Bulletin Nr. 45; Juni 2005

Nach der Heirat allein ins Erstaufnahmezentrum

Frauenhandel – Verdacht auf…

Schweiz, Tunesien, Istanbul, Schweiz: Einem anerkannten Flüchtling ist kein Weg zu weit, um zu heiraten und mit seiner Frau zusammenzuleben. Doch hier beginnt der Papierhürdenlauf erst richtig.
Frauenhandel, ein ungelöstes Problem. Die Behörden tun sich schwer, den Opfern den notwendigen Schutz zukommen zu lassen. Sie werden ausgeschafft, sobald die Polizei sie aufgreift und feststellt, dass sie entweder ohne Aufenthaltsbewilligung da sind oder ohne Bewilligung erwerbstätig, d.h. zur Prostitution gezwungen sind. Wirksame Verfahren sind so nicht möglich, die Täter bleiben ungestraft. Höchste Zeit, dass das Personal der Behörden sensibilisiert wird. Nun kann diese Sensibilisierung aber auch seltsame Blüten treiben.
Ein anerkannter Flüchtling darf bekanntlich nicht in sein Heimatland zurückkehren, auch nicht für kurze Zeit. Er würde seinen Flüchtlingsstatus verlieren, ganz abgesehen von der Gefahr, bei der Einreise festgenommen zu werden. Was tun, wenn er eine Frau aus seinem Land heiraten will? Ein Visum für die heiratswillige Frau zu erhalten, ist nicht möglich, wenn das Paar nicht zuvor in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und durch die Flucht getrennt wurde. Wäre die Frau schon leibhaftig hier und stellte selber ein Asylgesuch, könnte die Heirat rasch stattfinden und sie würde ohne Umstände ins Asyl des Ehemannes aufgenommen. Auf illegalem Weg ohne Visum die Reise anzutreten wird immer gefährlicher, die Todesfälle bei der Überfahrt im Schlepperboot häufen sich.

Das UNHCR interveniert
A. hat eine Idee: er reist nach Istanbul, um dort seine Verlobte zu treffen. Sie verlässt heimlich ihre Familie in Tunesien und fliegt ebenfalls nach Istanbul, wozu sie kein Visum braucht. Ihre konservativen Eltern hätten ihr nie erlaubt, allein diese Reise zu unternehmen. Dort lässt sich das Paar religiös trauen, damit ihr Zusammensein einen offiziellen Rahmen erhält. Irgendwie schaffen es die beiden, für die Frau ein Ticket zu besorgen mit einer Destination ohne Visumzwang und Umsteigen in Kloten. Am Flughafen stellt sie ein Asylgesuch und erhält dann auf Intervention des UNHCR auch die Einreise. Schon bei der Befragung im Empfangszentrum Kreuzlingen gibt es ein Gewisper zwischen Befragerin und Hilfswerkvertreterin. Die Rechtsvertreterin reicht rechtzeitig ein Gesuch um Zuweisung in den Wohnkanton Genf des Ehemannes ein. Der Ehevertrag der religiösen Trauung liegt in den Akten. Die Zuweisungsverfügung lautet: Kt. Bern. Eine konsternierte Angestellte des Migrationsamtes ruft an. Vor ihr stünden eine völlig verzweifelte junge Frau und ein aufgeregter Mann. Im Zuweisungsbüro des Bundesamtes für Migration habe man von Verdacht auf Frauenhandel gesprochen, dabei sehe man den beiden doch von weitem an, dass das ein verliebtes Paar sei. Die Rechtsvertreterin ruft nun ihrerseits dieses Büro in Wabern an. Die Zuständige flippt aus, sie hätte gar nichts unterstellt, aber man wisse ja, was es da alles gäbe... «Also doch Verdacht auf?» «Fragen Sie doch meinen Chef!», faucht es auf der anderen Seite, bevor die Verbindung unterbrochen wird.
Eine Beschwerde beim EJPD gegen die Zuweisung wird abgelehnt. Die religiöse Heirat werde in der Türkei nicht anerkannt, also auch in der Schweiz nicht, also gebe es keinen Anspruch usw.
Komplizierte Umstände, die junge Frau muss nun von ihrem Mann getrennt allein in einem Erstaufnahmezentrum hausen. Die Vorbereitung für die zivile Trauung läuft an, das Hin- und Herreisen zwischen den Kantonen kostet Zeit und Geld. Wenn die Bürokratie in Genf den Papierhürdenlauf beendet, wird das mutmassliche Täter-Opfer-Paar endlich in Ruhe sein Eheglück geniessen können, während wirkliche Opfer des Frauenhandels noch lange auf effektiven Schutz warten können.

Zürich

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