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Innenministerium Baden-Württemberg, 27.08.99
Stellungnahme zum Antrag der Abgeordneten Renate Thon
Mit Schreiben vom 27. August
1999 Nr. 4-13/Ageeb, A.O. M./99 nimmt das Innenministerium - hinsichtlich
der Nummern 1 und 2 im Benehmen mit dem Justizministerium - hinsichtlich Nummer
4 im Benehmen mit dem Sozialministerium - zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Zu Nr.
1:
Der sudanesische Staatsangehörige Ageeb hat während seiner
Abschiebungshaft nach den vorliegenden Erkenntnissen keinen Suizidversuch
unternommen.
In der Nacht zum 21. Mai 1999 wurde Herr Ageeb im Anschluss an
einen Haftprüfungstermin in Polizeigewahrsam verbracht. Er nahm in der
Gewahrsamszelle Selbstbeschädigungshandlungen, nicht jedoch einen
Selbsttötungsversuch, an sich vor. Noch am selben Tag ordnete die Anstalt die
Verlegung des Gefangenen in das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg an.
Bereits wenige Tage später wurde er von dort in die JVA Mannheim zurückverlegt,
da die Suizidgefahr hinreichend sicher ausgeschlossen werden konnte. Genauere
Angaben zum Behandlungsverlauf im Justizvollzugskrankenhaus können derzeit nicht
gemacht werden; die Krankenakten wurden von der ermittelnden Staatsanwaltschaft
aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt/M. beschlagnahmt.
Am
14. April 1999 hatte sich Herr Ageeb in der JVA Mannheim aggressiv verhalten.
Nach den Aussagen des in den Haftraum gerufenen Justizbeamten ergriff er ein
Messer und drohte, sich oder den Beamten etwas anzutun. Auch ein hinzugekommener
Mitarbeiter der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge (LASt) wurde von ihm mit
dem Messer bedroht. Nach den Aussagen aller bei diesem Vorfall Anwesenden kam es
dabei nicht zu einem Selbsttötungsversuch. Anzeichen für suizidale Absichten
ergaben sich aus der Sicht des LASt - Mitarbeiters nicht. Herr Ageeb wurde nach
diesem Vorfall zur weiteren Beobachtung in das Krankenrevier der Anstalt
verlegt. Bereits am nächsten Tag konnte er aus dem Revier entlassen
werden.
Zu Nr.
2:
a) Die Haftsituation kann - gerade in den ersten Tagen und Wochen -
bei Gefangenen zu einer psychischen Belastung führen. Die Vollzugsbediensteten
sind entsprechend sensibilisiert und nehmen bereits erste Anzeichen, die auf
Selbstmord- oder Selbstbeschädigungsabsicht hindeuten, sehr ernst. Auch der
Anstaltsarzt legt bei der obligatorischen Aufnahmeuntersuchung besonderes
Augenmerk auf diesen Punkt. Ergeben sich Anhaltspunkte für Selbstbeschädigungs-
oder Suizidgefahr so muss jeder Bedienstete unverzüglich einen Anstaltsarzt oder
einen Anstaltspsychologen benachrichtigen. Diese entscheiden, ob ein Psychiater
hinzuzuziehen ist. Wenn die Behandlungsmöglichkeiten in der Anstalt - auch unter
Hinzuziehung eines externen Psychiaters - nicht ausreichen, besteht die
Möglichkeit, den Ge-fangenen in die psychiatrische Abteilung des
Justizvollzugskrankenhauses zu verlegen.
b) Leichtere Verletzungen bei
Gefangenen werden auch von ausgebildeten Krankenpflegern bzw.
Krankenpflegehelfern versorgt. Lassen die Verletzungen jedoch den Schluss auf
Selbstbeschädigungsabsicht zu, so wird - wie unter 2. a) ausgeführt -
unverzüglich der Anstaltsarzt oder der Anstaltspsychologe benachrichtigt.
c.) Der in der Abschiebungshafteinrichtung Mannheim tätige Psychologe
verfügt, ebenso wie der dort regelmäßig herangezogene externe Psychiater, über
englische Sprachkenntnisse. Gerade in Fällen der Suizidgefahr erfolgt - wie oben
beschrieben - eine enge Zusammenarbeit mit dem Krankenrevier der Anstalt, in dem
neben drei hauptamtlichen Ärzten ein Krankenpfleger, zwei Arzthelferinnen und 14
Krankenpflegehelfer tätig sind. Die Ärzte des Reviers verfügen über englische
Sprachkenntnisse, jeweils eine Ärztin darüber hinaus über französische und
spanische Sprachkenntnisse.
Zu Nr.
3:
Das Regierungspräsidium Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für
Flüchtlinge (LASt) - hat die Abschiebung in Amtshilfe für die zuständige
Ausländerbehörde Pinneberg betrieben.
Die LASt hat den Zwischenfall vorn 14.
April 1999 zum Anlass genommen, den Bundesgrenzschutz um Begleitung der
Abschiebung von Herrn Ageeb zu bitten; zur Begründung dafür wurde Herr Ageeb als
,,gewalttätig, renitent" bezeichnet.
Die LASt hat mit Schreiben vom 26. Mai
1999 an den Bundesgrenzschutz (Überstellungsauftrag) die im Vordruck enthaltene
Frage ,,Liegen der mitteilenden Behörde Erkenntnisse vor, dass der Ausländer zur
Verhinderung der Rückführung sich selbst Verletzungen beibringen könnte?" mit
,,nein" beantwortet. Für eine andere Antwort bestand nach dem der LASt
vorgelegten Polizeibericht und dem Ergebnis der Untersuchung von Herrn Ageeb
durch den Polizeiarzt, die mit dem Untersuchungsgrund ,,Suizidversuch"
durchgeführt worden war, kein Anlass. Der Arzt stellte Haftfähigkeit fest,
vermerkte lediglich eine leichte Stirnprellung mit oberflächlicher
Hautabschürfung und konnte im Übrigen am Hals keine Druckstellen von einer
versuchten Strangulierung feststellen. Dem Polizeivollzugsdienst wurden vom Arzt
keinerlei Maßgaben für eine verstärkte Überwachung gegeben, die jedoch üblich
sind, wenn der Arzt von einer bestehenden Suizidgefahr ausgeht. Die LASt konnte
deshalb von einem nicht ernsthaften bzw. einem vorgetäuschten Suizidversuch
ausgehen.
Zu Nr.
4:
Im anglikanischen Sprachgebrauch versteht man unter ,,positional
asphyxia" allgemein das Bestehen von Luftnot aufgrund einer bestimmten
Körperhaltung. Der Begriff findet Anwendung sowohl im Zusammenhang mit
plötzlichem Kindstod, wo lagerungsbedingte Ursachen vermutet werden, als auch im
Zusammenhang mit Schutzfixierungen aus psychiatrischen oder forensi-sehen
Gründen.
Im letzteren Fall ist von einer fixierungsbedingten (aber
unbeabsichtigten) Einengung des Brustkorbes und eventuell auch des Bauchraumes
auszugehen, was dazu führt, dass die Person nicht mehr in der Lage ist, maximal
einzuatmen. Wenn bei körperlicher Anstrengung oder Aufregung unwillkürlich
vermehrte Luftnot besteht, kann dieser erhöhte Luftbedarf nicht gestillt werden.
In diesem Fall setzen zentral gesteuerte Erregungszustände ein mit der Folge,
dass sich der Sauerstoffbedarf noch weiter erhöht. Wenn diese Spirale von
Luftnot und Erregung nicht durch geeignete Maßnahmen unterbrochen wird, kann es
zu der in Rede stehenden tödlichen Hirnschädigung kommen.
Zu Nr.
5:
Im Juni 1999 wurden dem Innenministerium Baden-Württemberg durch die
Geschäftsstelle des Unterausschusses ,,Führung, Einsatz und
Kriminalitätsbekämpfung" des Arbeitskreises II ,,Innere Sicherheit" der
Innenministerkonferenz Unterlagen über das Positional -Asphyxia - Phänomen
zugesandt. Diese wurden dem polizeiärztlichen Dienst und dem Fachkoordinator
Einsatztraining beim Bereitschaftspolizeipräsidium mit der Bitte um Prüfung und
Berichterstattung weitergeleitet, in welcher Weise die Erkenntnisse aus diesen
Schreiben in die Aus- und Fortbildung eingebaut werden können. Dieses Verfahren
dauert noch an.
Außerdem wird in Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg
und Bayern zurzeit ein Lehrvideo zum Positional - Asphyxia - Phänomen erstellt,
welches nach Fertigstellung allen Beamten zur Verfügung gestellt werden soll.
Im Zusammenhang mit der Mitteilung über die Wiederaufnahmine begleiteter
Rückführungen ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg hat das
Bundesministerium des Innern die Länder mit Schreiben vom 25. Juni 1999 gebeten,
dem Bundesgrenzschutz - gerade auch im Hinblick auf das Positional - Asphyxia -
Phänomen - alle für die Rückführung auf dem Luftwege wichtigen Informationen
über die Person des Rückzuführenden zur Verfügung zu stellen. Das
Innenministerium hat das Schreiben des Bundesministeriums des Innern den
Regierungspräsidien übermittelt und um besondere Beachtung gebeten.
Dr. Schäuble
Innenminister