Bulletin Nr. 47; Dezember 2005

Auf die Stafelalp – gehört einzig nur die Staatsgewalt!

«Gegen soziale Vernetzung»

Auch im Kanton Bern erfinden die Migrations-SchreibtischtäterInnen mit schon fast eichmännischer Eifrigkeit täglich neue Schikanen und Asylverhinderungsgründe. Dagegen gibt es jetzt ein neues Widerstandsprojekt.
Im Kanton Bern kann ausnahmsweise einmal eine gute Nachricht verkündet werden: Das als «Nothilfe-Struktur» eingerichtete «Minimalzentrum» Stafelalp – eine abgelegene Ferienhütte oberhalb von Wattenwil – wird im Januar 2006 geschlossen. Wegen des Streits zwischen SVP-Bundesrat Christoph Blocher und den Kantonen um die Kosten wird die «Untere Gantrischhütte» – eine Berghütte auf 1509 Meter – nicht in Betrieb genommen. Dort hätten MigrantInnen mit Nichteintretensentscheid (NEE) untergebracht werden sollen. Die für die «Betreuung» Angestellten der Organisation für Regie und Spezialaufgaben (ORS) der Stafelalp haben ihre Kündigungsschreiben bereits erhalten.
Die schlechte Nachricht: Niemand weiss, wie es weitergehen wird. Die zuständige Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (PoM) schrieb am 11. November 2005 in einer Medienmitteilung, man wolle bis Mitte Januar ein neues Konzept erarbeiten. Komme man nicht innert nützlicher Frist zu einem Resultat, würden die NEEs vorübergehend in Durchgangszentren untergebracht. Man wolle «keine festen Strukturen mehr an einem zentralen Ort» betreiben. Begründet wurde dies mit der durchschnittlich «zu langen» Aufenthaltsdauer der NEEs auf der Stafelalp (52 Tage), der zu erwartenden höheren Betriebskosten auf dem Gantrisch oder anderswo und – ein interessantes Argument – mit der Feststellung, dass «durch eine zentrale Unterbringung die soziale Vernetzung unter den Ausreisepflichtigen steigt und ein gemeinsames Festhalten am Verbleib in der Schweiz gestärkt wird». Diese Ansicht wird laut PoM von anderen Kantonen geteilt.
Unterdessen geht der NEE-Alltag weiter: Auf der Stafelalp kämpfen viele BewohnerInnen aufgrund der kollektiven Isolationshaft, der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten, des Ausgangsrayons (2 km), der schlechten medizinischen Versorgung, der mürrischen Bewacher und misstrauerischen NachbarInnen mit psychischen Problemen und Perspektivlosigkeit. Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen nehmen zu. Am 9. November legte ein frustrierter Bewohner mehrere Feuer in der Stafelalp-Hütte. Kommentar des Untersuchungsrichteramtes III Bern Mittelland: «Verletzt wurde niemand. Es entstand Sachschaden. Der Insasse wurde in Haft gesetzt.»
Wer nicht auf der Stafelalp untergebracht ist, muss sich mit dem alltäglichen Überleben auseinander setzen: Schlafen, Essen, Trinken, Duschen, Waschen – das alles will organisiert sein. Wer Glück hat, kommt bei FreundInnen unter. In Städten, Dörfern und Wäldern überlebt eine unbekannte Anzahl von MigrantInnen. Andere resignieren, ziehen weiter in andere europäische Länder oder andere Kontinente – um auf genau die gleiche Perspektivlosigkeit zu treffen.
Am 19. November 2005 traten deshalb in Bern MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus und ihre UnterstützerInnen gemeinsam vor die Medien und gründeten das Projekt «¡Wir bleiben!» – ein kollektives Selbsthilfe- und Widerstandsprojekt, das auf die menschenunwürdige Situation der Betroffenen aufmerksam machen soll und gleichzeitig eine von vielen praktischen Antworten auf die herrschende repressive Asyl- und MigrantInnenpolitik (nicht nur) im Kanton Bern darstellt.

augenauf Bern

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