Bulletin Nr. 44; Dezember 2004

Tschetschenische Flüchtlinge müssen gehen - in die «sichere» russische Föderation

Lesen Sachbearbeiter des BFF überhaupt?

Sachbearbeiter, die über das Schicksal von Flüchtlingen entscheiden, sollten informiert sein über die Verhältnisse im Heimatland der Geflüchteten. Ob die «wissenschaftlichen Adjunkte» des Bundesamts für Flüchtlinge (BFF) das sind, muss bezweifelt werden.
Lesen «wissenschaftliche Adjunkte» in Wabern Zeitung? Lesen sie überhaupt? Wabern ist ein Vorort von Bern. Endstation. Dort befindet sich ein prächtiges weisses Gebäude, viel Glas, viel Kunst, luftige Galerien, viel Grün im Innern vermitteln einen Hauch von Grosszügigkeit. Das BFF hat da, am Quellenweg, seinen Hauptsitz, wenigstens noch bis Ende Dezember. Was nach der Zusammenlegung mit dem Imes - Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung - von diesem Amt übrig bleibt, wird sich weisen. Wenn die Verschärfungen in der Asylpraxis weitergehen wie bisher, gibt es bald keine Flüchtlinge mehr, dann braucht es auch kein Bundesamt dafür. Beeinflusst die Architektur auch das Denken der innerhalb des Gebäudes Beschäftigten? Auffallend ist, dass im Gegensatz zur Grosszügigkeit der Eingangshalle die Korridore auf den Etagen schmal wirken, die Büros selber sind quadratmetermässig geizig bemessen. Es ist eng. Eng wirkt mehrheitlich auch die Denkweise der Befragenden und Entscheidenden, soweit dies aus ihren Produkten, den Negativentscheiden über Asylgesuche, hervorgeht. Wie viel von dieser Enge von den Chefetagen vorgegeben ist, wie viel Eigenes noch Platz hat, ist nicht auszumachen. Beispiel Tschetschenien. Ein durchschnittlich zeitungslesendes Publikum dürfte ungefähr wissen, was in dieser kriegszerstörten Teilrepublik der Russischen Föderation seit Jahren geschehen ist und immer noch geschieht. Es dürfte auch informiert sein über die «Kriegserklärung» Präsident Putins, der nach der schrecklichen Geiselnahme in Beslan den Terror ausrotten will, wo und wie auch immer. Dass die Menschenrechte dabei noch weiter unter die Räder geraten, ist absehbar. Wissenschaftliche Adjunkte, die über das Schicksal von Flüchtlingen entscheiden, sollten nun aber informierter sein als durchschnittliche Medienkonsumenten, sie sitzen am Quellenweg an der Quelle sämtlicher Nachrichten und Dokumentationen über alle Krisenregionen der Welt. Sie beschäftigen Analysten, die nichts anderes tun, als eben diese Nachrichten zu sortieren und Prognosen zu verfassen.
 
Ein toter Tschetschene mehr oder weniger ...
Kommen wir an den Anfang zurück. Lesen die Entscheider überhaupt? Zweifel sind angebracht. In Nichtbeachtung aller Stellungnahmen von Schweizer Flüchtlingshilfe, Amnesty International, Europarat, Memorial und Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge fahren sie fort, Wegweisungen für tschetschenische Flüchtlinge zu verschicken. Zwar erachten auch sie die Rückkehr nach Tschetschenien als unzumutbar, aber die Russische Föderation sei gross und sie könnten ja die verfassungsrechtliche Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen. Verfassungsrecht und Wirklichkeit im Antiterrorkrieg sind zweierlei, auch dies ist den Stellungnahmen der erwähnten Organisationen zu entnehmen. Lesen die Adjunkten vielleicht doch und handeln bewusst gegen bessere Einsicht? Etwa dreihundert Menschen aus Tschetschenien leben in der Schweiz, sie gelten als Russen. Wenige sind als Flüchtlinge anerkannt, einige wurden vorläufig aufgenommen, die anderen sollen ins Ungewisse abgeschoben werden. Ein toter Tschetschene mehr oder weniger, wen kümmerts, solange die Handelsbeziehungen mit Russland gedeihen? Öl, Gas, Fluchtkapital - liegt da vielleicht die Erklärung? augenauf Zürich

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