Bulletin Nr. 45; Juni 2005

EP03 NEE – und was sich dahinter verbirgt

Minimiertes Minimum

In der frühsommerlichen Hitze fällt es schon schwer, sich an die klirrende Kälte Ende Februar, Anfang März zu erinnern. Nur drei Monate ist es her, seit augenauf in einer Pressemitteilung über unhaltbare Zustände in Luzern informierte. Eine Familie aus Luzern rief an, sie hätte B. im Keller gefunden, wo er versuchte, sich gegen die Kälte zu schützen.
NEE, Nichteintretensentscheid, Ausschluss aus der Nothilfe nach 10 Tagen. Es war absehbar, dass nach dem Sparbeschluss des Bundes, der am 1. April 2004 in Kraft trat, jeder Kanton mit dieser verfassungsmässigen Nothilfe machen würde, wie es ihm beliebt: zwischen gar nichts, ein bisschen, befristet, an Bedingungen geknüpft etc.
Am 17. März 2005 beschliesst eine grosse Mehrheit des Ständerats, dass die Nothilfe nicht nur gekürzt oder verweigert werden kann, sondern der Ausschluss aus der Asylfürsorge auf alle abgewiesenen Asylsuchenden ausgedehnt werden soll. Der Text der Bundesverfassung wird schamlos übergangen.
Das Minimum minimieren – man würde glauben, dass sich bei solcher Gedankenakrobatik in verantwortlichen Köpfen doch ein Unbehagen melden müsste? Der Sozialdirektor von Luzern, Ruedi Meier, hatte sein Unbehagen, wie er dem Journalisten der «Neuen Luzerner Zeitung» anvertraut. Er finde es sogar menschenunwürdig, halte sich aber trotzdem an die Empfehlungen der Sozialdirektorenkonferenz. Was denken Sozialdirektoren, wenn sie zusammensitzen? Denken sie überhaupt?
Am 18. März hält das Bundesgericht in einem Urteil fest, was dieser Artikel 12 der Bundesverfassung bedeutet, nämlich ein Minimum an existenzieller Hilfe, um Menschen nicht in Hunger und Elend zu stossen.
Wie sieht dieses Minimum denn aus in Luzern? Wer sich für Nothilfe melden will und keine Angst hat, sofort verhaftet zu werden, muss zuerst zur Polizei. Dies wird jedoch den Leuten nicht mitgeteilt, sodass die meisten wohl kaum davon Gebrauch machen können. Wer die erste Hürde schafft, kann dann vom Sozialamt drei Bons abholen für eine Übernachtung in der Notschlafstelle – von 9 Uhr abends bis 9 Uhr morgens. Dann raus auf die Strasse mit einem Coop-Gutschein von 10 Franken für Nahrung und andere Bedürfnisse. Wohin den ganzen Tag bei Temperaturen unter Null? Am Bahnhof rumhängen, bis die allgegenwärtige Polizei dich wegschickt? Oder einfach g e h e n, damit die Füsse nicht erfrieren? Ohne Ausweis in der Tasche? Dafür mit Strafbefehlen eingedeckt wegen illegalen Aufenthalts, mit unbezahlbaren Bussen und Verfahrenskosten. Oder doch lieber ins Gefängnis, wo man auch tagsüber ein Dach über dem Kopf hat? Oder etwa einsteigen in ein Geschäft mit relativ hohen Margen? Der Kontakt zu möglicher Kundschaft ist ja leicht zu machen in der Notschlafstelle, wo vorwiegend obdachlose Drogenkonsumenten verkehren. Ist es das, was das hohe Parlament mit dem Sparbeschluss EP03 wollte?

augenauf Zürich

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