagrafen hat.
Die praktischen Folgen dürften allerdings bedeutend weiter reichen.
Die Stadtpolizei muss sich jetzt sehr genau überlegen, unter
welchen Umständen sie vom neuen Paragrafen Gebrauch macht –
und was für Dienstanweisungen erlassen werden müssen, damit
sie das nächste Mal nicht erneut in den Hammer läuft.
Dabei ist augenauf jederzeit bereit, eine Einsprache gegen eine
Wegweisungsverfügung nach hemdsärmeliger Winterthurer Art zu
unterstützen. Geprüft wird zurzeit noch, ob gegen den Entscheid
des Winterthurer Stadtrates beim Stadthalteramt des Bezirks Winterthur
rekurriert werden soll. Die Aufhebung der Wegweisung hat
zwar viel mediales Echo gehabt – eine materielle Zurechtweisung
der Stadtpolizei würde die Zurückhaltung bei der Anwendung der
Wegweisung aber sicher gezielter fördern.
augenauf Zürich
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