Bulletin Nr. 47; Dezember 2005

Ein Projekt von und für MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus

Projekt ¡Wir bleiben!

Die Auswirkungen der letzten Verschärfungen im Asylbereich sind noch nicht im vollen Ausmass erfasst, da stehen schon die nächsten Verschärfungen vor der Tür. Diese menschenunwürdige Situation für Personen mit prekärem Aufenthaltsstatus hat uns dazu veranlasst, das Projekt ¡Wir bleiben! ins Leben zu rufen.
Wir, das heisst Betroffene und Unterstützende, wollen gemeinsam einen zentral gelegenen Ort schaffen, wo Migrantinnen und Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus selbstbestimmt schlafen, essen, duschen, sprich: leben können. Die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Hauses sollen sich beschäftigen und austauschen können. Sie sollen sich frei bewegen können, ein- und ausgehen, wann sie Lust haben, keinen Schikanen ausgesetzt sein und auch nicht überwacht werden.
ständlich soll ein solcher Ort den Betroffenen auch die Möglichkeit bieten, ihre Situation sichtbar zu machen und der Forderung nach einer menschenwürdigen Migrationspolitik Öffentlichkeit zu verschaffen. Wir wollen das wahre Gesicht der menschenunwürdigen und rassistischen AusländerInnen- und Asylpolitik zeigen und deren Opfern eine Stimme geben.

Raum gesucht
Um diese Anliegen umsetzen zu können, brauchen wir einen Raum, in dem dieses Projekt entstehen und gedeihen kann. Wir haben Kontakte zu Kirchen, Gewerkschaften und kulturellen Institutionen aufgenommen. Trotzdem haben wir bis jetzt noch keinen Ort gefunden. Wir rufen die Öffentlichkeit auf, uns zu unterstützen und mögliche freie Räume dem Projekt ¡Wir bleiben! zur Verfügung zu stellen.
Es kann sein, dass wir keinen Raum finden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass es den Betroffenen zu riskant erscheint, sich an einem solchen öffentlichen Ort aufzuhalten. Diese Angst ist leider begründet, wie das Beispiel des Mittagstischs für Menschen mit Nichteintretensentscheid in der Marienkirche zeigte. Im Umfeld davon fanden immer wieder Polizeikontrollen statt.
Für diesen Fall werden wir diskutieren, ob wir solidarische Privatpersonen aufrufen werden, einzelne Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus bei sich unterzubringen.

Wir fordern:
augenauf Bern
Kontakt: Projekt ¡Wir bleiben! c/o augenauf Bern augenaufbern@bluewin.ch

K., Algerier, auf der Stafelalp: «Sie sagen uns jeden Tag, dass wir zu viel kosten»
«Am Morgen geht das Bewachungspersonal auf der Stafelalp durch alle Zimmer, um zu kontrollieren, wer in den welchen Zimmern ist, und schreibt alle Namen auf. Wir müssen spätestens zwischen 9 Uhr und 9.30 Uhr aufstehen. Danach werden die Aufgaben verteilt, alle müssen etwas putzen. Falls du einmal nicht putzen kannst, wird dir ein Teil des Geldes, das du täglich bekommst, gestrichen. Der Kiosk, wo wir mit Bons à Fr. 8.– pro Tag einkaufen können, ist nur von 11 Uhr bis 12.30 Uhr geöffnet, am Nachmittag bleibt er geschlossen. Wir haben kein Bargeld, sondern einfach dieses Guthaben von 8 Franken pro Tag. Einem Bewohner, der sich auf dem Weg zur Stafelalp in den falschen Zug gesetzt hatte und deshalb eine Busse bekam, wurde die Busse bezahlt, sein täglicher Geldbetrag wurde nun aber um 5 Franken gekürzt, bis die Busse abbezahlt ist. Im Kiosk gibt es immer die gleichen Produkte, zum Teil sind es Abfallprodukte von Migros und Coop. Es gibt auch kein frisches Brot, nur tiefgefrorenes. K., Algerier, auf der Stafelalp: «Sie sagen uns jeden Tag, dass wir zu viel kosten» Man hat nicht das Recht, ein Gebiet von zwei Kilometern rund um das Minimalzentrum ohne Genehmigung zu verlassen. Wirst du ausserhalb dieses Rayons kontrolliert, bekommst du eine Busse von Fr. 150.–. Bleibst du über Nacht weg, wirst du aus dem Zentrum ausgeschlossen. Es liegt dann im Ermessen der Zentrumsleitung, wann du zurückkehren kannst. Der letzte Bus von Seftigen auf die Stafelalp fährt um 17.30 Uhr. Wer ihn verpasst, muss zwei Stunden zu Fuss gehen. Die Angestellten der ORS, die das Zentrum leitet, sagen uns jeden Tag, dass wir die Schweiz verlassen sollen, dass wir zu viel kosten etc. Alle zwei Wochen müssen wir zu einem Gespräch mit dem Migrationsdienst zur Vorbereitung der Ausreise. Es gibt im Minimalzentrum kein medizinisches Personal. Wird jemand krank, wird immer Dafalgan gegeben. Viele Menschen auf der Stafelalp haben psychische Probleme. Der Druck ist gross, es gibt auch keine Beschäftigung.» (frz. Originaltext)


W. A. aus Somalia: «Ich habe das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein»
«Ich heisse W. A., bin 29 Jahre alt und lebe seit fünf Jahren in der Schweiz. In meinem Herkunftsland Somalia herrscht seit 1991 Bürgerkrieg. Deshalb kam ich in die Schweiz und wollte mir hier eine neue Lebensgrundlage aufbauen. Im Jahr 2000 reichte ich ein Asylgesuch ein. Der defi nitive Negativentscheid kam erst 2004. Ich zog in eine Sozialwohnung in Schwarzenburg BE, begann Deutsch zu lernen, machte eine Weiterbildung und fand auch Arbeit. Ich integrierte mich in diesem Land, fand Freunde, baute mir ein neues Leben auf. Als 2004 der Negativentscheid kam, forderte mich der Schweizer Staat auf, das Land zu verlassen. Da es aber nicht möglich ist, in mein Heimatland zurückzukehren und die Schweiz wegen des andauernden Bürgerkriegs niemanden nach Somalia ausschaffen kann, konnte ich Arbeit und Wohnung behalten. Nach der Inkraftsetzung des neuen Asylgesetzes (April 2004) erhielt ich einen Brief vom Amt für Berner Wirtschaft, dass ich im Rahmen des Entlastungsprogramms 03 (erschwerter Zugang für Personen mit Ausweis N/F zum Arbeitsmarkt) meine Arbeit nicht weiterführen dürfe. Die Gemeinde Schwarzenburg stoppte die Fürsorgebeiträge mit der Begründung, ich sei nicht kooperativ. Mit einem Fürsorgestopp werden laut Gesetz Personen mit NEE, nicht aber abgewiesene Asylsuchende – wie ich es bin – bestraft. Auf die schriftliche Anfrage nach einer offiziellen Begründung für diesen Entscheid bekam ich bis heute keine Antwort. Für mich bedeutete W. A. aus Somalia: «Ich habe das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein» dieser Fürsorgestopp aber, dass ich meine Wohnung verlassen musste und aufgefordert wurde, ins Durchgangszentrum in Aarwangen BE zu ziehen. Nun lebe ich in Aarwangen, bekomme täglich sechs Franken Lebensmittelgeld in Form eines Bons. Ich kann nicht mehr meinen gewohnten Aktivitäten nachgehen und Deutschkurse liegen aus finanziellen Gründen nicht mehr drin. Das Schlimme aber ist, dass ich aus meinem sozialen Umfeld herausgerissen wurde, ich habe nicht einmal genug Geld, um ein Zugticket nach Schwarzenburg zu bezahlen. Dabei ist das Leben, das ich mir hier in diesen fünf Jahren aufgebaut habe, das Einzige, was ich habe. Es gibt keine Alternative dazu, denn ich kann nicht nach Somalia zurück. Mit der Verschärfung des Asylgesetzes zerstört der Staat unzählige Leben von in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländern, so wie er mein Leben zerstört. Hinzu kommt, dass man als junger Schwarzafrikaner automatisch Opfer der rassistischen Schweizer Asylpolitik und ihrer kollektiven Vorurteile wird. Dabei möchte ich einfach mein Leben weiterführen können wie bisher, meiner Arbeit nachgehen und meine Freunde treffen. Ich will ein menschenwürdiges Dasein fristen können wie alle anderen in der Schweiz. Ich habe doch auch das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein!» (frz. Originaltext)

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