Camenisch

Im Vorfeld des Prozesses

20030930 Blick: Camenisch wird des Mordes angeklagt

Artikel vom 30. September 2003, 16:10 Uhr / Quelle: Blick Online

Camenisch wird des Mordes angeklagt

ZÜRICH Hat der Ökoterrorist Marco Camenisch einen Zöllner ermordet? Diese Frage wird nächstes Jahr vom Zürcher Obergericht geklärt.

1981 brach Camenisch mittlerweile 51 Jahre alt zusammen mit zwei anderen Mithäftlingen aus der Strafanstalt Regensdorf aus. Acht Jahre später soll er in Brusio einen Grenzwächter erschossen haben.
Im Februar letzten Jahres hat Italien Camenisch an die Schweiz ausgeliefert. Der Mord am Zöllner und der Ausbruch aus dem Gefängnis wurden daraufhin von der Bezirksanwaltschaft Zürich neu untersucht.

Nun muss sich Camenisch nächstes Jahr vor dem Zürcher Geschworenengericht verantworten. Ihm wird versuchter Mord an einem Aufseher in Regensdorf und vollendeter Mord am Grenzwächter in Brusio vorgeworfen.


20030930 TA: Mordanklage gegen Camenisch

30.09.2003 -- Tages-Anzeiger Online

Mordanklage gegen Camenisch

Die Staatsanwaltschaft Zürich erhebt Anklage wegen Mordes gegen den Bündner Ökoaktivisten Marco Camenisch.

Camenisch soll 1989 in Brusio GR einen Grenzwächter getötet haben. 1981 habe er versucht, einen Aufseher der Strafanstalt Regensdorf zu ermorden.
Ein weiteres Verfahren in diesem Zusammenhang sei eingestellt worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Man habe Camenisch nicht nachweisen können, dass er in der ersten Phase des Ausbruchs gewusst habe, dass Waffen eingesetzt würden.

Mithäftlinge von Camenisch töteten in dieser Phase einen Aufseher und verletzten einen zweiten schwer. Insgesamt brachen am 17. Dezember 1981 sechs Gefangene aus der Strafanstalt Regensdorf ZH aus.

Von diesen ist heute keiner mehr auf der Flucht. Zwei wurden unmittelbar nach dem Ausbruch geschnappt. Der gewalttätige Ausbruch von Camenisch selbst - mit der Anklage wegen versuchten Mordes an einem dritten Aufseher - wird nun gemeinsam mit dem Tötungsdelikt von Brusio GR aus dem Jahre 1989 in Zürich verhandelt.

Das Verfahren gegen den heute 52-jährigen Camenisch wird voraussichtlicht in der ersten Hälfte des nächsten Jahres vor dem Zürcher Geschworenengericht oder dem Obergericht verhandelt. Camenisch ist nicht geständig: Laut Weder hat er bislang von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

Camenisch wurde letztes Jahr von Italien an die Schweiz ausgeliefert. In Italien sass er ebenfalls in Haft: 1993 wurde er in der Stadt Massa di Carrara wegen fahrlässiger Körperverletzung und Bombenanschlägen zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Festnahme erfolgte 1991 im Norden der Toskana nach einem Schusswechsel mit zwei Carabinieri. Dabei erlitten ein Polizeibeamter und Camenisch selbst Verletzungen.

In der Schweiz hat der als Ökoterrorist bekannt gewordene Camenisch noch eine Reststrafe von rund sieben Jahren wegen Anschlägen auf Strommasten abzusitzen. Auf Wunsch der Zürcher Justizbehörden wurde er im Frühling aus der Churer Strafanstalt Sennhof ins Hochsicherheitsgefängnis Pfäffikon ZH verlegt. (grü/sda)


20031001 NZZ: Marco Camenisch wegen Mordes angeklagt

1. Oktober 2003, 02:25, Neue Zürcher Zeitung

Marco Camenisch wegen Mordes angeklagt
Hat der Öko-Terrorist einen Grenzwächter erschossen?

Gegen den als Öko-Terrorist bekannt gewordenen Bündner Marco Camenisch ist von der Zürcher Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes und wegen Mordversuchs erhoben worden. Dem 51-jährigen Camenisch wird vorgeworfen, 1989 im bündnerischen Brusio einen Grenzwächter erschossen zu haben. Der Vorwurf des Mordversuchs bezieht sich auf die Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf im Dezember 1981.


-yr. Zusammen mit fünf weiteren Insassen flüchtete Marco Camenisch am 17. Dezember 1981 aus der damaligen Strafanstalt Regensdorf. Bei der Flucht wurde ein Aufseher erschossen und ein zweiter Aufseher schwer verletzt. Der inzwischen verstorbene Haupttäter, der die Schüsse abgegeben hatte, wurde 1984 vom Zürcher Geschworenengericht wegen Mordes und wegen schwerer Körperverletzung zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Fast 22 Jahre nach der gewalttätigen Flucht ist das Strafverfahren gegen Marco Camenisch bezüglich des getöteten beziehungsweise des schwer verletzten Aufsehers eingestellt worden. Dies teilte die Zürcher Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Es habe ihm nicht nachgewiesen werden können, dass er zu Beginn der Flucht gewusst hatte, dass seine Mitflüchtlinge Waffen dabei hatten.

In Italien langjährige Strafe verbüsst

Trotzdem erhob Staatsanwalt Ulrich Weder im Zusammenhang mit der Flucht aus der Strafanstalt Anklage wegen Mordversuchs: Camenisch wird für die Schüsse eines Komplizen auf einen dritten Aufseher mitverantwortlich gemacht. Diese Schüsse wurden im weiteren Verlauf des Ausbruchs abgegeben, der Aufseher aber nicht getroffen. In dieser Phase der Flucht hatte Camenisch laut Staatsanwaltschaft Kenntnis von den Schusswaffen. Im schwerwiegendsten Vorwurf ist Marco Camenisch als Einzeltäter angeklagt: Er wird beschuldigt, am 3. Dezember 1989 in Brusio (GR) einen Grenzwächter erschossen zu haben.

Erstmals verurteilt wurde Camenisch 1981 vom Kantonsgericht Graubünden, das ihn wegen diverser politisch motivierter Sprengstoffanschläge auf Elektrizitätseinrichtungen in der Umgebung von Bad Ragaz (GR) mit zehn Jahren Zuchthaus bestrafte. Nach der Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf tauchte Camenisch vorwiegend in Italien unter. Anfang November 1991 wurde er zusammen mit einem Komplizen in der nördlichen Toskana festgenommen. Der Verhaftung ging ein Schusswechsel mit der Polizei voraus, bei dem ein Carabiniere und Camenisch verletzt wurden. Vom Vorwurf der versuchten Tötung wurde Camenisch später freigesprochen. Ein Gericht in Massa Carrara verurteilte ihn aber Anfang April 1993 wegen fahrlässiger Körperverletzung und Sprengstoffanschlägen auf Strommasten zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren.

Aussage verweigert

Nach der Verbüssung dieser Strafe wurde Marco Camenisch im April letzten Jahres an die Schweiz ausgeliefert. Zurzeit sitzt der Bündner Öko-Terrorist den Rest seiner zehnjährigen Zuchthausstrafe in der Sicherheitsabteilung des Bezirksgefängnisses Pfäffikon ab. Nach einem gutgeheissenen Rekurs wird er wieder von seinem vertrauten Rechtsanwalt Bernard Rambert verteidigt. In den Einvernahmen zum Vorwurf, den Grenzwächter ermordet zu haben, verweigerte Camenisch die Aussage. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Fall vor das Geschworenengericht kommt. Die Verhandlung findet vermutlich in der ersten Hälfte des nächsten Jahres statt.


20040504 ZUL: Camenisch isst wieder

Zürcher Unterländer 4.05.04

KLOTEN

Camenisch isst wieder

Der im Flughafengefängnis inhaftierte mutmassliche Mörder Marco Camenisch hat seinen Hungerstreik am vergangenen Freitag nach 30 Tagen unterbrochen.

Steffen Riedel


Marco Camenisch protestierte mit dem Hungerstreik gegen die Isolationshaft, erklärte Andrea Stauffacher, Sprecherin von Marco Camenischs langjährigem Anwalt Bernard Rambert. Es gehe dem Inhaftierten den Umständen entsprechend gut. Der Hungerstreik sei aber keineswegs beendet, sondern bloss unterbrochen, betonte Stauffacher.

Prozess wegen Mordes

Camenisch wolle für seinen bevorstehenden Prozess vor dem Zürcher Geschworenengericht zu Kräften kommen und habe deshalb beschlossen, vorläufig wieder zu essen. Der Prozess beginnt am kommenden Montag und soll bis Ende des Monats dauern. Die Staatsanwaltschaft wirft Camenisch vor, 1989 in Brusio einen Grenzwächter erschossen zu haben. Auch soll Camenisch 1981 beim Ausbruch aus der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf versucht haben, einen Aufseher zu töten.

Ob Camenisch während des Prozesses weiterhin im Flughafengefängnis untergebracht sein wird, ist gemäss Stauffacher noch nicht klar. Auch stehe noch nicht fest, wann er den Hungerstreik fortsetzen werde.

Bündner Öko-Terrorist

Camenisch, der aus der Umgebung von Davos stammt, ist selbst Sohn eines Grenzwächters. Die Bezeichnung Öko-Terrorist brachte ihm Ende der 70er Jahre ein Sprengstoffanschlag auf Elektrizitätseinrichtungen bei Bad Ragaz SG ein.


20040507 NZZ: Mordprozess gegen Marco Camenisch

7. Mai 2004, 02:30, Neue Zürcher Zeitung

Mordprozess gegen Marco Camenisch
Vierwöchige Verhandlung am schwer bewachten Geschworenengericht

Am kommenden Montag beginnt am Geschworenengericht in Zürich der Prozess gegen den 52-jährigen Marco Camenisch. Dem Bündner Öko-Terroristen wird vorgeworfen, 1989 auf der Flucht einen Grenzwächter erschossen zu haben. Verhandelt wird zudem Camenischs Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf von 1981, bei dem ein Mitglied der sogenannten Alfa-Bande einen Gefängnismitarbeiter erschoss.

-yr. Selten liegt eine Tat, die von einem Gericht beurteilt werden muss, so weit zurück wie im Fall von Marco Camenisch. Der 52-jährige Bündner, der die letzten zwölfeinhalb Jahre in Haft verbracht hat, muss sich ab kommendem Montag am Geschworenengericht in Zürich wegen Mordes und wegen Mordversuchs verantworten. Die Zürcher Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 17. Dezember 1981 beim Ausbruch aus der damaligen Strafanstalt Regensdorf den Tod eines Gefängnismitarbeiters in Kauf genommen zu haben. Mit Camenisch flüchteten damals fünf Mitglieder der berüchtigten Alfa-Bande. Dabei erschossen sie den Chef der Gefängnis-Korberei und verletzten einen weiteren Mitarbeiter schwer. Persönlich angelastet wird Camenisch der Mord am 36-jährigen Grenzwächter Kurt Moser, den er am 3. Dezember 1989, noch immer auf der Flucht, im Puschlav erschossen haben soll. Bis anhin verweigerte der als Öko-Terrorist bekannte Camenisch zu beiden Vorwürfen die Aussage. Offen ist, wie er sich diesbezüglich am mehrwöchigen Prozess verhalten wird. Verteidigt wird er von Bernard Rambert. Die Anklage vertritt Staatsanwalt Ulrich Weder.

Mit der Alfa-Bande geflüchtet

Marco Camenisch, der sich Ende der siebziger Jahre als dem militanten Teil der Anti-AKW-Bewegung und des Protests gegen die Rheinkraftwerke Ilanz I und II zugehörig verstand, genoss in der Zürcher Jugendbewegung 1980 ebenso viele Sympathien, wie er das über 20 Jahre später in der Antiglobalisierungs-Bewegung tut. In die Kriminalität abgedriftet ist Camenisch 1979 mit zwei Sprengstoffanschlägen auf einen Hochspannungsmast beziehungsweise ein Elektrizitäts- Unterwerk der NOK im Bündnerland. Das Kantonsgericht Graubünden verurteilte ihn deswegen im Januar 1981 zu zehn Jahren Zuchthaus, einem Jahr mehr, als die Bündner Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Dieses Strafmass erscheint aus heutiger Sicht als exemplarisch hoch und ist wohl zumindest teilweise auf das damalige politische Klima zurückzuführen.

In der Strafanstalt Regensdorf, wo er die Strafe hätte absitzen müssen, tat sich Camenisch im Dezember 1981 mit fünf Mitgliedern der berüchtigten Alfa-Bande zusammen, um die Flucht vorzubereiten. Die vorwiegend aus Italienern bestehende Alfa-Bande verübte Mitte der siebziger Jahre in unterschiedlicher Zusammensetzung mehrere Raubüberfälle. Bei einer Flucht wurden 1974 in Oberriet (SG) zwei Grenzwächter und ein unbeteiligter Automobilist erschossen. Der damalige Haupttäter war auch bei der Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf dabei; er ist der einzige der Alfa-Bande, der heute noch greifbar ist - er verbüsst eine Haftstrafe in Bergamo. Laut Auskunft eines Vertreters des Geschworenengerichts ist er aber nicht bereit, am Prozess gegen Marco Camenisch auszusagen. Zwei weitere Mitglieder der damaligen Fluchtgruppe wurden später erschossen - der eine von der italienischen Polizei, der andere während eines Banküberfalls in Turin von einem Komplizen.

Ursprünglich wurde gegen Camenisch im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus dem Gefängnis ein Strafverfahren wegen Mordes und wegen schwerer Körperverletzung geführt. Dieses Strafverfahren wurde im September letzten Jahres eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen konnte, dass Camenisch zu Beginn der Flucht von der Bewaffnung der Alfa-Bande gewusst hatte. Vorgeworfen wird ihm in der Anklageschrift hingegen, im späteren Verlauf der Flucht mitbeteiligt gewesen zu sein, als auf das Büro des Oberaufsehers geschossen wurde. Weil Camenisch inzwischen wusste, dass seine Komplizen Schusswaffen einsetzen, nahm er gemäss Anklageschrift den Tod des Oberaufsehers zumindest in Kauf, was strafrechtlich als Mordversuch qualifiziert wird.

Mord nach Besuch des Grabes des Vaters?

Erst acht Jahre später tauchte der verschollen Geglaubte wieder auf - am Sonntagmorgen des 3. Dezember 1989 klingelte Marco Camenisch etwa um 8 Uhr im reformierten Pfarrhaus von Brusio (GR). Dem Pfarrer und seiner Ehefrau, die er beide von früher kannte, sagte er, er habe das Grab seines Vaters besucht, der rund zwei Monate zuvor gestorben war. Erst im Verlaufe des Tages erfuhren der Pfarrer und seine Frau, dass morgens um 7 Uhr 45 auf offener Strasse Kurt Moser erschossen worden war - wie Camenischs Vater war auch Moser Grenzwächter. Gemäss Anklageschrift starb Moser durch drei Schüsse, die von Camenisch aus nächster Distanz aus einem Revolver abgegeben wurden. - Nach stundenlangen Verhandlungen zeigte sich der Pfarrer von Brusio bereit - vermutlich von Camenisch eingeschüchtert -, ihn ins Nachbardorf zu fahren. Dort flüchtete der mutmassliche Mörder durch den tiefen Schnee über die Berge nach Italien. Diesmal dauerte die Flucht bis am 5. November 1991, als Camenisch in der Toskana festgenommen wurde. In Italien wurde er im April 1993 wegen vorsätzlicher Körperverletzung - bei der Verhaftung schoss er auf einen Carabiniere - und wegen diverser Sprengstoffanschläge auf Elektrizitäts-Einrichtungen zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 2002 wurde Camenisch in Italien vorzeitig aus der Haft entlassen und an die Schweiz ausgeliefert.

Rigorose Sicherheitsvorkehrungen

Im Vorfeld und während des Geschworenengerichtsprozesses wurden verschiedene Kundgebungen von Sympathisanten des Bündner Öko-Terroristen angekündigt. Für die Hauptverhandlung wird das Gerichtsgebäude von der Kantonspolizei durch rigorose Sicherheitsvorkehrungen geschützt, ähnlich wie vor anderthalb Jahren beim Prozess gegen die Entführer des Schülers Kuvet. In der ersten Verhandlungswoche sollen die Vorkommnisse rund um den Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf zur Sprache kommen. Die Befragungen zum Mord am Grenzwächter Kurt Moser sind ab Dienstag, dem 18. Mai, eingeplant. Der ehemalige Pfarrer von Brusio, der vom Bundesgericht 1991 vom Vorwurf der Begünstigung freigesprochen wurde, hat sich mit einem ärztlichen Zeugnis von der Befragung dispensieren lassen. Die Urteilseröffnung ist für Freitag, den 4. Juni, vorgesehen.


KASTEN
Wieso ein Mord aus dem Puschlav in Zürich beurteilt wird

-yr. Der Gerichtsstand für eine zu beurteilende Straftat ist im Normalfall jener Ort, an dem das Delikt begangen wurde (Art. 346 StGB). Marco Camenisch wird zweier strafbarer Handlungen beschuldigt: Neben dem Mord an einem Grenzwächter im Dezember 1989 im Puschlav wird ihm auch ein Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf vom Dezember 1981 vorgeworfen. In einem solchen Fall sind die Behörden jenes Ortes zuständig, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist (Art. 350, Ziff. 1 StGB). Für vollendeten Mord lautet die Höchststrafe lebenslänglich, ein vollendeter Mordversuch hingegen - wie im Fall des Regensdorfer Ausbruchs - wird milder bestraft. Somit wäre der Gerichtsstand also der Kanton Graubünden. Doch ursprünglich wurde gegen Camenisch auch im Fall Regensdorf wegen Mordes ermittelt (siehe Hauptartikel). Somit waren die beiden Straftaten gleichwertig. In diesem Fall gilt die chronologische Reihenfolge, weshalb die Zürcher Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernahm. Als das Strafverfahren wegen Mordes im Fall Regensdorf eingestellt wurde, wechselte man den Gerichtsstand aus prozessökonomischen Gründen nicht mehr. Nach dem heutigen Wissensstand allerdings - Camenisch ist im Fall Regensdorf lediglich noch wegen Mordversuchs angeklagt - wären eigentlich die Graubündner Justizbehörden für den Fall zuständig.


20040507 Tagblatt: Die Öffentlichkeit polarisiert / Marco Camenisch und die Justiz

St. Galler Tagblatt - 7. Mai 2004

Die Öffentlichkeit polarisiert

Ab Montag steht der 52-jährige Bündner Marco Camenisch vor dem Zürcher Geschworenengericht. Anklage: Mordversuch und Mord. In den 80er-Jahren hatte er mit Sprengstoffanschlägen auf Elektrizitätsanlagen Schlagzeilen gemacht. Vielen wurde er damals zu einem Idol. Die Anklage jetzt bezieht sich auf die Flucht aus dem Gefängnis Regensdorf und auf die Tötung eines Grenzwächters.

Für die einen ist er ein Öko-Terrorist und ein Mörder, für die anderen ein Umweltaktivist, der einzige politische Gefangene der Schweiz oder gar ein moderner Tell. Marco Camenisch polarisiert, seit er vor 25 Jahren Strommasten sprengte. Und er mobilisiert.

Im ostpolnischen Bialystok demonstrieren Autonome für ihn, im norditalienischen Bergamo wird eine Credit- Suisse-Filiale mit Parolen für seine Freilassung voll gesprayt. Gleiches hatten bereits im Frühjahr 2003 Unbekannte gefordert, als sie im toskanischen Wintersportort Abetone eine Seilbahnstation und eine Mobilfunkantenne zerstörten. Wo immer der Schwarze Block in der Schweiz aufmarschiert, sei es in Zürich am 1. Mai oder zum Davoser Weltwirtschaftsforum, schreit er Paro-len für Camenisch. In Palermo, Brüssel, Aarau oder gar in Argentinien finden Solidaritätskundgebungen für den international bekanntesten Schweizer Gefangenen statt. Und zum Zürcher Prozess reist eine Schar von Prozessbeo- bachtern aus der links-alternativen Szene Europas an. Für sie ist Marco Camenisch in den langen Jahren hinter Gitter zu einer Ikone des Widerstands geworden, sein Name zu einem Schlagwort im Protest gegen Kapitalismus und Globalisierung.

NOK: Klassischer Terrorakt

Wer aber ist der Mann, der es zu solcher Bekanntheit brachte? Marco Camenisch zog in seiner Kindheit im Bündnerland von Grenzort zu Grenzort. Sein Vater war Zollbeamter. Marco sei damals das Maskottchen der Grenzwächter gewesen. Kurz vor der Matur brach er die Evangelische Mittelschule in Schiers ab. Er besuchte einen Sennenkurs, arbeitete als Stallbursche einige Monate in der Reitschule St. Georg in Chur, zog mit seiner Freundin auf eine Alp, wurde Vater, heiratete. Die Ehe hielt kaum ein Jahr. In der Bündner Kantonshauptstadt stiess Camenisch als junger Erwachsener zu einer kleinen Anarchistenclique, die über Naturzerstörung, Staatsmacht und Klassenkampf diskutierte. Camenisch wollte handeln. Mit einem Gesinnungsgenossen stahl er Sprengstoff, den die Bergbahnen Lenzerheide fürs Lawinensprengen gelagert hatten, und verübte zwei Anschläge auf Anlagen der Energiewirtschaft im Rheintal (vgl. Chronologie im Kasten). Die Geschäftsleitung der geschädigten Nordostschweizer Kraftwerke (NOK) bezeichnete die Taten als klassischen Terrorakt. Bei vielen im Bündnerland, auch bei Bürgerlichen, stiessen die Aktionen der beiden Anarchisten jedoch auf Verständnis. Die Schweizer Anti-Atom-Bewegung erreichte in jenen Jahren mit den Protesten gegen das geplante Atomkraftwerk in Kaiseraugst ihren Höhepunkt. Halb Graubünden wehrte sich gleichzeitig gegen eine Energiepolitik, die vorsah, das Wasser des Hinterrheins in die Kraftwerke Ilanz 1 und 2 umzuleiten. Camenisch und sein Mitstreiter wurden zwei Wochen nach ihrem zweiten Anschlag von einem Kameraden verraten und in einer Kommune in St. Gallen verhaftet. 1981 fand in Chur der Prozess gegen sie statt, in einem von Jugendprotesten und Terrorangst oder -hysterie aufgeheizten politischen Klima. Die Bündner Presse nannte Camenisch einen Öko-Terroristen, ein Label, das ihm bis heute anhaftet. Spätestens mit dem Urteil des Bündner Kantonsgerichts wurde Camenisch zum Idol der protestierenden Jugend in Zürich.

Drakonische Urteile

Die Verdikte der Churer Richter fielen hart aus und sind - dies bestreitet heute niemand - nur aus dem Geist der Zeit heraus zu verstehen. In Camenischs Fall übertraf das Bündner Kantonsgericht 1981 mit einer Strafe von zehn Jahren Zuchthaus sogar den Antrag des Staatsanwalts um ein Jahr. Der Tages-Anzeiger sprach damals von einem drakonischen Urteil. Die Weltwoche teilte jüngst diese Einschätzung und stellte fest, dass damals niemand Graubündens Infrastruktur, Symbole der Wohlfahrt des Bergkantons, angreifen konnte, ohne massiv sanktioniert zu werden. Für viele 80er-Bewegte galt Camenisch fortan als politischer Gefangener. Heute, ein Vierteljahrhundert später, sind es zum Teil die gleichen Köpfe, zum Teil die Kinder jener Generation, die sich für den Bündner einsetzen. Noch im Jahr seiner Verurteilung machte Camenisch erneut Schlagzeilen. Am 17. Dezember 1981 brach er mit fünf anderen Häftlingen aus der Strafanstalt Regensdorf aus, vermutlich mit Hilfe von aussen. Unter den Flüchtenden waren mehrere Mitglieder der berüchtigten italienischen Alfa-Bande. Zwei der Flüchtenden schossen beim Ausbruch mit einer Pistole und einem Revolver um sich. Ein Aufseher wurde erschossen, ein weiterer verletzt. Camenisch und drei weiteren Ausbrechern gelang die Flucht nach Italien. Obwohl Camenisch selber nicht geschossen hat, ist er ab kommender Woche in diesem Fall als Mittäter angeklagt - des versuchten Mordes.

Unter Mordverdacht

Camenisch tauchte Ende 1981 unter und erst acht Jahre später wieder auf - erneut am Ort einer Gewalttat. Im Dezember 1989 besuchte er das Grab seines kurz vorher verstorbenen Vaters in Brusio im Puschlav. Zur gleichen Zeit wurde wenige hundert Meter vom Friedhof ein erschossener Grenzwächter aufgefunden. Das Tal wurde abgeriegelt. Camenisch gelang beim Eindunkeln aber die Flucht nach Italien. Gemäss Anklage der Zürcher Bezirksanwaltschaft, über die ab Montag verhandelt wird, hatte er den Grenzwächter, der ihn vermutlich überprüfen wollte, umgebracht. 1991 wurde Camenisch in der Toskana verhaftet, in einem Feuergefecht verletzte er einen Polizisten. Bis im April 2002 sass er in Italien hinter Gitter, wegen schwerer Körperverletzung und Sprengstoffanschlägen auf Strommasten zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Dann wurde er vorzeitig an die Schweiz ausgeliefert. Seither bewegt er die internationale globalisierungskritische Bewegung mehr denn je. Aus den verschiedenen Gefängnissen, in die er in den letzten zwölf Monaten verlegt wurde, protestierte Camenisch mit Schreiben, Solidaritätsadressen und mit einem Hungerstreik für alle politischen Gefangenen, gegen WEF-Faschisten und den totgeschwiegenen weltweiten Holocaust der Frauen durch staatliche, häusliche, körperliche und psychische sexistische Gewalt. Für den Zürcher Prozess, der voraussichtlich vier Wochen dauern soll, traf das Gericht strenge Sicherheitsvorkehrungen. Es befürchtet Ausschreitungen von jenen, die in Camenisch nach wie vor einen politischen Gefangenen sehen.

Thomas Knellwolf

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Marco Camenisch und die Justiz

1979 November: Marco Camenisch versucht mit einem Mitstreiter, einen Hochspannungsmast der Nordostschweizer Kraftwerke (NOK) an der Grenze zu Liechtenstein zu sprengen. Der Anschlag misslingt.

Dezember: An Weihnachten machen sich Camenisch und sein Komplize wiederum auf und sprengen einen Masten und einen Transformatoren des NOK-Unterwerks Sarelli bei Bad Ragaz. Der Schaden beläuft sich auf 1,4 Millionen.

1980 Januar: Camenisch und der Mittäter werden in St. Gallen verhaftet.

1981 Januar: In einem Aufsehen erregenden Prozess vor dem Bündner Kantonsgericht hält Camenisch eine Klassenkampf-Rede. Er wird zu zehn Jahren Zuchthaus wegen der beiden Sprengstoffanschläge sowie weiterer kleinerer Delikte verurteilt. Der mitangeklagte Komplize muss für siebeneinhalb Jahre hinter Gitter.

Dezember: Camenisch und fünf weitere Häftlinge brechen aus der Strafanstalt Regensdorf aus. Dabei wird ein Aufseher erschossen.

1982-1989 Camenisch wird international gesucht. Gerüchte gehen um, er halte sich in den südlichen Schweizer Alpentälern auf, andere besagen, er habe sich in Italien einer militanten Anti-AKW-Gruppierung angeschlossen. Genaueres ist bis heute unbekannt.

1989 Dezember: Camenisch besucht das Grab seines Vaters in Brusio. Zur gleichen Zeit wird im Dorf ein erschossener Grenzwächter aufgefunden. Mit Hilfe des Pfarrer-Ehepaars, das Camenisch unter Druck setzt, gelingt ihm die Flucht nach Italien. 1991 wird der Pfarrer vom Bundesgericht vom Vorwurf der Begünstigung freigesprochen.

1991 November: Camenisch wird in Massa Carrara in der Toskana verhaftet.

1993 April: Ein italienisches Gericht verurteilt Camenisch wegen schwerer Körperverletzung und Sprengstoffanschlägen auf Strommasten zu zwölf Jahren Zuchthaus.

2002 April: Italien liefert Camenisch an die Schweiz aus. Bündner und Zürcher Behörden hatten Auslieferungsbegehren gestellt. Er muss eine Reststrafe von acht Jahren aus dem Churer Urteil absitzen.

2003 Februar: Ein zweitinstanzliches Römer Schwurgericht spricht Camenisch in Abwesenheit in einem Anarchistenprozess frei. Acht Mitangeklagte der Aufständischen revolutionär-anarchistischen Organisation von Alfredo Maria Bonanno werden verurteilt.

2004 Mai: Camenisch steht ab Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht. Verteidigt wird er vom Rechtsanwalt Bernard Rambert. Diesem wollte die Zürcher Justiz wegen Befangenheit zunächst das Mandat verweigern, weil er bereits einen mit Camenisch ausgebrochenen Italiener verteidigt habe. (tk)


20040508 Blick: Polizei verhaftet Krawallmacher

Artikel vom 8. Mai 2004, 20:15 Uhr / Quelle: Blick Online

Polizei verhaftet Krawallmacher

70 Demonstranten konnte die Polizei verhaften.
FOTO: KEYSTONE

ZÜRICH Rund 100 Autonome demonstrierten für die Freilassung des Öko-Terroristen Marco Camenisch. Die Polizei hatte kein Einsehen und verhaftete 70 Personen.

Beim Schifflände-Platz am Limmatquai hatten sich 80 bis 100 Autonome versammelt, die für die Freilassung von Marco Camenisch demonstrierten. Von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet zogen sie durchs Niederdorf zum Obergericht. Dort wurden sie beim Kunsthaus von der Polizei eingekesselt und grösstenteils verhaftet.
Zuvor hatten die Jugendlichen Steine und Flaschen geworfen und versucht, ins Kunsthaus zu gelangen. Die Polizei feuerte beim Obergericht Gummischrot gegen die Demonstranten. Einige von ihnen gelang die Flucht ins Kunsthaus, wo sie mit Stehaschenbechern eine Glastüre zertrümmerten.

Camenisch, der in den 80er-Jahren als AKW-Gegner Sprengstoffanschläge auf Strommasten beging, muss sich ab Montag vor Gericht verantworten. Angelastet wird im unter anderem, dass er vor 14 Jahren auf der Flucht einen Zöllner erschossen haben soll. Im Gefängnis machte er mehrmals durch Hungerstreiks auf sich aufmerksam.



20040508 SwissInfo: Camenisch-Sympathisanten in Zürich eingekesselt und verhaftet

swissInfo.ch 8. Mai 2004 19:05

Camenisch-Sympathisanten in Zürich eingekesselt und verhaftet

ZÜRICH - Eine unbewilligte Solidaritätskundgebung für den wegen Mordes angeklagten Marco Camenisch in Zürich hat mit einer Verhaftungsaktion geendet. Die Polizei kesselte rund 70 Jugendliche ein und nahm alle fest.

Beim Schifflände-Platz am Limmatquai hatten sich nach 14 Uhr 80 bis 100 Autonome versammelt, die teilweise dem schwarzen Block angehören. Ein Teil war auch aus Italien angereist, wo Camenisch wegen Sprengstoffdelikten mehrere Jahre im Gefängnis gesessen hatte.

Auf Transparenten und in Sprechchören verlangten die Jugendlichen Freiheit für den Bündner Öko-Terroristen Camenisch. Dieser muss sich ab Montag wegen Mordes vor dem Zürcher Geschworenengericht verantworten.

Die teils vermummten Autonomen, die Knallkörper abfeuerten, zogen - von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet - entlang des Limmatquais und durch das Niederdorf zum Obergericht. Dort wurden sie beim Kunsthaus von der Polizei eingekesselt.

Insgesamt wurden 70 Personen festgenommen, wie die Zürcher Stadtpolizei mitteilte. Unter den Verhafteten war auch die Zürcher Politaktivistin Andrea Stauffacher, die in das Restaurant beim Kunsthaus geflüchtet war.

Vor der Verhaftungksaktion hatten die Jugendlichen laut Polizeiangaben Steine und Flaschen geworfen und versucht, ins Kunsthaus zu gelangen. Die Polizei feuerte beim Obergericht in einem kurzen Einsatz Gummischrot gegen die Demonstrierenden.

Während der Verhaftungsaktion gelang einigen Jugendlichen die Flucht ins Kunsthaus, wo sie mit grossen Stehaschenbechern eine Glastüre zertrümmerten. Weitere Schäden seien jedoch verhindert worden, teilte die Polizei mit.

Camenisch, der in den 80er-Jahren als militanter AKW-Gegner Sprengstoffanschläge auf Strommasten beging, gilt seither bei Linksautonomen als Symbol des Widerstands.

Er machte im Gefängnis mehrmals durch Hungerstreiks auf sich aufmerksam. Am Montag steht er vor Gericht, weil er unter anderem vor 14 Jahren auf der Flucht einen Zöllner erschossen haben soll. 081900 may 04


SDA-ATS


20040508 TA: Ist der Bündner Öko-Terrorist ein Mörder? / Klassenkampf aus dem Gefängnis

Tages-Anzeiger vom 08.05.2004

Ist der Bündner Öko-Terrorist ein Mörder?
Marco Camenisch soll in seinem Bündner Heimatdorf einen Zöllner ermordet haben. Ab Montag steht der militante Öko-Aktivist vor dem Zürcher Geschworenengericht.

Von Peter Johannes Meier

Es sind Schüsse aus nächster Nähe, die Grenzwächter Kurt Moser töten. Drei Kugeln treffen ihn - eine direkt in den Kopf. Ein Kollege findet ihn kurze Zeit später in einer Blutlache auf dem Vorplatz eines Lagerhauses im südlichen Teil von Brusio, direkt neben der Kantonsstrasse durch das verschneite Puschlav. Es war der 3. Dezember 1989, 7.45 Uhr. Für Kurt Moser kam jede Hilfe zu spät.

Moser hätte Dienst gehabt an diesem Morgen, wollte wie üblich mit dem Auto zur Arbeit fahren. Von seiner Ehefrau verabschiedete er sich für einmal nicht. Es war ja Sonntag, und sie sollte noch etwas schlafen. Seine Frau war schwanger, erwartete ihr zweites Kind.

Kurt Moser hielt auf dem Weg zur Arbeit plötzlich seinen Wagen an. War ihm etwas aufgefallen, wollte er jemanden kontrollieren - obwohl er das alleine eigentlich nicht tun sollte? Und war diese Person tatsächlich der von der Polizei gesuchte Marco Camenisch, wie es die Zürcher Staatsanwaltschaft behauptet und in den kommenden Tagen beweisen will?

Das Grab des Vaters besucht

Camenisch war an diesem Sonntagmorgen tatsächlich völlig unerwartet in seinem Heimatdorf aufgetaucht. Von Italien her riskierte er offenbar zu Fuss den Weg ins Dorf, wo sein Vater zwei Monate zuvor an Krebs verstorben war - auch er ein ehemaliger Grenzbeamter. Wenigstens sein Grab wollte Camenisch besuchen, vielleicht kurz mit der Mutter sprechen. Länger könnte er nicht bleiben, denn seit seinem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf 1981 wurde nach ihm gefahndet. Und im Dorf kannte ihn jeder.

Morgens um acht - kurz nach der Bluttat - klopfte Camenisch beim Pfarrhaus an. Das Pfarrehepaar hatte noch keine Ahnung von dem Mord, es wusste aber, dass Camenisch von der Polizei gesucht wurde. Nach der Messe müsse er darum das Haus verlassen haben, drängten sie ihn. Erst in der Kirche erfuhr der Pfarrer von der schrecklichen Tat im Dorf. Doch nach der Messe war Camenisch immer noch im Pfarrhaus. Es kam zu langen Diskussionen. Camenisch soll dabei gesagt haben, dass er sich im Kriegszustand mit der menschlichen Gesellschaft befände. Und dass er bereit sei zu töten, falls man ihn fassen wolle.

Gegen Abend verlangte Camenisch, aus dem Dorf gefahren zu werden. Der Pfarrer fuhr ihn bis zum Lago di Poschiavo. Dort verschwand Camenisch im Wald, flüchtete über die Berge nach Italien. Polizisten und bewaffnete Männer aus dem Dorf fanden nur noch Spuren im Schnee. Das Pfarrehepaar wurde ein Jahr später vom Kreisgericht Brusio wegen Fluchthilfe und Begünstigung bestraft, das Bundesgericht hob das Urteil später auf.

Die gleiche Waffe wieder benutzt?

Marco Camenisch tauchte in Italien unter. Zwei Jahre später wurde er nach einer Schiesserei mit Carabinieri in der toscanischen Stadt Massa verhaftet. Ein Polizist und Camenisch selbst wurden dabei verletzt. Eine der Waffen, die Camenisch auf sich trug, soll auch im Zürcher Prozess eine zentrale Rolle spielen. War mit ihr bereits Grenzwächter Kurt Moser erschossen worden? Hatte Camenisch die gleiche Waffe zweimal eingesetzt? Zu diesem Schluss kam damals ein italienisches Gutachten.

Das Gericht in Massa-Carrara verurteilte Camenisch 1993 wegen Anschlägen auf Strommasten und schwerer Körperverletzung zu zwölf Jahren Zuchthaus. Den Mord in Brusio hatten die Richter nicht zu beurteilen. Dafür lieferten die italienischen Behörden Camenisch im April 2002 an die Schweiz aus. Nach einer Odyssee durch diverse Strafanstalten wartet er nun im Zürcher Flughafengefängnis auf den Prozessbeginn am Montag.

Bereits 14 Jahre seines Lebens hat der heute 52-jährige Camenisch in Gefängnissen verbracht. Und es werden noch einige mehr werden - selbst wenn er nicht der Mörder von Brusio sein sollte. Allein für Anschläge in der Schweiz sind noch acht Jahre offen. Hinzu kommt die Flucht aus Regensdorf. Wer ist Marco Camenisch, für den in der Schweiz und in Italien seit über 20 Jahren Menschen auf die Strasse gehen, um für seine Freilassung als politischer Gefangener zu demonstrieren (vgl. Kasten oben)?

Camenisch, der Senn werden wollte, verkehrte Ende der 70er-Jahre in der Churer Alternativszene. Das Narrenschiff, ein Antiquariat, war ein beliebter Treffpunkt. Unterschiedlichste Menschen gingen dort ein und aus, Eigenbrötler, Anarchisten, Revolutionäre und Künstler. Aus den Bündner Tälern kamen sie hier hin, das Bedürfnis nach Gedankenaustausch war so gross wie das nach gemeinsamen Festen. So unterschiedlich die Leute auch waren, es einte sie ein gemeinsamer Feind mit drei Buchstaben: NOK (Nordostschweizerische Kraftwerke). Das Kürzel stand in der Szene für Strommafia und Ignoranz im Umgang mit der Natur. Die Kritik an vermessenen NOK-Projekten in Graubünden (zum Beispiel die Rheinkraftwerke Illanz I und II) wurde damals von breiten Bevölkerungskreisen getragen, letztlich auch mit Erfolg. Heute stehen viele der umstrittenen Landschaften unter Schutz.

Knalldibumm gegen die Atommafia

Damals, Ende 1979, wurde in der Churer Szene darüber debattiert, dass endlich etwas geschehen müsse. Auch Marco Camenisch war dabei. Doch für ihn war schon alles gesagt worden. Bereits im Frühling hatte er aus einer Skiliftstation in der Lenzerheide 105 Kilo Sprengstoff geklaut. Jetzt war für ihn die Zeit reif, damit etwas anzufangen. Mit seinem Kumpel RenI Moser wollte er am 13. November einen NOK- Strommast sprengen, unweit der Grenze zu Liechtenstein. Von einem Knalldibumm soll Camenisch immer wieder gesprochen haben. So etwas war wohl einfach nötig, um die Leute aufzurütteln, erinnert sich Moser in einem Dokumentarfilm des Churer Filmemachers Daniel von Aarburg (Mit dem Kopf durch die Wand). Doch der Anschlag misslang. Der Mast blieb stehen, nur ein Metallträger wurde weggesprengt. Und selbst das Bekennertelefonat von Camenisch liess die Polizei kalt.

An Weihnachten 1979 sassen sie wieder im Narrenschiff, der Churer Musiker Walter Lietha sang Lieder. Doch Camenisch wollte Taten statt Worte. Noch in der gleichen Nacht fuhr er mit Moser zum NOK-Unterwerk Sarelli bei Bad Ragaz. Und diesmal klappte es: Die Explosion verursachte über eine Million Franken Sachschaden; die Stromversorgung in umliegende Dörfer wurde kurz unterbrochen. Für einige waren Camenisch und Moser jetzt Helden - für andere Terroristen.

Drakonische Strafen

Bereits zwei Wochen später verhaftete die Polizei Camenisch und Moser in einer St. Galler Absteige. Zum ersten Mal Handschellen, Gefängniszelle. 1981 der Prozess vor dem Bündner Kantonsgericht. Camenisch rechtfertigte die Anschläge gegen die Atommafia, auf seine Stirn hatte er einen roten Stern gemalt. Moser schwieg, mit dem Rücken zum Gericht. Trotzdem hatte wohl niemand mit diesem Urteil gerechnet: zehn Jahre Zuchthaus für Camenisch, siebeneinhalb Jahre für Moser, mehr als vom Staatsanwalt beantragt. Ein Strafmass, das man sonst von Tötungsdelikten kannte. Es war keine Zeit für Nachsicht; der Kalte Krieg war auf dem Höhepunkt, der RAF-Terrorismus hatte schockiert, und nicht nur in Zürich rebellierte die Jugend. Das Bündner Urteil löste eine Welle von Protesten und Solidaritätskundgebungen aus.

Nach dem Richterspruch trennten sich die Wege von Moser und Camenisch. Moser sass fünf Jahre und drei Monate ab und lebt heute als Korbmacher in Graubünden. Mich als Proleten konnte die Strafe damals nicht richtig einschüchtern. Ich machte mir keine grossen Gedanken darüber. Ein Intellektueller wie Camenisch versteht aber schon unter dem Begriff Freiheitsentzug etwas ganz anderes. Das macht es wohl schwieriger, sagt Moser heute. Er will als Zeuge der Verteidigung vor dem Zürcher Gericht aussagen.

Für Camenisch jedenfalls war die Aussicht auf zehn Jahre Zuchthaus keine Perspektive. Kaum ein Jahr in Regensdorf, ergriff er die Flucht, zusammen mit fünf Mitgliedern der damals berüchtigten, aber unpolitischen Alfa-Bande. Einer von ihnen erschoss dabei einen Anstaltsangestellten. Camenisch konnte es nicht gewesen sein, er war zu diesem Zeitpunkt noch an einem anderen Ort. Als die Gruppe etwas später zusammentraf, fielen erneut Schüsse. Zwar wurde niemand verletzt, aber es waren Personen gefährdet. Die Zürcher Staatsanwaltschaft wirft Camenisch jetzt vor, sich an einer versuchten Tötung beteiligt zu haben. Zwar soll er nicht der Schütze gewesen sein, spätestens nach dem Zusammentreffen der Gruppe habe er aber den Einsatz von Schusswaffen in Kauf genommen.

Im Krieg gegen das System

Camenisch gelang die Flucht, einige Komplizen wurden kurz darauf verhaftet. In einem Schreiben rechtfertigte er später den Waffeneinsatz. Camenisch befand sich fortan im Krieg - einem Krieg gegen das System, das ihn jagte. Er flüchtete nach Italien, wo er untertauchte und sich militanten Öko-Aktivisten anschloss. Und wieder sollte ein Stromkonzern das Ziel werden, diesmal die ehemals staatliche Enel. Gut ein Dutzend Anschläge auf Hochspannungsmasten wurden Camenisch später angelastet. Bei seiner Verhaftung - zwei Jahre nach dem Besuch in Brusio - soll er neben den erwähnten Pistolen auch Sprengstoff und gefälschte Ausweise auf sich getragen haben.

Ironie des Schicksals: Die Auslieferung an die Schweiz im April 2002 sollte für Camenisch zu einer besonderen Rückkehr werden. Mit der Strafuntersuchung gegen ihn wurde die Zürcher Bezirksanwältin Claudia Wiederkehr beauftragt - die Tochter von Peter Wiederkehr, dem langjährigen Chef der Nordostschweizerischen Kraftwerke

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Tages-Anzeiger vom 08.05.2004

Klassenkampf aus dem Gefängnis

Kaum eine Demonstration, an der Linksradikale und Autonome nicht zur Solidarität mit Marco Camenisch aufrufen. Für die einen ist er ein unbeirrbarer Klassenkämpfer, für andere ein Rebell.

Camenisch ruft aus dem Gefängnis zurück. Die Zerstörung der Gesellschaften, der natürlichen Umwelt und die Ausweitung des imperialistischen Krieges durch den patriarchalischen und faschistischen Kapitalismus ist immer umfassender, mörderischer, endgültiger, schrieb er auf einem Flugblatt zum diesjährigen 1. Mai. Eine marxistisch-klassenkämpferische Rätsche, wie man sie sonst aus Megafonen an linksradikalen Demonstrationen hört.

In dieser Szene findet Camenisch seine aktivsten Fürsprecher. Zum Beispiel auf der Internetseite
www.freecamenisch.net, einer von vielen Seiten, die zur Solidarität aufrufen. Nahe liegend, dass seine Verteidigung Bernard Rambert übernommen hat. Der Zürcher Anwalt kümmert sich seit Jahrzehnten um die juristische Betreuung straffällig gewordener Klassenkämpfer. Solidarität erfährt der Rebell der Bergtäler auch aus Italien. Als Unbekannte vergangenes Jahr die Talstation einer Luftseilbahn in Abetone sprengten und in der Toscana Anlagen für Mobilfunknetze zerstörten, wurde an den Tatorten der Schriftzug Freiheit für Marco Camenisch hinterlassen.

Aber auch die Strafverfolger tragen zur Ikonisierung von Camenisch bei: Die drakonischen Strafen Anfang der 80er- Jahre weckten in weiten Kreisen mehr Sympathie und Mitleid für den Gefangenen als Abscheu über seine Taten. Und der erfolglose Versuch, die Verteidigung durch Camenischs Wunschanwalt zu verhindern, die wiederholte Anordnung von Isolationshaft und die ständigen Verlegungen in andere Gefängnisse warfen zumindest Fragen auf. Camenisch reagierte mehrmals mit Hungerstreiks - was ihm sofort Hunderte von Briefen mit Solidaritätsbekundungen einbrachte.

Für heute Samstag rufen linksradikale Gruppen zu einer nicht bewilligten Demonstration in Zürich auf, am Abend wird im Volkshaus über den Prozess informiert. Am Montag schliesslich wollen Camenisch-Sympathisanten die Gerichtsverhandlung besuchen. (pjm)

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Tages-Anzeiger vom 08.05.2004

Prozess vor Zürcher Geschworenen

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen beginnt am Montag am Zürcher Geschworenengericht der Prozess gegen Marco Camenisch. Er wird voraussichtlich drei Wochen dauern.

Die Anklage, vertreten durch Staatsanwalt Ulrich Weder, wirft Camenisch vollendeten Mord (am Zöllner in Brusio, 1989) und versuchten Mord (beim Ausbruch aus Regensdorf, 1981) vor. Marco Camenisch ist nicht geständig, darum findet die Verhandlung vor einem Geschworenengericht statt. Camenisch wird vom Zürcher Rechtsanwalt Bernard Rambert verteidigt. Ob der Angeklagte einzelne Fragen des Richters überhaupt beantworten wird, ist zumindest fraglich. Camenisch lehnt das Gericht als Herrschafts- und Repressionsapparat ab. An früheren Prozessen hatte er sich jeweils auf eine politische Stellungnahme beschränkt.

Zahlreiche Zeugen sind für den Prozess vorgeladen. Ein besonders wichtiger, der Pfarrer von Brusio, hat sich aus gesundheitlichen Gründen dispensieren lassen. Eine Frage wird am Prozess von zentraler Bedeutung sein: Ist eine bei Camenisch in Italien beschlagnahmte Waffe identisch mit der Mordwaffe in Brusio? Die Strafanträge werden am Prozess gestellt. Die Urteilsverkündung ist für den 4. Juni vorgesehen. Der Prozess findet in Zürich statt, weil ursprünglich auch im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus Regensdorf wegen vollendeten Mordes gegen Camenisch ermittelt wurde. Im Verlauf der Untersuchung wurde dieser Vorwurf aber fallen gelassen. (pjm)


20040509 20min: Camenisch-Demo: 98 Autonome festgenommen

20min

Camenisch-Demo: 98 Autonome festgenommen

Bei einer unbewilligten Solidaritätskundgebung für den Bündner Öko-Terroristen Marco Camenisch hat die Stadtpolizei Zürich am Samstag 98 Demonstranten verhaftet. 94 davon wurden kurz darauf wieder freigelassen.

Grund für die Demo: Heute beginnt vor dem Zürcher Obergericht der Mordprozess gegen Camenisch. Da ein Aufmarsch von Linksaktivisten erwartet wird, herrscht höchste Sicherheitsstufe.

Publiziert am: 09. Mai 2004 21:28



20040509 TA: 98 Verhaftungen nach Camenisch-Demo

09.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

98 Verhaftungen nach Camenisch-Demo

Nach einer unbewilligten Solidaritätskundgebung für den wegen Mordes angeklagten Marco Camenisch am Samstag in Zürich hat die Polizei 98 Demonstranten verhaftet. Über ein Drittel davon war aus Italien angereist.

Am Samstag sprach die Polizei von 70 Verhaftungen. Laut Medienmitteilung vom Sonntag war die Zahl der Festgenommenen deutlich höher. Die meisten wurden nach der Befragung entlassen, vier bleiben jedoch in Haft wegen Gewalt und Drohung, respektive Landfriedensbruchs.
Beim Schifflände-Platz am Limmatquai hatten sich am Samstag nach 14 Uhr 80 bis 100 Autonome versammelt, die teilweise dem schwarzen Block angehören. Ein Teil war auch aus Italien angereist, wo Camenisch wegen Sprengsotffdelikten mehrere Jahre im Gefängnis gesessen hatte.

Auf Transparenten und in Sprechchören verlangten die Jugendlichen Freiheit für den Bündner Öko-Terroristen Camenisch. Dieser muss sich ab Montag wegen Mordes vor dem Zürcher Geschworenengericht verantworten.

Die teils vermummten Autonomen, die Knallkörper abfeuerten, zogen - von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet - entlang des Limmatquais und durch das Niederdorf zum Obergericht. Dort wurden sie beim Kunsthaus von der Polizei eingekesselt.

Unter den Verhafteten war auch die Zürcher Politaktivistin Andrea Stauffacher, die in das Restaurant beim Kunsthaus geflüchtet war. Insgesamt wurden 66 Frauen und 32 Männer festgenommen, zehn waren weniger als 15 Jahre alt. Rund die Hälfte stammte aus verschiedenen Schweizer Kantonen, 39 waren aus Italien an die Demo gekommen.

Vor der Verhaftungksaktion hatten die Jugendlichen laut Polizeiangaben Steine und Flaschen geworfen und versucht, ins Kunsthaus zu gelangen. Die Polizei feuerte beim Obergericht in einem kurzen Einsatz Gummischrot gegen die Demonstrierenden.

Während der Verhaftungsaktion gelang einigen Jugendlichen die Flucht ins Kunsthaus, wo sie mit grossen Stehaschenbechern eine Glastüre zertrümmerten. Weitere Schäden seien jedoch verhindert worden, teilte die Polizei mit.

Camenisch, der in den 80er-Jahren als militanter AKW-Gegner Sprengstoffanschläge auf Strommasten beging, gilt seither bei Linksautonomen als Symbol des Widerstands.

Er machte im Gefängnis mehrmals durch Hungerstreiks auf sich aufmerksam. Am Montag steht er vor Gericht, weil er unter anderem vor 14 Jahren auf der Flucht einen Zöllner erschossen haben soll. (mu/sda)

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20040510 BaZ: Marco Camenisch: Ist der Öko-Terrorist ein Mörder?

BaZ Erschienen am: 10.05.2004

Marco Camenisch: Ist der Öko-Terrorist ein Mörder?

Heute beginnt vor dem Zürcher Geschworenengericht der Prozess gegen den Bündner Öko-Terroristen Marco Camenisch. Der Staatsanwalt will ihm den Zöllnermord vom 3. Dezember 1989 in Brusio nachweisen, Camenisch hat schon eine 14-jährige Knastkarriere hinter sich.


Unbewilligte Demonstration. Rund 100Jugendliche gingen am Samstag in Zürich zu einer nicht bewilligten Demonstration auf die Strasse. Sie forderten Freiheit für den Bündner Marco Camenisch. Die teils vermummten Autonomen feuerten Knallkörper ab. Sie warfen Steine und Flaschen gegen die Polizei. Beim Kunsthaus nahe des Obergerichts kesselte die Polizei den Zug ein und verhaftete 98 Demonstrierende. Bis auf vier wurden nach der Befragung alle entlassen. Foto Keystone

Zürich. Wird in Europa ein Strommast gesprengt, fällt fast zwangsläufig der Name Marco Camenisch. Zum Beispiel Mitte April, als die italienischen Behörden hinter zwei Anschlägen auf Leitungen der Elektrizitätsgesellschaft Enel Anhänger des Bündners vermuteten, der seit 25 Jahren je nach Standpunkt als Öko-Aktivist oder Öko-Terrorist gilt.

Von Stefan Hotz und Sabine Jahlen

Ab heute Montag steht der 52-jährige Camenisch während dreier Wochen vor dem Zürcher Geschworenengericht. Weshalb in Zürich? Der weit schwer wiegendere Vorwurf der zweiteiligen Anklage betrifft den Mord von 1981 an einem Grenzwächter im Puschlav. Gleichzeitig behandelt der Prozess jedoch den Massenausbruch aus der Strafanstalt im zürcherischen Regensdorf vom 17. Dezember 1981, bei dem ein Aufseher getötet, ein weiterer verletzt wurde.


Er floh mit der Alpha-Bande

Camenisch konnte damals mit der berüchtigten italienischen Alpha-Bande fliehen, schoss selber aber nicht. Die Anklage wirft ihm nicht einmal vor, vom geplanten Waffeneinsatz gewusst zu haben. Doch nachdem seine fünf Komplizen die beiden Wärter niedergestreckt hatten und dann ohne zu treffen auf einen weiteren Aufseher schossen, habe Camenisch, so die Anklageschrift, dessen Tod zumindest in Kauf genommen. Daher der Prozess in Zürich und der zweite Anklagepunkt des versuchten Mordes.
In Regensdorf sass Camenisch wegen mehrerer Sprengstoffanschläge auf Hochspannungsmasten und einen Transformator in Graubünden 1979 und Anfang 1980. Der Senn und Hirte wollte als eine Art Alpen-Desperado mit Mitstreitern die Atomlobby sabotieren und nahm Anlagen der Nordostschweizerischen Kraftwerke NOK ins Visier. Im Januar 1980 wurde er verhaftet. Das Kantonsgericht Chur verurteilte den damals 29-jährigen ein Jahr darauf wegen Sachbeschädigung zu zehn Jahren Haft. Es war, so kann man heute feststellen, ohne die Taten zu verharmlosen, ein exemplarisch hartes Strafmass, bedingt durch die Stimmung kurz nach dem Höhepunkt des Terrors in Deutschland und Italien.


Tod eines Grenzwächters

Nach der Flucht aus Regensdorf tauchte Camenisch unter. Wo er sich in den folgenden Jahren aufhielt, ist ungeklärt. Es wird sich weisen, ob er nun dem Gericht dazu Auskunft gibt. Das nächste Mal erschien er am 3. Dezember 1989 auf der Bildfläche. Am frühen Morgen jenes Sonntags wurde an der Kantonsstrasse bei Brusio ein 36-jähriger Grenzwächter mit drei Schüssen umgebracht. Eine halbe Stunde nach der Tat läutete Camenisch, der das Grab seines kurz zuvor verstorbenen Vaters besucht hatte, am Pfarrhaus von Brusio, wo er sich den Tag über versteckte. Das Pfarrerehepaar wurde später, da es ihn nicht sofort verpfiff, wegen Begünstigung bestraft. Das Bundesgericht hob das Urteil später auf. Der Staatsanwalt beschreibt die Tat im Puschlav als Hinrichtung eines völlig wehrlosen Opfers, das beim dritten Schuss bereits am Boden lag. Belegt ist das zeitliche Zusammenfallen mit Camenischs Auftauchen in Brusio. Der schwieg bisher. Den Beweis, dass Marco Camenisch tatsächlich der Schütze war, muss der Staatsanwalt vor Gericht erbringen.
Der Flüchtige wurde im November 1991 bei einem Feuergefecht mit Carabinieri in der Toskana verletzt, festgenommen und zwei Jahre später wegen Körperverletzung und Sabotageakten gegen die Elektrizitätswirtschaft zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 2002 lieferte Italien ihn aufgrund von Begehren aus Graubünden und Zürich aus.


Hungerstreik im April

Da war Camenisch bereits eine Ikone für linke Splittergruppierungen und radikale Globalisierungsgegner, die ihn als politischen Gefangenen bezeichnen. Seine Geschichte ist weltweit auf Websites von Antiknastorganisationen zu finden. Er selbst pflegt in seinen Erklärungen aus dem Gefängnis klassenkämpferischen Pathos, zuletzt zu Beginn seines Hungerstreiks Anfang April, als er sich mit ziemlich allen Unterdrückten der Welt solidarisierte und zur Abschaffung aller Knäste für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaft aufrief. Auch das Zürcher Geschworenengericht dürfte ihm als Bühne dienen. Der Churer Filmemacher Daniel von Aarburg hat im Übrigen einen Dokumentarfilm zu Marco Camenisch gedreht (Mit dem Kopf durch die Wand).



20040510 NZZ: Freilassung Marco Camenischs verlangt

10. Mai 2004, 02:25, Neue Zürcher Zeitung

98 Festnahmen nach unbewilligter Kundgebung
Freilassung Marco Camenischs verlangt

lob. Die Stadtpolizei Zürich hat am Samstagnachmittag 98 Personen verhaftet, die an einer unbewilligten Solidaritätskundgebung für den wegen Mordes angeklagten Marco Camenisch (NZZ 7. 5. 04) teilgenommen hatten. 94 Verhaftete wurden nach der Überprüfung der Personalien und einer Befragung wieder entlassen, 4 wurden der Bezirksanwaltschaft Zürich zugeführt; sie werden sich wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Hinderung einer Amtshandlung und Landfriedensbruchs zu verantworten haben.

Rund 100 Personen versammelten sich ab 14 Uhr auf dem Hechtplatz, darunter mehrere Personen, die dem schwarzen Block zugerechnet werden. Zahlreiche Demonstranten waren eigens aus Italien angereist, wo der Bündner Öko-Terrorist eine mehrjährige Strafe wegen Sprengstoffdelikten abgesessen hatte. Begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot zogen die teilweise vermummten Demonstranten über den Limmatquai zum Rathaus, durch das Niederdorf zum Hirschenplatz, zum Neumarkt und schliesslich zum Geschworenengerichtssaal am Obergericht, wo am Montag der Prozess gegen Camenisch eröffnet wird. Unterwegs feuerten sie immer wieder Knallpetarden ab und skandierten Parolen zur Unterstützung des Angeklagten. Ihre Hauptaussage war die, dass es sich bei Camenisch um einen politischen Gefangenen handle.

Die Polizisten verweigerten dem Demonstrationszug schliesslich den Zugang zur Kirchgasse und liessen lediglich die Krautgartengasse Richtung Heimplatz und Kunsthaus zum Weitermarsch offen. Als die Polizei vor dem Kunsthaus die Räume immer enger machte, warfen einzelne Demonstranten Steine und Flaschen gegen die Beamten. Einige Jugendliche drangen gewaltsam ins Kunsthaus ein, andere flüchteten ins Restaurant beim Kunsthaus, darunter auch die Zürcher Aktivistin Andrea Stauffacher. Die Polizei nahm erste Festnahmen vor, wobei sie auf heftige Gegenwehr stiess.

In der Vorhalle des Kunsthauses behändigten einige Demonstranten schwere Steh-Aschenbecher aus Aluminium und zertrümmerten damit die Glasfüllung einer Verbindungstüre, die zur Ausstellung führt. Die Polizei verhaftete alle Demonstranten, auch diejenigen, die sich ins Restaurant geflüchtet hatten; Kunstobjekte wurden nicht beschädigt. Nach der Verhaftungsaktion beruhigte sich die Lage. Wie die Stadtpolizei mitteilt, wurden 66 Männer und 32 Frauen festgenommen. 10 Personen waren jünger als 15 Jahre, 11 zwischen 15- und 18-jährig, 34 Personen 19- bis 25-jährig, 43 über 26-jährig. 50 Verhaftete haben in der Schweiz Wohnsitz, 39 in Italien. Die übrigen stammen aus Frankreich, England, Indien und der Türkei.


20040510 SHN: Marco Camenisch: Aktivist oder Gangster?

Schaffhauser Nachrichten - Montag 10. Mai 2004, Inland

Marco Camenisch: Aktivist oder Gangster?

Spektakulärer Prozess: Sprengstoffanschläge, Tote und Politik

Heute beginnt vor dem Zürcher Geschworenengericht der Prozess gegen den Bündner Öko-Terroristen Marco Camenisch.

von Stefan Hotz

Zürich -Wird in Europa ein Strommast gesprengt, fällt fast zwangsläufig der Name Marco Camenisch. So Mitte April, als die italienischen Behörden hinter zwei Anschlägen auf Leitungen der Elektrizitätsgesellschaft Enel Anhänger des Bündners vermuteten, der seit 25 Jahren je nach Standpunkt als Öko-Aktivist oder Öko-Terrorist gilt.

Ab heute steht der 52-jährige Camenisch während dreier Wochen vor dem Zürcher Geschworenengericht. Der weit schwerwiegendere Vorwurf der zweiteiligen Anklage betrifft den Mord von 1981 an einem Grenzwächter im Puschlav. Gleichzeitig behandelt der Prozess jedoch den Massenausbruch aus der Strafanstalt in Regensdorf vom 17. Dezember 1981, bei dem ein Aufseher getötet, ein weiterer verletzt wurde.
Camenisch konnte damals mit der berüchtigten italienischen Alpha-Bande fliehen, schoss selber aber nicht. Die Anklage wirft ihm nicht einmal vor, vom geplanten Waffeneinsatz gewusst zu haben. Doch nachdem seine fünf Komplizen die beiden Wärter niedergestreckt hatten und dann, ohne zu treffen, auf einen weiteren Aufseher schossen, habe Camenisch, so die Anklageschrift, dessen Tod zumindest in Kauf genommen. Daher der Prozess in Zürich und der zweite Anklagepunkt des versuchten Mordes.

10 Jahre für Sachbeschädigung

In Regensdorf sass Camenisch wegen mehrerer Sprengstoffanschläge auf Hochspannungsmasten und einen Transformatoren in Graubünden. Der Senn wollte die Atomlobby sabotieren und nahm Anlagen der Nordostschweizerischen Kraftwerke NOK ins Visier. Im Januar 1980 wurde er verhaftet.

Das Kantonsgericht Chur verurteilte den damals 29-Jährigen ein Jahr darauf wegen Sachbeschädigung zu zehn Jahren Haft. Nach der Flucht aus Regensdorf tauchte Camenisch unter. Wo er sich in den folgenden Jahren aufhielt, ist ungeklärt. Das nächste Mal erschien er am 3. Dezember 1989 auf der Bildfläche.
Am frühen Morgen jenes Sonntags wurde an der Kantonsstrasse bei Brusio ein 36-jähriger Grenzwächter mit drei Schüssen umgebracht. Eine halbe Stunde nach der Tat läutete Camenisch, der das Grab seines kurz zuvor verstorbenen Vaters besucht hatte, am Pfarrhaus von Brusio, wo er sich den Tag über versteckte. Das Pfarrerehepaar wurde später, da es ihn nicht sofort verriet, wegen Begünstigung bestraft. Das Bundesgericht hob das Urteil später auf. Der Staatsanwalt beschreibt die Tat im Puschlav als Hinrichtung eines völlig wehrlosen Opfers, das beim dritten Schuss bereits am Boden lag. Belegt ist das zeitliche Zusammenfallen mit Camenischs Auftauchen in Brusio. Der schwieg bisher. Den Beweis, dass Camenisch der Schütze war, muss der Staatsanwalt vor Gericht erbringen.

Ikone der Linksextremen

Der Flüchtige wurde im November 1991 bei einem Feuergefecht mit Carabinieri in der Toskana verletzt, festgenommen und zwei Jahre später wegen Körperverletzung und Sabotageakten gegen die Elektrizitätswirtschaft zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 2002 lieferte Italien ihn aus. Da war Camenisch bereits eine Ikone für linke Splittergruppierungen und radikale Globalisierungsgegner, die ihn als politischen Gefangenen bezeichnen.


20040510 SwissInfo: Mordprozess gegen Bündner "Öko-Terroristen"

swissinfo 10. Mai 2004 08:17

Mordprozess gegen Bündner "Öko-Terroristen"

Marco Camenisch: Unverstandener Held oder gemeiner Terrorist? (Keystone)
Marco Camenisch soll in seinem Bündner Heimatdorf einen Zöllner ermordet haben. Beim Prozess in Zürich, der diese Woche begann, wies er jegliche Schuld an dieser Tat zurück.

Anschläge auf Elektro-Anlagen machten ihn in den 80er-Jahren zum Idol militanter Aktivisten und später der Globalisierungs-Kritiker.


Die "Hinrichtung eines wehrlosen Opfers" wirft Staatsanwalt Ulrich Weder Camenisch in der Anklageschrift vor. Er will den Geschworenen in den nächsten vier Wochen beweisen, dass der heute 52-jährige Angeklagte am 3. Dezember 1989 in seinem Heimatdorf Brusio im Puschlav auf der Flucht den Grenzwächter Kurt Moser erschoss, weil dieser ihn kontrollieren wollte.

Marco Camenisch verweigerte bei Prozessbeginn in Zürich sämtliche Angaben, die über seine persönlichen Daten hinausgingen. Die Anklagepunkte Mord und Mordversuch wies der Angeklagte von sich.

"Versuchter Mord" bei Gefängnisausbruch?

Zweitens wirft Weder Camenisch "versuchten Mord" vor. Es geht dabei um eine gewalttätige Flucht aus der Kantonalzürcher Strafanstalt Regensdorf im Jahr 1981. Beim Ausbruch wurden ein Aufseher getötet und ein zweiter schwer verletzt.

Der Staatsanwalt liess allerdings die Mordklage gegen Camenisch wieder fallen. Er konnte nicht beweisen, dass Camenisch beim Ausbruch wusste, dass seine Mittäter Waffen hatten. Er habe aber während des Ausbruchs, bei dem er wohl eine Art Mitläufer war, zumindest in Kauf genommen, dass durch die Schiesserei ein Aufseher getötet werden könnte, begründet Weder die Anklage wegen Mordversuchs.

Schwierige Ausgangslage

Der Prozess findet in Zürich statt, weil die beiden Anklagepunkte, die Camenisch bestreitet, im Prozess vereinigt wurden.

Die lange zurückliegenden Taten machen das Geschworenen-Verfahren schwierig, wie Gerichtsschreiber Paul Iten einräumt: Die Zeugen sagen hier im Gerichtssaal aus.

Von Zeugen, die nicht mehr erreicht werden konnten oder gestorben sind, können vor Gericht nur Einvernahme-Protokolle verlesen werden.


...
Wir wollten gegen die Zerstörung eines Naturgebietes, die Kolonisierung einer ganzen Region durch die NOK und gegen die Unterwürfigkeit der lokalen Behörden protestieren.
Marco Camenisch, Angeklagter
...


Symbol militanter Jugendlicher

Dass Camenisch wegen der lange zurückliegenden Verbrechen erst jetzt vor Gericht kommt, hängt mit seiner langjährigen Flucht und seiner Zeit im Gefängnis zusammen. Aber auch mit seiner als abenteuerlich zu bezeichnenden Laufbahn als Sprengstoff-Delinquent im Heimatkanton Graubünden. Sie liess ihn schon während den 80er-Jugendunruhen zum Idol von linken Aktivisten und später der Globalisierungs-Kritiker werden.

Bei Kundgebungen militanter Jugendlicher gegen Staat und Kapitalismus wird er denn auch immer wieder als "Freiheitskämpfer" gefeiert. Mit Signalen aus dem Gefängnis und Hungerstreiks verstand es Camenisch stets, sich bei seinen Anhängern in Erinnerung zu rufen. Deshalb wird der Prozess von rigorosen Sicherheits-Vorkehrungen begleitet.

Als "tragischen Helden" bezeichnet der Churer Filmemacher Daniel von Aarburg Marco Camenisch in einem 2002 realisierten Dokumentarfilm. "Wir wollten gegen die Zerstörung eines Naturgebietes, die Kolonisierung einer ganzen Region durch die Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) und gegen die Unterwürfigkeit der lokalen Behörden protestieren", erzählt Camenisch in dem Film.

Militanter AKW-Gegner

Seinen Ruf als Öko-Terroristen begründete Camenisch Ende der 70er-Jahre als militanter Kämpfer gegen Atom- und neue Wasserkraftwerke in Graubünden. Wegen zwei Sprengstoff-Anschlägen mit Schäden in Millionenhöhe wurde er 1981 vom Kantonsgericht Graubünden zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Im gleichen Jahr gelang ihm aber die Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf. Danach tauchte er unter. Erst 1991 wurde er in der Toskana festgenommen. Der Verhaftung ging ein Schusswechsel mit der Polizei voraus, bei der ein Carabiniere verletzt wurde.

Wegen fahrlässiger Körperverletzung und Sprengstoff-Anschlägen auf Strommasten wurde er in Italien zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. 2002 wurde er dann nach verbüsster Strafe in die Schweiz ausgeschafft, wo die nicht verbüsste Gefängnisstrafe und die neuen Strafverfahren warteten.

"Politischer Gefangener"

Die Urteilsverkündung wird am 4. Juni erwartet. Wenn Camenisch schuldig gesprochen wird, riskiert er eine zehnjährige oder gar lebenslängliche Gefängnisstrafe.

Verteidigt wird der Angeklagte vom Zürcher Rechtsanwalt Bernard Rambert. "Marco wurde in der Schweiz schon zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt eine viel zu harte Strafe", sagt Andrea Stauffacher, Sprecherin der Anwaltskanzlei Rambert, gegenüber swissinfo. "Mit diesem Urteil ist er für die Aktionen der gesamten Anti-AKW-Bewegung bestraft und in einen Konflikt mit dem Staat, dem kapitalistischen System gedrängt worden."

Für Stauffacher ist Camenisch "ein politischer Gefangener, ein Revolutionär, ein Anarchist, ein Umweltschützer". Er habe seine politische Vergangenheit und seine politische Identität nie verleugnet. Aber er dürfe nicht als Autor der Anschläge beschuldigt werden, wie das die italienischen Medien zu tun versucht hätten.

Ob Camenisch einzelne Fragen des Richters überhaupt beantworten wird, ist zumindest fraglich. Er lehnt das Gericht als "Herrschafts- und Repressionsapparat" ab.

swissinfo und Agenturen

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Fakten

- 1979: Marco Camenisch (geb. 1952 in Brusio GR) verübt Sprengstoff-Anschläge auf Anlagen der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK).
- 1981: Das Bündner Kantonsgericht verurteilt Camenisch dafür zu 10 Jahren Zuchthaus.
- 1981: Ausbruch zusammen mit anderen Häftlingen aus dem Kantonalzürcher Gefängnis Regensdorf, dabei werden ein Aufseher getötet und ein weiterer verletzt.
- 1989: Camenisch wird verdächtigt, an der schweizerisch-italienischen Grenze im Puschlav einen Zöllner ermordet zu haben.
- 1991: Festnahme in der Toskana, dabei wurde ein Polizist bei einem Schusswechsel verletzt.
- 1993: Wegen Sprengstoff-Anschlägen und fahrlässiger Körperverletzung von einem italienischen Gericht zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.
- 2002: Camenisch wird von Italien an die Schweiz ausgeliefert.
- 2004: Prozess in Zürich wegen Mordes und Mordversuch.


In Kürze

Der so genannte Ökoterrorist Marco Camenisch steht ab nächstem Montag vor dem Zürcher Geschworenen-Gericht.

Der heute 52-Jährige ist des Mordversuchs und des Mordes angeklagt. Es geht um einen gewaltsamen Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf (ZH) von 1981 und den Zöllnermord in Brusio (GR) von 1989. Die Taten hatten seinerzeit grosses Aufsehen erregt.

1981 verbüsste Camenisch in Regensdorf eine zehnjährige Zuchthausstrafe, die das Bündner Kantonsgericht wegen Sprengstoff-Anschlägen auf Elektrizitätsanlagen von Anfang 1980 sowie weiteren Delikten gegen ihn verhängt hatte.

Falls Camenisch in Zürich schuldig gesprochen wird, riskiert er eine zehnjährige oder lebenslängliche Gefängnisstrafe.

Die Urteilsverkündung wird auf Anfang Juni erwartet.



Links

- Free Camenisch
http://www.freecamenisch.net/deutsch/index.html
- Freiheit für Marco Camenisch
http://www.augenauf.ch/bs/archiv/mc/


ZUM THEMA
Marco Camenisch vor Gericht
Kundgebung zu Camenisch-Prozess
Die Schweiz im Visier italienischer Anarchisten
Camenisch ausgeliefert
Solidarität für Marco Camenisch
SF DRS: Camenisch-Prozess



20040510 TA: 100 Verhaftete an Camenisch-Demo

Tages-Anzeiger vom 10.05.2004

100 Verhaftete an Camenisch-Demo

Vor dem Prozessbeginn gegen den Öko-Terroristen Marco Camenisch am Geschworenen-gericht wurde diskutiert, unbewilligt demonstriert und von der Polizei hart durchgegriffen.

Von RenI Staubli

Zürich. - Am Samstagabend fand im Volkshaus eine Informationsveranstaltung von linken FreundInnen und UnterstützerInnen zum Prozess gegen Marco Camenisch statt. Hauptredner vor 50 Anwesenden war Camenischs Anwalt Bernard Rambert. Die Politaktivistin Andrea Stauffacher, die ebenfalls auftreten sollte, sass derweil im Gefängnis. Sie war am Nachmittag bei einer unbewilligten Demonstration zusammen mit 100 Mitstreitern verhaftet worden. Den ganzen Abend über tröpfelten von der Polizei entlassene Demoteilnehmer ein. Rambert wertete den nachmittäglichen Zugriff als schamlose Repression der Polizei.

Die Ausführungen des Anwalts zeigten in etwa, welche Verteidigungsstrategie er für den Prozess gegen den 52-jährigen Bündner wählen wird. Dieser steht ab heute Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht. Ihm wird vorgeworfen, er habe in seinem Heimatdorf Brusio im Jahr 1989 einen Zöllner erschossen und Jahre zuvor beim Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf einen Mordversuch an einem Aufseher begangen (TA vom 8. Mai). Camenisch hätte dort zehn Jahre wegen Sprengstoffanschlägen gegen Einrichtungen der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) absitzen sollen. Am Tod des Zöllners wird Rambert jede Schuld seines Mandanten bestreiten, desgleichen an der Gewaltanwendung beim Ausbruch in Regensdorf. Für ihn ist Camenisch ein politischer Gefangener, der im damals hoch aufgeladenen Klima zum Opfer eines terroristischen Urteils der Justiz wurde.

Zugriff beim Kunsthaus
Fast noch stärker als der Camenisch-Prozess beschäftigte die Anwesenden der Ausgang der nachmittäglichen, unbewilligten Demonstration. Diese begann um 14 Uhr auf dem Hechtplatz, wo ein Keramikmarkt stattfand. Unter der Leitung Stauffachers wurden vorerst Parolen zur Freilassung Camenischs skandiert. Die Stimmung verschärfte sich, als die Polizei eine mobile Musikeinrichtung der Demonstranten konfiszierte. Stauffacher bezeichnete die Polizisten über Megafon als Schweine und Mörder. Anschliessend marschierte sie mit gegen 100 Leuten das Limmatquai entlang Richtung Central, bog aber bald ab, um durchs Niederdorf zum Obergericht zu ziehen. Dort riegelte die Polizei die Strasse mit einem grossen Aufgebot inklusive Wasserwerfer ab. Die Demonstranten schwenkten Richtung Kunsthaus, wo sie sich unversehens eingekesselt sahen.

In dieser ausweglosen Situation flüchteten sich einige ins Kunsthaus respektive ins benachbarte CafI, verfolgt von Polizisten in Kampfmontur. Vor dem Eingang kam es zu kurzen, aber heftigen Handgemengen, gefolgt von Verhaftungen. Das Kunsthaus musste notgedrungen schliessen. An Ausstellungsstücken entstanden keine Schäden, lediglich eine Scheibe ging zu Bruch. Die Demonstranten hatten schwere Stand-aschenbecher aus Aluminium benützt. Laut Stadtpolizei wurden 66 Männer und 32 Frauen festgenommen. 94 wurden wieder freigelassen. Sie werden wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration verzeigt. Vier Personen - darunter Andrea Stauffacher - wurden wegen Gewalt, Drohung und Landfriedensbruchs der Bezirksanwaltschaft Zürich zugeführt. Erstaunlich viele der Festgenommenen - nämlich 43 - sind über 26-jährig.


TA 10.05.04

Im Bild: Demo vom Samstag

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Nach einer unbewilligten Solidaritätskundgebung für den wegen Mordes angeklagten Marco Camenisch am Samstag in Zürich hat die Polizei 98 Demonstranten verhaftet. Über ein Drittel davon war aus Italien angereist.
(Bild: Beat Marti)

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Am Samstag sprach die Polizei von 70 Verhaftungen. Laut Medienmitteilung vom Sonntag war die Zahl der Festgenommenen deutlich höher. Die meisten wurden nach der Befragung entlassen, vier bleiben jedoch in Haft wegen Gewalt und Drohung, respektive Landfriedensbruchs.
(Bild: Beat Marti)

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Beim Schifflände-Platz am Limmatquai hatten sich am Samstag nach 14 Uhr 80 bis 100 Autonome versammelt, die teilweise dem schwarzen Block angehören. Ein Teil war auch aus Italien angereist, wo Camenisch wegen Sprengsotffdelikten mehrere Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Auf Transparenten und in Sprechchören verlangten die Jugendlichen Freiheit für den Bündner Öko-Terroristen Camenisch.
(Bild: Beat Marti)

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Die teils vermummten Autonomen, die Knallkörper abfeuerten, zogen - von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet - entlang des Limmatquais und durch das Niederdorf zum Obergericht. Dort wurden sie beim Kunsthaus von der Polizei eingekesselt.
(Bild: Beat Marti)

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Unter den Verhafteten war auch die Zürcher Politaktivistin Andrea Stauffacher, die in das Restaurant beim Kunsthaus geflüchtet war. Insgesamt wurden 66 Frauen und 32 Männer festgenommen, zehn waren weniger als 15 Jahre alt. Rund die Hälfte stammte aus verschiedenen Schweizer Kantonen, 39 waren aus Italien an die Demo gekommen.
(Bild: Beat Marti)

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Vor der Verhaftungksaktion hatten die Jugendlichen laut Polizeiangaben Steine und Flaschen geworfen und versucht, ins Kunsthaus zu gelangen. Die Polizei feuerte beim Obergericht in einem kurzen Einsatz Gummischrot gegen die Demonstrierenden.
(Bild: Beat Marti)

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Während der Verhaftungsaktion gelang einigen Jugendlichen die Flucht ins Kunsthaus, wo sie mit grossen Stehaschenbechern eine Glastüre zertrümmerten. Weitere Schäden seien jedoch verhindert worden, teilte die Polizei mit.
(Bild: Beat Marti)

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Camenisch, der in den 80er-Jahren als militanter AKW-Gegner Sprengstoffanschläge auf Strommasten beging, gilt seither bei Linksautonomen als Symbol des Widerstands. Er machte im Gefängnis mehrmals durch Hungerstreiks auf sich aufmerksam. Am Montag steht er vor Gericht, weil er unter anderem vor 14 Jahren auf der Flucht einen Zöllner erschossen haben soll.
(Bild: Beat Marti)



20040512 Blick: Stauffacher im Hungerstreik

Artikel vom 12. Mai 2004, 11:50 Uhr / Quelle: Blick Online

Camenisch-Prozess
Stauffacher im Hungerstreik

[foto] Camenisch vor Gericht: Derzeit wegen Krankheit dispensiert.
FOTO: KEYSTONE

ZÜRICH Andrea Stauffacher, Zürcher Polit-Aktivistin, ist im Hungerstreik. Sie wurde an der Demonstration vom Samstag verhaftet.

Die Stauffacher ist immer vorne mit dabei vor allem, wenn es um Demonstrationen gegen die Staatsmacht geht. So war das auch am letzten Samstag, als 100 Aktivisten für die Freilassung von Marco Camenisch auf die Strasse gingen.
Stauffacher wurde verhaftet. Wegen Landfriedensbruch. Ihre Analyse: Politisch motivierte Präventivhaft. Ausserdem sollte der Solidaritätsbewegung für Camenisch die Spitze gebrochen werden, erklärte sie.

Und das kann eine wie die Stauffacher nicht einfach so akzeptieren. Sie trat im Gefängnis in einen Hungerstreik.

Marco Camenisch selbst erschien heute nicht vor Gericht. Er war gestern mit einem Arztzeugnis für diese Woche dispensiert worden. Allerdings erklärte Gerichtspräsident Hans Mathys, die Dispension sei ihm zu vage formuliert. Darin heisse es nur, dass der Angeklagte gesundheitlich angeschlagen sei. Jetzt soll sich das Institut für Rechtsmedizin der Sache annehmen.


20040512 TA: Politaktivistin Stauffacher im Hungerstreik

Tages-Anzeiger vom 12.05.2004

Politaktivistin Stauffacher im Hungerstreik

Die Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher befindet sich seit Montag in einem unbefristeten Hungerstreik. Sie befindet sich seit ihrer Teilnahme an der unbewilligten Camenisch-Demo in Haft.

Dies bestätigte ihr Anwalt Matthias Brunner dem Tages-Anzeiger. Seine Mandantin sitze aus politischen Gründen im Gefängnis, sagte Brunner, nun gibt sie darauf eine politische Antwort.
Stauffacher wurde am vergangenen Samstag bei der Auflösung einer unbewilligten Demonstration für die Freilassung des Ökoaktivisten Marco Camenisch verhaftet und wegen Landfriedensbruchs der Bezirksanwaltschaft zugeführt. Seit Montag befindet sie sich in Untersuchungshaft. Gemäss Auskunft des Zürcher Bezirksgerichts wurde diese verhängt, weil bei Stauffacher der dringende Verdacht auf Wiederholungsgefahr bestehe.

Anwalt Brunner kritisiert das Vorgehen der Behörden. Er könne bei seiner Mandantin in Zusammenhang mit dem vorgeworfenen Landfriedensbruch weder Kollusions- noch Fluchtgefahr erkennen. Die klassischen Gründe für eine Anordnung von U-Haft seien deshalb nicht gegeben: Den Behörden geht es mit der Verhängung dieser Präventivhaft einzig darum, Stauffachers Anwesenheit am Camenisch-Prozess zu verhindern und die Protestbewegung zu schwächen. Der Bündner wird vor dem Zürcher Geschworenengericht beschuldigt, im Jahr 1989 in Brusio einen Zöllner erschossen zu haben, was er bestreitet. Das Urteil soll am 4. Juni verkündet werden. Die Bezirksanwaltschaft kann Stauffacher längstens drei Monate ohne weitere Begründung festhalten.

Stauffacher wurde zuletzt im Oktober 2003 wegen Landfriedensbruchs zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilt. Das Bezirksgericht bezeichnete sie als Überzeugungstäterin. Stauffacher hat Berufung eingelegt. (res)


Nebenschauplätze

20040525 Blicko: Anschlag auf TV-Turm - Stecken Camenischs Anhänger dahinter?

Artikel vom 25. Mai 2004, 17:57 Uhr / Quelle: Blick Online

Beim Brandanschlag in der Sendeanlage auf dem Üetliberg entstand Schaden in Millionenhöhe.
FOTO: KEYSTONE

Anschlag auf TV-Turm
Stecken Camenischs Anhänger dahinter?
Schaden in Millionenhöhe

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Tatort Üetliberg: In der Nacht auf Dienstag schlugen die Attentäter zu.
FOTO: RDB

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Auf der Türe der Anlage hinterliessen Sprayer die Botschaft Freiheit für Marco Camenisch.
FOTO: KEYSTONE


ZÜRICH - Mattscheibe bei SF DRS. Ein Brandanschlag auf den TV-Turm Üetliberg hat für einen Sendeunterbruch beim Schweizer Fernsehen gesorgt. Im Visier der Polizei: Ökoterroristen.

Wer heute früh in den Kantonen Zürich, Aargau und Schwyz SF 1 oder 2 über die Zimmerantenne empfangen wollte, wurde enttäuscht: Der terrestrische Sendebetrieb des Schweizer Fernsehens war unterbrochen. Von der Sendepanne waren mehrere tausend Haushalte betroffen. Ungestört blieb der Empfang über Kabel.
Grund für den Ausfall: Unbekannte hatten sich in der Nacht auf heute zum Sendeturm auf dem Üetliberg geschlichen, die Fenster eines Gebäudes eingeschlagen und einen Brandsatz ins Innere geworfen. Der Schwelbrand wurde erst am Morgen entdeckt, konnte aber von der Feuerwehr schnell gelöscht werden. Die Polizei spricht von einem Schaden in Millionenhöhe. Erst am Nachmittag konnte SF1 wieder empfangen werden.

Bei der Suche nach möglichen Tätern hat die Polizei bereits eine heisse Spur entdeckt. Sprayer hatten am Tatort Botschaften hinterlassen, die auf eine Täterschaft im Umfeld des Ökoterroristen Marco Camenisch schliessen lassen. Ein ebenfalls gefundenes Bekennerschreiben - über dessen Inhalt aber noch nichts bekannt ist - könnte zudem weitere Hinweise auf die Täter geben. Noch wollen sich die Ermittler aber nicht festlegen.



20040525 Swissinfo: Brandanschlag auf Üetliberg-TV-Turm durch Camenisch-Sympathisanten

swissinfo.ch

25. Mai 2004 12:34

Brandanschlag auf Üetliberg-TV-Turm durch Camenisch-Sympathisanten

ZÜRICH - Auf den Fernsehturm auf dem Üetliberg in Zürich ist in der Nacht ein Brandanschlag verübt worden. Ein Bekennerschreiben weist auf Sympathisanten des Öko-Terroristen Marco Camenisch hin.

Personen kamen beim Brandanschlag keine zu Schaden, jedoch gab es erheblichen materiellen Schaden an den Sendeanlagen. Laut Polizeiangaben warfen Unbekannte in der Nacht einen Brandsatz in das Gebäude am Fusse des Turms.

Die Täter schlugen zuerst ein Oberlicht beim Sendeturm ein. Wie sie zum umzäunten Gebäude gelangten, ist laut Polizeisprecher Hansruedi Bolliger noch unklar. Der Schaden wurde kurz nach 7 Uhr entdeckt. Die Feuerwehr stellte im Gebäude, wo sich mehrere TV-Sendeanlagen befinden, nur noch Rauch fest.

Durch Schwelbrand, Rauch und Russ stark in Mitleidenschaft gezogen wurden die beiden Sender von SF DRS. Gemäss SF DRS und der Swisscom wurde die terrestrische Verbreitung der Sender im Kanton Zürich sowie in Teilen der Kantone Aargau und Schwyz lahm gelegt.

Da jedoch die Sender vor allem über Kabel verbreitet werden, sind nur einige Tausend Haushalte direkt betroffen. Ein Swisscom-Sprecher liess auf Anfrage offen, wie lange die Reparaturarbeiten dauern. Auch der Schaden könne noch nicht beziffert werden.

Die Polizei sprach von einem Schaden in Millionenhöhe. Die Swisscom will Strafanzeige einreichen. Aufgrund des Bekennerschreibens geht die Polizei von einem politischen Anschlag aus. Auf einem Graffiti an der Eingangstür wird Freiheit für Marco Camenisch gefordert.

Als Täter kommen gemäss Polizei Sympathisanten des Öko-Terroristen Marco Camenisch in Frage. Camenisch steht zurzeit wegen Mordes vor dem Zürcher Geschworenengericht. Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei und Brandexperten hätten die Ermittlungen aufgenommen. 251229 may 04


SDA-ATS



20040526 20min: Brandanschlag auf Uetliberg-Sendeturm weiterhin ungeklärt

20min

Brandanschlag auf Uetliberg-Sendeturm weiterhin ungeklärt

Die Urheber des Brandanschlages auf den Uetliberg-Sendeturm der Swisscom von Dienstag befinden sich noch immer auf freiem Fuss.

Die Sendeanlage sei wieder funktionstüchtig, teilte die Kantonspolizei Zürich am Mittwoch mit. Der Sachschaden beträgt gemäss bisherigen Erkenntnissen mehr als 1,5 Millionen Franken; unmittelbar nach der Tat war die Polizei nach von einer Million ausgegangen. Die Spurensicherung ist abgeschlossen, konkrete Resultate stehen aber noch aus. Ungeklärt ist insbesondere die Herkunft eines am Tatort gefundenen Auszugsteiles einer Alu-Leiter, das zwar Gebrauchsspuren, aber keine Farb- oder Baumaterialrückstände aufweist. Die mutmasslichen Täter hatten mit Sprayereien und in einem Bekennerschreiben die Freilassung des wegen Mordes angeklagten Linksradikalen Marco Camenisch gefordert.

Quelle: AP
Publiziert am: 26. Mai 2004 17:17


20040526 20min: Üetliberg: Brandanschlag auf den Fernsehturm

20min

Üetliberg: Brandanschlag auf den Fernsehturm

In der Nacht auf gestern wurde beim TV-Turm auf dem Üetliberg ein Brandanschlag verübt. Ein Bekennerschreiben weist auf Camenisch-Sympathisanten hin.

Ein Swisscom-Angestellter entdeckte den Schwelbrand gestern um 7 Uhr und alarmierte die Feuerwehr. In der Nacht hatten Unbekannte ein Loch in den Zaun geschnitten und einen Brandsatz in den Technikraum am Fuss des Fernsehturms geworfen. Es entstand ein Schaden in Millionenhöhe, sagt Swisscom-Sprecher Josef Frey.

Die Sendeanlagen des Schweizer Fernsehens wurden zerstört. Folge: In einigen Tausend Haushaltungen in der Stadt und im Kanton Zürich sowie in angrenzenden Gebieten, in denen das TV-Programm über eine gewöhnliche Dach- oder Zimmer-Antenne empfangen wird, konnte das Programm von SF1 und SF2 während des ganzen Tags nicht mehr empfangen werden.

Als Täter werden Sympathisanten von Marco Camenisch vermutet. Dieser steht zurzeit vor dem Zürcher Geschworenengericht. Vor der Tür lag ein Bekennerschreiben, dessen Inhalt auf ein politisches Motiv hindeutet, sagte Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei. Zudem wurde auf die Tür in grossen Buchstaben gesprayt: Free Marco Camenisch. Die Täter brachten laut Polizei auch eine Metallleiter mit - woher diese stammt, ist noch unklar.

(alk)


Publiziert am: 25. Mai 2004 22:18



20040526 BaZ: Brandanschlag führt zu Sendepause bei SF DRS

BaZ Erschienen am: 26.05.2004

Brandanschlag führt zu Sendepause bei SF DRS

In der Nacht auf gestern haben Unbekannte einen Brandsatz in die Sendeanlagen von SF DRS auf dem Zürcher Üetliberg geworfen. Der Antennenempfang wurde teilweise unterbrochen. Die Polizei vermutet Camenisch-Anhänger als Täter. Der Schaden geht in die Millionen.

[foto] Befreit Camenisch. Dieser Slogan wurde auf die Türe der Sende-Mehrzweckanlage auf dem Üetliberg gesprayt. Foto Keystone

Zürich. SDA. Auf den Fernsehturm auf dem Üetliberg in Zürich ist in der Nacht auf Dienstag ein Brandanschlag verübt worden. Ein Bekennerschreiben weist auf Sympathisanten des Öko-Terroristen Marco Camenisch hin.


Beim Anschlag entstand Millionenschaden. Personen kamen beim Brandanschlag nicht zu Schaden, jedoch gab es erheblichen materiellen Schaden an den Sendeanlagen. Laut Polizeiangaben warfen Unbekannte in der Nacht einen Brandsatz in das Gebäude am Fusse des Turms.

Sender lahm gelegt

Die Täter schlugen zuerst ein Oberlicht bei der Fernsehstation ein. Wie sie zum umzäunten Gebäude gelangten, ist laut Polizeisprecher Hansruedi Bolliger noch unklar. Der Schaden wurde kurz nach 7 Uhr entdeckt. Die Feuerwehr stellte im Gebäude, wo sich mehrere TV-Sendeanlagen befinden, nur noch Rauch fest.
Durch den Schwelbrand, Rauch und Russ stark in Mitleidenschaft gezogen wurden die beiden Sender von SF DRS. Laut SF DRS und der Swisscom wurde die terrestrische Verbreitung der Sender im Kanton Zürich sowie in Teilen der Kantone Aargau und Schwyz lahm gelegt. Wie SF DRS am Nachmittag mitteilte, konnte SF1 wieder empfangen werden. SF2 sollte am Abend folgen. Da jedoch die Sender vor allem über Kabel verbreitet werden, waren nur einige tausend Haushalte direkt betroffen. Ein Swisscom-Sprecher liess auf Anfrage offen, wie lange die Reparaturarbeiten dauern. Auch der Schaden könne noch nicht beziffert werden.
Die Polizei sprach von einem Schaden in Millionenhöhe. Die Swisscom will Strafanzeige einreichen. Aufgrund des Bekennerschreibens geht die Polizei von einem politischen Anschlag aus. Auf einem Graffito an der Eingangstür wird Freiheit für Marco Camenisch gefordert.

Verdacht fällt auf Sympathisanten

Als Täter kommen laut Polizei Sympathisanten des Öko-Terroristen Marco Camenisch in Frage. Marco Camenisch steht seit dem 10. Mai wegen Mordes und Mordversuchs vor dem Zürcher Geschworenengericht. Die Anklage Mordversuch steht im Zusammenhang mit dem Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf, bei der ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt wurde. Der Hauptanklagepunkt lautet auf Mord an einem 36-jährigen Grenzwächter am 3. Dezember 1989 in Brusio GR. Camenisch erklärte sich zu Anfang der Verhandlungen als nicht verantwortlich für diese Tat. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet.
Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei und Brandexperten haben die Ermittlungen zu dem Brandfall aufgenommen.



20040526 NZZ: Brandanschlag auf Üetliberg-Sendeanlage

26. Mai 2004, 02:25, Neue Zürcher Zeitung

Brandanschlag auf Üetliberg-Sendeanlage

Ausfall von terrestrischen Sendern - Millionenschaden

tom. In der Nacht auf Dienstag haben Unbekannte auf dem Üetliberg einen Brandanschlag auf die Mehrzweckanlage der Swisscom am Fusse des Sendeturms verübt. Dabei entstand an den Sendeanlagen - gemäss Angaben der Stadtpolizei Zürich - ein Millionenschaden in noch unbekannter Höhe. Auf einem am Tatort zurückgelassenen Bekennerschreiben und mit einem Graffito wurde ein Bezug zum Prozess gegen Marco Camenisch hergestellt. Verletzt wurde niemand.

Wie die Stadtpolizei mitteilte, war der Brandanschlag der Berufsfeuerwehr der Stadt Zürich kurz nach 7 Uhr gemeldet worden. Die Stadtzürcher Feuerwehr rückte mit einem Löschzug aus und wurde von den Feuerwehren Uitikon und Stallikon unterstützt. Als die Feuerwehrleute beim Gebäude am Fusse des Turms an der Gratstrasse 2 eintrafen, stellten sie lediglich noch eine starke Rauchentwicklung im umzäunten Gelände fest. Die unbekannten Täter hatten in der Nacht ein Loch in den Metallzaun geschnitten. Sie stellten eine Leiter an die Fassade, schlugen ein Oberlicht bei der Fernsehstation ein und warfen einen Brandsatz in den Innenraum, wo sich mehrere Fernsehsender befinden.

Der genaue Zeitpunkt des Anschlags war am Dienstag noch offen. Es entstand ein Schwelbrand mit einer starken Rauch- und Russentwicklung. Aufgrund des am Tatort zurückgelassenen Bekennerschreibens und eines Graffito an der Eingangstüre, in welchem die Freiheit für Marco Camenisch gefordert wird, geht die Stadtpolizei von einem politischen Anschlag aus. Der Bündner Öko-Terrorist Marco Camenisch steht zurzeit wegen Mordes vor dem Zürcher Geschworenengericht. Spezialisten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei und Brandermittler der Kantonspolizei Zürich ermitteln weiter.

Mehrere terrestrische Sender fielen durch den Brandanschlag aus. Laut einer Mitteilung des Schweizer Fernsehens DRS wurde auch die terrestrische Ausstrahlung von SF 1 und SF 2 im Kanton Zürich und in den angrenzenden Gebieten der Kantone Aargau und Schwyz unterbrochen. Wie lange die komplette Reparatur der Sendeanlagen in Anspruch nehmen wird, stand am Dienstag noch nicht fest. SF 1 konnte im Verlaufe des Nachmittags wieder empfangen werden, SF 2 folgte am Abend. Vom gesamten Einzugsgebiet mit rund einer Million Haushalten waren nur einige tausend Haushalte betroffen, weil SF 1 und SF 2 weiterhin über Kabel und über den Satelliten Hotbird III (Transponder 85, 13 Grad Ost) empfangbar blieben. Auch die Ausstrahlung von Radioprogrammen von SR DRS war durch den Brandanschlag nicht betroffen.



20040526 TAo: Anschlag auf Üetliberg-Sender

Zürich - Mittwoch, 26. Mai 2004 / 25.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Anschlag auf Üetliberg-Sender

[foto] Beamte der Stadtpolizei sichten den Schaden.

Auf den Fernsehturm auf dem Üetliberg wurde in der Nacht ein Brandanschlag verübt. Ein Bekennerschreiben weist auf Sympathisanten von Marco Camenisch hin. Es entstand grosser Sachschaden.

Brandanschlag auf Üetliberg-Sender

Personen kamen beim Brandanschlag keine zu Schaden, jedoch gab es erheblichen materiellen Schaden an den Sendeanlagen. Laut Polizeiangaben warfen Unbekannte in der Nacht einen Brandsatz in das Gebäude am Fusse des Turms.
Die Täter schlugen zuerst ein Oberlicht bei der Fernsehstation ein. Wie sie zum umzäunten Gebäude gelangten, ist laut Polizeisprecher Hansruedi Bolliger noch unklar. Der Schaden wurde kurz nach 7 Uhr entdeckt. Die Feuerwehr stellte im Gebäude, wo sich mehrere TV-Sendeanlagen befinden, nur noch Rauch fest.

Durch den Schwelbrand, Rauch und Russ stark in Mitleidenschaft gezogen wurden die beiden Sender von SF DRS. Laut SF DRS und der Swisscom wurde die terrestrische Verbreitung der Sender im Kanton Zürich sowie in Teilen der Kantone Aargau und Schwyz lahm gelegt. Wie SF-DRS am Nachmittag mitteilte, kann SF 1 wieder empfangen werden, SF 2 folge am Abend.

Da jedoch die Sender vor allem über Kabel verbreitet werden, sind nur einige Tausend Haushalte direkt betroffen. Ein Swisscom-Sprecher liess auf Anfrage offen, wie lange die Reparaturarbeiten dauern. Auch der Schaden könne noch nicht beziffert werden.

Die Polizei sprach von einem Schaden in Millionenhöhe. Die Swisscom will Strafanzeige einreichen. Aufgrund des Bekennerschreibens geht die Polizei von einem politischen Anschlag aus. Auf einem Graffiti an der Eingangstür wird Freiheit für Marco Camenisch gefordert.

Als Täter kommen laut Polizei Sympathisanten des Öko-Terroristen Marco Camenisch in Frage. Camenisch steht zurzeit wegen Mordes vor dem Zürcher Geschworenengericht. Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei und Brandexperten hätten die Ermittlungen aufgenommen. (cpm/sda)

Mehr zum Thema
Camenisch und das Pfarrhaus von Brusio

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Im Bild: Anschlag auf Üetliberg-Sender

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Oberlicht eingeschlagen
Auf den Fernsehturm auf dem Üetliberg wurde in der Nacht ein Brandanschlag verübt. Laut Polizeiangaben warfen Unbekannte in der Nacht einen Brandsatz in das Gebäude am Fusse des Turms. Die Täter schlugen zuerst ein Oberlicht beim Sendeturm ein. Wie sie zum umzäunten Gebäude gelangten, ist laut Polizeisprecher Hansruedi Bolliger noch unklar.
(Bild: Keystone)

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Schaden in Millionenhöhe
Der Schaden wurde kurz nach 7 Uhr entdeckt. Die Feuerwehr stellte im Gebäude, wo sich mehrere TV-Sendeanlagen befinden, nur noch Rauch fest. Durch Schwelbrand, Rauch und Russ stark in Mitleidenschaft gezogen wurden die beiden Sender von SF DRS. Die Polizei sprach von einem Schaden in Millionenhöhe. Die Swisscom will Strafanzeige einreichen.
(Bild: Keystone)

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Bekennerschreiben
Aufgrund des Bekennerschreibens geht die Polizei von einem politischen Anschlag aus. Auf einem Graffiti an der Eingangstür wird Freiheit für Marco Camenisch gefordert. Als Täter kommen gemäss Polizei Sympathisanten des Öko-Terroristen Marco Camenisch in Frage.
(Bild: Keystone




20040526 taz: Anschlag auf Schweizer Fernsehturm

Anschlag auf Schweizer Fernsehturm

Schwelbrand richtet großen Sachschaden an: Bekennerschreiben fordert Freiheit für Marco Camenisch. Der Ökoaktivist steht derzeit wegen Mordes in Zürich vor Gericht
BERLIN/ZÜRICH ap/taz In der Schweiz ist ein Brandanschlag auf den Fernsehturm am Üetliberg verübt worden. Ein Bekennerschreiben weist auf Sympathisanten des Ökoaktivisten Marco Camenisch hin, der wegen Mordes angeklagt ist. Der Sachschaden geht nach Polizeiangaben in die Millionen. Menschen wurden nicht verletzt.

Die Täter warfen in der Nacht zu Dienstag einen Brandsatz in die Fernsehstation der Swisscom. Der entstehende Schwelbrand wurde erst am Morgen bemerkt. Nach Senderangaben wurde die terrestrische Verbreitung in drei Kantonen teilweise lahm gelegt. Die Swisscom will Strafanzeige erstatten. Wegen des Bekennerschreibens geht die Polizei von einem politischen Anschlag aus. Auf einem Graffito wird "Freiheit für Marco Camenisch" gefordert.

Camenisch muss sich seit dem 10. Mai wegen Mordes vor dem Zürcher Geschworenengericht verantworten. Der Hauptvorwurf lautet auf Mord an einem Zöllner am 3. Dezember 1989 in Brusio. Camenisch erklärte sich zu Prozessbeginn als "nicht verantwortlich" und verweigert seitdem jede Aussage. Doch Gutachter belasten ihn: Die am Tatort gefundenen Projektile sollen aus seiner Waffe stammen.

Camenisch ist seit den 70er-Jahren engagierter Ökoaktivist. 1980 wurde er erstmals wegen Sachbeschädigung an einem Strommast zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Dezember 1981 floh Camenisch mit fünf Mithäftlingen. Dabei wurde ein Wärter erschossen. Camenisch tauchte unter, bis er am 3. Dezember 1989 in Brusio am Grab seines Vaters gesehen worden sein soll. Kurz darauf wurde der Zöllner tot aufgefunden. 1991 wurde Camenisch in Italien verhaftet und 2002 an die Schweiz ausgeliefert, wo er eine Reststrafe von acht Jahren verbüßt. "CA

taz Nr. 7367 vom 26.5.2004, Seite 2, 60 Zeilen (TAZ-Bericht), CA


Prozessberichte

20040510 20min: Öko-Terrorist weist Mordanklagen von sich

20min

Öko-Terrorist weist Mordanklagen von sich

Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht der Prozess gegen den Öko-Terroristen Marco Camenisch begonnen.


Die Anklagepunkte Mord und Mordversuch wies der Angeklagte von sich.

Dem 52-Jährigen wird unter anderem vorgeworfen, am 3. Dezember 1989 auf der Flucht in Brusio GR einen Grenzwächter, der ihn kontrollieren wollte, erschossen zu haben. Für diese Tat sei er in keiner Art und Weise verantwortlich, versicherte Camenisch in einer persönlichen Erklärung. Er habe niemals wehrlose Menschen angegriffen oder einen unbewaffneten Gegner getötet.

Es stehe vor dem Geschworenengericht als Kriegsgefangener in einem politischen Befreiungskampf, sagte Camenisch, der den so genannten Strafverfolgungsbehörden jegliche politische, ethische und moralische Legitimation absprach.

Das Gericht sei für ihn ein Ort der freudigen Begegnung mit meinen Freunden und Genossen, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung zum Publikum, das ihm seine Ansprache mit tosendem Applaus dankte.

15 und 23 Jahre alte Delikte

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm neben dem vollendeten Mord am Grenzwächter einen versuchten Mord bei der Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf ZH (1981) vor. Er sollte dort eine zehnjährige Zuchthausstrafe verbüssen wegen Sprengstoffanschlägen auf Strommasten und dergleichen Ende der siebziger Jahre.

Auf seine gezielten Anschläge auf Einrichtungen der Stromindustrie gründet der Ruf Camenischs als Öko-Terrorist, der sich in all den Jahren eine treue Fangemeinde erhalten hat.

Zehn Jahre nach diesem Ausbruch wurde Camenisch in der Toskana festgenommen und später von einem Gericht in Italien wegen Sprengstoffanschlägen auf elektrische Einrichtungen zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 2002 wurde er an die Schweiz ausgeliefert.

Aus diesen Gründen muss sich Camenisch erst jetzt wegen Delikten verantworten, die viele Jahre zurückliegen. Die lange zurückliegenden Taten machen das Verfahren vor dem Zürcher Geschworenengericht schwierig. Von Zeugen, die nicht mehr erreicht werden konnten oder gestorben sind, können vor Gericht nur Einvernahmeprotokolle verlesen werden.

Vierwöchiger Prozess

Der Prozess vor dem dreiköpfigen Gericht und den neun Geschworenen begann mit der Befragung des Angeklagten zur Person und zur Sache. Da Camenisch nicht aussagen wollte, verlas Gerichtspräsident Hans Mathys entsprechende Angaben von früher, die der Angeklagte immerhin zum Teil bestätigte. Die Fragen des Staatsanwalts hingegen ignorierte er.

Der Prozess ist auf vier Wochen angelegt. Für den 1. Juni sind die Plädoyers der Parteien und ein allfälliges Schlusswort des Angeklagten vorgesehen. Das Urteil wird voraussichtlich am 4. Juni eröffnet.

Quelle: SDA
Publiziert am: 10. Mai 2004 12:26

20040510 Blick: Camenisch-Prozess: Gelbe Karte, Rote Karte

Artikel vom 10. Mai 2004, 14:42 Uhr / Quelle: Blick Online

Camenisch-Prozess
Gelbe Karte, Rote Karte

DIj@-vuam Camenisch-Prozess

ZÜRICH Für den Öko-Terrorist Marco Camenisch (52) geht es um Mord und versuchten Mord. Vor Gericht zog er für seine Anhänger eine Show ab.

Die Sympathisanten stehen in einer Reihe. Müssen ihren Rucksack abgeben, sich in die Tasche gucken lassen und das Handy ausserhalb des Gerichtssaals deponieren. Die meisten Plätze sind von Marco Camenischs Anhängern besetzt. Sie brechen in johlenden Applaus aus, als der Bündner den Gerichtssaal betritt.
Er stehe vor dem Geschworenengericht als Kriegsgefangener in einem politischen Befreiungskampf, so Camenisch. Er sprach dem Gericht jegliche politische, ethische und moralische Legitimation ab. Zu den Taten sagt er nur, dass er in keiner Weise dafür verantwortlich ist (Blick Online berichtete). Er habe niemals wehrlose Menschen angegriffen oder einen unbewaffneten Gegner getötet.

Das Gericht ist für Camenisch wie er selbst sagte ein Ort der freudigen Begegnung mit meinen Freunden und Genossen. Seine Verbeugung in Richtung Publikum wird wieder mit Applaus quittiert.

Ansonsten ist es ruhig im Saal. Gerichtspräsident Hans Mathys hatte den Sympathisanten zuvor die Spielregeln erklärt: Es gelte, Ruhe zu bewahren. Bei Störungen werde er sportlich vorgehen Erste Ermahnung, Gelbe Karte, Rote Karte.

Und obwohl Camenisch eigentlich gar nichts sagen wollte, gibt er manchmal doch eine Antwort. Dann nämlich, wenn Mathys des Bündners Aussagen von früher vorliest. Die bestätigt dieser teilweise. Fragen des Staatsanwalts ignoriert er aber.

Der Prozess dauert wahrscheinlich etwa vier Wochen. Für den 1. Juni sind die Plädoyers für die Parteien und ein allfälliges Schlusswort vorgesehen. Das Urteil wird am 4. Juni erwartet.


[foto] Bernard Rambert, Anwalt von Marco Camenisch. Im Hintergrund das abgeschirmte Gerichtsgebäude.
[foto] Vor dem Zaun führen Camenischs Anhänger ein kleines Theaterstück auf.
[foto] Marco Camenisch vor Gericht.
FOTOS: KEYSTONE



20040510 Blick: Dj-vu am Camenisch-Prozess

Artikel vom 10. Mai 2004, 12:49 Uhr / Quelle: Blick Online

DIj@-vuam Camenisch-Prozess

[Bild] 100 Demonstranten legten am Samstag den Verkehr am Limmatquai lahm.
FOTO: KEYSTONE

ZÜRICH Zwei Tage nach der Demo für den Öko-Terrorist Marco Camenisch haben sich seine Sympathisanten und die Polizei wieder getroffen vor Gericht.

100 Menschen haben am Samstag teilweise vermummt für ihren Freiheitskämpfer Marco Camenisch demonstriert. Aus ihrer Sicht ist der Bündner ein politischer Häftling, der sofort freizulassen ist. Die Polizei kannte keine Gnade: 98 Demonstranten wurden verhaftet.
Auch das Gericht fand kein Gehör für das Ansinnen von Marco Camenischs Sympathisanten. Der Prozess begann wie geplant am Montag vor dem Geschworenengericht in Zürich. Dort war alles hermetisch abgeriegelt, Gitter mit Sichtschützen versehen. Camenisch selbst wurde am Morgen vom Flughafengefängnis, wo er seit 2002 sitzt, nach Zürich gebracht.

Vier Wochen dürfte der Prozess dauern. Und viele von den Zeugen von damals konnten nicht mehr erreicht werden oder sind mittlerweile gestorben. So können vor Gericht nur die Einvernahmeprotokolle vorgelesen werden. Camenisch selbst ist nicht geständig. Ob er aussagen wird, steht noch nicht fest.

Deshalb ist Camenisch vor Gericht
Zürich - Camenischs Taten liegen schon Jahre zurück. Einer der Vorwürfe (versuchter Mord) datiert aus dem Jahre 1981, als er aus der Strafanstalt Regensdorf ZH flüchtete. Acht Jahre später brachte er während einer weiteren Flucht in Brusio GR einen Grenzwächter um. Seinen Ruf als Öko-Terrorist begründete er Ende der 70er Jahre als militanter Kämpfer gegen AKWs und neue Wasserkraftwerke in Graubünden. Wegen zwei Sprengstoffanschlägen mit Millionenschäden wurde er 1981 zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.


20040510 NZZ: Angeklagter weist Mordanklagen von sich

10. Mai 2004, 12:24, NZZ Online

Angeklagter weist Mordanklagen von sich

Prozess gegen Camenisch hat begonnen

Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht der Prozess gegen den Öko-Terroristen Marco Camenisch begonnen. Die Anklagepunkte Mord und Mordversuch wies der Angeklagte von sich. Die Tat liegt 15 Jahre zurück. Vor dem Gerichtsgebäude hatten Anhänger von Camenisch demonstriert.


(sda) Dem 52-Jährigen wird unter anderem vorgeworfen, am 3. Dezember 1989 auf der Flucht in Brusio im Kanton Graubünden einen Grenzwächter, der ihn kontrollieren wollte, erschossen zu haben. Für diese Tat sei er in keiner Art und Weise verantwortlich, versicherte Camenisch in einer persönlichen Erklärung. Er habe niemals wehrlose Menschen angegriffen oder einen unbewaffneten Gegner getötet.

Angeklagter sieht sich als Kriegsgefangener

Es stehe vor dem Geschworenengericht als Kriegsgefangener in einem politischen Befreiungskampf, sagte Camenisch, der den so genannten Strafverfolgungsbehörden jegliche politische, ethische und moralische Legitimation absprach. Das Gericht sei für ihn ein Ort der freudigen Begegnung mit meinen Freunden und Genossen, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung zum Publikum, das ihm seine Ansprache mit tosendem Applaus dankte.

15 und 23 Jahre alte Delikte

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm neben dem vollendeten Mord am Grenzwächter einen versuchten Mord bei der Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf im Jahre 1981 vor. Er sollte dort eine zehnjährige Zuchthausstrafe verbüssen wegen Sprengstoffanschlägen auf Strommasten und dergleichen Ende der siebziger Jahre.

Öko-Terrorist mit treuer Fangemeinde

Auf seine gezielten Anschläge auf Einrichtungen der Stromindustrie gründet der Ruf Camenischs als Öko-Terrorist, der sich in all den Jahren eine treue Fangemeinde erhalten hat. Anhänger von Camenisch demonstrierten am Montagmorgen vor dem Gericht in Zürich. Zehn Jahre nach seinem Ausbruch in Regensdorf wurde Camenisch in der Toskana festgenommen und später von einem Gericht in Italien wegen Sprengstoffanschlägen auf elektrische Einrichtungen zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 2002 wurde er an die Schweiz ausgeliefert.

Aus diesen Gründen muss sich Camenisch erst jetzt wegen Delikten verantworten, die viele Jahre zurückliegen. Die lange zurückliegenden Taten machen das Verfahren vor dem Zürcher Geschworenengericht schwierig. Von Zeugen, die nicht mehr erreicht werden konnten oder gestorben sind, können vor Gericht nur Einvernahmeprotokolle verlesen werden.

Vierwöchiger Prozess

Der Prozess vor dem dreiköpfigen Gericht und den neun Geschworenen begann mit der Befragung des Angeklagten zur Person und zur Sache. Da Camenisch nicht aussagen wollte, verlas Gerichtspräsident Hans Mathys entsprechende Angaben von früher, die der Angeklagte immerhin zum Teil bestätigte. Die Fragen des Staatsanwalts hingegen ignorierte er. Der Prozess ist auf vier Wochen angelegt. Für den 1. Juni sind die Plädoyers der Parteien und ein allfälliges Schlusswort des Angeklagten vorgesehen. Das Urteil wird voraussichtlich am 4. Juni eröffnet.



20040510 Radio Lora: Interview mit Prozessbeobachterin

Abschrift eines interviews mit silke studzinsky, internationale prozessbeobachterin

fraueninfo vom 10.5.04 (18.00-19.00), radio lora 97.5 mhz, 15:53-31:00

-einleitung-

heute morgen fand der erste prozesstag vor dem geschworenengericht zürich gegen marco camenisch statt. MC ist angeklagt, einen grenzwächter ermordet zu haben. MC war in den 80er jahren in der anti-AKW- und umweltbewegung aktiv. er ist wegen aktionen mehrere jahren in italien im knast gesessen und wurde nach der vollendung seiner haftstrafe dort an die schweiz ausgeliefert, wo ihm jetzt der prozess gemacht wurde. silke studzinsky ist rechtsanwältin in berlin. sie beobachtete den 1. prozesstag im auftrag des vereins der republikan. rechtsanwältInnen. nach dem prozess gab sie dem fraueninfo ein interview über den verlauf und ihre eindrücke.

-interview-

fraueninfo:
vielen dank, dass du zu uns ins studio gekommen bist. du warst heute morgen als prozessbeobachterin beim prozess gegen MC. wie ist dieser prozess verlaufen?

silke:
ja, dieser prozess begann schon heute morgen in aller frühe sehr ungewöhnlich. und zwar waren ganz umfangreiche und erhebliche sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. es war ein grosses polizeiaufgebot da, das ganze gericht war umzäunt, der haupteingang war eigentlich nicht zugänglich für die prozessbesucherInnen, und die umzäunungen wurden dann auch noch abgehängt mit grünen plastiktüchern, so dass man also auch einen blick dann nicht hinter diese zäune hatte. dh. die prozessbesucherInnen mussten sich hinten am hintereingang, der dann direkt zum saal führt, drängen und wurden einzeln durchsucht bzw. mussten ihre taschen abgeben und wurden kontrolliert auf gefährliche gegenstände. man durfte also taschen nicht mit hineinnehmen und die ganze prozedur dauerte auch sehr lange. es waren sehr viele leute da. jedenfalls auch sehr viel mehr, als überhaupt in den verhandlungssaal hineinpassten. es ist ein grosser saal - ich hab jetzt nicht gezählt, aber es sind bestimmt 80-100 plätze - und es waren noch sehr viele leute draussen, die dann auch hörbar im saal zwischendurch immer wieder auf sich aufmerksam gemacht und gerufen haben - ohne dass ich jetzt genau festgestellt habe, was, aber man konnte hören, dass eben noch leute draussen sind, die nicht hereingekommen sind.

fraueninfo:
war der saal denn voll?

silke:
der saal war voll, allerdings eben auch mit viel presse und - soweit ich das erkennen konnte - auch mit etlichen sicherheitsbeamten, die im falle des falles für ruhe und ordnung sorgen sollten. ansonsten: der prozess begann dann mit kleiner verspätung damit, dass personalien festgestellt worden sind, die geschworenen platz genommen haben. es handelt sich dabei um 9 personen: 4 frauen, 5 männer, die ebenfalls in so einem verfahren dann über das ergebnis der beweisaufnahme ein urteil fällen. im anschluss daran wurde die anklage verlesen vom protokollführer. im unterschied dazu: bei uns in deutschland wird das von der staatsanwaltschaft gemacht (ich hab mir sagen lassen, in der schweiz ist das üblich) - bei uns eben einfach die anklageverfasser natürlich auch ihre anklage verlesen und damit auch schon deutlich machen, dass sie sie vertreten wollen. und dann, im weiteren verlauf, ging es va. um frühere verurteilungen von MC. ich muss vielleicht nochmals an den anfang zurück, weil es gab gleich zu beginn viele rufe und begrüssungen und freude, als er eintrat, und man konnte ihm ansehen, dass es ihm sehr gut getan hat, dass soviele leute da waren und auch hörbar draussen noch leute waren, die gekommen sind, um ihn zu unterstützen und ihm kraft zu geben - eben auch viele bekannte. man hat richtig gesehen, dass es ist ihm ein gutes gefühl gibt, jedenfalls für den prozess. von der sitzordnung ist mir noch aufgefallen, dass er entfernt von seinem verteidiger sass, also eine kommunikation so jedenfalls zwischen beiden während des prozesses nicht möglich war: er in der mitte, sein verteidiger an der seite (vom gericht aus gesehen).

fraueninfo:
ist das üblich bei solchen prozessen?

silke:
es ist durchaus - ich hab schon mehrere prozessbeobachtungen gemacht - in einigen ländern üblich und kann auch gar nicht durchbrochen werden. hier ist es durchaus wohl möglich, darauf zu bestehen dann im weiteren verlauf. also wo's natürlich auch noch sehr viel wichtiger ist, wenn zeugInnen gehört werden, dass verteidigung und angeklagter miteinander kommunizieren können und ggf. fragen oder bemerkungen austauschen können und damit überhaupt verteidigen können. aber hier jetzt am heutigen prozesstag hat es sicherlich nicht so eine grosse rolle gespielt, weil es noch gar nicht zu zeugenvernehmungen gekommen ist. im anschluss daran wurde sehr viel aus alten verurteilungen zitiert, zusammengefasst und ihm vorgehalten. zunächst vom vorsitzenden, und dann allerdings auch - und das war also schon fast eine provokation - vom vertreter der staatsanwaltschaft. der hat immer wieder darauf bestanden, vorhalte zu machen - also zitate aus irgendwelchen verurteilungen - und hielt dann vor aus dem urteil damals von graubünden, seite soundso, wollte immer von ihm wissen: 'stimmt das so?' - 'haben sie das so gesagt?' - 'hier werden sie soundso zitiert', und suchte immer eine äusserung von ihm dazu zu bekommen. er hatte gleich zu beginn gesagt, er will sich nicht dazu äussern. dennoch insistierte der staatsanwalt immer darauf und hielt immer wieder neue fragen vor, um dann festzustellen: 'keine stellungnahme'.

fraueninfo:
also es war eher wie ein verhör?

silke:
es hatte den eindruck eines verhörs, was natürlich etwas absurd war, da marco gesagt hatte: 'ich sage dazu nichts'. dann kann man sich alle weiteren fragen sparen und nicht doch noch erhoffen, dass jetzt vielleicht eine reaktion kommt oder eine frage vielleicht ihm so provozierend erscheint, dass dann doch irgendwas rausrutscht, sondern es war einfach im grunde genommen überflüssig, wenn jemand schon sich äussert und sagt: 'ich möcht mich nicht dazu äussern'. aber auch sicherlich, wenn ich es mit deutschland vergleiche, etwas ungewöhnlich, weil bei uns natürlich auch aus alten urteilen zitiert wird und die teilweise verlesen werden, aber eigentlich erledigt sind, wenn sie rechtskräftig sind, und nicht noch vorhalte daraus gemacht werden.

fraueninfo:
wie verlief dann der prozess weiter?

silke:
danach, nachdem - ich sag mal: dieses etwas provozierende spielchen des staatsanwaltes abgeschlossen war und auch ein protest des verteidigers diese prozedur nicht abbrach, hat MC sich geäussert und hat eine vorbereitete erklärung im prozess verlesen. nach der erklärung gab es applaus aus dem zuschauerraum. marco, denk ich, hat es gefreut, dass die erklärung so aufgenommen worden ist. hat ihm sicherlich noch einen weiteren punkt an stärke gegeben.

fraueninfo:
und dann war der prozess zu ende oder ging's dann noch weiter?

silke:
dann war der prozess zu ende. er hat in seiner erklärung bezug genommen auf frühere erklärungen, die auch veröffentlicht sind, und insofern war diese erklärung relativ kurz gemessen an früheren stellungnahmen. danach war für den heutigen prozesstag das programm erstmal beendet.

fraueninfo:
wenn es hochkommt, wird MC in den medien als 'ökoterrorist' hier bezeichnet, ansonsten versuchen sie, den prozess so abzuhandeln, als ob es sich um einen sog. 'normalen' kriminellen-prozess handelt und nicht um einen politischen prozess. was weist für dich als prozessbeobachterin darauf hin, dass es sich um einen politischen prozess handelt?

silke:
ja, man kann schon einige indizien hier feststellen, die darauf hindeuten, dass es hier ein politischer prozess ist, wenn man auch sicherlich noch nicht abschliessend was dazu sagen kann, weil die beweisaufnahme ja nun erst kommt und das bisherige mir noch jetzt kein urteil zulässt, weil ich noch nichts von den zeugInnen gehört habe und auch natürlich nicht, wie das gericht und die staatsanwaltschaft damit umgehen. aber das erhöhte sicherheitsaufgebot heute morgen und die art, wie das gerichtsgebäude abgesperrt war, macht natürlich einen eindruck eines hochgefährlichen 'terroristen' (so wie er in der öffentlichkeit gehandelt wird), und allein dadurch, dass solche sicherheitsvorkehrungen in dieser art und diese art von kontrollen gemacht werden, spricht schon dafür, dass der prozess von staatsseite so behandelt wird wie ein politisches verfahren von einer besonderen gefährlichkeit und nicht eines - ich sag mal: normalen verbrechens, was angeklagt wird, ein 'normaler mord', der verhandelt werden würde. das wurde natürlich auch deutlich im vorfeld, bei der demonstration am samstag, bei der ca. 100 leute demonstriert haben und fast die gesamte demonstration eingekesselt und zur wache gebracht wurde. es sind immer noch drei leute in haft und es ist unklar bis jetzt, was mit ihnen weiter passiert. also allein diese kriminalisierung von sympathiekundgebung für den angeklagten deutet schon darauf hin. wenn man sich dann noch anguckt, dass MC eine prozesserklärung verlesen hat und hier auch im vorfeld bereits geäussert hat, sich klar als kämpfend und im widerstand befindend sieht und auch so lebt und das in seiner erklärung auch zum ausdruck gebracht hat, wird dieser prozess natürlich politisch.

fraueninfo:
im anschluss an den prozess hattest du die möglichkeit, mit MC persönlich zu sprechen. wie ist das gespräch verlaufen?

silke:
ich hatte mich im vorfeld über seinen verteidiger um eine besuchsgenehmigung gleich im anschluss an den prozess bemüht. der vorsitzende genehmigte den besuch auch, und ich konnte in anwesenheit von seinem verteidiger mit ihm sprechen, ansonsten unüberwacht. er hat sich sehr gefreut, auch gefreut über die viele solidarität, die er erfahren hat. dass eben auch überhaupt eine internationale prozessbeobachtung stattfand bzw. stattfindet. das war sehr deutlich zu erkennen, dass ihm das sehr viel kraft gibt auch, diesen prozess und die haft insgesamt durchzuhalten u. sich auch in diesem prozess angemessen zu verteidigen.

fraueninfo:
hat er dir auch irgendetwas gesagt, dass du nach aussen tragen solltest?

silke:
nein, nicht speziell. weil ich ihm gar nicht sagen konnte zu dem zeitpunkt, dass ich danach ins radio gehe. aber er hatte gestern schon die sendung gehört, die bei radio lora ausgestrahlt worden ist zur prozessbeobachtung, und begrüsste mich also auch schon entsprechend. war schon klar, dass ich kommen werden heute.

fraueninfo:
das war der erste prozesstag. wie geht es weiter? es ist ein geschworenenprozess, der zieht sich wahrscheinlich über eine gewisse zeit?

silke:
vorgesehen sind noch 12 od. 13 verhandlungstage bis zum 4. juni. an diesen prozesstagen werden verschiedene zeugInnen und gutachter gehört über waffengutachten und teilw. tatzeugen von den jeweiligen anklagepunkten. ob dann tatsächlich am 4. juni der prozess seinen abschluss findet mit dem urteil, ist sicherlich im moment noch unklar, weil durchaus natürlich auch während eines prozesses noch weitere beweisanträge gestellt werden können und sowohl staatsanwaltschaft, als auch verteidigung noch weitere zeugen benennen oder auch beweismittel einführen können. es kann also durchaus sein, dass es noch einige zeit länger dauert.

fraueninfo:
und wird die internationale prozessbeobachtung auch den ganzen prozess durch ahalten?

silke:
sicherlich nicht direkt vor ort. aber zu verschiedenen anderen prozesstagen ist schon beabsichtigt, dass noch einzelne der prozessbeobachtungsgruppe kommen und sicherlich diesen prozess ansonsten etwas aus der ferne begleitend, aber immer wieder begleitend und unterstützend mitverfolgen werden.

fraueninfo:
du hast heute schon mehrmals erwähnt, dass MC sich sehr über die solidarität gefreut hat, die von aussen kam. welche aktivitäten sind deiner meinung nach wichtig von der solidaritätsbewegung aus für MC, um den prozess durchzustehen und auch den knastaufenthalt?

silke:
wichtig ist sicherlich, dass zu den ganzen prozesstagen viele zuschauerInnen kommen. ich weiss nicht, ob dann auch weiterhin diese sicherheitsvorkehrungen in diesem ausmass stattfinden. das war sicher auch noch besonders am 1. prozesstag. aber ich hoffe sehr - und marco auch - dass der saal auch an den weiteren tagen voll ist. es gibt auch sehr viele interessante tage, also sich beweisaufnahme anzugucken lohnt sich ganz bestimmt. ansonsten ist es bestimmt wichtig, weiter veranstaltungen dazu zu machen, über diesen prozess zu berichten, aber auch daran anzuknüpfen, an den kämpfen, die MC geführt hat in früherer zeit, wo er teilweise für verurteilt worden ist, und diese kämpfe, die bis heute hier aktuell sind, wieder aufzugreifen oder auch fortzuführen und sie zum gegenstand von veranstaltungen und kampagnen zu machen.

-schluss-

soweit das interview mit silke studzinsky. sie ist rechtsanwätlin in berlin und beobachtet den prozess gg. MC im auftrag des vereins der republikanischen rechtsanwältInnen als internationale prozessbeobachtung. laut informellen informationen findet der nächste prozesstag gegen MC bereits morgen statt. wir werden also auf radio lora weiterhin informieren über den verlauf des prozesses.


20040510 SHN: Marco Camenisch: Aktivist oder Gangster?

Schaffhauser Nachrichten - Montag 10. Mai 2004, Inland

Marco Camenisch: Aktivist oder Gangster?

Spektakulärer Prozess: Sprengstoffanschläge, Tote und Politik

Heute beginnt vor dem Zürcher Geschworenengericht der Prozess gegen den Bündner Öko-Terroristen Marco Camenisch.

von Stefan Hotz

Zürich -Wird in Europa ein Strommast gesprengt, fällt fast zwangsläufig der Name Marco Camenisch. So Mitte April, als die italienischen Behörden hinter zwei Anschlägen auf Leitungen der Elektrizitätsgesellschaft Enel Anhänger des Bündners vermuteten, der seit 25 Jahren je nach Standpunkt als Öko-Aktivist oder Öko-Terrorist gilt.

Ab heute steht der 52-jährige Camenisch während dreier Wochen vor dem Zürcher Geschworenengericht. Der weit schwerwiegendere Vorwurf der zweiteiligen Anklage betrifft den Mord von 1981 an einem Grenzwächter im Puschlav. Gleichzeitig behandelt der Prozess jedoch den Massenausbruch aus der Strafanstalt in Regensdorf vom 17. Dezember 1981, bei dem ein Aufseher getötet, ein weiterer verletzt wurde.
Camenisch konnte damals mit der berüchtigten italienischen Alpha-Bande fliehen, schoss selber aber nicht. Die Anklage wirft ihm nicht einmal vor, vom geplanten Waffeneinsatz gewusst zu haben. Doch nachdem seine fünf Komplizen die beiden Wärter niedergestreckt hatten und dann, ohne zu treffen, auf einen weiteren Aufseher schossen, habe Camenisch, so die Anklageschrift, dessen Tod zumindest in Kauf genommen. Daher der Prozess in Zürich und der zweite Anklagepunkt des versuchten Mordes.

10 Jahre für Sachbeschädigung

In Regensdorf sass Camenisch wegen mehrerer Sprengstoffanschläge auf Hochspannungsmasten und einen Transformatoren in Graubünden. Der Senn wollte die Atomlobby sabotieren und nahm Anlagen der Nordostschweizerischen Kraftwerke NOK ins Visier. Im Januar 1980 wurde er verhaftet.

Das Kantonsgericht Chur verurteilte den damals 29-Jährigen ein Jahr darauf wegen Sachbeschädigung zu zehn Jahren Haft. Nach der Flucht aus Regensdorf tauchte Camenisch unter. Wo er sich in den folgenden Jahren aufhielt, ist ungeklärt. Das nächste Mal erschien er am 3. Dezember 1989 auf der Bildfläche.
Am frühen Morgen jenes Sonntags wurde an der Kantonsstrasse bei Brusio ein 36-jähriger Grenzwächter mit drei Schüssen umgebracht. Eine halbe Stunde nach der Tat läutete Camenisch, der das Grab seines kurz zuvor verstorbenen Vaters besucht hatte, am Pfarrhaus von Brusio, wo er sich den Tag über versteckte. Das Pfarrerehepaar wurde später, da es ihn nicht sofort verriet, wegen Begünstigung bestraft. Das Bundesgericht hob das Urteil später auf. Der Staatsanwalt beschreibt die Tat im Puschlav als Hinrichtung eines völlig wehrlosen Opfers, das beim dritten Schuss bereits am Boden lag. Belegt ist das zeitliche Zusammenfallen mit Camenischs Auftauchen in Brusio. Der schwieg bisher. Den Beweis, dass Camenisch der Schütze war, muss der Staatsanwalt vor Gericht erbringen.

Ikone der Linksextremen

Der Flüchtige wurde im November 1991 bei einem Feuergefecht mit Carabinieri in der Toskana verletzt, festgenommen und zwei Jahre später wegen Körperverletzung und Sabotageakten gegen die Elektrizitätswirtschaft zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 2002 lieferte Italien ihn aus. Da war Camenisch bereits eine Ikone für linke Splittergruppierungen und radikale Globalisierungsgegner, die ihn als politischen Gefangenen bezeichnen.



20040510 TA: Camenisch: Auftritt vor Fans

Zürich Montag, 10. Mai 2004 09:15, ergänzt 13:06 -- Tages-Anzeiger Online

Camenisch: Auftritt vor Fans

Im hermetisch abgeriegelten Obergerichtsgebäude in Zürich hat am Montag der Prozess gegen den 52-jährigen Bündner Öko-Terroristen Marco Camenisch begonnen. Für ihn ein grosser Auftritt vor seinen Fans.

Von Elisabeth Hausmann, SDA

Auf der Vorderseite des Gerichtsgebäudes versperren hohe Gitter den Zutritt und grüne Plastikplanen die Sicht. Rund 30 Sympathisanten haben sich um 08.30 Uhr zur Demonstration eingefunden. Vorerst stehen sie verschlafen und unschlüssig umher.

Auch vor dem Seiteneingang sind Gitter aufgestellt. Sie zwingen die Fans, die den öffentlichen Prozess persönlich verfolgen wollen, in Einerreihen. Polizisten kontrollieren am Eingang jeden einzelnen, beschlagnahmen Rucksäcke, Taschen, Handys.

Ein grosser Teil der Plätze im überfüllten Gerichtssaal ist von Camenisch-Getreuen besetzt, die ungeduldig auf seinen Auftritt warten.

Dann kommt er. Ein kleiner, magerer Mann. Das weisse, kurzärmlige T-Shirt ist mit Kinderzeichnungen verziert, ein gelbes Gummiband hält die langen, graumelierten Haare im Nacken zusammen. Strahlend hebt er die Faust zum Gruss - Applaus brandet auf.

Gerichtspräsident Hans Mathys gibt die Spielregeln durch: Es gelte Ruhe zu bewahren. Vor allem im Interesse des Angeklagten, denn für ihn geht es um sehr viel. Die Anklagepunkte lauten auf nichts weniger als auf Mord und Mordversuch. Er werde bei Störungen sportlich vorgehen, sagt Mathys: Erste Ermahnung, Gelbe Karte, Rote Karte.

Die Fans nehmen sich's zu Herzen: Mucksmäuschenstill sind sie während der Befragung. Der Angeklagte seinerseits demonstriert Desinteresse. Immer wieder dreht er sich auf dem Stuhl zum Publikum, grinst kumpelhaft.

Obwohl er angekündigt hatte, nichts sagen zu wollen, gibt er dem Gerichtspräsidenten hin und wieder Antwort und schaut dann mit leicht verlegenem Lächeln und fast entschuldigendem Schulterzucken zu seinem Anwalt hinüber.

Immer wieder hört man die Sprechchöre der Demonstrierenden draussen: Marco libero skandieren sie. Einer, der genug hat vom braven Stillsitzen geht mit einem lautstarken Ciao Marco zum Ausgang. Mathys quittiert mit einem gelassenen uf Widerluege.

Statt in der Befragung zu antworten, verliest Camenisch eine knapp viertelstündige persönliche Erklärung, zur Hauptsache eine Ansammlung politischer Schlagworte. Geduldig, mit stoischen Mienen hören Richter, Geschworene und Staatsanwalt zu. Am Ende brandet wieder Applaus auf, den Mathys für diesmal noch durchgehen lässt. (cpm/sda)


20040511 BaZ: Camenisch bestreitet Mordvorwurf

BaZ Erschienen am: 11.05.2004

Camenisch bestreitet Mordvorwurf

Er sei in keiner Art und Weise für die Tötung des Grenzwächters 1981 in Brusio verantwortlich, erklärte Marco Camenisch gestern vor dem Zürcher Geschworenengericht. Weitere Angaben verweigerte er.

[foto] Rebell vor Gericht. Reto Camenisch bezeichnet sich selbst als aufständischen, antipatriarchalen, zivilisationskritischen Anarchisten.
Zeichnung Linda Graedel/ Foto Keystone

Zürich. Der Zugang zum Zürcher Obergericht war mit Absperrgittern verbarrikadiert. Sichtblenden verhinderten den Blick auf die Türe. Die Vorsichtsmassnahme hatte sich aufgedrängt, nachdem am Samstag eine unbewilligte Demonstration für den prominenten Angeklagten ausgeartet war.


Von Stefan Hotz

Gestern Morgen erschienen einige Dutzend seiner Anhänger meist in schwarzer Demo-Kluft vor dem Gerichtsgebäude. Ein paar italienische Anarchisten waren aus Mailand angereist. Während im vollbesetzten Saal die Geschworenen über den Ablauf des dreiwöchigen Verfahrens informiert wurden, spielte draussen eine Gruppe Szenen aus dem bewegten Leben von Marco Camenisch nach. Später ertönten Sprechchöre: Marco libero.
Aufgrund der wenigen, älteren Aufnahmen, die bekannt sind, hätte man ihn auf der Strasse kaum erkannt. Marco Camenisch betrat den Gerichtssaal gutgelaunt, reckte die Faust und lachte ins Publikum. Der 52-Jährige ist überraschend klein und hager. Die langen, leicht ergrauten Haare trug er über einem weissen, bemalten T-Shirt zu einem Rossschwanz zusammengebunden. Der Angeklagte drehte wiederholt den Kopf, suchte Bekannte auf den Zuschauerrängen in seinem Rücken, grinste, wenn er jemanden erkannte oder winkte ihm zu. Bei Camenischs Auftritt und nach seiner Erklärung applaudierten die Anhänger im Saal und riefen ihm aufmunternd zu. Die Verhandlung drohte deswegen jedoch nie, aus dem Ruder zu laufen. Der vorsitzende Richter liess es bei einer Ermahnung bewenden.
Für die Befragung war der ganze Tag reserviert, doch reichten zwei Stunden. Der Angeklagte bestätigte nur, er sei der Camenisch, Marco, geboren am 21. 1. 1952 in Schiers (GR), und betonte, ausser einer vorbereiteten Stellungnahme erteile er keine Auskünfte. Er erklärte, er habe keine akuten gesundheitlichen Probleme und denke, den Prozess durchzustehen. Der Gerichtspräsident liess Camenischs Laufbahn Revue passieren; die Anschläge auf Stromanlagen 1979, die Verhaftung im Januar 1980, die Verurteilung zu zehn Jahren Zuchthaus in Chur ein Jahr später, die Flucht aus Regensdorf 1981, die Gefangennahme 1991 in Italien und das Urteil von zwölf Jahren, die Auslieferung 2002. Ergänzungsfragen des Staatsanwalts ignorierte Camenisch.

Anklage spricht von Hinrichtung

Die Anklage wirft ihm vor, am 3. Dezember 1989 bei Brusio einen Grenzwächter, der ihn kontrollieren wollte, aus nächster Nähe mit drei Schüssen hingerichtet zu haben. Bei den beiden Verhaftungen zeigte Camenisch aufgrund der Akten ein anderes, auch entlastendes Verhalten. 1980 bei der Festnahme in St. Gallen trug er eine geladene und entsicherte Waffe bei sich, verzichtete jedoch, obwohl dafür Zeit gewesen wäre, sie gegen die Polizisten einzusetzen.
In Italien wurde Camenisch wegen Körperverletzung, nicht wegen versuchten Mordes verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er bei der Schiesserei vor der Verhaftung den Carabinieri hätte töten können, den er stattdessen mit zwei gezielten Schüssen in den Arm ausser Gefecht setzte.

Revolutionäre Rhetorik

Camenischs vorbereitete Erklärung erwies sich zunächst als reine Revolutionsrhetorik. In langen, verschachtelten Sätzen prangerte er die Klassenjustiz an, bezeichnete sich als aufständischen, antipatriarchalen, zivilisationskritischen Anarchisten, der sich dem Kampf gegen die Zerstörung von Mensch und Natur und der Veränderung der herrschenden Unordnung verschrieben habe. Dann wurde er konkret: Es sei gerichtsnotorisch, dass er nie auf einen militärischen Gegner, der unbewaffnet war oder flüchtete, geschossen habe. Die Verantwortung für die Tötung des Grenzwächters in Brusio lehnte Camenisch ab. Dass er laut Anklageschrift auf einen wehrlos am Boden Liegenden geschossen haben soll, sei, so der Angeklagte, ein Verhalten, das für ihn nicht denkbar sei.


20040511 Blick: Der Öko-Terrorist ist schwer krank

Artikel vom 11. Mai 2004, 11:58 Uhr / Quelle: Blick Online

Marco Camenisch wirkte am ersten Prozesstag abgemagert und müde.

Camenisch-Prozess
Der Öko-Terrorist ist schwer krank

[foto] Camenischs Anwalt Bernard Lambert hat erreicht, dass sein Mandant vorläufig nicht vor Gericht erscheinen muss.
FOTO: KEYSTONE

ZÜRICH Marco Camenisch ist gesundheitlich massiv angeschlagen. Der 52-Jährige ist an Krebs erkrankt. Jetzt darf er der Verhandlung vorerst fern bleiben.

Er hat gesagt, sein Gesundheitszustand sei nicht schlecht, aber er ist schlechter als er zugibt, sagte Camenischs Anwalt Bernard Rambert am Montag gegenüber der Tagesschau von SF DRS. Prozessbeobachter beschrieben den Öko-Terroristen als abgemagert und müde (Blick Online berichtete). Das erstaunt nicht, denn Marco Camenisch, angeklagt wegen Mordes und Mordversuchs, ist an Krebs erkrankt.
Auf Antrag der Verteidigung erhält er nun einen Dispens. Allerdings muss Camenisch er bezeichnete sich am ersten Prozesstag als politischen Gefangenen ein Attest des Gefängnisarztes vorlegen und eine schriftliche Erklärung unterzeichnen, dass er freiwillig auf die Teilnahme verzichtet.


20040511 NZZ: Marco Camenischs beredtes Schweigen

11. Mai 2004, 09:02, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Marco Camenischs beredtes Schweigen

Auftakt des Mordprozesses gegen den Öko-Terroristen

Am Montag hat im überfüllten Saal des Geschworenengerichts in Zürich die Hauptverhandlung gegen den 52-jährigen Marco Camenisch begonnen. Ihm werden Mord und Mordversuch vorgeworfen. In einer Stellungnahme bezeichnete der Öko-Terrorist die Justiz als totalitäre Institution, der er keine Fragen beantworten wolle. Er hielt aber fest, dass er für die Tötung des Grenzwächters Kurt Moser nicht verantwortlich sei.

[foto] Camenisch vor Gericht (Bild key)

-yr. Mit erhobenen Armen hat am Montagmorgen Marco Camenisch den Saal des Zürcher Geschworenengerichts betreten, wo er sich in den nächsten vier Wochen wegen Mordes an einem Grenzwächter sowie wegen Mordversuchs anlässlich eines Ausbruchs aus der Strafanstalt Regensdorf verantworten muss. Der 52-jährige Bündner, der als sogenannter Öko- Terrorist in Teilen der links-autonomen Szene zu einer Ikone geworden ist, grüsste mit seinen erhobenen Armen einerseits die Sympathisanten und nahm anderseits deren Applaus und Zurufe entgegen. Camenisch, von dem es seit elf Jahren keine öffentlichen Bilder mehr gibt, wirkte hager, sein Gesicht war eingefallen - vermutlich das Resultat des Hungerstreiks, dem er sich in den Wochen vor dem Prozessbeginn unterzogen hatte. Das lange, angegraute Haar hatte er im Nacken zu einem Rossschwanz gebunden; er trug ein weisses T-Shirt mit Illustrationen, die an Kinderzeichnungen erinnerten.

Befreiungskampf und Kindergarten

Camenisch bezeichnete sich in einer Stellungnahme, die er dem Gericht vorlas, als auch bewaffnet kämpfenden Revolutionär in einem radikal zivilisationskritischen Befreiungskampf. Er sehe sich nicht als Angeklagten, sondern als Kriegsgefangenen. Das Gericht und die Strafverfolgungsbehörden bezeichnete er in seiner Erklärung als Teil des politisch-militärischen Repressionsapparates und sprach ihnen jegliche Legitimation ab. Am Schluss seines 15-minütigen Referats nahm Camenisch überraschend doch noch Stellung zum Vorwurf der Staatsanwaltschaft, wonach er am 3. Dezember 1989 im Puschlav den 36-jährigen Grenzwächter Kurt Moser mit drei Schüssen aus nächster Nähe getötet haben soll. Klar und deutlich lehne er jegliche Verantwortung für diese Tötung ab, sagte Camenisch. Er unterliess es aber nicht, den ermordeten Grenzwächter im selben Atemzug als zum Töten wohl ausgebildeten und bewaffneten Soldaten des Staates der bürgerlichen Industrie- und Finanzoligarchie der Schweiz zu bezeichnen.

Während der Untersuchung hatte Camenisch die Tat jeweils nicht bestritten, sondern die Aussage gänzlich verweigert. Auch am Montag schwieg er meistens auf konkrete Fragen von Gerichtspräsident Hans Mathys beziehungsweise von Staatsanwalt Ulrich Weder. Hie und da liess er sich einen kurzen Kommentar entlocken. Doch mehrheitlich ignorierte der 52-jährige Bündner, der die letzten zwölfeinhalb Jahre in Haft verbracht hat, den Prozessverlauf und wandte sich stattdessen seinen zumeist jugendlichen Sympathisanten zu.

Einmal beklagte sich Camenisch, er komme sich vor wie im Kindergarten, weil er immer von neuem wiederholen müsse, dass er keine Aussagen machen wolle. Ein Vergleich mit der Schule wäre allerdings ebenso statthaft gewesen: Camenisch in der Rolle des aufmüpfigen Schülers, der sich in seinem trotzig-pubertären Aufbegehren gegen die an sich gutmütige Lehrerschaft von den schadenfreudig applaudierenden Mitschülern Anerkennung holt.

Viele Fragen, keine Antworten

Unbeantwortet blieb deshalb beispielsweise die Frage des Staatsanwalts, wieso Camenisch bei seinen beiden Verhaftungen - Ende Dezember 1979 in St. Gallen sowie Anfang November 1991 in der Toskana - jeweils einen entsicherten Revolver auf sich getragen hatte. Oder wieso er an der Gerichtsverhandlung in Italien Gewalt als einziges Mittel im Kampf gegen die sogenannte Klassenherrschaft bezeichnet hatte. Eher süffisant wirkte die Nachfrage Weders, was Camenisch - der sich in seiner Stellungnahme unter vielem anderen auch als grünen Anarchisten und Anhänger der Earth Liberation Front bezeichnete - zur Tatsache meine, dass bei seinem Sprengstoffanschlag auf ein Elektrizitäts-Unterwerk in der Nähe von Bad Ragaz (GR) rund 7000 Liter Öl in den Rhein geflossen seien.

Nach anderthalb Stunden war der erste Akt des Schauspiels am Geschworenengericht bereits zu Ende. Weil Marco Camenisch konsequent keine weiteren Fragen zu seiner Person und zu den ihm vorgeworfenen Straftatbeständen beantworten wollte, brach der Gerichtspräsident die Verhandlung um 10 Uhr 45 ab. Fortgesetzt wird sie heute Dienstagmorgen mit der Befragung von Zeugen, die Aussagen zum Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf vom 17. Dezember 1981 machen sollen. Damals flohen neben Camenisch auch fünf Mitglieder der berüchtigten Alfa-Bande, die einen Gefängnismitarbeiter erschossen und einen weiteren schwer verletzten. - Der Mord am Grenzwächter wird voraussichtlich ab kommendem Dienstag verhandelt, die Urteilseröffnung ist für den 4. Juni geplant.

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20040511 TA: Camenisch bestreitet Zöllner-Mord / Proteste vor gut geschütztem Gericht

Tages-Anzeiger vom 11.05.2004

Camenisch bestreitet Zöllner-Mord

[foto] Camenischs Anwalt, Bernard Rambert, vor dem Obergericht.

Der militante Ökoaktivist Marco Camenisch weist den Vorwurf, einen Zöllner getötet zu haben, zurück. Am Prozess in Zürich stellte er die Legitimität des Gerichts in Frage.

Von Peter Johannes Meier

Es gibt nur wenige Angeklagte, die sich mehr für die Zuschauer im Saal interessieren als für die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Einer von ihnen ist der 52-jährige Marco Camenisch. Seit zwölf Jahren sitzt der Bündner ohne Unterbruch in Gefängnissen, wegen Anschlägen auf Strommasten und Körperverletzung in Italien, als Untersuchungshäftling in der Schweiz. Vor dem Zürcher Geschworenengericht wird ihm nun der Mord an einem Zöllner in Brusio (1989) und ein versuchter Mord bei der Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf (1981) vorgeworfen. Dort hätte er eine 10-jährige Zuchthausstrafe absitzen müssen für Anschläge auf Anlagen der Schweizer Stromindustrie Ende der 70er-Jahre.

Marco Libero schallt es von der Zuschauertribüne, Camenisch schreitet mit erhobener Faust in den Gerichtssaal. Ein schelmisches Grinsen überzieht sein Gesicht, als er alte Bekannte unter den Zuschauern entdeckt, die dunklen Augen funkeln beim Anblick der ihm unbekannten jungen Menschen, die kamen, um sich mit ihm zu solidarisieren.

Gezeichneter Klassenkämpfer

Doch so kämpferisch sich Camenisch an diesem Morgen zeigte - meine persönliche und politische Identität ist noch stärker geworden -, so unübersehbar sind die Spuren, die Gefängnis, schwere Krankheit und ein kürzlich beendeter Hungerstreik hinterlassen haben. Die grau melierten, hinten zusammengebundenen Haare geben ein hageres Gesicht frei, das den Anblick so vieler Menschen nicht mehr gewohnt ist. Der weisse Pullover mit Kinderzeichnungen ist kaum Ausdruck unbeschwerter Lebensfreude, vielleicht aber Camenischs unpolitisches Statement für die von ihm erwünschte lebenswertere und gerechtere Gesellschaft.

Unpolitisches gibt es sonst kaum in Camenischs Welt, selbst - oder erst recht - seit sie auf Zellengrösse geschrumpft ist. Und mit Politik meint Camenisch einen mitunter militanten Kampf gegen die Klassengesellschaft. Und dieser begegne er gerade jetzt in der Form einer Klassenjustiz, der jegliche politische, ethische und moralische Legitimation fehle. In seinem vorgelesenen Statement macht Camenisch aber auch eine für den Prozess relevante Aussage: Er weist den Mordvorwurf klar von sich. Für die Tötung des Grenzwächters in Brusio bin ich in keiner Weise verantwortlich. Überhaupt habe er noch nie auf wehrlose, am Boden liegende Menschen geschossen. Eine solche Niedertracht sei für ihn nicht denkbar. Camenisch schloss sein Statement mit einer Grussbotschaft an die am Samstag bei einer unbewilligten Demonstration verhaftete Aktivistin Andrea Stauffacher.

Angesichts seiner radikalen Grundüberzeugungen erstaunt es kaum, dass Camenisch die Fragen des Gerichtsvorsitzenden Hans Mathys kaum, die von Staatsanwalt Ulrich Weder gar nicht beantwortete. Der Richter rekapitulierte Camenischs diversen Straftaten und Verurteilungen seit Ende der 70er-Jahre, die von Sprengstoffanschlägen bis zum Diebstahl von Elefantenzähnen reichen. Der Staatsanwalt zeigte sich von Camenischs Schweigen unbeirrt - sie können zwar die Aussage verweigern, es gibt aber kein Recht auf keine Fragen - und konfrontierte den Angeklagten mit Aspekten zu seinen früheren Taten. Mit dem Hinweis zum Beispiel, dass beim Anschlag von 1979 in Bad Ragaz 7000 Liter Öl in den Rhein flossen, versuchte er vor den Geschworenen an Camenischs Image eines ökologisch motivierten Aktivisten zu kratzen. Verteidiger Bernard Rambert konterte mit dem Vorwurf, Weder missbrauche die Befragung seines Mandanten als Plädoyer.

Neue Expertise aus Zürich

Der Camenisch vorgeworfene Mord in Brusio dürfte kommende Woche zum brisanteren Teil der Verhandlung werden. Augenzeugen der Tat sind bis heute keine bekannt. Letztlich werden die neun Geschworenen wohl auf Grund von Indizien entscheiden müssen. Staatsanwalt Weder bestätigte am Rande der Verhandlung, dass er eine in Zürich verfasste Expertise in den Prozess einbringen werde. Darin gehe es um eine bei Camenisch beschlagnahmte Pistole, die mögliche Tatwaffe. Der Angeklagte hatte bei seiner Verhaftung 1991 in Italien diese auf sich getragen. Zuvor war es zu einer Schiesserei mit Carabinieri gekommen. Dabei verletzte Camenisch einen Polizisten am Arm.


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Proteste vor gut geschütztem Gericht
98 Verhaftungen nach Camenisch-Demo

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Tages-Anzeiger vom 11.05.2004

Proteste vor gut geschütztem Gericht

Der Prozess gegen Marco Camenisch ist gestern unter hohen Sicherheitsvorkehrungen am Zürcher Obergericht eröffnet worden. Das mit Gitterzäunen verbarrikadierte und von Polizisten bewachte Gebäude konnte nur nach Einzelkontrollen betreten werden.


Viele der 60 Camenisch-Sympathisanten fanden mangels Platz keinen Einlass. Sie skandierten ihre Parolen vor dem Gericht und protestierten mit einem Strassentheater gegen die Kriminalisierung von Demonstranten, eine Anspielung auf die Verhaftung von 98 Personen am Samstag in Zürich.

Der Prozess geht heute mit Zeugeneinvernahmen zur Flucht aus Regensdorf weiter, kommende Woche wird der Zöllnermord in Brusio thematisiert. Die Urteilseröffnung ist für den 4. Juni geplant. (pjm)


20040512 20min: Camenischs Arztzeugnis ist ungenügend

20min

Camenischs Arztzeugnis ist ungenügend

Für den Präsident des Geschworenengerichts Hans Mathys entspricht das Attest, das Camenischs Verhandlunsuntauglichkeit bescheinigt, nicht den Erwartungen. Das Gericht ordnete eine Untersuchung am Institut für Rechtsmedizin (IRM) an.


Der Anwalt des angeklagten Marco Camenisch hatte am Dienstagmorgen gesundheitliche Probleme seines Mandanten geltend gemacht. Diese machten es ihm in den nächsten Tagen unmöglich, an den Verhandlungen teilzunehmen.

Das ärztliche Zeugnis, das vom Gericht verlangt wurde, ist aber vage formuliert. Es bestätigt bloss, dass Camenisch gesundheitlich angeschlagen sei und für den Rest der Woche dispensiert werden solle. Das Gericht werde umgehend veranlassen, dass ein Arzt des Instituts für Rechtsmedizin die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten definitiv abklären lasse, sagte Mathys am Mittwoch.

Am Mittwoch wurden weitere Zeugen befragt. Sie schilderten verschiedene Details zum Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen - darunter Camenisch - aus der damaligen Strafanstalt Regensdorf im Dezember 1981. Dabei waren ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt worden. Ein Teil der Aussagen wurde verlesen.

Der 52-jährige Camenisch hat sich seit Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht zu verantworten. Die Anklage lautet auf Mord und Mordversuch. Das Urteil wird voraussichtlich am 4. Juni eröffnet.

Quelle: SDA
Publiziert am: 12. Mai 2004 10:36

20040512 NZZ: Marco Camenisch vorläufig vom Prozess dispensiert

2. Mai 2004, 02:25, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Marco Camenisch vorläufig vom Prozess dispensiert
Zeugeneinvernahmen ohne den kranken Angeklagten

Am zweiten Tag im Mordprozess gegen Marco Camenisch ist der 52-jährige Angeklagte aus gesundheitlichen Gründen vorläufig vom Prozess dispensiert worden. Die Einvernahme von Zeugen wurde in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt.


-yr. Bernard Rambert, der Verteidiger des wegen Mordes und Mordversuchs angeklagten Marco Camenisch, hat am Dienstag zu Beginn des zweiten Prozesstages den Antrag gestellt, seinen Mandanten für den Rest der Woche von den Verhandlungen zu dispensieren. Rambert begründete seinen Antrag mit der angeschlagenen Gesundheit Camenischs, mit dessen Reizüberflutung sowie damit, dass sein Mandant seine Energie auf die zweite Prozesswoche konzentrieren wolle. Dann wird über den Mord am Grenzwächter Kurt Moser verhandelt, der 1989 im Puschlav erschossen worden war. Für die Zeugeneinvernahmen im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf, bei der 1981 ein Gefängnismitarbeiter erschossen worden war, sei die Anwesenheit von Camenisch hingegen nicht zwingend nötig, sagte Rambert. Sein Mandant kenne die Aussagen aus den Akten zur Genüge.

Reizüberflutung und Migräne

Rambert hielt fest, dass Marco Camenisch seit seiner Verhaftung im November 1991 ununterbrochen in Haft sei - zuerst zehneinhalb Jahre in Italien wegen schwerer Körperverletzung und verschiedener Sprengstoffdelikte sowie seit zwei Jahren in diversen Schweizer Gefängnissen. Den grössten Teil dieser insgesamt zwölfeinhalb Jahre habe sein Mandant in Kleingruppen-Isolation oder in vollständiger Isolationshaft verbracht. Für Camenisch sei deshalb eine Gerichtsverhandlung eine unglaubliche Überreizung mit Eindrücken, was bei ihm zu extrem starkem Stress führe, sagte Rambert. Hinzu komme, dass sich sein Mandant stark erkältet habe und nach dem ersten Prozesstag auch noch eine Migräne hinzugekommen sei. Weil Camenisch in der kommenden Woche unbedingt im Vollbesitz seiner Kräfte sein müsse, beantragte sein Verteidiger, ihn für einige Tage von den Verhandlungen zu dispensieren.

Staatsanwalt Ulrich Weder sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil sonst dem Angeklagten das rechtliche Gehör nicht mehr gewährt werden könne. In der Folge nahm die Diskussion immer neue Wendungen, indem Staatsanwalt Weder zunächst dem Verteidiger vorhielt, er trage den Prozess mit seinen Medienauftritten ungebührlich an die Öffentlichkeit. Rechtsanwalt Rambert wiederum monierte, Staatsanwalt Weder habe die Inhaftierung von Andrea Stauffacher veranlasst, um die Verteidigung im aufwendigen Mordprozess zu schwächen: Die notorische Linksaktivistin Stauffacher ist Mitarbeiterin in Ramberts Anwaltskanzlei und befindet sich seit der unbewilligten Demonstration für die Freilassung von Marco Camenisch vom vergangenen Samstag in Haft.

Der aus drei Berufsrichtern bestehende Gerichtshof führte die beiden Kontrahenten wieder zurück in den aktuellen Prozess. Nach einer kurzen Beratung gab Gerichtspräsident Hans Mathys den Entscheid bekannt, Camenisch vorläufig von der Verhandlung zu dispensieren. Im Flughafengefängnis, wo der Bündner zurzeit inhaftiert ist, wurde ein Arzt beauftragt, einen Bericht zum Gesundheitszustand von Camenisch zu erstellen. Der Gerichtspräsident rang dem Angeklagten das Versprechen ab, dass dieser spätestens ab kommendem Dienstag, wenn der Mord am Grenzwächter verhandelt wird, wieder zurückkomme.

Der Mörder aber ist der Staat

Bevor Camenisch zum Arzt gehen durfte, konfrontierte ihn Staatsanwalt Weder noch mit einem handgeschriebenen Brief, den der Öko-Terrorist im Februar 1982, also wenige Monate nach der Flucht aus dem Gefängnis, in der linksalternativen Zeitschrift Tell publiziert hatte. Darin heisst es wörtlich: Wir wollen weder Diener noch Herren sein. (. . .) Darum sind wir ausgebrochen. (. . .) Und haben einen Söldner getötet. (. . .) Der Mörder aber ist der Staat. Camenisch wollte diese Passage am Dienstag weder kommentieren, noch wollte er bestätigen, dass der Brief von ihm geschrieben worden sei.

Ohne den Angeklagten wurden in der Folge mehrere Mitarbeiter der damaligen Strafanstalt Regensdorf befragt. Für sie alle war es der zweite Auftritt vor dem Geschworenengericht. Bereits 1984 hatten sie ausgesagt, als jenes Mitglied der Alfa-Bande, das die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, wegen vorsätzlicher Tötung und schwerer Körperverletzung verurteilt worden war. Der damals durch zwei Schüsse schwer verletzte Mitarbeiter der Gefängniskorberei sagte am Dienstag, er habe den Vorfall noch immer nicht verarbeitet. Bis heute werde er von Albträumen und Schweissausbrüchen geplagt. Als er damals verletzt am Boden gelegen sei, habe ihm der Chef der Korberei zu Hilfe eilen wollen und sei dabei durch zwei Kugeln getötet worden.

Marco Camenisch befand sich in dieser Phase der Flucht nicht in der Nähe des Schützen. Das ursprüngliche Strafverfahren gegen ihn wegen Mordes wurde deshalb eingestellt. Übrig blieb im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus dem Gefängnis der Vorwurf des Mordversuchs. Dieser liegt in einer späteren Phase der Flucht begründet, als weitere Häftlinge auf den Oberaufseher schossen. - Am Mittwoch wird das ärztliche Zeugnis über den Gesundheitszustand von Camenisch erwartet. Zudem sollen verschiedene Einvernahmen von Zeugen, die inzwischen gestorben, nicht greifbar oder entschuldigt sind, verlesen werden.


20040512 TAo: Zeugen schildern Camenisch-Ausbruch

Mittwoch, 12. Mai 2004 / 11.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Zeugen schildern Camenisch-Ausbruch

Ehemalige Mitarbeiter und Häftlinge der Strafanstalt Regensdorf haben vor dem Zürcher Geschworenengericht den Ausbruch vom 17. Dezember 1981 geschildert, bei dem ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt wurde.


Die Zeugenbefragungen am zweiten Prozesstag vor dem Geschworenengericht sollten laut Staatsanwalt Ulrich Weder klarmachen, ob Camenisch beim Ausbruch wusste, dass geschossen würde. Die Ausführungen waren diesbezüglich jedoch wenig erhellend.
Camenisch war damals zusammen mit fünf Mithäftlingen ausgebrochen und hatte laut Anklageschrift persönlich mitgeholfen, dass die Aktion glückte. Die Ausbrecher gaben bei dem Ausbruch mehrere Schüsse ab. Ein Aufseher wurde tödlich, einer schwer verletzt. Ein weiterer wurde beschossen, aber nicht getroffen.

Selbst geschossen hatte Camenisch nicht. Laut Anklage wusste er aber spätestens nach den ersten Schussabgaben dass es Waffen gab und diese benutzt wurden. Er nahm also in Kauf, dass sie auch weiterhin eingesetzt würden. Bei den Schüssen auf den dritten Aufseher hatte er deshalb die Rolle eines Mittäters. Darauf basiert der Anklagepunkt Mordversuch.

Unter den Zeugen vom Dienstag war auch der seinerzeit schwer verletzte Aufseher. Der heute 56-Jährige erklärte, er leide noch heute an den psychischen Folgen: Angstzustände, Schweissausbrüche, Schlafstörungen und ein tiefes Misstrauen prägten seit dem Ereignis sein Leben.

Camenisch sass im Dezember 1981 seit knapp einem Jahr in der damaligen Strafanstalt Regensdorf (heute Pöschwies). Das Kantonsgericht Graubünden hatte ihn wegen Sprengstoffdelikten zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Nach dem Ausbruch tauchte er unter, bis er im Jahr 1991 in der Toskana festgenommen wurde. 1989 soll er auf der Flucht in Brusio GR einen Grenzwächter erschossen haben. Die Anklage wirft ihm deshalb auch Mord vor.

Am diesem zweiten Anklagepunkt sei er interessiert - im Gegensatz zur Anklage wegen Mordversuchs - sagte Camenisch heute. Er wolle deshalb erst in der kommenden Woche bei den Verhandlungen dabei sein und sich zuvor erholen. Sein Anwalt, Bernard Rambert, hatte den Antrag gestellt, seinen Mandanten für den Rest der laufenden Woche zu dispensieren.

Der Verteidiger machte gesundheitliche Gründe geltend. Für den seit Jahren an Kleingruppen und Einzelhaft gewohnten Angeklagten bedeute die Menschenansammlung im Gericht eine unglaubliche Überreizung. Der ohnehin gesundheitlich angeschlagene Camenisch sei zur Zeit auch noch stark erkältet und leide obendrein an einer akuten Migräne.

Nach längerem Hin und Her - der Staatsanwalt wollte auf der Anwesenheit des Angeklagten bestehen - entschied das Gericht im Sinne eines Kompromisses: Für den Dienstag dispensierte es den Angeklagten mit der Auflage, sich vom Gefängnisarzt untersuchen zu lassen und ein Attest über seine Verhandlungstauglichkeit vorzulegen.

Camenisch muss zudem seinen freiwilligen Verzicht auf das ihm zustehende rechtliche Gehör schriftlich bestätigen. Am kommenden Montag hat der Angeklagte wieder anwesend zu sein. (mu/sda)


20040512 ZOL: Schiesserei bei Gefängnisausbruch

Der Zürcher Oberländer / Anzeiger von Uster 12.05.04


Schiesserei bei Gefängnisausbruch
Marco Camenisch vor Zürcher Geschworenengericht: Zeugen zum Ausbruch

sda. Ehemalige Mitarbeiter und Häftlinge der Strafanstalt Regensdorf haben am Dienstag vor dem Zürcher Geschworenengericht den Ausbruch vom 17. Dezember 1981 geschildert, bei dem ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt worden war.

Die Zeugenbefragungen am zweiten Prozesstag vor dem Geschworenengericht sollten laut Staatsanwalt Ulrich Weder klarmachen, ob Camenisch beim Ausbruch wusste, dass geschossen würde. Die Ausführungen waren diesbezüglich jedoch wenig erhellend.

Camenisch war damals zusammen mit fünf Mithäftlingen ausgebrochen und hatte laut Anklageschrift persönlich mitgeholfen, dass die Aktion glückte. Die Ausbrecher gaben bei dem Ausbruch mehrere Schüsse ab. Ein Aufseher wurde tödlich, einer schwer verletzt. Ein weiterer wurde beschossen, aber nicht getroffen.

Selbst geschossen hatte Camenisch nicht. Laut Anklage wusste er aber spätestens nach den ersten Schussabgaben, dass es Waffen gab und diese benutzt wurden. Er nahm also in Kauf, dass sie auch weiterhin eingesetzt würden. Bei den Schüssen auf den dritten Aufseher hatte er deshalb die Rolle eines Mittäters. Darauf basiert der Anklagepunkt Mordversuch.


Psychische Folgen bis heute

Unter den Zeugen vom Dienstag war auch der seinerzeit schwer verletzte Aufseher. Der heute 56-Jährige erklärte, er leide noch heute an den psychischen Folgen: Angstzustände, Schweissausbrüche, Schlafstörungen und ein tiefes Misstrauen prägten seit dem Ereignis sein Leben.

Camenisch sass im Dezember 1981 seit knapp einem Jahr in der damaligen Strafanstalt Regensdorf (heute Pöschwies). Das Kantonsgericht Graubünden hatte ihn wegen Sprengstoffdelikten zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Nach dem Ausbruch tauchte er unter, bis er im Jahr 1991 in der Toskana festgenommen wurde. 1989 soll er auf der Flucht in Brusio GR einen Grenzwächter erschossen haben. Die Anklage wirft ihm deshalb auch Mord vor.


Unglaubliche Überreizung

An diesem zweiten Anklagepunkt sei er interessiert - im Gegensatz zur Anklage wegen Mordversuchs - sagte Camenisch am Dienstag. Er wolle deshalb erst in der kommenden Woche bei den Verhandlungen dabei sein und sich zuvor erholen. Sein Anwalt, Bernard Rambert, hatte den Antrag gestellt, seinen Mandanten für den Rest der laufenden Woche zu dispensieren.

Der Verteidiger machte gesundheitliche Gründe geltend. Für den seit Jah-ren an Kleingruppen und Einzelhaft gewohnten Angeklagten bedeute die Menschenansammlung im Gericht eine unglaubliche Überreizung. Der ohnehin gesundheitlich angeschlagene Camenisch sei zurzeit auch noch stark erkäl- tet und leide obendrein an einer akuten Migräne.

Nach längerem Hin und Her - der Staatsanwalt wollte auf der Anwesenheit des Angeklagten bestehen - entschied das Gericht im Sinne eines Kompromisses: Für den Dienstag dispensierte es den Angeklagten mit der Auflage, sich vom Gefängnisarzt untersuchen zu lassen und ein Attest über seine Verhandlungstauglichkeit vorzulegen.

Camenisch muss zudem seinen freiwilligen Verzicht auf das ihm zustehende rechtliche Gehör schriftlich bestätigen. Am kommenden Montag hat der Angeklagte wieder anwesend zu sein.


20040513 SHN: Nochmals zum Arzt / Politaktivistin im Hungerstreik

Schaffhauser Nachrichten - Donnerstag 13. Mai 2004, Inland

Nochmals zum Arzt
camenisch: Schwaches Attest

Das Arztzeugnis des Angeklagten überzeugt das Gericht nicht.

zürich - Für Geschworenengerichtspräsident Hans Mathys entspricht das Attest, das Marco Camenisch bescheinigt, er könne den Verhandlungen nicht folgen, nicht den Erwartungen. Das Gericht ordnete deshalb eine Untersuchung am Institut für Rechtsmedizin (IRM) an.

Der Anwalt des angeklagten Marco Camenisch hatte am Dienstagmorgen gesundheitliche Probleme seines Mandanten geltend gemacht. Diese machten es ihm in den nächsten Tagen unmöglich, an den Verhandlungen teilzunehmen.
Das ärztliche Zeugnis, das vom Gericht verlangt wurde, ist aber vage formuliert. Es bestätigt bloss, dass Camenisch gesundheitlich angeschlagen sei und für den Rest der Woche dispensiert werden solle. Das Gericht werde umgehend veranlassen, dass ein Arzt des Instituts für Rechtsmedizin die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten definitiv abklären lasse, sagte Mathys am Mittwoch.
Am Mittwoch wurden anschliessend weitere Zeugen befragt. Sie schilderten verschiedene Details zum Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen - darunter Camenisch - aus der damaligen Strafanstalt Regensdorf im Dezember 1981. Dabei war ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt worden. Ein Teil der Aussagen musste verlesen werden.
Der 52-jährige Camenisch hat sich seit Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht zu verantworten. Die Anklage lautet auf Mord und Mordversuch. Das Urteil wird voraussichtlich am 4. Juni eröffnet werden.

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Politaktivistin im Hungerstreik

zürich -Die Politaktivistin Andrea Stauffacher ist in den Hungerstreik getreten. Damit protestiert sie nach eigenen Angaben gegen ihre politisch motivierte Präventivhaft. Sie war am Samstag an der Demonstration für Marco Camenisch verhaftet worden. Der Solidaritätsbewegung für Camenisch solle angesichts des Prozesses die Spitze gebrochen werden, begründete Stauffacher in einer Mitteilung vom Mittwoch ihren Hungerstreik. Wie Bezirksanwalt Hans BebiI erklärte, wurde die Untersuchungshaft gegen Stauffacher wegen Verdachts auf Wiederholungsgefahr verhängt. Stauffacher war am Samstag nach der unbewilligten Demonstration für den Öko-Terroristen Camenisch in Zürich wegen Landfriedensbruch verhaftet worden. Dass sich Stauffacher weiterhin in Untersuchungshaft befinde, sei ein Angriff auf die Verteidigung, sagte Camenischs Verteidiger Bernard Rambert am Dienstag. Stauffacher sei Mitarbeiterin von ihm und werde deshalb im Büro gebraucht.
(sda)


20040513 TA: Camenischs Attest ungenügend

Zürich Donnerstag, 13. Mai 2004 / 12.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Camenischs Attest ungenügend

Für Gerichtspräsident Hans Mathys entspricht das Attest, das Marco Camenischs Verhandlungs-Untauglichkeit bescheinigt, nicht den Erwartungen. Das Gericht ordnete eine Untersuchung am Institut für Rechtsmedizin (IRM) an.

Der Anwalt des angeklagten Marco Camenisch hatte am Dienstagmorgen gesundheitliche Probleme seines Mandanten geltend gemacht. Diese machten es ihm in den nächsten Tagen unmöglich, an den Verhandlungen teilzunehmen.
Das ärztliche Zeugnis, das vom Gericht verlangt wurde, ist aber vage formuliert. Es bestätigt bloss, dass Camenisch gesundheitlich angeschlagen sei und für den Rest der Woche dispensiert werden solle. Das Gericht werde umgehend veranlassen, dass ein Arzt des Instituts für Rechtsmedizin die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten definitiv abklären lasse, sagte Mathys.

Heute wurden weitere Zeugen befragt. Sie schilderten verschiedene Details zum Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen - darunter Camenisch - aus der damaligen Strafanstalt Regensdorf im Dezember 1981. Dabei waren ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt worden. Ein Teil der Aussagen wurde verlesen.

Der 52-jährige Camenisch hat sich seit Montag vor dem Zürcher Geschworenengericht zu verantworten. Die Anklage lautet auf Mord und Mordversuch. Das Urteil wird voraussichtlich am 4. Juni eröffnet. (mu/sda)


20040513 Weltwoche: Undenkbare Niedertracht

weltwoche 20/2004 (13.05.04)

Undenkbare Niedertracht

Von Peter Röthlisberger

In Zürich hat der Prozess gegen Marco Camenisch wegen Mordes und Mordversuchs begonnen. Es ist der letzte grosse Auftritt seiner Karriere als Anarchist.


Freiheit für Camenisch: Am 4. Juni soll das Urteil verkündet werden. (Bild: Steffen Schmidt (Keystone))


Morgens um sieben ist das Zürcher Geschworenengericht eine Festung. Umgürtet von hohen Gitterzäunen in Doppelreihe, abgeschirmt von grünen Blachen und bewacht von einigen Dutzend Beamten der Stadt- und Kantonspolizei. Erwartet wird der 52-jährige Ökoterrorist Marco Camenisch, der zu einer Identifikationsfigur der Globalisierungsgegner wurde, weil er, eine Kombination aus zähem Bündner Desperado und Kämpfer gegen alle Arten der Ausbeutung, seine politischen Botschaften wie ein Perpetuum mobile seit 25 Jahren unverändert wiedergibt.

Camenischs Umfeld, das aus einer anderen Generation und Tradition stammt als er, feiert sein Daueridol auf dem Internet als einzigen politischen Gefangenen der Schweiz, der mit letzter Konsequenz für die sozialrevolutionäre Solidarität und den Kampf gegen die staatliche und kapitalistische Repression einstehe. Für die schweizerische Justiz ist Marco Camenisch ein Krimineller, der wegen schwerwiegender Delikte bereits 14 Jahre im Gefängnis sass.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng, wer dem Prozess als Zuschauer folgen will, muss eine Sicherheitsschleuse passieren, Tasche und Handy abgeben. Um Viertel nach neun des ersten Prozesstages ist die Tribüne bis auf den letzten der 200 Plätze besetzt. Ein Drittel Journalisten, Gerichtszeichner, Jusstudenten, zwei Drittel Anhänger Camenischs, Anarchisten, Umweltschützer, Alternative, einig in ihrer Ablehnung des Establishments, die meisten von ihnen aus Italien, wo Camenisch von 1991 bis 2002 im Gefängnis einsass. Mehr Platz hat es nicht, ein Grossteil der Anhänger muss draussen vor dem Gericht ausharren.

Als der Angeklagte von Kantonspolizisten in den Saal geführt wird, brandet tosender Applaus auf. Gerichtspräsident Hans Mathys lässt es bei einer Ermahnung bewenden. Camenisch winkt den Zuschauern zu und setzt sich auf seinen Stuhl, Schalk im Gesicht. Camenisch ist abgemagert, sein Gesicht eingefallen und grau wie seine zu einem Rossschwanz zusammengebundenen Haare. Der April war sein Hungerstreikmonat. Zudem wurde bei ihm vor einigen Jahren Nebennierenkrebs diagnostiziert. Auf dem Pult vor ihm liegt seine dünnrandige Brille. Er trägt ein T-Shirt mit Kinderzeichnungen, sein Blick irrlichtert, seine Bewegungen sind linkisch. Er dreht sich um und sucht im Zuschauerraum nach vertrauten Gesichtern, findet aber bloss Zwanzigjährige, die ihn als Popstar der Anarchistenszene bewundern. Nur die Untersuchungsbehörden und sein Verteidiger Bernard Rambert wussten um seinen Zustand, von seinen jugendlichen Bewunderern hat ihn kaum je einer in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen. Das letzte offizielle Foto stammt von 1991. Camenisch war seitdem eine Cyber-Gestalt, eine Stimme aus dem Internet.

Der Gerichtspräsident möchte Camenisch befragen, dieser bestätigt aber bloss seine Personalien und verweigert weitere Aussagen. Es wäre besser, wir würden Sie kennen lernen, sagt der Gerichtspräsident. Ich würde gerne meine Stellungnahme vorlesen und dann nichts mehr sagen, sagt Camenisch. Von draussen dringen Marco libero-Rufe in den Gerichtssaal. Ein Polizeihund antwortet mit wütendem Gebell. Auf dem Vorplatz veranstalten die Demonstranten ein pantomimisches Strassentheater, in dem Polizisten als Schweine dargestellt werden.

Die Polizei ist besorgt über die Mobilisationskraft von Camenischs Anhängern. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten der Zürcher Justiz, die Angeklagte wie den Babyquäler RenI Osterwalder oder den Sexualmörder Erich Hauert zu präsentieren pflegte, indem diese aus dem Gefangenentransporter ausgeladen und die paar Treppenstufen hoch zum Gericht geführt wurden, wurde Camenisch direkt ins Innere des Gebäudes gefahren. Wahrscheinlich, weil zwei Tage vor Prozessbeginn unbewilligt für Camenisch in der Zürcher Innenstadt demonstriert wurde. Die Polizei verhaftete vorübergehend 100 Sympathisanten, darunter auch die dauerdemonstrierende Andrea Stauffacher, Mitarbeiterin im Anwaltsbüro von Camenischs Verteidiger. Rambert bezichtigte denn auch die Staatsanwaltschaft, Stauffacher absichtlich in Präventivhaft zu belassen, um seine Prozessführung zu erschweren.

Staatsanwalt Ulrich Weder wirft Marco Camenisch versuchten und vollendeten Mord vor. Im Dezember 1981 floh Camenisch aus der Strafanstalt Regensdorf, zusammen mit dem dreifachen Raubmörder Carlo Gritti und vier weiteren Mitgliedern der Alphabande. Er war vom Kantonsgericht Graubünden im Januar desselben Jahres zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt worden, weil er an der Grenze zu Liechtenstein einen Hochspannungsmast mit Sprengstoff beschädigt und ein Unterwerk der Nordostschweizerischen Kraftwerke bei Bad Ragaz zerstört hatte. Einer der Ausbrecher, Pierluigi Facchinetti, erschoss Fritz Jenni, den Korbermeister der Anstalt, ein Aufseher wurde verletzt. Auf den Oberaufseher, der in seinem Büro sass, wurde auch geschossen, die Kugel verfehlte ihn aber. Weil er den möglichen Tod dieses Mannes als Mittäter zumindest in Kauf genommen habe, ist Camenisch in diesem Fall des versuchten Mordes angeklagt.

Camenisch tauchte unter und erst acht Jahre später wieder auf. Die Polizei vermutete ihn im Ausland, in irgendeinem Krisengebiet dieser Welt. Am Sonntag, 3. Dezember 1989, morgens um acht Uhr, klopfte Marco Camenisch an die Türe des reformierten Pfarrers im bündnerischen Brusio, Francesco Scopacasa. Eine halbe Stunde zuvor war der Grenzwächter Kurt Moser südlich des Dorfes erschossen worden. Drei Kugeln trafen ihn aus kurzer Distanz. Moser war verheiratet, seine Frau mit dem zweiten Kind schwanger.

Ende der Flucht in der Toskana

Der Pfarrersfrau, die Camenisch eintreten liess, erzählte er, dass er das Grab seines Vaters besuchen komme. Der Vater war zwei Monate zuvor gestorben. Er hatte an Krebs gelitten. Die Beerdigung war von Kantonspolizisten überwacht worden. Inzwischen hatte die Polizei das ganze Tal abgesperrt. Die Scopacasas drängten Camenisch, nicht mehr im Pfarrhaus zu sein, wenn sie vom Gottesdienst zurückkämen. Sie hatten von dem Mord an dem Grenzwächter gehört. Bei ihrer Rückkehr aber zwang er sie, ihn mit dem Auto nordwärts zu fahren. Camenisch sagte, dass er sich im Kriegszustand mit der menschlichen Gesellschaft befinde. Wenn jemand versuchen sollte, ihn zu fassen, wäre er bereit zu töten. Vor Le Prese stieg er aus und entschwand über die Berge ins nahe Italien. Bei Camenischs früheren Weggefährten halten sich bis heute abenteuerliche Verschwörungstheorien, wonach die Staatsgewalt ihm eine Falle gestellt und den Tod des Grenzwächters Moser in Kauf genommen habe. Camenisch habe sich all die Jahre im Puschlav aufgehalten, sei aber von den einheimischen Grenzwächtern nicht behelligt worden. Moser habe von diesem Abkommen nichts gewusst. Staatsanwalt Weder ist überzeugt, dass Camenisch der Täter war und klagte ihn des vollendeten Mordes an.

Zwei Jahre später, am 5. November 1991, war die Flucht zu Ende. In der Stadt Massa in der Toskana wollten Carabinieri ihn und seinen Begleiter kontrollieren. Camenisch schoss, die Polizisten schossen zurück. Ein Polizist und Camenisch wurden verletzt. Er hatte sich über ein Jahr im benachbarten Carrara versteckt gehalten. Das Gericht von Massa-Carrara verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Sprengstoffdelikten zu einer Gefängnisstrafe von zwölf Jahren.

Am 18. April 2002 lieferte Italien Camenisch an die Schweiz aus. Er wurde ins Bezirksgefängnis Pfäffikon verlegt. Die Justiz nahm die sistierten Strafverfahren wieder auf. Nach sieben Wochen wandte sich sein Verteidiger Bernard Rambert an die Medien, um gegen die unüblich harten Haftbedingungen zu protestieren. Sein Mandant sei völlig isoliert und medizinisch unterversorgt. Die Zürcher Justiz lasse sich von politisch motivierten Überlegungen in ihrem Vorgehen gegen Camenisch leiten. Die Untersuchungsbehörden wiesen die Vorwürfe zurück. In der Folge lieferte Rambert der Zürcher Justiz diverse Scharmützel, weil sein Mandant von einem Gefängnis ins andere verlegt wurde: Ende 2002 in die Strafanstalt Thorberg, wo er aus Protest gegen die Einzelhaft in den Hungerstreik trat; vom Thorberg wurde er an die Strafanstalt Sennhof in Chur weitergereicht. Dort blieb er bis zu einer lautstarken Demonstration. Auf Wunsch der Staatsanwaltschaft wurde er wieder nach Pfäffikon überstellt. Camenischs vorläufig letzte Station ist das Flughafengefängnis Zürich. Weil in Pfäffikon immer wieder für ihn demonstriert wurde, verlegte ihn die Staatsanwaltschaft im November erneut.

Staatsanwalt Weders Fragen beantwortet Camenisch während des Prozesses so wenig wie die des Gerichtspräsidenten. Er sagt: In der Schweiz ist das so eine Krux, immer wird insistiert, wie im Kindergarten. In Italien nimmt man mich ernst, wenn ich sage, dass ich keine Aussage mache. Weder fragt: Fühlen Sie sich psychisch gesund? Camenisch antwortet nicht, er verliest stattdessen mit rauer Stimme zehn Minuten lang sein angekündigtes CommuniquI. Er sagt, er spreche dem Gericht die Legitimation ab, über ihn zu befinden, weil das Gericht kein Ort sei, um Ungerechtigkeiten auszugleichen, und bezeichnete sich als Kriegsgefangenen in einem revolutionären Befreiungskampf. Eine ausführliche Erklärung sei nicht notwendig. Er habe in den vergangenen 25 Jahren schon sehr viel geschrieben und seit diesen Erklärungen hat sich viel verändert, aber nichts Grundsätzliches. Meine persönliche und politische Identität hat sich klarer verfestigt. Er beklagt die oligarchische Klassenjustiz, die Ausweitung des imperialen Krieges, Repression und Rassismus, die Ausbeutung der Natur und der Menschen. In einem Punkt wurde Camenisch allerdings konkret: den Grenzwächter in Brusio, obwohl bewaffneter Söldner des Repressionsapparates, habe er nicht erschossen. Ich habe nie die Hinrichtung von militärischen Gegnern vorgenommen. Und schon gar nicht habe ich wehrlosen am Boden liegenden Gegnern in den Kopf geschossen oder gar auf sie eingeginggt. Solche Niedertracht ist für mich schlicht nicht denkbar.

Etwas Positives vermag Camenisch seinem Auftritt vor Gericht aber auch noch abzugewinnen. Er wendet sich zum Publikum und sagt, dass das ein freudiger Ort der solidarischen Begegnung mit seinen grösstenteils persönlich noch nicht bekannten Freunden und Genossen sei. Seine Zuschauer, entweder italienischsprachig oder des Revolutionsdeutschen von Camenisch nicht mächtig, reagieren nicht.

Am zweiten Tag des Prozesses wird Camenisch, trotz des Widerstandes des Staatsanwaltes, für die ganze Woche krank geschrieben. Sein Verteidiger macht bei seinem Mandanten Migräne, Kopf- und Halsweh geltend. Mit einem Urteil wird am 4. Juni gerechnet.

20040516 NZZ: Ihr gebt Mensch und Tier nicht acht, darum kracht's

NZZ am Sonntag vom 16. 05. 2004

Ihr gebt Mensch und Tier nicht acht, darum kracht's

Von Margrit Sprecher

Er streunt zu seinem Platz, als täte er es freiwillig. Ausgeweitetes schlottert um seinen Körper; schütter weht der Rossschwanz hinter ihm her. Grau das Haar, grau die Haut und dünn wie gespanntes Papier. Das Publikum braucht Zeit, bis es ihn erkennt. Dann brandet der Applaus auf: Marco! Marco! Er hebt die Hand zum Gruss, lächelt. Und versucht angestrengt, unter den schwarzen Gestalten, deren Kapuzen notfalls blitzschnell über den Kopf gezogen werden können, bekannte Gesichter zu erkennen.

Vergeblich. Die meisten Fans waren noch nicht geboren, als Marco Camenisch 1979 den Hochspannungsmast in Bad Ragaz sprengte. Später war er entweder auf der Flucht oder sass, wegen weiterer Sprengstoffdelikte und Körperverletzung, in italienischen Hochsicherheitstrakten. Hin und wieder geisterte sein Name durch linksalternative Blätter. Doch warum er ein Held war, musste jeder in die Szene hineinwachsende Anarcho-Jahrgang wieder von neuem lernen.

Jetzt aber, zur Feier des Prozesses, staubten die Genossen und Genossinnen ihre Ikone gründlich ab. Die Marco-Camenisch-Veranstaltungen jagten sich, eine Fotoausstellung, Konzerte und Demonstrationen wurden zu seinen Ehren organisiert; im Internet boomten die Freiheit für Marco- Seiten. Kein Wunder: An geeigneten Helden herrscht krasser Mangel. Viele der Vorzeige-Revolutionäre aus den vergangenen achtziger Jahren haben längst die Campingsessel der Verschwörer-Lokale mit den Chefsesseln in Wirtschaft und Medien vertauscht. Andere trennen, im Eigenheim, brav den Abfall und bestellen ihr Olivenöl Extra vergine beim ausgestiegenen Ex- Genossen in der Toskana. Nur Marco Camenisch, inzwischen 52, beendet seine Aufrufe noch immer mit einem pathetischen Amare o perire!. Und ist der Einzige, der für seinen Glauben mit bisher 14 Jahren Zuchthaus bezahlte. Dazu kommen eine achtjährige Reststrafe und, je nach Ausgang des Prozesses, viele weitere Jahre wegen versuchten Mordes und Mord.

Auch die Gegenseite blieb nicht untätig. Eifrig verschickte der Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder CommuniquIs an die Medien, um das Interesse am kapitalen Fang zu schüren. Eilig stemmte die Boulevardpresse, seit Walter Stürms Tod ohne publikumswirksamen Bösewicht, Marco Camenisch auf Platz 1 der schweizerischen Kriminellen-Hitparade. Selbst die Polizei liess sich etwas einfallen. Weil eine Zürcher Marco-Camenisch-Demonstration zu friedlich zu verlaufen schien, konfiszierte sie die Musik des Protestzügleins. Die nun nach Wunsch aufgebrachten jungen Menschen zogen Richtung Obergericht und wurden beim Kunsthaus so gekonnt eingekesselt, dass ihnen nur die Flucht ins Innere blieb. Als ein Polizist den Schlüssel drehte, sahen sich die verdutzten Demonstranten in Gesellschaft erschrockener Kunstfreunde und vieler wertvoller Hodler-Gemälde in einen Saal gesperrt.

Leider hielt der Prozess nicht, was die Ouverturen versprachen. Er lahmte, wenigstens in der ersten Woche. Das lag daran, dass die Ereignisse 23 Jahre zurücklagen und das Gedächtnis der als Zeugen aufgebotenen Aufseher der Strafanstalt Regensdorf inzwischen nicht besser geworden war. Ja, es hatte beim Ausbruch einen Toten und einen Verletzten gegeben. Nein, Marco Camenisch hatte weder eine Waffe gehabt noch geschossen. Trotzdem wollte ihn Staatsanwalt Weder wegen versuchten Mordes verurteilt wissen. Schliesslich hatte er mit seinem Mitmachen den Mord in Kauf genommen.

Grösster Spielverderber freilich war Marco Camenisch selbst: Er verweigerte eine Aussage. Bezeichnete das Gericht als politisch-militärischen Repressionsapparat, dem er jegliche Legitimation absprach, und sich selbst als politischen Kriegsgefangenen. Tatsächlich waren, bei näherem Hinsehen, sowohl Schnitt wie Stoff seiner olivfarbenen Hose militärisch, gemildert freilich durch ein T-Shirt mit Kinderzeichnungen. Immer häufiger und immer länger wandte er sich dem befreundeten Publikum zu. Schliesslich sass er fast rittlings auf dem Stuhl. Hin und wieder versuchte er zu lächeln. Doch sein Lächeln war eher ein gewaltsames Zerren von Muskeln.

Gerichtspräsident Hans Mathys liess es geschehen. Zeigte überhaupt viel Sportsgeist. Nachsichtig quittierte er die Sprechchöre des Fanklubs mit einem So, jetzt wissen wir, wo die Sympathien liegen. Dann verkündete er die Spielregeln: Bei weiteren Störaktionen gibt es zuerst eine Verwarnung, dann die gelbe und schliesslich die rote Karte.

Romantischer Held

Es kam nicht so weit. Denn gegeben wurde keineswegs ein revolutionäres Lehrstück für angehende Anarchisten. Gespielt wurde die Tragödie eines Menschen, der sein Leben als romantischer Held begonnen hatte. Kurz vor der Matura verliess er die Evangelische Mittelschule Schiers, um fortan ganz für die und mit der Natur zu leben.

Erst arbeitet er als Knecht auf einem Bauernhof, dann als Waldarbeiter im Forst und schliesslich, noch einen Schritt weiter entfernt vom Gedröhne der Welt, sechs Sommer lang als Hirt auf der Alp. Alle Arbeitgeber waren des Lobes voll. Er war hilfsbereit, gut zu den Tieren, trank nicht, rauchte nicht und nahm auch keine Drogen. Bis er in der Zeitung von der Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Gösgen las und beschloss, sich mit zwei Sprengstoffattentaten ins Gewissen der Atomlobby zu bomben.

Von da an führten ihn die Medien als Ökoterroristen und die Rebellen der Zürcher Jugendbewegung als Helden. Dabei passte er nie ganz zu Letzteren. Ihr Kampf für ein autonomes Jugendzentrum kam ihm vor, als würde man versuchen, eine Kabine auf einem brennenden und sinkenden Ozeandampfer zu retten.

Und brennen tat es damals an allen Ecken und Enden. Die Beton-Bausünden jener Epoche verschandeln noch heute die Schweiz. Schweizer Gift verseuchte Seveso, und auch das lebensgefährliche Milchpulver für die Dritte Welt stammte aus einem Schweizer Konzern. Auf Schweizer Banken wurden die Gelder ausländischer Diktatoren entdeckt, und in Schweizer Bergtälern versenkte die Elektrowirtschaft Flüsse und Bäche in unterirdische Stollen und speiste die Dorfpolitiker mit einem feudalen Mittagessen und die Gemeindekasse mit einem Trinkgeld für die abgetretenen Wasser ab. Marco Camenisch nannte es die Kolonisation Graubündens mit Hilfe von Bündner Steigbügelhaltern.

An der Gerichtsverhandlung in Chur, 1980, verschärfte Marco Camenisch seine Bürgerschreckerscheinung mit einem roten Anarchisten-Stern auf der Stirn. Dann verlas er ein selbst verfasstes Gedicht: Ihr gebt Mensch und Tier nicht acht / darum kracht's. Absichtlich, erklärte er, habe er den Mast in Bad Ragaz am Heiligen Abend gesprengt: eine Solidaritätskundgebung für Jesus Christus, den Konspirator, Nomaden, Sozialrevolutionär, Aufwiegler und Klassenkämpfer.

Als Quittung für die mangelnde Ehrerbietung vor Gericht forderte der Bündner Staatsanwalt Willy Padrutt neun Jahre Zuchthaus wegen Sachbeschädigung. Die Bündner Kantonsrichter Schmid, Keller, Jörg, Riesen und Nay, heute Bundesrichter in Lausanne, fanden das zu milde und erhöhten die Strafe auf zehn Jahre. Das Urteil muss die Bündner Richter mit warmer Genugtuung erfüllt haben.

Eine Warnung für alle, die sich nicht den Normen unterziehen wollten, nicht in die Knie gingen und keinerlei Neigung zeigten, ihrem grünen Glauben abzuschwören. Und ein Beispiel für die laschen Unterländer Gerichte, wo Marco Camenisch, so schätzte man, mit der Hälfte der Strafe davongekommen wäre. Dabei verfolgte auch die Zürcher Justiz damals alles mit beispielloser Härte, was den Glauben an die Unverletzlichkeit des Eigentums erschütterte.

Opfer dieser Zeitströmung wurde unter anderen auch Harald Naegeli. Wegen Beschädigung von Hausfassaden und Betonmauern wurde der Sprayer zu sechs Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt - völlig neu bei bisher unbescholtenen Ersttätern.

Marco Camenisch, der nichts mehr zu verlieren hatte, schloss sich in der Strafanstalt Regensdorf der Alfa-Bande an, bei deren Ausbruch ein Wärter erschossen und ein anderer verletzt wurde. Und ging fortan, um die Erwartungen zu erfüllen, die nicht nur der Staat, sondern auch seine Fans in ihn setzten, mit einem geladenen Revolver durchs Leben.

Das groteske Bündner Strafmass riss auch andere Menschen ins Unglück. Marcos Vater, Grenzwächter in Brusio, hatte acht Jahre lang, bis zu seinem Tod, das Fahndungsfoto seines Sohnes über seinem Schreibtisch hängen. Das Leben der Pfarrersfamilie Scopocasa in Brusio zerbrach, als Marco Camenisch, 1989 auf der Flucht, an ihre Türe klopfte.

Das Grab des Vaters

Er war heimgekehrt, um das Grab seines Vaters zu besuchen. Das Ehepaar verriet seinen Gast selbst dann nicht, als ein 35-jähriger Zollbeamter tot auf der Strasse gefunden wurde und die Polizeihelikopter über dem Puschlav knatterten. Da sich das Tal über so viel christliche Nächstenliebe empörte, erfand das Kreisgericht Brusio eilig einen Straftatbestand, den es gar nicht gibt. Zwar sprach das Bundesgericht das Ehepaar später frei. Trotzdem ist es ihm noch immer unmöglich, über das Geschehene zu sprechen. Geschweige denn, vor dem Zürcher Geschworenengericht auszusagen.

Auch Marco Camenisch ist dazu kaum fähig. Seine Augen liegen in tiefen Schatten, wie knotige Geschwüre dringen die Gelenke durch die Haut. Er hat nicht nur Krebs; er ist auch Hungerstreik-geschwächt und leidet unter Grippe und Migräne. Kein Wunder, sagt sein Verteidiger Bernard Rambert, bei dieser Reizüberflutung nach zwölfjähriger Isolationshaft. Er hat Erfahrung mit Klienten dieser Art, verteidigte schon die deutschen Terroristen und Terroristinnen Christian Möller und Gabriele Kröcher, Petra Krause und auch Walter Stürm.

Staatsanwalt Weder tut, was er kann, um den erschöpften Angeklagten zu ein paar Hüpfern zu bewegen. Genüsslich lässt er die Feststellung auf der Zunge zergehen: Beim Sprengstoffanschlag in Bad Ragaz flossen 7000 Liter Öl in den Rhein . . . Wie verhält sich das zu Ihrem ökologischen Bewusstsein? Keine Reaktion. Er fragt: Haben Sie das geschrieben?, und liest aus einer alten Zeitschrift vor: Es wird mir kotzübel, wenn ich mir das Richter- Pack ansehen muss. Keine Antwort. Egal. Bei den zweifellos in ihrer Ehre gekränkten Geschworenen wird der Satz den nötigen Eindruck hinterlassen. Die Geschworenen sind geschwellt von ihrer neuen Bedeutung und fast allesamt ergraut - Letzteres ganz offensichtlich in Ehren. Um ihr Mitleid für den in jeder Hinsicht ausgedünnten Angeklagten im Keim zu ersticken, lässt der Staatsanwalt dessen Jugendbild als schwarzbärtigen, langhaarigen, blut- und glutvollen Anarchisten auf die Saalwand projizieren.

Am zweiten Tag verlangt Verteidiger Rambert die Dispensierung seines kranken Klienten von der weiteren Verhandlung; noch heiterer als sonst ringeln sich dabei Ramberts Locken um sein unschuldig-unversehrtes Cherubinen-Haupt. Dem Antrag wird stattgegeben. Bevor Marco Camenisch in die Stille seiner Zelle zurückgeführt wird, setzt der Kriegsgefangene seine Brille auf und liest seine vorbereitete Erklärung. Er liest: Meine persönliche und politische Identität hat sich klar verfestigt. Diesen beharrlichen Glauben an seinen Kampf für die Umwelt hätte die Justiz schon lange gern als seelischen Defekt erklären lassen, um ihren immer gebrechlicheren Gefangenen in die Psychiatrie abzuschieben. Doch Marco Camenisch hatte sich stets geweigert, Rorschachtests zu deuten und seinen IQ messen zu lassen. Sein Kampf gegen den Atomstrom ist keine Folge frühkindlicher Schädigung.

Marco Camenisch liest: Es ist nicht meine Art, einen wehrlos am Boden liegenden Menschen mit drei Kopfschüssen zu töten. Mit anderen Worten: Er will nichts mit dem Mord am Grenzwächter zu tun haben, der nächste Woche vor dem Geschworenengericht verhandelt wird. Und schliesslich holt er aus zum Rundumschlag aus revolutionär-libertär-ökologischer Sicht und Praxis für eine ganzheitliche Revolution-Rebellion gegen Patriarchat, Imperialismus, Kapitalismus, Faschismus, Konsumfaschismus, Metropole, Rassismus und jegliche Ausgrenzungs- und Vernichtungslogik.

Revolutionärer Halt

So ähnlich spricht heute nur noch Fidel Castro. Es ist das Vokabular aus längst vergangenen Zeiten, in Marco Camenischs Jugend eifrig in Hinterzimmern kopiert und in Mikrofone gebrüllt. Nur in einer von Zugluft abgedichteten, abgeschotteten Gefängniszelle kann sich solches Pathos halten, bietet, mumifiziert, revolutionären Schutz und Halt. Draussen, in der realen Welt, haben die täglich am Fernsehen vorgeführten neuen Schrecken von Völkermord, Kriegsgreueln und sich überstürzenden Katastrophen ihre Wirkung längst überlagert: Das Unrecht ist weit schlimmer, als sich das ein redliches Anarchistenhirn vorstellen kann.

Schon am ersten Tag hatten sich die Zuschauerreihen nach wenigen Stunden gelichtet. Die ersten, die flüchteten, waren die italienischen Fans, in Minibussen aus Mailand angereist. Zu schön schien draussen die Sonne.

Am zweiten Tag konnte man Marcos Sympathisanten an zwei Händen abzählen. Ein einsames Ciao Marco! schallte ihm beim Eintritt entgegen. Verwirrt musterte er die halb leeren Bänke. Niemand mehr an seinem Kampf interessiert?

Doch, doch. Aber während seines langen Untertauchens hat sich eben nicht nur das Vokabular verändert. Auch die Aufmerksamkeitsspanne für die Helden und ihre Halbwertszeit verkürzten sich drastisch.



20040517 Blick: Der Öko-Terrorist ist wieder im Gericht

Artikel vom 17. Mai 2004 / Quelle: Blick

Camensich-Prozess
Der Öko-Terrorist ist wieder im Gericht

ZÜRICH Die Polit-Show von Marco Camenisch geht weiter. Nachdem er eine Woche dem Prozess fernbleiben konnte, muss er jetzt wieder an der Verhandlung teilnehmen.

Der 52-Jährige konnte sich letzte Woche vor der Verhandlung drücken. Sein Anwalt hatte den krebskranken Polit-Aktivisten wegen seinem leiden dispensieren lassen. Dabei hätte Camenisch auch letzte Woche im Obergericht sitzen können. Abklärungen des Instituts für Rechtsmedizin haben nämlich ergeben, dass sein Gesundheitszustand die Anwesenheit im Prozess durchaus erlaubt.
Hat der Öko-Terrorist einmal mehr eine Show abgezogen? Camenisch, angeklagt wegen Mord und Mordversuch, bezeichnet sich als als Kriegsgefangener in einem politischen Befreiungskampf (Blick Online berichtete).

Mit dem Angeklagten sind heute auch seine zahlreichen Anhänger aus der linksautonomen Szene wieder aufgetaucht. Politaktivistin Andrea Stauffacher wurde von Camenisch besonders freudig begrüsst. Sie war letzte Woche bei einer Demonstration zum Prozessbeginn verhaftet und von der Polizei eine Woche lang festgehalten worden.


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20040517 NZZo: Zweite Prozesswoche im Camenisch-Prozess

17. Mai 2004, 11:49, NZZ Online

Zweite Prozesswoche im Camenisch-Prozess

(sda) Zum Auftakt der zweiten Prozesswoche vor dem Zürcher Geschworenengericht war der Angeklagte Marco Camenisch wieder anwesend. Dies lockte am Montag auch gleich wieder einige seiner Anhänger vom Revolutionären Aufbau in den Gerichtssaal. Auf Antrag der Verteidigung war er vergangene Woche aus gesundheitlichen Gründen dispensiert worden. Die vom Gericht angeordnete Abklärung des Instituts für Rechtsmedizin hatte aber ergeben, dass der Gesundheitszustand von Camenisch dessen persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal durchaus erlaube.

Die Aussicht, ihr Vorbild wieder persönlich zu sehen, lockte deutlich mehr seiner Sympathisanten aus der linksautonomen Szene in den Gerichtssaal als letzte Woche. Von Camenisch freudig begrüsst wurde die Aktivistin Andrea Stauffacher, die Ende Woche aus der Haft entlassen worden war.

Die Mitarbeiterin von Camenisch-Anwalt Bernard Rambert war bei einer Demonstration vor dem Prozess verhaftet und einige Tage festgehalten worden. Der Anwalt hatte dies als Angriff auf die Verteidigung bezeichnet; Stauffacher werde im Büro benötigt.

Zeugen der Verteidigung

Als Zeugen hatte die Verteidigung verschiedene Ärzte aufgerufen, die zu den Haftbedingungen in der Strafanstalt Regensdorf Anfang der achtziger Jahre Auskunft gaben. Ein Psychiater schilderte den damaligen Kampf fortschrittlicher Kreise gegen krank machende Haftbedingungen wie Isolationshaft. Seines Wissens sei Camenisch in Regensdorf jedoch nicht isoliert gewesen. Er räumte allerdings ein, Camenisch nicht persönlich kennengelernt zu haben.

Der 52-jährige Marco Camenisch hat sich seit einer Woche vor dem Zürcher Geschworenengericht zu verantworten. Die Anklage lautet auf Mord und Mordversuch. Der Verteidiger will auf Freispruch plädieren. Der Prozess ist auf insgesamt vier Wochen angelegt. Die Urteilseröffnung ist auf den 4. Juni vorgesehen.



20040517 swissinfo: Marco Camenisch schildert vor Geschworenengericht Haftbedingungen

swissinfo.ch

17. Mai 2004 12:03

Marco Camenisch schildert vor Geschworenengericht Haftbedingungen

ZÜRICH - Zum Auftakt der zweiten Prozesswoche vor dem Zürcher Geschworenengericht ist der Angeklagte Marco Camenisch wieder erschienen. Dies lockte auch gleich einige seiner Anhänger vom Revolutionären Aufbau in den Gerichtssaal.

Wie versprochen war der als Ökoterrorist bekannte Camenisch erneut im Gerichtssaal. Auf Antrag der Verteidigung war er vergangene Woche aus gesundheitlichen Gründen dispensiert worden.

Er hätte auch ohne Versprechen teilnehmen müssen: Die vom Gericht angeordnete Abklärung des Instituts für Rechtsmedizin hatte ergeben, dass der Gesundheitszustand von Camenisch dessen persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal durchaus erlaubt.

Als Zeugen hatte die Verteidigung verschiedene Ärzte aufgerufen, die zu den Haftbedingungen in der Strafanstalt Regensdorf Anfang der 80er Jahre Auskunft gaben. Ein Psychiater schilderte den damaligen Kampf fortschrittlicher Kreise gegen krank machende Haftbedingungen wie Isolationshaft. Seines Wissens sei Camenisch in Regensdorf jedoch nicht isoliert gewesen.

Er räumte allerdings ein, Camenisch nicht persönlich kennengelernt zu haben. Er nehme an, Camenisch habe sich schon damals als politischer Gefangener verstanden, sagte der Psychiater. Da ist Flucht eine Pflicht, sie gehöre zum politischen Auftrag. Man kenne dies zur Genüge aus Literatur und Film - als Beispiel nannte er den Grafen von Monte Christo.

Dass eine solche Flucht allerdings um jeden Preis - also auch um den Preis von Menschenleben - durchgezogen werden müsse, verneinte der Arzt. Im Dezember 1981 flüchteten Camenisch und mehrere Mithäftlinge - ein Aufseher wurde dabei erschossen, einer schwer verletzt.

Der 52-jährige Marco Camenisch hat sich seit einer Woche vor dem Zürcher Geschworenengericht zu verantworten. Die Anklage lautet auf Mord und Mordversuch. Der Verteidiger will auf Freispruch plädieren. Der Prozess ist auf insgesamt vier Wochen angelegt. Die Urteilseröffnung ist am 4. Juni vorgesehen. 171158 may 04


SDA-ATS

20040517 TAo: Zeugen schildern Haftbedingungen

Zürich Montag, 17. Mai 2004 / 11:53 -- Tages-Anzeiger Online

Zeugen schildern Haftbedingungen

Im Fall Camenisch begann vor dem Zürcher Geschworenengericht die zweite Prozesswoche. Der Angeklagte erschien wieder vor Gericht und mit ihm auch einige seiner Anhänger, darunter Andrea Stauffacher.

Camenisch-Prozess

Wie versprochen, erschien der als Ökoterrorist bekannte Camenisch am Montag wieder im Gerichtssaal. Auf Antrag der Verteidigung war er vergangene Woche aus gesundheitlichen Gründen dispensiert worden.
Er hätte allerdings auch ohne Versprechen wieder teilnehmen müssen: Die vom Gericht angeordnete Abklärung des Instituts für Rechtsmedizin hatte ergeben, dass der Gesundheitszustand von Camenisch dessen persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal durchaus erlaube.

Die Aussicht, ihr Vorbild wieder persönlich zu sehen, lockte deutlich mehr seiner Sympathisanten aus der linksautonomen Szene in den Gerichtssaal als letzte Woche. Von Camenisch freudig begrüsst wurde die Aktivistin Andrea Stauffacher, die Ende Woche aus der Haft entlassen worden war.

Die Mitarbeiterin von Camenisch-Anwalt Bernard Rambert war bei einer Demonstration vor dem Prozess verhaftet und einige Tage festgehalten worden. Der Anwalt hatte dies als Angriff auf die Verteidigung bezeichnet; Stauffacher werde im Büro benötigt.

Als Zeugen hatte die Verteidigung verschiedene Ärzte aufgerufen, die zu den Haftbedingungen in der Strafanstalt Regensdorf Anfang der 80er Jahre Auskunft gaben. Ein Psychiater schilderte den damaligen Kampf fortschrittlicher Kreise gegen krank machende Haftbedingungen wie Isolationshaft. Seines Wissens sei Camenisch in Regensdorf jedoch nicht isoliert gewesen.

Er räumte allerdings ein, Camenisch nicht persönlich kennen gelernt zu haben. Die Aussage stimmte aber überein mit Zeugenaussagen von letzter Woche, als damalige Aufseher und ehemalige Mithäftlinge Camenischs befragt worden waren.

Er nehme an, Camenisch habe sich schon damals als politischer Gefangener verstanden, sagte der Psychiater. Da ist Flucht eine Pflicht, sie gehöre zum politischen Auftrag. Man kenne dies zur Genüge aus Literatur und Film - als Beispiel nannte er den Grafen von Monte Christo.

Dass eine solche Flucht allerdings um jeden Preis - also auch um den Preis von Menschenleben - durchgezogen werden müsse, verneinte der Arzt. Im Dezember 1981 flüchteten Camenisch und mehrere Mithäftlinge - ein Aufseher wurde dabei erschossen, einer schwer verletzt.

Der 52-jährige Marco Camenisch hat sich seit einer Woche vor dem Zürcher Geschworenengericht zu verantworten. Die Anklage lautet auf Mord und Mordversuch. Der Verteidiger will auf Freispruch plädieren. Der Prozess ist auf insgesamt vier Wochen angelegt. Die Urteilseröffnung ist auf den 4. Juni vorgesehen. (cpm/sda)



20040518 Blicko: Von der Belastung und der Verwirrung

Artikel vom 18. Mai 2004, 19:50 Uhr / Quelle: Blick Online

Camenisch-Prozess
Von der Belastung und der Verwirrung

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Camenisch (im roten T-Shirt) vor dem Zürcher Geschworenengericht.

ZEICHNUNG: KEYSTONE


ZÜRICH Woche 2 im Prozess gegen Öko-Terrorist Marco Camenisch: Der Mord an einem Grenzwächter vor 15 Jahren brachte viel Verwirrendes und Belastendes zu Tage.

Wer ist der Mann, der am Morgen des 3. Dezember 1989 in Brusio GR raschen Schrittes von einer Tankstelle in Richtung der Bündner Gemeinde lief? Der Tankwart hat ihn gesehen und kurz darauf auch den Grenzwächter, der in der Nähe tot am Boden lag.
Dem Tankstellenwart wurden Fotos von möglichen Tätern vorgelegt, darunter auch eines von Marco Camenisch. Der Mann identifizierte ihn klar als den Unbekannten, der davonlief. Was mit der Aussage eines Bäckers, der drei Schüsse hörte und den toten Grenzwächter erst für ein Tier hielt, bestätigt wurde.

15 Jahre später treffen sich die drei Männer vor Gericht wieder. Der Verteidiger von Marco Camenisch versucht, die Zeugen zu verunsichern. Ihm kommt entgegen, dass sich der Bäcker und der Tankstellenwart nicht mehr genau an die Vorkommnisse erinnern können. Auch ihre Aussagen von damals haben sie nicht mehr in allen Details im Kopf.

Zwei Zeugen, die Camenisch entlasten sollen, erweisen sich als nicht sehr hilfreich. Eine heute 76-jährige Bäuerin, die gleich neben dem Tatort wohnt, brachte plötzlich einen unbekannten Italiener ins Spiel, der am Tatort aufgetaucht sein soll.

Ihr damaliger portugiesischer Saisonarbeiter beobachtete nach ihren Aussagen die Tat vom Fenster aus, reiste aber kurz danach ab und war als Zeuge nicht mehr aufzutreiben. Und ein 60-jähriger Mitarbeiter der Kriminalpolizei Graubünden erwies sich zwar als exzellenter Kenner der Schmugglerpfade, konkretes zum Fall selbst konnte er nicht beitragen.

Marco Camenisch äusserte sich nicht zu dem Mord am Grenzwächter. Er streitet die Tat ab.


20040518 NZZ: Wiedersehen mit Marco Camenisch

18. Mai 2004, 02:22, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Wiedersehen mit Marco Camenisch

Verhandlung im Mordprozess fortgesetzt

-yr. Nach viertägiger, gesundheitlich bedingter Absenz ist Marco Camenisch am Montag erstmals wieder am Geschworenengericht erschienen. Er hörte sich unter anderen zwei Zeugen seiner Verteidigung an, die über die Haftbedingungen zur Zeit des Ausbruchs aus der Strafanstalt Regensdorf im Jahre 1981 berichteten. Zu einem Wiedersehen kam es zudem mit seiner Gesinnungsgenossin Andrea Stauffacher, welche die Verhandlung im Publikum verfolgte. Stauffacher ist Mitarbeiterin von Camenischs Verteidiger Bernard Rambert. Am vergangenen Freitag wurde sie aus der Untersuchungshaft entlassen, nachdem sie sechs Tage zuvor an einer unbewilligten Demonstration für die Freilassung Camenischs wegen Wiederholungsgefahr inhaftiert worden war.

Als erster Zeuge der Verteidigung trat ein Arzt und Psychiater auf, der sich in den siebziger Jahren für bessere Haftbedingungen eingesetzt hatte. Die Flucht gelte vor allem bei politischen Gefangenen, zu denen sich der Angeklagte offensichtlich zähle, seit je als ein legitimes Recht, sagte er. Dass dabei ein Gefängnismitarbeiter erschossen wird, wie das beim Ausbruch von Camenisch der Fall gewesen war, werde als Betriebsunfall erachtet. Der zweite Zeuge, ebenfalls ein Arzt und Psychiater, hatte in den Zürcher Gefängnissen einst einen psychiatrischen Dienst aufgebaut. Später kündigte er aus Protest gegen die Haftbedingungen. Am Geschworenengericht sagte er, je gesünder ein Häftling sei, desto mehr beschäftige er sich mit der Flucht.

Abschliessend gab jener Bezirksanwalt Auskunft, der damals den Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf untersucht hatte. Brisant an seinen Aussagen war vor allem, dass er die entscheidenden Schüsse, die ein Mithäftling Camenischs abgegeben hatte, lediglich als Gefährdung des Lebens qualifiziert hatte. Die Staatsanwaltschaft und später das Geschworenengericht stuften diese Schüsse hingegen als Mordversuch ein - weshalb sich Camenisch in dieser Angelegenheit als Mittäter verantworten muss. Der Hauptvorwurf gegen den 52-jährigen Bündner lautet jedoch auf vollendeten Mord, begangen 1989 an einem Grenzwächter im Puschlav. Dieser Teil der Anklage wird ab heute Dienstag verhandelt.



20040518 TA: Camenisch: Psychiater rechtfertigen Flucht

Tages-Anzeiger vom 18.05.2004

Camenisch: Psychiater rechtfertigen Flucht

Ökoaktivist Camenisch sitzt wieder im Gerichtssaal und schweigt. Ärztliche Gefangenenbetreuer kritisierten frühere Haftbedingungen in Regensdorf.

Von Peter Johannes Meier

Zürich. Vor vollen Zuschauerrängen hat das Zürcher Geschworenengericht am Montag den Prozess gegen Marco Camenisch fortgesetzt. Grund für das Interesse an der Verhandlung dürfte das persönliche Erscheinen Camenischs gewesen sein, obwohl er wie angekündigt keine Fragen beantwortete. Zwischen Schulklassen nahmen auch Sympathisanten des militanten Ökoaktivisten Platz, unter ihnen die aus der Präventivhaft entlassene Linksradikale Andrea Stauffacher.

Vergangene Woche noch hatte sich der Angeklagte mit einem Zeugnis des Gefängnisarztes von der Verhandlung dispensieren lassen wegen Erkältung und Überreizung. Eine anschliessend vom Gericht angeordnete Untersuchung durch das Zürcher Institut für Rechtsmedizin kam aber zum gegenteiligen Schluss. Das ist insofern von geringer Bedeutung, als Camenisch selber angekündigt hatte, dem Prozess diese Woche wieder beizuwohnen. Immerhin: Das Nebengefecht um Gutachten unterstreicht einmal mehr die Bedeutung der ärztlichen Zweitmeinung.

Flucht als Frage der Ehre

Vor den Geschworenen äusserten sich weitere Zeugen im Zusammenhang mit Camenischs Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf 1981. Beim Ausbruch von mehreren Gefangenen wurde ein Aufseher erschossen, ein weiterer schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft macht Camenisch für diese Taten nicht verantwortlich. Doch im weiteren Verlauf der Flucht fielen weitere Schüsse, auch auf eine Aufseherkabine. Getroffen wurde zwar niemand. Weil Camenisch aber spätestens kurz vor dieser Schussabgabe um den Einsatz von Waffen gewusst haben soll, ist er laut Anklage des versuchten Mordes mitschuldig. Der von der Verteidigung geladene Zeuge Berthold Rothschild schilderte seine Eindrücke als damaliger Gefangenenbetreuer der Gruppe unabhängiger Ärzte. Camenisch hatte er dabei nicht kennen gelernt. Die Bedingungen in Regensdorfer Einzel- oder Isolationshaft bezeichnete das ehemalige PdA-Mitglied als Gehirnwäsche, um die Gefangenen madig zu machen. Und für einen politischen Gefangenen sei die Flucht eine Frage der Ehre, ein politischer Auftrag wenn auch nicht um jedem Preis, so der Psychiater unter Verweis auf literarische Beispiele wie den Grafen von Monte Christo. Camenisch befand sich in Regensdorf aber nicht in Isolationshaft.

Als zweiter Zeuge der Verteidigung äusserte sich Ralf Binswanger. Der damalige Psychiater und Oberarzt des gefängnispsychiatrischen Dienstes eine Institution der Gesundheitsdirektion ging noch einen Schritt weiter: Als Gefangener hätte auch ich zu fliehen versucht. Binswanger, ein Sympathisant des marxistischen Revolutionären Aufbaus, schilderte das Dilemma der Ärzte, mehr Valium abzugeben oder für bessere Haftbedingungen zu kämpfen.

Camenisch ohne Waffe

Als Zeuge der Anklage war schliesslich der Bezirksanwalt geladen, der 1982 die Untersuchung gegen zwei geflüchtete Italiener leitete. Er bestätigte, dass Camenischs Aufgabe bei der Flucht darin bestand, eine Türe offen zu halten. Hinweise, dass er bewaffnet gewesen sei, habe es keine gegeben. Im Schuss auf die Aufseherkabine vermochte der Bezirksanwalt anders als der damalige Staatsanwalt und später die Geschworenen keinen versuchten Mord zu erkennen. Die Sicht sei zu schlecht gewesen, um eine Person in der Kabine deutlich zu sehen.

Ab heute Dienstag wird der Mord von 1989 an einem Zöllner in Brusio verhandelt. Marco Camenisch bestreitet die Tat.



20040518 TAo: Aussagen belasten Camenisch

Zürich - Mittwoch, 19. Mai 2004 / 18.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Aussagen belasten Camenisch

Das Zürcher Obergericht während des Prozesses gegen Marco Camenisch.


Die Aussagen von zwei Zeugen haben vor dem Zürcher Geschworenengericht den des Mordes angeklagten Marco Camenisch stark belastet. Zwei Entlastungszeugen stifteten in erster Linie Verwirrung.

Dem 52-jährigen Bündner wird vorgeworfen, am 3. Dezember 1989 in Brusio einen Grenzwächter erschossen zu haben. Der Angeklagte selbst weist diesen Vorwurf entschieden zurück. Da die Tat sehr lange her ist - Camenisch sass in Italien jahrelang im Gefängnis - gestaltet sich die Beweisaufnahme besonders schwierig.
Er habe am Morgen jenes Dezembertages einen Unbekannten bei den Benzinsäulen gesehen, der raschen Schrittes nördlich in Richtung des Dorfes Brusio gegangen sei, sagte einer der Zeugen. Der heute 74-Jährige war damals Inhaber einer Tankstelle in einem etwas südlich von Brusio gelegenen Dorfteil.

Sekunden später erblickte er etwa 100 Meter entfernt den tot am Strassenrand liegenden Grenzwächter. Aus der Nähe sah er, dass die Hand des Toten noch die Dienstpistole umklammert hielt, die noch halb in der Halterung steckte.

Auf einer Vielzahl von Fotos, welche die Polizei ihm am Abend des gleichen Tages vorlegte, habe er zweifelsfrei jenen Unbekannten erkannt, den er am Morgen bei den Benzinsäulen gesehen hatte, sagte der Zeuge: Es stellte sich heraus, dass es Marco Camenisch war.

Am gleichen Morgen hatte der heute 64-jährige Dorfbäcker zwei Schüsse schnell hintereinander knallen hören. Als er aus dem Küchenfenster blickte, sah er in der Dezemberdämmerung einen Mann, der gerade einen dritten Schuss abgab und zwar auf etwas am Boden Liegendes.

Der Bäcker dachte an ein Tier, das angefahren worden war und nun erlegt werde. Erst als er etwas später neugierg hinging, erkannte er einen Menschen: Der tote Grenzwächter hatte eine Verletzung am Kopf.

Mit diesen Aussagen wurde der Angeklagte stark belastet. Sie untermauern die These des Staatsanwalts, dass Camenisch den schon wehrlos am Boden liegenden Grenzwächter mit einem gezielten Schuss getötet habe.

Der Verteidiger bemühte sich am Dienstag, die Zeugen zu verunsichern und die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen zu erschüttern. Dabei kam ihm entgegen, dass sie sich an eigene Aussagen, die sie vor bald 15 Jahren gemacht hatten, nicht mehr genau erinnerten, und dass die heutigen Erinnerungen an die damaligen Beobachtungen von den seinerzeit gemachten Aussagen teilweise abwichen.

Zwei von der Verteidigung aufgebotene Zeugen trugen kaum zur Erhellung der Vorgänge bei - sie stifteten vor allem Verwirrung. Eine heute 76-jährige Bäuerin, die gleich neben dem Tatort wohnt, brachte einen plötzlich auftauchenden unbekannten Italiener ins Spiel.

Ihr damaliger portugiesischer Saisonarbeiter soll die Tat vom Fenster aus beobachtet haben, reiste aber unmittelbar darauf ab und ist heute als Zeuge nicht mehr aufzutreiben. Ein 60-jähriger Mitarbeiter der Kriminalpolizei Graubünden erwies sich zwar als Kenner der lokalen Schmugglerpfade, konnte aber zum Fall selbst kaum Konkretes beitragen.

In dem auf insgesamt vier Wochen angelegten Prozess werden 80 Zeuginnen und Zeugen befragt beziehungsweise deren frühere Aussagen verlesen. Das Urteil des Geschworenengerichts ist auf den 4. Juni vorgesehen. (mu/sda)

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Zürich Dienstag, 18. Mai 2004 / 11:03 -- Tages-Anzeiger Online

Zeuge zu Mord an Grenzwächter

Das Zürcher Obergericht während dem Prozess gegen Marco Camenisch.

Heute sagte der Bäcker von Brusio und Poschiavo im Prozess gegen Marco Camenisch aus. Er schilderte die Vorgänge um den Grenzwächtermord, so wie er sie am 3. Dezember 1989 wahrgenommen haben will.

Der 64-jährige Zeuge erzählt, wie er an jenem Morgen in der Küche gefrühstückt habe. Da hätten rasch hintereinander Schüsse geknallt. Bei einem Blick aus dem Fenster habe er etwas am Boden liegen sehen. Daneben einen Mann, der soeben einen dritten Schuss auf das Ding abgab.
In der Meinung, jemand habe ein angefahrenes Tier erlegt, habe er dem Vorfall vorerst keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Erst als er später hin ging, habe er gesehen, dass dort ein toter Mensch lag - der Uniform nach ein Grenzwächter - mit einer Verletzung am Kopf, sagte der Zeuge aus.

In der zweiten Prozesswoche vor dem Zürcher Geschworenengericht geht es um den Anklagepunkt Mord. Der Staatsanwalt wirft Camenisch vor, am 3. Dezember 1989 in Brusio auf der Flucht einen Grenzwächter erschossen zu haben. Der Prozess dauert noch knapp drei Wochen, das Urteil soll am 4. Juni gefällt werden. (ben/sda)


20040519 Blicko: Schlinge um Camenischs Hals zieht sich weiter zu

Artikel vom 19. Mai 2004, 15:18 Uhr / Quelle: Blick Online

[foto] Streitet den Mord am Grenzwachtbeamten nach wie vor ab: Marco Camenisch vor Gericht.
BILD: KEYSTONE


Schlinge um Camenischs Hals zieht sich weiter zu


ZÜRICH Für den Öko-Terroristen Marco Camenisch wird es immer ungemütlicher. Schon wieder haben ihn zwei Zeugen schwer belastet.

Der eine ist ein heute 33-jähriger Portugiese. Er arbeitete in Brusio GR als Saisonarbeiter, als damals am 3. Dezember 1989 ein Grenzwächter mit drei Schüssen getötet wurde. Es war sein letzter Tag in dem Bündner Bergdorf. Das Flugticket nach Hause hatte er in der Tasche, die Koffer waren gepackt.
Durchs Fenster des Badezimmers, aus 10 bis 15 Metern Entfernung, beobachtete er nach eigenen Aussagen einen uniformierten Grenzwächter, der hinter einem unbekannten bärtigen Mann herging, ihm auf die Schulter tippte und offenbar den Ausweis verlangte.

Der andere drehte sich um, griff in den Mantel und holte etwas heraus, das er dem Grenzwächter an den Kopf hielt. Dann peitschten rasch hintereinander zwei Schüsse. Der Grenzwächter sackte zusammen, bewegte sich aber noch.

In Panik verliess der junge Mann am Fenster seinen Beobachtungsposten und reiste überstürzt zum Flughafen und nach Hause, wo er erst einmal einige Monate blieb. Erst im Juni 1990 wurde er polizeilich befragt. In einer Auswahl von Fotos, welche ihm die Polizei vorlegte, erkannte er ein Porträt, das just dem Schützen glich, so die Aussage. Es war ein Bild von Marco Camenisch.

Laut einer zweiten verlesenen Aussage hat ein weiterer Zeuge, ein damals 50-jähriger Maurer aus Brusio, Marco Camenisch an jenem Sonntagmorgen im Dorf gesehen. Der Zeuge erzählt, dass er gerade aus dem Haus gekommen sei, um im nahen italienischen Städtchen Tirana zur Messe zu gehen, als er einem unbekannten Mann begegnete. Auf seinen Gruss habe dieser zurückgegrüsst.

Als der Maurer später am Tag aus Italien zurückkam und polizeilich befragt wurde, erkannte er auf einem Foto den Unbekannten wieder Marco Camenisch.

Der Angeklagte selber streitet den Mord ab. Ein Urteil wird auf den 4. Juni erwartet.



20040519 NZZ: Schüsse in der Morgendämmerung - Erste Aussagen von Zeugen im Mordfall Brusio

19. Mai 2004, 02:29, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich

Schüsse in der Morgendämmerung
Erste Aussagen von Zeugen im Mordfall Brusio

Im Prozess gegen Marco Camenisch ist am Dienstag erstmals über den Mord am Grenzwächter Kurt Moser verhandelt worden. Drei Anwohner erzählten am Geschworenengericht in Zürich, wie sie 1989 die Tötung in Brusio (GR) mitbekommen hatten.


-yr. Zu den Aufgaben eines Verteidigers an einem Geschworenengericht gehört es, einerseits die Belastungszeugen zu verunsichern und anderseits Zweifel bei den Geschworenen zu streuen. Dies ist Bernard Rambert, dem Verteidiger von Marco Camenisch, unterschiedlich gut gelungen, als am Dienstag am Geschworenengericht in Zürich erstmals über den Mord am 36-jährigen Grenzwächter Kurt Moser verhandelt wurde. Als Zeugen angehört wurden zuerst zwei Anwohner und eine Anwohnerin, die in der Nähe des Tatortes waren, als Moser am 3. Dezember 1989 kurz vor 7 Uhr 45 auf offener Strasse mit drei Schüssen getötet wurde. Trotz Ramberts Strategie der Verunsicherung und obwohl keiner der drei Zeugen Camenisch wirklich gesehen hatte, entstand gesamthaft ein Bild, das den 52-jährigen Angeklagten erheblich belastet.

Seltsame Vorfälle

Ein heute 64-jähriger Bäcker erzählte, wie er an jenem Sonntagmorgen beim Zubereiten des Frühstücks kurz hintereinander zwei Schüsse gehört hatte. Als er aus dem Küchenfenster blickte, sah er im dämmrigen Licht, wie ein Mann in rund hundert Metern Entfernung mit einem Fuss gegen etwas Lebloses trat und danach einen dritten Schuss abgab. Der Bäcker machte sich weiter keine Gedanken, weil er zuerst glaubte, sein Cousin habe einem Tier den Gnadenschuss gegeben, das zuvor von einem Auto angefahren worden war. Erst später merkte er, dass es sich beim leblosen Körper um einen Grenzwächter handelte.

Der erwähnte Cousin, der an derselben Strasse eine Garage und eine Tankstelle führte, hörte keine Schüsse, sah aber kurz nach der Tatzeit einen jungen Mann in rund vierzig Metern Entfernung um sein Haus schleichen. Als der heute 72-Jährige Nachschau hielt, beobachtete er, wie sich der Unbekannte raschen Schrittes entfernte. Wenige Stunden später identifizierte er aus einer Vielzahl von Fotos, die ihm die Polizei vorhielt - laut Angaben des Zeugen waren es zwischen fünfzig und hundert - Marco Camenisch als den Unbekannten. Der Verteidiger hielt dem Zeugen vor, er habe Camenisch aufgrund der Fahndungsfotos sowieso schon gekannt und sein Mandant sei zum Zeitpunkt der Gegenüberstellung im Dorf schon längst als Tatverdächtiger im Gespräch gewesen.

Die Aussagen einer dritten Anwohnerin schliesslich dienten höchstens dazu, einen sehr vagen Verdacht auf eine mögliche Dritttäterschaft zu lenken: Die 76-jährige Bäuerin erzählte, wie ein portugiesischer Hilfsarbeiter, der zwei Jahre auf ihrem Hof gearbeitet hatte, an jenem Sonntagmorgen in die Heimat reiste und danach nicht mehr zurückkam.

Zuletzt wurde ein Angehöriger der Kantonspolizei Graubünden einvernommen - erstaunlicherweise als Zeuge der Verteidigung. Der heute 60-jährige Kriminalpolizist sagte, er sei ein guter Kollege von Marco Camenischs Vater gewesen, weil sie als Grenzwächter beziehungsweise Kantonspolizist eng zusammengearbeitet hätten. Kurz nach dem Tötungsdelikt wurde er als Kenner des Puschlavs und von dessen italienischsprachiger Bevölkerung vor allem für Einvernahmen beigezogen. Später führte er immer wieder Verhandlungen mit der italienischen Polizei, wobei es den Anschein machte, dass er dabei den Dienstweg nicht immer ganz korrekt einhielt. Nur ein klein wenig auf italienischem Boden habe er sich befunden, sagte er einmal, verweigerte bei der entsprechenden Nachfrage aber die Auskunft.

Tatwaffe sichergestellt?

Auf korrektem Weg in die Schweiz gelangt sei aber die mutmassliche Tatwaffe, sagte der Bündner Kantonspolizist, nämlich aufgrund eines Rechtshilfegesuchs, das über das Bundesamt für Polizei abgewickelt wurde. Diese Waffe, die laut Angaben des Zeugen bei der Festnahme Camenischs 1991 in der Toskana sichergestellt wurde, wird im weiteren Prozessverlauf voraussichtlich noch eine entscheidende Rolle spielen.

Und wie hat Marco Camenisch den siebten Verhandlungstag verfolgt? In erster Linie wirkte der Bündner wach und aufmerksam. Zwischendurch feixte er mit den Belastungszeugen, alles ältere Leute, die in einer mehrstündigen Autofahrt vom Puschlav nach Zürich gereist waren. Daneben fiel der wieder gesund wirkende Angeklagte durch das wilde, mehrstündige Kauen eines Kaugummis auf. Eigentliche Aussagen machte er keine. Aber verkneifen konnte er es sich nicht, dem Übersetzer das neuitalienische Wort für Phantombild zuzuflüstern - disegno identikit.


20040519 TA: Camenisch beim Tatort gesehen

Tages-Anzeiger vom 19.05.2004

Camenisch beim Tatort gesehen

Nach dem Zöllnermord 1989 soll sich Marco Camenisch unweit des Tatorts bei Brusio aufgehalten haben.

Von Peter Johannes Meier

Zürich. - Ein Tankwart und ein Bäcker belasten den Ökoaktivisten Marco Camenisch. Die beiden Cousins wohnen in der Nähe des Tatorts bei Brusio GR, wo am 3. Dezember 1989 ein Grenzwächter erschossen wurde. Gestern machten die Einheimischen ihre Aussagen vor dem Zürcher Geschworenengericht.

Der heute 74-jährige pensionierte Tankwart will von seiner Küche aus gesehen haben, wie am Morgen der Tat ein Mann an der gegenüberliegenden Tankstelle vorbeieilte. Als die Polizei dem Tankwart am gleichen Tag diverse Fahndungsbilder ohne Namen vorlegte, erkannte er in einem Foto den ihm angeblich unbekannten Mann. Es war das Bild von Marco Camenisch, der als Jugendlicher selber in Brusio wohnte, nach Anschlägen auf Strommasten und der Flucht aus der Strafanstalt Regensdorf (TA vom Dienstag) aber zur Fahndung ausgeschrieben war.

Der heute 64-jährige Dorfbäcker sass an diesem Morgen ebenfalls vor seinem Küchenfenster. Plötzlich hörte er Schüsse: zwei kurz nacheinander, ein dritter Sekunden später. In etwa 120 Meter Entfernung will er eine Person gesehen haben, die den dritten Schuss auf eine am Boden liegende Masse abfeuerte. Ich dachte, mein Cousin hat ein Tier erlegt, sagte der Bäcker. Er beendete sein Frühstück, bevor er draussen nachschaute - und die Masse als den toten Grenzwächter erkannte. Die Schilderung des Bäckers stützt den Mordvorwurf, weil der Zöllner bei der Abgabe des dritten Schusses offenbar bereits wehrlos am Boden lag.

Unbekannter Italiener

Verteidiger Bernard Rambert versuchte, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu kratzen, indem er Widersprüche in deren Aussagen aufdeckte. So hatte der Tankwart bei der Polizei noch ausgesagt, der unbekannte Mann habe die ihm zugewandte Gesichtshälfte mit einer Hand bedeckt gehalten. Darum konnte der Zeuge auch nicht sagen, ob der Mann einen Bart trage. Wenige Stunden später aber identifizierte der Tankwart den Mann als Camenisch - dessen Fahndungsfoto war zu jener Zeit aus den Medien bekannt. Und warum wurde mit Hilfe des Tankwarts ein Robot-Fahndungsbild erstellt, obwohl er die Person identifizieren konnte? An der Herstellung des Robot-Bildes waren offenbar auch italienische Carabinieri beteiligt. Der Verteidiger sagte es zwar nicht - die Frage stand jedoch im Raum: Wurde dem Zeugen bei der Identifizierung Camenischs nachgeholfen?

Der Auftritt von zwei Zeugen der Verteidigung am Nachmittag konnte Camenisch zwar nicht direkt entlasten, warf aber Fragen zu den Ermittlungen auf und schaffte etwas Verunsicherung. So brachte eine 76-jährige Bäuerin - auch sie wohnt unweit des Tatorts - einen bis heute nicht identifizierten Italiener ins Spiel, der den ermordeten Zöllner als Erster entdeckt haben soll. Der zweite Zeuge, ein Bündner Polizeifahnder, gab zu, sich auch mal als Freund der Familie ausgegeben zu haben - in der Hoffnung, Marco Camenisch im Gefängnis verhören zu können.



20040521 TA: Trug Marco Camenisch einen falschen Bart?

Tages-Anzeiger vom 21.05.2004

Trug Marco Camenisch einen falschen Bart?

Ein Saisonnier hat den Zöllnermord von Brusio beobachtet. Er identifizierte einen bärtigen Mann als möglichen Täter: Marco Camenisch.

Von Peter Johannes Meier

Zürich. Der 33-jährige Portugiese hatte das Flugticket bereits in der Tasche, sein Vertrag als Saisonnier bei einer Bauernfamilie in Brusio war abgelaufen. Am Morgen des 3. Dezember 1989 bereitete er sich für die Abreise vor und wurde Augenzeuge des Mordes am Zöllner Kurt Moser.

Durch das Fenster im Badezimmer beobachtete er in rund 20 Meter Entfernung, wie der Grenzwächter sein Auto anhielt, ausstieg und auf einen bärtigen Fussgänger zuging, offenbar um diesen zu kontrollieren. Als ihm der Zöllner auf die Schulter tippte, drehte sich der Bärtige um und nahm einen Gegenstand aus seiner Manteltasche ein Ausweis war es nicht. Der Unbekannte hielt dem Zöllner einen dunklen Gegenstand an den Kopf. Dann hörte der Zeuge mehrere Schüsse, der Grenzwächter sackte zusammen und der Mann mit Bart ergriff die Flucht. Die Schilderung des Portugiesen wurde am Mittwoch vor dem Zürcher Geschworenengericht verlesen.

Nach der Tat war der Zeuge offenbar in Panik geraten und trat seine Reise an, ohne sich zuvor bei der Polizei zu melden. Erst ein halbes Jahr nach der Tat, als er im Juni 1990 wieder in der Schweiz arbeitete, konnte er zum ersten Mal befragt werden. Auf Polizeifotos identifizierte er damals einen bärtigen Mann, der dem Täter stark gleicht. Es war ein Foto von Camenisch. Auch ein 50-jähriger Maurer will am Morgen der Tat einem Mann mit einem mächtigen Bart bis zur Mitte der Brust auf der Strasse in Brusio gesehen haben.

Ohne Bart beim Pfarrer

Camenisch hat nie bestritten, an jenem Sonntag in Brusio gewesen zu sein. Er wolle das Grab seines verstorbenen Vaters besuchen, soll er damals dem reformierten Pfarrer gesagt haben. In dessen Haus verbrachte er nach der Tatzeit viele Stunden. Der Pfarrer selbst hatte erst nach dem Gottesdienst vom Mord im Dorf erfahren. Seine Aussagen wurden am Mittwoch ebenfalls verlesen.

Im Unterschied zu allen bisherigen Zeugen beschreibt der Pfarrer Camenisch in einem wichtigen Punkt anders: Er soll keinen Bart getragen haben. War also der vom Portugiesen beobachtete Täter doch nicht Camenisch? Hatte er sich inzwischen rasiert? Oder war der mächtige Bart nur angeklebte Tarnung? Immerhin wurde Camenisch wegen seiner Anschläge auf Strommasten und nach der Flucht aus Regensdorf gesucht. Doch warum ein Bart, wenn er doch bereits auf Fahndungsfotos mit Bart abgelichtet war?

Aber auch der Pfarrer machte belastende Aussagen: Camenisch habe jemanden getötet, um nicht selber getötet zu werden, soll ihm der militante Ökoaktivist an jenem Sonntag gesagt haben. Und dass er sich mit der Gesellschaft im Krieg befände. Mit dem Mord im Dorf dagegen habe er aber nichts zu tun, habe ihm Camenisch versichert. Der Pfarrer fuhr ihn am Abend aus dem Dorf in Richtung Poschiavo. Von dort aus setzte sich Camenisch offenbar nach Italien ab.

Der Pfarrer wurde für die Beherbergung Camenischs wegen Begünstigung mit zwei Monaten auf Bewährung bestraft. Doch das Bundesgericht hob das Urteil wieder auf: Eine Begünstigung umfasse doch mehr als eine Mahlzeit und einige Stunden Aufenthalt. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.



20040524 20min: Tatwaffe identifiziert

20min

Camensich-Prozess: Tatwaffe identifiziert

Mit einer der beiden Waffen, die Marco Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien auf sich trug, ist am 3. Dezember 1989 in Brusio GR ein Grenzwächter erschossen worden. Der Tat beschuldigt wird Camenisch.

Neben einer Pistole wurde bei Camenisch ein Revolver - Marke Renato Gamba, Kaliber .38 spezial - sichergestellt. Laut Schusswaffenexperten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich und der Universität Lausanne stammen die in Brusio gefundenen drei Projektile aus dieser Waffe. Ein winziges Projektilteil konnte nicht definitiv zugeordnet werden.

Vor dem Zürcher Geschworenengericht sagten am Montag mehrere Experten aus. Staatsanwalt Ulrich Weder ging es bei der Befragung der Zeugen nach eigenen Worten vor allem darum, klarzustellen, dass die analysierten Projektile tatsächlich jene waren, die in Brusio bei und in der Leiche des Grenzwächters gefunden wurden.

Verteidiger Bernard Rambert versuchte, bei den Geschworenen Zweifel an der Identität der Projektile zu säen. Auf wiederholtes Nachbohren räumte denn auch einer der Experten ein, es sei tatsächlich wissenschaftlich schwierig auszuschliessen, dass es sich bei den analysierten Projektilen um andere handeln könnte, als in Italien untersucht worden waren.

Laut einem seiner Kollegen allerdings wäre es schon ein Riesenzufall, wenn vier Projektile, die bis auf das Hundertstelgramm genau gleich viel wiegen, nicht dieselben wären.

Unverständliche Sorglosigkeit

Immerhin wies der Verteidiger auf eine unverständliche Sorglosigkeit der Bündner Behörden hin. Sie hätten die Projektile - wichtige Beweisstücke - teils per Post zu den Untersuchungen geschickt - und dies erst noch ohne Einschreiben, erklärte er. Die befragten Fachleute erklärten, meist würden solche Objekte persönlich überbracht.

Marco Camenisch steht seit zwei Wochen vor dem Zürcher Geschworenengericht. Die Anklage lautet auf Mord eines 36-jährigen Grenzwächters 1989 in Brusio und des Mordversuchs im Zusammenhang mit einem gewaltsamen Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen aus der damaligen Zürcher Strafanstalt Regensdorf 1981.

Camenisch hat die Verantwortung für den Mord zurückgewiesen. Im Übrigen verweigert er jede Aussage. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet.


Quelle: SDA
Publiziert am: 24. Mai 2004 17:29



20040524 Blicko: Camenischs Revolver ist Tatwaffe

Artikel vom 24. Mai 2004, 17:45 Uhr / Quelle: Blick Online


Verweigert nach wie vor jede Aussage: Marco Camenisch (im roten Pullover) vor Gericht.
BILD: KEYSTONE


Camenischs Revolver ist Tatwaffe

ZÜRICH Öko-Terrorist Marco Camenisch will nichts mit dem Grenzer-Mord von Brusio zu tun haben. Die tödlichen Schüsse wurden jedoch aus seinem Revolver abgegeben.

Als Camenisch im November 1991 in der Toskana verhaftet wurde, fanden die Carabinieri bei ihm eine Pistole sowie einen Revolver der Marke Renato Gamba. Mit diesem wurde laut Experten der Stapo Zürich sowie der Uni Lausanne 1989 im bündnerischen Brusio erschossen. Dies bestätigten die Wissenschafter heute beim Prozess gegen Marco Camenisch.
Dieser streitet nach wie vor alles ab. Als die Waffe den Geschworenen gezeigt wurde, bedeckte Camenisch sein Gesicht mit einer Hand. Er verweigerte auch heute jede Aussage.

Camenisch hatte jedoch am Morgen eine kurze Erklärung abgegeben. Er beklagte sich unter anderem über die Haftbedingungen im Zürcher Flughafengefängnis und kritisierte, dass er im Verfahren als Simulant hingestellt und von einem Bündner Polizeibeamten geduzt worden sei.



20040524 TAo: Camenisch schwer belastet

Schweiz Dienstag, 25. Mai 2004 / 24.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Camenisch schwer belastet

Im Prozess um die Ermordung eines Zöllners ist Ökoaktivist Marco Camenisch schwer belastet worden. Die tödlichen Projektile stammen aus einer der beiden Waffen, die er bei seiner Verhaftung auf sich trug.


Neben einer Pistole wurde bei Camenisch ein Revolver sichergestellt. Laut Schusswaffenexperten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich und der Universität Lausanne stammen die in Brusio gefundenen drei Projektile aus dieser Waffe. Ein winziges Projektilteil konnte nicht definitiv zugeordnet werden.
Vor dem Zürcher Geschworenengericht haben heute mehrere Experten ausgesagt. Staatsanwalt Ulrich Weder ging es bei der Befragung der Zeugen nach eigenen Worten vor allem darum, klarzustellen, dass die analysierten Projektile tatsächlich jene waren, die in Brusio bei und in der Leiche des Grenzwächters gefunden wurden.

Verteidiger Bernard Rambert versuchte, bei den Geschworenen Zweifel an der Identität der Projektile zu säen. Auf wiederholtes Nachbohren räumte denn auch einer der Experten ein, es sei tatsächlich wissenschaftlich schwierig auszuschliessen, dass es sich bei den analysierten Projektilen um andere handeln könnte, als in Italien untersucht worden waren.

Laut einem seiner Kollegen allerdings wäre es schon ein Riesenzufall, wenn vier Projektile, die bis auf das Hundertstelgramm genau gleich viel wiegen, nicht dieselben wären.

Immerhin wies der Verteidiger auf eine unverständliche Sorglosigkeit der Bündner Behörden hin. Sie hätten die Projektile - wichtige Beweisstücke - teils per Post zu den Untersuchungen geschickt - und dies erst noch ohne Einschreiben, erklärte er. Die befragten Fachleute erklärten, meist würden solche Objekte persönlich überbracht.

Marco Camenisch steht seit zwei Wochen vor dem Zürcher Geschworenengericht. Die Anklage lautet auf Mord eines 36-jährigen Grenzwächters 1989 in Brusio und des Mordversuchs im Zusammenhang mit einem gewaltsamen Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen aus der damaligen Zürcher Strafanstalt Regensdorf 1981.

Camenisch hat die Verantwortung für den Mord zurückgewiesen. Im Übrigen verweigert er jede Aussage. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet. (nab/sda)



20040525 BaZ: Camenisch ist in Bedrängnis / Die Tatwaffe ist identifiziert

BaZ Erschienen am: 25.05.2004

Camenisch ist in Bedrängnis

Zürich. BaZ. Im Mordprozess gegen den Bündner Marco Camenisch haben Waffenexperten die Übereinstimmung der Tatmunition von Brusio und einem bei der Verhaftung von Camenisch sichergestellten Revolver bestätigt. Waffenexperten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) der Stadtpolizei Zürich ordneten vor dem Zürcher Geschworenengericht die drei Projektile, die in der Leiche des am 3. Dezember 1989 in Brusio getöteten Grenzwächters gefunden worden waren, einwandfrei einem Revolver der Marke Renato Gamba vom Kaliber 38 zu. Dieser wurde im November 1991 bei Camenischs Verhaftung in der Toskana sichergestellt.


Experten des Polizeiwissenschaftlichen Instituts der Universität Lausanne konnten allerdings nicht mit letzter Sicherheit klären, ob sie und der WD dieselben Geschosse untersucht hatten wie ein Spezialdienst der italienischen Polizei in Rom im Jahr 1990.

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BaZ Erschienen am: 25.05.2004

Fall Camenisch: Die Tatwaffe ist identifiziert

Zürich. SDA. Mit einer der beiden Waffen, die der des Mordes angeklagte Bündner Marco Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien auf sich trug, ist am 3. Dezember 1989 in Brusio (GR) ein Grenzwächter erschossen worden. Der Tat beschuldigt wird Camenisch. Neben einer Pistole wurde bei Camenisch ein Revolver - Marke Renato Gamba, Kaliber 38 spezial - sichergestellt. Laut Schusswaffenexperten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) der Stadtpolizei Zürich und der Universität Lausanne stammen die in Brusio gefundenen drei Projektile aus dieser Waffe. Ein winziges Projektilteil konnte nicht definitiv zugeordnet werden.


Vor dem Zürcher Geschworenengericht sagten gestern Montag mehrere Experten aus. Staatsanwalt Ulrich Weder ging es bei der Befragung der Zeugen nach eigenen Worten vor allem darum, klarzustellen, dass die analysierten Projektile tatsächlich jene waren, die in Brusio bei und in der Leiche des Grenzwächters gefunden wurden. Verteidiger Bernard Rambert versuchte, bei den Geschworenen Zweifel an der Identität der Projektile zu säen. Auf wiederholtes Nachbohren räumte denn auch einer der Experten ein, es sei tatsächlich wissenschaftlich schwierig auszuschliessen, dass es sich bei den analysierten Projektilen um andere handeln könnte, als in Italien untersucht worden waren.
Camenisch steht seit zwei Wochen vor dem Zürcher Geschworenengericht. Die Anklage lautet auf Mord an einem 36-jährigen Grenzwächter 1989 in Brusio und Mordversuch im Zusammenhang mit einem gewaltsamen Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen aus der Strafanstalt Regensdorf 1981.


20040525 BaZ: Pfarrhaus nicht zufällig gewählt

BaZ 25.05.04

Camenisch: Pfarrhaus nicht zufällig gewählt

Zürich. SDA/BaZ. Marco Camenisch hat nicht zufällig am Morgen des 3. Dezember 1989 im reformierten Pfarrhaus von Brusio GR Einlass gefordert. Er hatte die Pfarrersfrau einige Wochen zuvor als Vertraute seiner Mutter kennengelernt.
Gemäss den am Dienstag vor dem Zürcher Geschworenengericht verlesenen Einvernahmeprotokollen hatte die inzwischen verstorbene Pfarrersfrau Mutter Camenisch Mitte Oktober, kurz nach dem Tod von deren Mann, in einen Ort im grenznahen Norditalien gefahren.

In einer Bar erwartete sie einen Telefonanruf ihres Sohnes Marco, der seit seinem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf 1981 auf der Flucht war. Statt anzurufen, kam er gleich selbst.

Eingeschüchtert

Am Morgen des Sonntags, 3. Dezember 1989, forderte Marco Camenisch Einlass im Pfarrhaus. Den ganzen Tag blieb er dort - gegen den Willen der eingeschüchterten Pfarrersleute, die erst am Vormittags erfuhren, dass wenige Stunden zuvor in einem etwas ausserhalb gelegenen Dorfteil von Brusio ein Grenzwächter erschossen worden war.

Im Laufe des Nachmittags habe das Verhalten Marco Camenischs sie immer mehr davon überzeugt, dass er der Täter sei. Aus falscher Rücksicht auf seine Mutter habe sie die Polizei auch dann nicht verständigt, als sich Camenisch am Abend zu einem Hotel hatte chauffieren lassen, sagte die Pfarrersfrau.

Dass Camenisch sich in den Wochen vor der Tat schon in der Gegend aufgehalten habe, bestätigte eine andere verlesene Zeugenaussage. Ein damals selbst flüchtiger Tresorknacker wollte ihn mehrmals in Norditalien und im Gebiet der Grünen Grenze gesehen haben.

Gesamtzusammenhang bis heute

In einen Gesamtzusammenhang von seiner Jugend bis heute stellte der Autor Silvio Huonder die (tatsächlichen und vermuteten) Taten des 52-jährigen Camenisch. Seine Generation habe Utopien für eine Veränderung der Welt entwickelt. Der 50-jährige Huonder, der in den 70-er Jahren wie Camenisch in Chur lebte, hat über den Werdegang des Angeklagten einen Dokumentarfilm gedreht.

Die Sprengstoffanschläge von 1979 auf Elektroeinrichtungen im Kanton Graubünden seien zwar illegal gewesen, hätten aber ins seinerzeitige Gesamtbild gepasst. Eine Mehrheit unserer Generation habe sie damals - zumindest heimlich - gutgeheissen. Das Strafmass von zehn Jahren Zuchthaus liess jede Relation vermissen, sagte Huonder.

Marco Camenisch steht seit dem 10. Mai wegen Mordes und Mordversuchs vor dem Zürcher Geschworenengericht. Die Anklage Mordversuch steht im Zusammenhang mit dem Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf, bei der ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt wurde.

Der Hauptanklagepunkt lautet auf Mord an einem 36-jährigen Grenzwächter am 3. Dezember 1989 in Brusio GR. Camenisch erklärte sich zu Anfang der Verhandlungen als nicht verantwortlich für diese Tat. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet.



20040525 NZZ: Kurt Moser mit Camenischs Waffe erschossen

25. Mai 2004, 02:25, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Kurt Moser mit Camenischs Waffe erschossen

Angeklagter durch ballistisches Gutachten schwer belastet

Im Mordprozess gegen Marco Camenisch wird es für den 52-jährigen Angeklagten immer enger. Ein ballistisches Gutachten, das am Montag am Geschworenengericht erläutert worden ist, ergab, dass die tödlichen Schüsse auf den Grenzwächter Kurt Moser 1989 in Brusio (GR) aus einem Revolver abgegeben worden waren, der zwei Jahre später bei der Verhaftung Camenischs in Italien sichergestellt wurde.


-yr. Als ein Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) der Stadtpolizei Zürich am Montag vor dem Geschworenengericht aus einem Aktenkoffer die mutmassliche Tatwaffe auspackte, vergrub der Angeklagte Marco Camenisch für eine Weile sein Gesicht in den Händen. Er sah deshalb den schwarzen Revolver der Marke Renato Gamba, Kaliber .38 Spezial, Modell Trident Vigilantes nicht, der in einem ballistischen Gutachten als Tatwaffe bei der Tötung des Grenzwächters Kurt Moser 1989 in Brusio (GR) identifiziert worden war. Genaugenommen kommen die Gutachter zum Schluss, dass drei Projektile, die im oder neben dem Körper des getöteten Grenzwächters gefunden wurden, aus dem besagten Revolver abgefeuert worden waren.

Gutachten lässt keine Zweifel offen

Dass der Revolver, den Marco Camenisch bei seiner Verhaftung Anfang November 1991 in der Toskana auf sich trug, die Tatwaffe von Brusio ist, wissen die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung erst seit Ende März 2003. Damals legte der WD seinen Schlussbericht des ballistischen Gutachtens vor. Damit nahm das Strafverfahren gegen Marco Camenisch eine entscheidende Wende, und auch im seit zwei Wochen laufenden Indizienprozess spielt die Zuweisung der Tatwaffe für die Urteilsbildung eine zentrale Rolle. Sich dieser Bedeutung bewusst, liess Staatsanwalt Ulrich Weder am Montag die Gutachter während mehr als zweier Stunden jedes noch so kleine Detail erläutern, das bei den Geschworenen einen Hauch von Unsicherheit hätte auslösen können.

Zudem wurde beim Institut de police scientifique et de criminologie der Universität Lausanne ein Zweitgutachten in Auftrag gegeben. Darin bestätigen die welschen Kriminologen die Erkenntnisse ihrer Zürcher Kollegen und bezeichnen das Resultat als nachvollziehbar und zutreffend. Dass der untersuchte Revolver als Tatwaffe identifiziert werden konnte, hängt damit zusammen, dass sich bei jeder Waffe individuelle Spuren im Inneren des Laufes auf das abgeschossene Projektil übertragen. Diese Spuren in Form von winzigen Rillen werden mit einem Projektil verglichen, das versuchshalber aus der untersuchten Waffe abgefeuert wurde. Diese aufwendigen, mit einem Mikroskop vorgenommenen Vergleiche ergaben bei drei Projektilen Übereinstimmung. Einzig ein viertes, viel kleineres und stark deformiertes Projektil-Teilchen konnte nicht einwandfrei dem untersuchten Revolver zugeordnet werden.

Anwaltschaftlicher Notausgang

Derart in die Enge gedrängt, blieb dem Verteidiger Camenischs nur mehr der anwaltschaftliche Notausgang. Bernard Rambert stellte in Frage, dass es sich bei den untersuchten Projektilen tatsächlich um die Munition handelt, die 1989 in Brusio bei der Tötung von Kurt Moser verwendet worden war. Seine Zweifel stützte er insbesondere darauf, dass die Munition während 15 Jahren mehrmals zwischen Chur, Zürich, Rom und Massa in der Toskana hin und her transportiert worden war. Zumeist geschah dies mit einem von Polizisten vorgenommenen persönlichen Transport, manchmal aber auch herkömmlich mittels Paketpost, ohne dass die brisante Sendung eingeschrieben worden wäre. Im Weiteren bemängelte Rambert, dass die involvierten Polizeistellen untereinander verhandelten, ohne ein internationales Rechtshilfegesuch beim Bundesamt für Polizei eingereicht zu haben.

Dass es sich bei den untersuchten Projektilen tatsächlich um jene von Brusio handle, könne wissenschaftlich tatsächlich nicht abschliessend bewiesen werden, sagte ein Gutachter. Ein anderer fügte aber an, dass es äusserst unwahrscheinlich sei, dass es drei Projektile und ein Projektil- Teilchen gebe, die alle auf das Hundertstel Gramm gleich schwer seien wie jene von Brusio. - Am Dienstag wird die Verhandlung fortgesetzt mit Zeugen aus dem Umfeld Marco Camenischs, unter anderen seiner Mutter.


20040525 TA: Camenisch mit Tatwaffe verhaftet

Tages-Anzeiger vom 25.05.2004

Camenisch mit Tatwaffe verhaftet

Experten haben die Tatwaffe von Brusio identifiziert: einen Revolver, der bei Marco Camenisch beschlagnahmt wurde.

Von Peter Johannes Meier

Zürich. Man kennt die Regel aus jedem Krimi: Der Mörder muss die Waffe möglichst schnell beiseite schaffen. Das Beweismittel auf sich zu tragen, wäre schlicht dumm.

Doch folgt man den Erkenntnissen von einem halben Dutzend Waffenexperten, die gestern vor dem Zürcher Obergericht aussagten, hat Marco Camenisch gegen diese Regel verstossen. Er konnte sich nach der Ermordung eines Grenzwächters 1989 in Brusio offenbar nicht von seinem Revolver trennen. Fühlte er sich zu sicher? Oder war es ihm schlicht egal, schliesslich befand er sich im Krieg mit der Gesellschaft? Fragen, auf die es keine Antwort geben wird, solange Camenisch schweigt.

Was die Ballistiker gestern ausführten, lässt sich einfach zusammenfassen: Die Tatwaffe von Brusio ist identisch mit dem Revolver der Marke Renato Gamba, den Camenisch bei seiner Verhaftung in Italien 1991 auf sich trug.

Im Auftrag der Zürcher Staatsanwaltschaft analysierte der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich die Spuren auf den am Tatort und in der Leiche gefundenen Geschossen. Zudem wurde in Zürich mit der bei Camenisch gefundenen Waffe in einen Wattekanal geschossen. Resultat: Auf allen Projektilen fanden sich die praktisch gleichen Markierungen.

Camenischs Verteidiger liess Waffe und Projektile zusätzlich vom Polizeiwissenschaftlichen Dienst an der Universität Lausanne untersuchen. Doch die Westschweizer Experten kamen zum selben Ergebnis.

Schlampige Polizeiarbeit

Dennoch förderten die Fragen des Verteidigers zahlreiche Ungereimtheiten und geradezu peinliche Mängel bei der polizeilichen Arbeit zu Tage. So konnten die Experten nicht mit letzter Sicherheit bestätigen, dass sie die gleichen Geschosse untersucht hatten wie 1990 ihre italienischen Kollegen. So waren die Projektile von der Bündner Polizei leichtfertig und offenbar unter Umgehung internationaler Rechtshilferegeln nach Italien versandt worden, ohne zuvor fotografiert zu werden.

Auch Schweizer Amtsstellen hatten die Geschosse per Post erhalten, verpackt in unversiegelten Plastiktütchen. Wann die Beweismittel jeweils wieder bei der Bündner Polizei eintrafen, ist heute nicht mehr nachvollziehbar eine klare Eingangskontrolle fehlte. Und die Geschosse wurden selbst dann noch in Chur gelagert, als bereits die Zürcher Behörden für die Untersuchung zuständig waren. Zu guter Letzt sind in Chur Spurenmaterial vom Tatort und Untersuchungsbelege vernichtet worden.

Ungereimtheiten gibt es aber auch auf Expertenebene: So kamen die italienischen Ballistiker zum Schluss, nur eines von drei Projektilen weise Spuren für einen Linksdrall auf, die beiden anderen deuteten auf Rechtsdrall hin. Die Schweizer Experten diagnostizierten dagegen Linksdrall für alle Geschosse. Nach Ansicht der Schweizer Ballistiker ist aber das gleiche Gewicht der jeweils untersuchten Geschosse ein starkes Indiz dafür, dass es sich immer um die gleichen Projektile gehandelt habe.

Ungereimtheiten beim Befund und schlampige Polizeiarbeit öffnen zwar nur kleine Türchen für Spekulationen über Verwechslungen oder gar Manipulationen mit dem Beweismaterial. Ob sich die Geschworenen davon beeinflussen lassen, bleibt fraglich. Grund für Massnahmen bei der Polizei sind sie allemal.



20040526 Landbote: Hunderte von Briefen für Camenisch

Der Landbote Webnews 26. Mai 2004

Bild: Key
Camenisch beim Prozess (im roten Oberteil).

Hunderte von Briefen für Camenisch

Auf Marco Camenisch warten Hunderte von Briefen, die er lesen kann, sobald er im ordentlichen Strafvollzug ist. Sie wurden ihm in der Untersuchungshaft nicht ausgehändigt, weil die Kontrollinstanzen von der Briefflut überlastet waren.

sda

Marco Camenisch habe in der Untersuchungshaft im Bezirksgefängnis Pfäffikon ZH und im Flughafengefängnis "unendlich viel Post" erhalten und geschrieben, sagte die zuständige Bezirksanwältin am Mittwoch vor dem Zürcher Geschworenengericht.
In U-Haft muss jedes Schreiben durch die Zensur; viele Briefe mussten zudem aus verschiedenen Sprachen übersetzt werden. Die Kontrollinstanzen seien damit überfordert gewesen.
Man habe schliesslich drei Briefe pro Tag zugelassen. Damit habe man einen täglichen Briefaustausch mit den nächsten Angehörigen des Untersuchungshäftlings gewährleistet - mit der Mutter, dem Bruder und der Ehefrau. Inhaltlich sei man grosszügig verfahren, sagte die Bezirksanwältin und habe sehr zurückhaltend zensuriert.
Die überzähligen Briefe erhalte der Angeklagte, sobald er im ordentlichen Strafvollzug sei. Unabhängig vom Ausgang des gegenwärtigen Prozesses hat Camenisch noch acht Jahre aus der Strafe von Anfang 1981 des Kantonsgerichts Graubünden abzusitzen. Im Dezember 1981 war er aus dem Strafvollzug in Regensdorf geflüchtet.

Geld von der Mutter

Vor dem Gericht verlesen wurden Zeugenaussagen der in Brusio lebenden 81-jährigen Mutter von Marco Camenisch. Sie erklärte, sie habe ihren Sohn nach dessen Gefängnisausbruch mehrmals an verschiedenen Orten in Italien getroffen. Jedesmal habe sie ihm "ein paar tausend Franken" gegeben.
An jenem Dezembersonntag 1989, als in Brusio ein Grenzwächter erschossen wurde, habe sie Marco im Pfarrhaus getroffen. Er hatte das Grab des Vaters besucht. Dies, obwohl sie ihm bei ihrem letzten Treffen einige Wochen zuvor in Norditalien dringend von einem Besuch in der Schweiz als zu gefährlich abgeraten habe.

"Marco hat mir die Augen geöffnet"

Im Bemühen, seinen Mandanten bei den Geschworenen in ein günstiges Licht zu stellen, lud Camenischs Verteidiger Vertreter der Churer Öko-Szene der 70-er Jahre in den Zeugenstand. Dabei ging es um Camenischs Motivation für die Sprengstoffanschläge von 1979, für die er 1981 vom Kantonsgericht Graubünden zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.
Noch heute betrachtet sein damaliger Mittäter, der seine Strafe längst abgesessen hat, den um sechs Jahre älteren Camenisch als seinen "Lehrer", der ihm "die Augen geöffnet und mir das Denken beigebracht" habe. Camenisch habe Gutes getan für "Land und Leben", indem er gegen die Verschandelung der Natur gekämpft habe.
Liedermacher Walter Lietha erklärte, Camenischs Sprengstoffanschläge auf Elektro-Einrichtungen seien aus heutiger Sicht als eigentliche "Pioniertaten" des Umweltschutzes einzustufen. Abgesehen von den Anschlägen konnte sich allerdings keiner der Zeugen auf ein konkretes Umweltengagement Camenischs besinnen.
Marco Camenisch wird beschuldigt, den 36-jährigen Grenzwächter erschossen zu haben; die Anklage lautet auf Mord. Zudem klagt die Staatsanwaltschaft auf Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus Regensdorf, bei dem ein Aufseher getötet und einer schewr verletzt worden war. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet.


20040526 NZZ: Marco Camenisch, ein Kind der siebziger Jahre

26. Mai 2004, 02:25, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Marco Camenisch, ein Kind der siebziger Jahre
Teil der damaligen Protestbewegung

-yr. Am zehnten Verhandlungstag im Mordprozess gegen Marco Camenisch ist am Dienstag unter anderem der Schriftsteller Silvio Huonder als Zeuge der Verteidigung vor dem Geschworenengericht in Zürich aufgetreten. Der 50-jährige Huonder ist in Chur aufgewachsen, seine Wege haben sich in den siebziger Jahren teilweise mit jenen des 52-jährigen Angeklagten gekreuzt. Huonder sagte, Camenisch habe damals einer ökologischen Protestbewegung angehört, welche die Welt habe verändern wollen. Die Sprengstoffanschläge auf Einrichtungen der Stromindustrie seien zwar illegal gewesen, trotzdem habe sich im Bündnerland eine Mehrheit seiner Generation hinter Camenisch gestellt.

Als das Kantonsgericht Graubünden 1981 den damals 29-jährigen Camenisch wegen dieser Sprengstoffanschläge zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren verurteilt habe, sei das für ihn und seine Umgebung ein Schock gewesen, sagte Huonder. Das Strafmass sei insbesondere auch deshalb als drakonisch empfunden worden, weil damals ähnliche Delikte im Kanton Zürich deutlich milder beurteilt worden seien. Alle weiteren Straftaten, die Camenisch angelastet werden, stehen laut Huonder in einem kausalen Zusammenhang mit jenem Urteil. Der Schriftsteller lebt seit 21 Jahren in Berlin und sah seinen ehemaligen Weggefährten im Gerichtssaal erstmals wieder seit 1979. Zum Tötungsdelikt am Grenzwächter Bruno Moser von 1989 in Brusio (GR), dessentwegen sich Camenisch verantworten muss, konnte Huonder folglich ebenso wenig Angaben machen wie Daniel von Aarburg, der Regisseur des Dokumentarfilms Camenisch - mit dem Kopf durch die Wand, der ebenfalls als Zeuge auftrat.

Heute Mittwoch wird das Beweisverfahren abgeschlossen, unter anderem mit der Befragung der zuständigen Bezirksanwältin. Am kommenden Dienstag sind die Plädoyers der beiden Parteien eingeplant, das Urteil ist für Freitag, den 4. Juni, vorgesehen.



20040526 TA: Tränen im Pfarrhaus / Das mysteriöse Zwielicht wird bleiben

Tages-Anzeiger vom 26.05.2004

Tränen im Pfarrhaus
Marco Camenisch traf Mutter und Bruder im Pfarrhaus von Brusio.

Von Peter Johannes Meier

Zürich. Obwohl er von der Polizei gesucht wurde, wagte sich Marco Camenisch 1989 in sein Heimatdorf Brusio. Das Grab seines kurz zuvor verstorbenen Vaters habe er besuchen wollen, sagte er dem reformierten Pfarrehepaar. In dessen Haus kam es darauf zu einem Wiedersehen mit Mutter und Bruder. Marco bat mich, seine Mutter zu uns zu rufen, sagte die inzwischen verstorbene Ehefrau des Pfarrers in ihrer gestern verlesenen Zeugenaussage. Die Frau folgte der Bitte, vom Tötungsdelikt an einem Zöllner im Dorf wusste sie noch nichts. Marco und seine Mutter lagen sich in den Armen und weinten, erinnerte sich die Pfarrersfrau.

Erst als sie im Verlauf des Tages vom Mord erfahren habe, sei bei ihr der Verdacht aufgekommen, Camenisch könnte der Täter sein. Später sei sie davon überzeugt gewesen. Er befände sich im Krieg und sei bewaffnet, habe er ihr gesagt. Aus Rücksicht auf Camenischs Mutter habe sie das Treffen nicht der Polizei gemeldet. Diese hatte sich zuvor bereits mehrfach mit ihrem Sohn in Italien getroffen. Einmal nahm auch die Pfarrersfrau an einem Treffen teil.

Als Zeugen standen gestern auch der Schriftsteller Silvio Huonder und der Filmemacher Daniel von Aarburg vor Gericht. In einem Dokumentarfilm zeichneten sie die Lebensgeschichte des tragischen Rebellen nach. Die Autoren betonten, dass die Kritik an umweltschädigenden Energieprojekten Ende der 70er-Jahre von breiten Bevölkerungskreisen getragen worden sei. Camenisch sei Teil dieser Bewegung gewesen. Seine Bestrafung mit 10 Jahren Zuchthaus für zwei Anschläge mit Sachschaden bezeichneten sie als drakonisch und verglichen mit anderen Straftaten als ungerecht.

Aliesch gegen Camenisch

Gestern wurde bekannt, dass Camenisch nach seiner Verurteilung in Italien den Rest der Strafe in der Schweiz hatte absitzen wollen. Sein Antrag wurde vom damaligen Bündner Regierungsrat Peter Aliesch abgelehnt. Begründung: Camenisch habe derart schwere und gemeine Delikte begangen, dass er die Strafe aus Rücksicht auf die Bevölkerung nicht in der Schweiz absitzen könne.

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Tages-Anzeiger vom 26.05.2004

Das mysteriöse Zwielicht wird bleiben

Die Staatsanwaltschaft Zürich vs. Marco Camenisch es wird ideologisiert und pauschalisiert, beide Seite machen die alten Fehler.

Zur Person

Geschichte wiederholt sich, im Grossen wie im Kleinen. Vor vielen Jahren stand der Bündner Marco Camenisch das erste Mal vor einem Richter. Wegen einer Summe von Delikten, unter denen das schwerste der Sprengstoffanschlag auf die Kraftwerkszentrale Sarelli bei Bad Ragaz war. In der Untersuchungshaft hörte der damals 29-jährige Angeklagte auf, konkrete Aussagen zur Sache zu machen, und begann sich auf die Wiedergabe von vorgefertigten politischen Statements zu beschränken. So entstanden komplizierte sprachliche Gebilde, zu grossen Teilen aus Zitaten bestehend, klassenkämpferisch, zivilisationskritisch, grammatikalisch manchmal falsch, immer schwer zu lesen.

Nie hat jemand sein eigenes Schweigen derart ausführlich und breit kommentiert. In seinen schriftlichen Erklärungen spricht er dem Gericht auch das Recht ab, über ihn und sein Handeln zu urteilen. Dafür zahlte er einen hohen Preis: Bis heute hat er vierzehneinhalb Jahre unter harten Bedingungen in schweizerischen und italienischen Gefängnissen verbracht.

Vor dem Geschworenengericht des Kantons Zürich werden nun zwei Anklagen gegen den inzwischen 52-jährigen Camenisch erhoben. In der ersten wird ihm vorgeworfen, davon gewusst zu haben, dass bei einem Gruppenausbruch aus der Regensdorfer Strafanstalt Waffen eingesetzt werden sollen. Juristisch würde das als Mordversuch gewertet. Zum Zweiten ist er angeklagt des vollendeten Mordes am Zollbeamten Kurt Moser im Dezember 1989 in Brusio.

Die Verantwortung des Angeklagten

Fast fünfzehn Jahre hat es gedauert, bis das Verfahren eröffnet wurde. Fünfzehn lange Jahre, in denen über die Hintergründe der Tat viele Vermutungen geäussert wurden und die meisten Fragen offen blieben. Die Diskussionen über den Fall Camenisch, auch wenn sie auf Spekulationen gründeten, verstummten nie. Vor allem in Graubünden, am meisten natürlich im Puschlav, blieb das Interesse an seiner Person wach. Und es blieb auch die Hoffnung, dass ein Prozess endlich Klarheit über den Tathergang bringen würde. Spätestens seit Beginn des Verfahrens muss das bezweifelt werden. Dafür ist in erster Linie der Angeklagte verantwortlich. Sollte Camenisch bei seiner grundsätzlichen Aussageverweigerung bleiben, was zu befürchten ist, wird die Tat trotz waffentechnischer Gutachten und belastender Zeugen in einem mysteriösen Zwielicht bleiben. Dabei wären Antworten auf die Fragen nach Umständen und Hintergründen genauso wichtig wie die Frage nach dem Täter. Für die Angehörigen des Getöteten, für die Rechtssprechung und für alle anderen, die davon betroffen sind - nicht zuletzt auch für die Beurteilung der politischen Dimensionen des Geschehens, die der Angeklagte und seine Verteidigung verlangen.

Der Begriff des Politischen wird oft benutzt im Zusammenhang mit den Verfahren gegen Camenisch. Von verschiedenen Seiten mit verschiedenen Absichten. Kritische linke Beobachter reden von einem politischen Prozess und meinen damit, dass das Gericht kein neutrales, rechtlich korrektes Verfahren gewährleistet, sondern politische Absichten verfolgt. Schon vor dem ersten Prozesstag wird von Rachejustiz gesprochen. Der Verteidiger hat seinen Mandanten als politischen Gefangenen bezeichnet: ... ein Gefangener, dessen Inhaftierung in einem Zusammenhang mit seiner politischen Überzeugung und Identität steht. Marco Camenisch begründet sein Schweigen ebenfalls politisch. Das Politische einmal als Vorwurf gegen das Gericht, einmal als Rechtfertigung des Angeklagten. Das Schweizerische Bundesgericht hat 1981 in seiner Ablehnung einer Nichtigkeitsbeschwerde festgestellt: Politische Motive sind nicht an sich achtenswert. Sie können es sein, können aber auch ethisch neutral oder gar verwerflich sein.

Das Geschworenengericht des Kantons Zürich befindet nun in einem einzigen Verfahren über zwei Anklagepunkte, die acht Jahre auseinander liegen: den Ausbruch von Regensdorf und die Tötung des Zollbeamten. Der Staatsanwalt breitet sogar detailliert die Anfänge von Camenischs terroristischer Laufbahn aus. Damit wird ungewollt eines zugegeben: dass das Tötungsdelikt von Brusio ein Glied in einer Kette kausaler Zusammenhänge darstellt, die nicht losgelöst voneinander beurteilt werden können. Niemand kann demzufolge über das unverhältnismässig harte, ja ungerechte Urteil des Bündner Kantonsgerichts von 1981 hinwegsehen, in dem der junge Camenisch zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Jene Strafe war mit verantwortlich für die folgenden Ereignisse, die bedrückenden Haftbedingungen, die Perspektivlosigkeit, den Ausbruch, die weitere Kriminalisierung. Gerne wird das drakonische Urteil mit der Stimmung der damaligen Zeit, mit der Hysterie des Kalten Krieges und der Angst vor Terrorismus erklärt. Genauso gut kann behauptet werden, dass der damalige Richter sich durch das Schweigen des Angeklagten persönlich und in seinem Amt missachtet fühlte und sich provozieren liess, über das vom Ankläger verlangte hohe Strafmass sogar noch hinauszugehen. Die Folge davon war eine Heroisierung des Verurteilten, die eine eigene politische Dynamik auslöste: Die Legende war geboren.

Geschichte wiederholt sich

Die Geschichte läuft Gefahr, sich zu wiederholen. Wieder gibt der Angeklagte Erklärungen zu Protokoll, verweigert jede weitere Aussage und ignoriert damit das Gericht. Wieder droht die Staatsanwaltschaft in die Falle zu laufen, den ideologischen Fehdehandschuh aufzunehmen und Stimmung gegen den Angeklagten zu machen, indem sie dem Ökoaktivisten die 7000 Liter Öl vorwirft, die bei seinem Anschlag in den Rhein flossen. Wie vor dreiundzwanzig Jahren während der Zürcher Jugendunruhen bildet sich auch heute wieder eine solidarisierende jugendliche Bewegung, die den Angeklagten vereinnahmt, ohne richtig hinzusehen und zu differenzieren. Demystifikation war immer einer der Grundpfeiler kritischen linken Denkens. Im solidarischen Umfeld, ob in Zürich oder in der international vernetzten anarchistischen Szene, geschieht genau das Gegenteil: Es wird ideologisiert und pauschalisiert, Personen werden mystifiziert, und Sachverhalte, die nicht ins gewünschte Bild passen, werden übergangen. Die Wahrheit aber ist konkret.

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Zur Person
Silvio Huonder, geboren 1954, ist Schweizer Autor (Adalina, Übungsheft der Liebe) und lebt in Berlin; er ist auch Koautor des Dokumentarfilmes Camenisch mit dem Kopf durch die Wand (2001), der den Lebensweg des militanten Ökoaktivisten von der Kindheit bis zur Inhaftierung in Italien nachzeichnet. Huonder hat Camenisch in den 70er-Jahren in Chur gekannt; er war gestern als Zeuge vor dem Gericht geladen.



20040527 BaZ: Durch hartes Urteil radikalisiert

BaZ Erschienen am: 27.05.2004

Durch hartes Urteil radikalisiert

Im Prozess gegen den Ökoterroristen Marco Camenisch sagten gestern ein Mittäter und ein Liedermacher aus. Camenisch habe das getan, was viele gedacht hätten. Der Mord sei ihm unterschoben worden.

Zürich. Beim Betreten des Gerichtssaals warf RenI Moser nur einen scheuen Blick auf Marco Camenisch. Nach der Befragung umarmten sich die beiden früheren Weggefährten. 23 Jahre lang hatten sie sich nicht mehr gesehen, seit der Haft in Regensdorf, nachdem sie an Weihnachten 1979 das NOK-Unterwerk bei Bad Ragaz gesprengt hatten.


Moser, der sich selbst als Prolet bezeichnete, erwies sich vor Gericht als direkter, leicht naiver, aber mit Bauernschläue ausgestatteter Zeuge. Er sieht sich auch rückblickend als Mitläufer, dem der Intellektuelle Camenisch erst die Augen geöffnet habe. Auf die Frage, ob er leicht beeinflussbar sei, entgegnete Moser schlagfertig: Eher schnell von Begriff. Der 46-jährige Korber, Hausmann und Schafhirte sass über fünf Jahre im Gefängnis.
Moser verhehlte nicht, er halte jene Anschläge noch heute für richtig und teile Camenischs Ziele. Inzwischen habe er sich weiterentwickelt. Camenisch sei am Beginn einer Bewegung gestanden. Heute geschützte Naturlandschaften wie die Greina-Ebene, das Val Madris und das Val Curciusa habe man damals zu Stauseen machen wollen. Das Churer Urteil von 1981, zehn Jahre Zuchthaus für Camenisch, siebeneinhalb Jahre für Moser, sei ein Schock gewesen. Sie hätten keine anderen Menschen, nur sich selbst in Lebensgefahr gebracht, sagte Moser. Man müsse berücksichtigen, was Camenisch, ohne Gehalt, gegen die Verschandelung der Natur in Gang gesetzt habe.

Walter Liethas These

Zwei weitere Zeugen der Verteidigung aus Graubünden sagten gestern aus. Walter Lietha trug an jenem Weihnachtsabend 1979 Lieder vor, als sich Camenisch mit Moser aufmachte, um das zu tun, wovon Lietha immer singe. Lietha, der Camenisch als Kunde seine Churer Buchhandlung kannte, erinnerte an den schwierigen, am Ende aber zu grossen Teilen erfolgreichen Kampf gegen zahlreiche Kraftwerksprojekte in Graubünden oder gegen die irrwitzige Ölkaverne bei Haldenstein. Das Urteil von Chur 1981 habe eine unheilvolle Entwicklung eingeleitet. Auch Rechtsanwalt und Bergführer Andrea Bianchi, der Camenisch eher flüchtig kannte, erklärte, damals habe die Justiz zu hart zugeschlagen. Diese Meinung sei im Kanton weit verbreitet gewesen.
Der Hauptanklagepunkt, der Mord am Grenzwächter 1989 in Brusio, kam nur einmal zur Sprache, dafür mit einem Paukenschlag. Liedermacher Walter Lietha erinnerte daran, diese Bluttat sei geschehen, unmittelbar nachdem der damalige Nationalrat Moritz Leuenberger den PUK-Bericht präsentiert hatte, der die Fichenaffäre aufdeckte. Unter solchem Druck halte ich ein Verbrechen in höherem Interesse für möglich, sagte Lietha, und wagte, als Beispiel, wie er betonte, die These, der Mord sei begangen worden, um ihn Camenisch in die Schuhe zu schieben: Man wollte an diesem Wochenende einen echten Terroristen präsentieren, um die Fichen und die Geheimarmee zu rechtfertigen. Bevor man jemanden wegen einer solchen Tat verurteile, seien alle denkbaren Varianten zu prüfen.

Ein letzter, bis gestern unauffindbarer Entlastungszeuge soll am Dienstag nach Pfingsten aussagen, ehe der Staatsanwalt und der Verteidiger ihre Plädoyers halten. Stefan Hotz



20040527 NZZ: Camenischs heimliche Treffen mit der Mutter

27. Mai 2004, 02:27, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Camenischs heimliche Treffen mit der Mutter
Während der Flucht vermutlich in Italien gelebt

Zum Abschluss des Beweisverfahrens im Mordprozess gegen Marco Camenisch sind am Mittwoch am Geschworenengericht in Zürich neben drei Weggefährten des Angeklagten auch dessen Mutter sowie die zuständige Bezirksanwältin angehört worden.


-yr. Die 81-jährige Mutter von Marco Camenisch lebt noch immer im Puschlav, zusammen mit einem gesundheitlich angeschlagenen Bruder des Angeklagten. Als sie vor zwei Jahren letztmals einvernommen worden war, habe sie einen rüstigen, geistig durchaus wachen Eindruck hinterlassen, sagte die zuständige Bezirksanwältin am Mittwoch vor dem Geschworenengericht in Zürich. Für die Hauptverhandlung liess sich die als Zeugin aufgebotene Mutter von Marco Camenisch aber entschuldigen. Deshalb wurden ihre früheren Aussagen verlesen. Sie geben insbesondere einen Einblick über die acht Jahre zwischen dem Ausbruch Camenischs aus der Strafanstalt Regensdorf 1981 und dem ihm vorgeworfenen Mord an einem Grenzwächter in Brusio 1989. In diesen acht Jahren war Camenisch untergetaucht, offenbar in Italien, wie diverse heimliche Treffen mit seiner Mutter bezeugen.

Regelmässige Begegnungen auf der Flucht

Erstmals habe sie ihren Sohn etwa zwei oder drei Jahre nach der Flucht aus dem Gefängnis getroffen, sagte die Mutter in den diversen Einvernahmen. Dieses erste Treffen habe in Palermo stattgefunden, und auch beim zweiten Mal reiste die Mutter nach Sizilien, diesmal nach Catania. Weitere Begegnungen folgten in Bologna, Ravenna und zuletzt vor allem im Veltlin, also nahe zur Schweizer Grenze. Sie habe ihren Sohn zwar einige Male gefragt, wo er lebe und was er mache, doch er habe bei den Treffen nie gesagt, woher er komme und wohin er gehe. Weil sie davon ausgegangen sei, dass ihr Telefon überwacht werde, begab sich die Mutter jeweils zu einem vereinbarten Zeitpunkt in ein Restaurant nach Italien, wo ihr Marco Camenisch telefonierte, um so ein nächstes Treffen zu vereinbaren. Dabei übergab sie ihm meistens einige tausend Franken. Oft sei bei den Treffen ihr zweiter Sohn dabei gewesen, einmal auch ihr Mann, und beim letzten Treffen vor dem Grenzwächter-Mord, Anfang Oktober 1989, die Frau des reformierten Pfarrers von Brusio.

Das Telefon der Pfarrersfrau

Als Marco Camenisch etwa zwei Monate später, am Sonntagmorgen, dem 3. Dezember 1989, im Pfarrhaus klingelte, wusste er also, dass die Frau des Pfarrers eine enge Vertraute seiner Mutter war. Die Pfarrersfrau telefonierte an jenem Morgen, an dem in Brusio der Grenzwächter Kurt Moser mit drei Schüssen getötet wurde, Camenischs Mutter und bat sie unter einem Vorwand ins Pfarrhaus. Um ihn bei der allfällig mithörenden Polizei nicht zu verraten, erwähnte sie den Namen Marco nicht. Als die Mutter wenig später im Pfarrhaus eintraf, wurde vereinbart, dass Marco Camenischs Bruder den Flüchtigen aus dem Dorf fahren solle. Doch weil die Strasse nach der Tötung des Grenzwächters von der Polizei abgesperrt worden war, musste dieses Vorhaben fallen gelassen werden. Nach stundenlangen Diskussionen war es schliesslich das Pfarrerehepaar, das Marco Camenisch am späten Nachmittag mit dem Auto ins Nachbardorf fuhr, wo er zu Fuss in der Dunkelheit verschwand.

Als Zeugen der Verteidigung wurden schliesslich drei weitere Weggefährten Camenischs aus den siebziger Jahren befragt, unter anderem auch der Komplize, der an den Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen war. Unisono erachteten die drei das damalige Strafmass von zehn Jahren Zuchthaus als unverhältnismässig hoch. Sie bezeichneten Camenisch als herzensguten Menschen, der sich für die Umwelt eingesetzt habe. Projekte oder Vereinigungen, in denen er sich konkret engagierte, konnte aber niemand nennen.

Wilde Verschwörungstheorie

Dafür brachte der Liedermacher und Buchhändler Walter Lietha, einer dieser drei Zeugen, eine neue Tatversion ins Spiel, die während der dreiwöchigen Beweisaufnahme noch nicht diskutiert worden war. Lietha sagte, in jenen Tagen Anfang Dezember 1989 habe die Präsentation des PUK-Berichts betreffend Fichenaffäre bevorgestanden. Weil in diesem Bericht auch die sogenannte Geheimarmee - P 26 und P 27 - aufgedeckt worden sei, habe dies auf die Schweiz einen riesigen Schatten geworfen. Der Staat habe massiv unter Druck gestanden, diese Geheimarmee zu rechtfertigen, sagte Lietha. Er könne sich deshalb vorstellen, dass der Staat die Ermordung des Grenzwächters veranlasst und diesen Marco Camenisch in die Schuhe geschoben habe, um so der Öffentlichkeit einen richtigen Terroristen präsentieren zu können. - Der Prozess wird am kommenden Dienstag mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung fortgesetzt.

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27. Mai 2004, 02:27, Neue Zürcher Zeitung

Monatlich 150 Briefe für Camenisch

-yr. Unendlich viele Briefe aus aller Welt habe Marco Camenisch während der Untersuchungshaft erhalten, sagte die Bezirksanwältin Claudia Wiederkehr am Mittwoch bei ihrer Befragung vor dem Geschworenengericht. Zunächst sei sie willens gewesen, diese alle weiterzuleiten. Doch weil die Briefe in allen möglichen Sprachen geschrieben worden waren und deshalb zuerst übersetzt werden mussten, habe dies die Kapazität der Bezirksanwaltschaft bald einmal gesprengt. Eine Begutachtung der aus- und eingehenden Post sei während der Untersuchungshaft aber zwingend, um sicherzustellen, dass die Untersuchung nicht tangiert werde. Sie habe deshalb beschlossen, dem Angeschuldigten pro Tag zwei Briefe
@drei A4-Seiten zu bewilligen. Der Rest werde seither zurückgehalten beziehungsweise im Anwaltsbüro des Verteidigers zwischengelagert. Bis zum Antritt des Strafvollzugs werden die inzwischen mehreren Kisten voller Briefe und Pakete von Andrea Stauffacher, einer Mitarbeiterin des Verteidigers, verwaltet.



20040527 TA: Marco Camenisch wird in der U-Haft mit Briefen überschwemmt

TA Donnerstag, 27. Mai 2004 / 12:48 -- Newsticker Schweiz

Marco Camenisch wird in der U-Haft mit Briefen überschwemmt

ZÜRICH - Auf Marco Camenisch warten hunderte von Briefen, die er lesen kann, sobald er im ordentlichen Strafvollzug ist. Sie wurden ihm in der Untersuchungshaft nicht ausgehändigt, weil die Kontrollinstanzen von der Briefflut überlastet waren.

Marco Camenisch habe in der Untersuchungshaft im Bezirksgefängnis Pfäffikon ZH und im Flughafengefängnis "unendlich viel Post" aus aller Welt erhalten und geschrieben, sagte die zuständige Bezirksanwältin vor dem Zürcher Geschworenengericht.

In U-Haft muss jedes Schreiben durch die Zensur; viele Briefe mussten zudem aus verschiedenen Sprachen übersetzt werden. Die Kontrollinstanzen seien damit schlicht überfordert gewesen.

Man habe schliesslich drei Briefe pro Tag zugelassen. Damit habe man einen täglichen Briefaustausch mit den nächsten Angehörigen des Untersuchungshäftlings gewährleistet - mit der Mutter, dem Bruder und der Ehefrau. Inhaltlich sei man grosszügig verfahren, sagte die Bezirksanwältin und habe sehr zurückhaltend zensuriert.

Die überzähligen Briefe habe man in einer Kiste gesammelt. Der Angeklagte erhalte sie, sobald er im ordentlichen Strafvollzug sei.

Vor dem Gericht verlesen wurden Zeugenaussagen der in Brusio lebenden Mutter von Marco Camenisch, die aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich erscheinen konnte.

Sie erklärte, sie habe ihren Sohn nach seinem Gefängnisausbruch 1981 mehrmals an verschiedenen Orten in Italien getroffen. Jedesmal habe sie ihm "ein paar tausend Franken" gegeben.

An jenem Sonntag im Dezember 1989, als in Brusio ein Grenzwächter erschossen wurde, habe sie Marco im Pfarrhaus getroffen. Er habe ihr gesagt er sei "bei Papa" gewesen - habe also das Grab des Vaters besucht.

Marco Camenisch wird beschuldigt, den 36-jährigen Grenzwächter erschossen zu haben; die Anklage lautet auf Mord. Zudem klagt die Staatsanwaltschaft auf Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus Regensdorf, bei dem ein Aufseher getötet und einer schewr verletzt worden war. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet.


20040527 TA: Ohne Donner gibt es keinen Regen / Camenisch ist der Täter

Tages-Anzeiger vom 27.05.2004

Ohne Donner gibt es keinen Regen

Alte Weggefährten sehen in Marco Camenisch einen Pionier der Ökobewegung. Er habe getan, was viele nur dachten.

Von Peter Johannes Meier

Zürich. RenI Moser ist bis heute überzeugt, dass es nötig war. Es war ein Chlapf an den Grind von Leuten, die nur Gewinnmaximierung im Kopf hatten. Und eine Triebkraft zum Weiterdenken, sagte der 46-jährige Korber, Schafhirt und Hausmann gestern vorden Zürcher Geschworenen. Den Chlapf organisierte er Ende der 70er-Jahre mit seinem damaligen Kumpel Marco Camenisch. Ein erster Anschlag auf einen Strommasten misslang, ein zweiter auf das Unterwerk Sarelli bei Bad Ragaz richtete beträchtlichen Sachschaden an. Sie hätten damit ein Zeichen gegen masslose Energieprojekte und die Verschandelung der Natur gesetzt, so Moser. Heute stehen viele Regionen unter Schutz, für deren Erhalt wir damals gekämpft haben, betonte der 46-Jährige. Und er zeigte sich überzeugt, dass es die Anschläge brauchte, um die Ziele zu erreichen. Denn: Ohne Donner gibt es keinen Regen.

Für die Anschläge und eine Reihe kleinerer Delikte wurde Moser mit 7 1/2 Jahren Zuchthaus bestraft; Marco Camenisch kassierte als Haupttäter 10 Jahre. Anders als Camenisch sass Moser seine Strafe ab und führt heute ein glückliches Leben. Dies sei ein Grund, weshalb er mit Camenisch seit 23 Jahren keinen Kontakt mehr pflege. Ich will ihm mein gutes Leben nicht zumuten. Den sechs Jahre älteren Camenisch bezeichnete er als einen Lehrer, der ihm die Augen geöffnet und ihn über Machtverhältnisse aufgeklärt habe. Der Staatsanwalt wollte darauf von Moser wissen, ob er damals leicht beeinflussbar gewesen sei. Vielleicht auch schnell von Begriff, erwiderte Moser. Er appellierte an das Gericht, nicht zu vergessen, dass Camenisch viel für Land und Leute getan habe. Und er hat es gratis gemacht.

Ein drakonisches Urteil

Auch der Bündner Liedermacher Walter Lietha bewertete Camenischs Anschläge rückblickend als Pioniertaten des Umweltschutzes. Greenpeace und Grüne sind erst später entstanden. Der Staatsanwalt fragte nach konkreten Zeugnissen für Camenischs legales Umweltengagement. Hier mussten die Zeugen passen. Der Bündner Anwalt und Bergführer Andrea Bianchi bezeichnete die Strafe gegen Camenisch als drakonisches Vergeltungsurteil. Das kann mundtot machen oder radikalisieren.

Lietha gab zu bedenken, dass der Camenisch vorgeworfene Mord zu einer Zeit geschah, als der Fichenskandal die Schweiz erschütterte und eine illegale Geheimarmee enttarnt wurde. Wer heute über ihn urteilt, muss auch überprüfen, ob man ihm damals etwas in die Schuhe schieben wollte.

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Camenisch ist der Täter

Zürich. Als Zeugin der Anklage stand gestern die Zürcher Bezirksanwältin Claudia Wiederkehr vor den Geschworenen. Sie berichtete über den Verlauf der Strafverfahrens, das zu einem eindeutigen Ergebnis geführt habe: Camenisch ist der Täter. Zu dieser Erkenntnis sei sie unabhängig vom stark belastenden Gutachten gelangt. Dieses ordnet die 1989 beim Zöllnermord verwendete Munition eindeutig einem Revolver zu, der später bei Camenisch gefunden wurde neben der Aussage eines Tatzeugen das stärkste Beweisstück der Anklage. Ich war daran, die Untersuchung abzuschliessen, als ich realisierte, dass die Waffe nie richtig untersucht worden war, erklärte Wiederkehr die späte Begutachtung. Dass zuvor italienische Ballistiker zu Ergebnissen gekommen waren, die dem Schweizer Gutachten teilweise widersprechen, war ihr nicht bekannt.
Die Aussagen von Camenischs Mutter wurden gestern verlesen. Sie erklärte, ihren Sohn bei Treffen in Italien mit mehreren Tausend Franken unterstützt zu haben. Der Prozess wird am nächsten Dienstag mit den Plädoyers fortgesetzt. (pjm)


20040527 TAo: Camenisch und das Pfarrhaus von Brusio

Zürich Donnerstag, 27. Mai 2004 / 25.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Camenisch und das Pfarrhaus von Brusio

Marco Camenisch hat nicht zufällig am Morgen des 3. Dezember 1989 im reformierten Pfarrhaus von Brusio GR Einlass gefordert. Er hatte die Pfarrersfrau einige Wochen zuvor als Vertraute seiner Mutter kennen gelernt.

Gemäss den vor dem Zürcher Geschworenengericht verlesenen Einvernahmeprotokollen hatte die inzwischen verstorbene Pfarrersfrau Mutter Camenisch Mitte Oktober, kurz nach dem Tod von deren Mann, in einen Ort im grenznahen Norditalien gefahren.
In einer Bar erwartete sie einen Telefonanruf ihres Sohnes Marco, der seit seinem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf 1981 auf der Flucht war. Statt anzurufen, kam er gleich selbst.

Am Morgen des Sonntags, 3. Dezember 1989, forderte Marco Camenisch Einlass im Pfarrhaus. Den ganzen Tag blieb er dort - gegen den Willen der eingeschüchterten Pfarrersleute, die erst am Vormittags erfuhren, dass wenige Stunden zuvor in einem etwas ausserhalb gelegenen Dorfteil von Brusio ein Grenzwächter erschossen worden war.

Im Laufe des Nachmittags habe das Verhalten Marco Camenischs sie immer mehr davon überzeugt, dass er der Täter sei. Aus falscher Rücksicht auf seine Mutter habe sie die Polizei auch dann nicht verständigt, als sich Camenisch am Abend zu einem Hotel hatte chauffieren lassen, sagte die Pfarrersfrau.

Dass Camenisch sich in den Wochen vor der Tat schon in der Gegend aufgehalten habe, bestätigte eine andere verlesene Zeugenaussage. Ein damals selbst flüchtiger Tresorknacker wollte ihn mehrmals in Norditalien und im Gebiet der Grünen Grenze gesehen haben.

In einen Gesamtzusammenhang von seiner Jugend bis heute stellte der Autor Silvio Huonder die (tatsächlichen und vermuteten) Taten des 52-jährigen Camenisch. Seine Generation habe Utopien für eine Veränderung der Welt entwickelt. Der 50-jährige Huonder, der in den 70-er Jahren wie Camenisch in Chur lebte, hat über den Werdegang des Angeklagten einen Dokumentarfilm gedreht.

Die Sprengstoffanschläge von 1979 auf Elektroeinrichtungen im Kanton Graubünden seien zwar illegal gewesen, hätten aber ins seinerzeitige Gesamtbild gepasst. Eine Mehrheit unserer Generation habe sie damals - zumindest heimlich - gutgeheissen. Das Strafmass von zehn Jahren Zuchthaus liess jede Relation vermissen, sagte Huonder.

Marco Camenisch steht seit dem 10. Mai wegen Mordes und Mordversuchs vor dem Zürcher Geschworenengericht. Die Anklage Mordversuch steht im Zusammenhang mit dem Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf, bei der ein Aufseher getötet und einer schwer verletzt wurde.

Der Hauptanklagepunkt lautet auf Mord an einem 36-jährigen Grenzwächter am 3. Dezember 1989 in Brusio GR. Camenisch erklärte sich zu Anfang der Verhandlungen als nicht verantwortlich für diese Tat. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet. (cpm/sda)


20040527 TAo: Fanpost für Camenisch

Zürich Donnerstag, 27. Mai 2004 / 26.05.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Fanpost für Camenisch

Marco Camenisch hat in der Untersuchungshaft Hunderte von Briefen erhalten. Die Kontrollinstanzen wurden von der Briefflut überlastet.

Marco Camenisch habe in der Untersuchungshaft im Bezirksgefängnis Pfäffikon ZH und im Flughafengefängnis unendlich viel Post aus aller Welt erhalten und geschrieben, sagte die zuständige Bezirksanwältin am Mittwoch vor dem Zürcher Geschworenengericht.
In U-Haft muss jedes Schreiben durch die Zensur; viele Briefe mussten zudem aus verschiedenen Sprachen übersetzt werden. Die Kontrollinstanzen seien damit schlicht überfordert gewesen.

Man habe schliesslich drei Briefe pro Tag zugelassen. Damit habe man einen täglichen Briefaustausch mit den nächsten Angehörigen des Untersuchungshäftlings gewährleistet - mit der Mutter, dem Bruder und der Ehefrau. Inhaltlich sei man grosszügig verfahren, sagte die Bezirksanwältin und habe sehr zurückhaltend zensuriert.

Die überzähligen Briefe habe man in einer Kiste gesammelt. Der Angeklagte erhalte sie, sobald er im ordentlichen Strafvollzug sei. Unabhängig vom Ausgang des gegenwärtigen Prozesses hat Camenisch noch acht Jahre aus der Strafe von Anfang 1981 des Kantonsgerichts Graubünden abzusitzen. Im Dezember 1981 war er aus dem Strafvollzug in Regensdorf geflüchtet.

Die Bezirksanwältin hatte den Fall Camenisch 2002 übernommen, als der heute 52-Jährige aus Italien an die Schweiz ausgeliefert wurde. Eine psychiatrische Begutachtung habe man sich gespart, nachdem sich Camenisch wie auch sein Verteidiger mit Händen und Füssen dagegen gewehrt hätten.

Vor dem Gericht verlesen wurden Zeugenaussagen der in Brusio lebenden 81-jährigen Mutter von Marco Camenisch, die aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich erscheinen konnte. Sie erklärte, sie habe ihren Sohn nach seinem Gefängnisausbruch 1981 mehrmals an verschiedenen Orten in Italien getroffen. Jedesmal habe sie ihm ein paar tausend Franken gegeben.

An jenem Sonntag im Dezember 1989, als in Brusio ein Grenzwächter erschossen wurde, habe sie Marco im Pfarrhaus getroffen. Er habe ihr gesagt er sei bei Papa gewesen - habe also das Grab des Vaters besucht. Dies, obwohl sie ihm bei ihrem letzten Treffen einige Wochen zuvor in Norditalien dringend von einem Besuch in der Schweiz abgeraten habe, der für ihn als polizeilich gesuchten Mann zu gefährlich sei.

Im Bemühen, seinen Mandanten bei den Geschworenen in ein günstiges Licht zu stellen, lud Camenischs Verteidiger Vertreter der Churer Öko-Szene der 70-er Jahre in den Zeugenstand. Dabei ging es um Camenischs Motivation für die Sprengstoffanschläge von 1979, für die er 1981 vom Kantonsgericht Graubünden zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.

Noch heute betrachtet sein damaliger Mittäter, der seine Strafe längst abgesessen hat, den um sechs Jahre älteren Camenisch als seinen Lehrer, der ihm die Augen geöffnet und mir das Denken beigebracht habe. Camenisch habe Gutes getan für Land und Leben, indem er gegen die Verschandelung der Natur gekämpft habe.

Liedermacher Walter Lietha erklärte, Camenischs Sprengstoffanschläge auf Elektro-Einrichtungen seien aus heutiger Sicht als eigentliche Pioniertaten des Umweltschutzes einzustufen. Abgesehen von den Anschlägen konnte sich allerdings keiner der Zeugen auf ein konkretes Umweltengagement Camenischs besinnen.

Marco Camenisch wird beschuldigt, den 36-jährigen Grenzwächter erschossen zu haben; die Anklage lautet auf Mord. Zudem klagt die Staatsanwaltschaft auf Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch aus Regensdorf, bei dem ein Aufseher getötet und einer schewr verletzt worden war. Das Urteil wird am 4. Juni eröffnet. (wim/lbl/sda)



20040601 Blicko: Camenisch soll lebenslänglich in den Knast / Verteidigung fordert Freispruch

Artikel vom 1. Juni 2004, 19:50 Uhr / Quelle: Blick Online

Wirkte bei seinem Prozess stets abwesend: Marco Camenisch (im roten Pullover).
BILD: KEYSTONE

Camenisch soll lebenslänglich in den Knast


ZÜRICH Die Tatwaffe gehört dem Bündner, mehrere Zeugen haben ihn identifiziert: Der Staatsanwalt beantragt für den militanten Ökoaktivist Marco Camenisch lebenslänglich.

Für Staatsanwalt Ulrich Weder ist klar: Marco Camenisch war es, der im Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter erschossen hat. Zudem soll er auch für einen Mordversuch bei einem Gefängnisausbruch 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf büssen.
Weder führt aus: Nach achtjähriger Flucht habe der durch mehrere Zeugen identifizierte Angeklagte den Grenzwächter aus krass egoistischen Gründen, brutal, skrupellos und in totaler Verachtung menschlichen Lebens umgebracht. Sein Tatmotiv sei gewesen, sich der Verhaftung zu entziehen.

Es sei sogar eine gnadenlose Elimination eines Opfers gewesen, als dem bereits wehrlos am Boden liegenden Mann noch zwei Mal in den Kopf geschossen worden sei, sagte Weder. Die Tatwaffe trug Camenisch bei seiner Verhaftung im November 1990 in Italien auf sich. Dass damit der Grenzwächter erschossen worden ist, steht laut Weder ausser Zweifel.

Beim Gefängnisausbruch einer Gruppe Knastbrüder aus Regensdorf im Dezember 1981 habe Camenisch zwar nicht selber geschossen, aber den Tod eines weiteren Aufsehers in Kauf genommen.

Nach dem Staatsanwalt kam der Rechtsanwalt der Familie des Grenzwächters zu Wort. Er verlangte für dessen Frau und Kind insgesamt 100'000 Franken Genugtuung. Nun steht das Plädoyer von Verteidiger Bernard Rambert auf dem Programm. Das Urteil wird für kommenden Freitag erwartet.

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Verteidigung fordert Freispruch

Marco Camenischs Verteidiger Bernard Rambert forderte für seinen Mandanten einen Freispruch nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten. Camenisch habe von Anfang an nie eine Chance gehabt, nicht der Täter zu sein, sagte Rambert. Er wies auf die unterschiedlichen Zeugenaussagen in Bezug auf das Aussehen des Täters hin.
Allein die Tatsache, dass Camenisch am fraglichen Sonntag in Brusio gewesen war, sei kein Beweis dafür, dass er der Täter sei. Ausserdem hätten sich die Ermittler so viele Schludrigkeiten geleistet, dass nicht einmal sicher sei, ob in Rom und Zürich die gleichen Projektile untersucht worden seien.
Auch im Falle des Ausbruchs aus der Strafanstalt Regensdorf trage Camensich keinerlei Mitverantwortung für die Schüsse. Der Fluchtbeitrag des Bündners sei sehr gering gewesen.


20040601 news.ch: Camenisch: Lebenslang oder Freispruch?

news.ch 1.6. 17:52

Camenisch: Lebenslang oder Freispruch?

Nach Ansicht der Anklage ist Marco Camenisch schuldig des Mordversuchs und des Mordes. Dafür beantragt der Staatsanwalt eine lebenslängliche Zuchthausstrafe. Er wies insbesondere darauf hin, dass für einen Schuldspruch keine lückenlose Beweiskette vorliegen müsse.
Der Verteidiger fordert Freispruch: Camenisch habe nie eine Chance gehabt, nicht als Täter bezeichnet zu werden. Es gelte, den Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" zu beachten.
Camenisch wird vorgeworfen, 1989 einen Grenzwächter brutal getötet zu haben. Der Anklagepunkt Mordversuch hängt mit einem Gefängnisausbruch 1981 zusammen.


20040601 NZZo: Indizien ergeben stimmiges Bild / Die Geschworenen

1. Juni 2004, 12:57, NZZ Online

Staatsanwalt fordert lebenslänglich für Marco Camenisch
Indizien ergeben stimmiges Bild

Im Prozess gegen den als Öko-Terroristen bezeichneten Angeklagten Marco Camenisch hat der Staatsanwalt am Dienstag eine lebenslängliche Haft gefordert. Camenisch steht wegen Mords und Mordversuchs vor dem Zürcher Geschworenengericht.


(sda) Nach Ansicht der Anklage ist Marco Camenisch schuldig wegen Mordversuchs und wegen Mordes. Deshalb beantragt der Staatsanwalt eine lebenslängliche Zuchthausstrafe.

In seinem Plädoyer von Dienstag vor dem Zürcher Geschworenengericht wies Staatsanwalt Ulrich Weder die Geschworenen darauf hin, dass für einen Schuldspruch keine lückenlosen Beweiskette vorliegen müsse. Nötig sei, dass die Indizien insgesamt ein einstimmiges Bild vermittelten. Im Blick auf sämtliche Beweismittel gebe es keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.

Marco Camenisch wird vorgeworfen, am 5. Dezember 1989 in Brusio (Kanton Graubünden) einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei Schüssen getötet zu haben. Der Anklagepunkt Mordversuch steht in Zusammenhang mit einem Gefängnisausbruch im Jahr 1981. Am Nachmittag folgt das Plädoyer der Verteidigung. Das Urteil wird am kommenden Freitag eröffnet.

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1. Juni 2004, 02:25, Neue Zürcher Zeitung


Die Geschworenen
Grosse Verantwortung für Laienrichter

Nach der dreiwöchigen Beweisaufnahme folgen heute Dienstag im Mordprozess gegen Marco Camenisch die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Danach berät das Geschworenengericht das Urteil. Wer sind die Geschworenen, die über Schuld oder Nichtschuld entscheiden? Und wie kommt das Urteil zustande?


-yr. Im Gegensatz zu einigen Beispielen aus der Filmwelt ist den Mitgliedern des Zürcher Geschworenengerichts der Kontakt zur Aussenwelt erlaubt. Nach einem Verhandlungstag kehren die Geschworenen in die vertraute Umgebung zurück. Dies minimiert die Gefahr, dass in der heterogenen Gruppe Lagerkoller aufkommt oder sich persönliche Animositäten entwickeln. Nicht sprechen dürfen die Geschworenen während der Verhandlungsdauer allerdings mit den Vertretern der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung - sowie mit den Journalisten. Gerichtspräsident Hans Mathys rät den Geschworenen zu Beginn eines Prozesses jeweils, allfällige Fragen von Medienvertretern weder mit Ja noch mit Nein zu beantworten, sondern diese einfach zu ignorieren.

Parteien dürfen Geschworene ablehnen

Zürich ist noch der letzte Kanton, der ein Gericht kennt, das mehrheitlich aus Laien zusammengesetzt ist. In den letzten Jahren wurde auf politischer Ebene mehrmals die Abschaffung dieser inzwischen 153-jährigen Institution gefordert. Mindestens bis zur Revision der Strafprozessordnung auf Bundesebene bleibt das Geschworenengericht aber bestehen. Eine zweite Besonderheit ist das sogenannte Unmittelbarkeitsprinzip. Das heisst, dass die neun Geschworenen und zwei der drei Berufsrichter die Akten nicht kennen. Sie alle werden im Gerichtssaal Stück für Stück in den Fall eingeführt, sei das mit Beweismitteln oder mit Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung aufgeboten werden. Neben den beiden Parteienvertretern kennt einzig der Gerichtspräsident die Akten.

Jede Gemeinde muss pro 1000 Einwohner einen Geschworenen bestimmen. Grundsätzlich ist jeder Stimmberechtigte wählbar, oft sind es aber Personen, die schon Erfahrungen in öffentlichen Ämtern haben. Das mag den relativ hohen Altersdurchschnitt erklären. Die jüngste Geschworene im Mordprozess gegen Marco Camenisch ist 53 Jahre alt; der älteste Geschworene ist 77-jährig. Die Geschworenen werden aus der Liste, die zurzeit rund 1200 Namen umfasst, in einem dreistufigen Verfahren bestimmt. Zuerst werden einige Wochen vor Prozessbeginn 28 Personen ausgelost. Von diesen dürfen beide Parteien bis zu 4 Vertreter streichen, wobei ihnen einzig der Name, der Jahrgang, der Beruf und der Wohnort bekannt ist. Ausgeloste Geschworene dürfen sich zudem ohne Angabe von Gründen dispensieren lassen. Für viele ist es beispielsweise ein Problem, sich mehrere Wochen vom Erwerbsleben beurlauben zu lassen. Stehen nach dieser Triage mehr als 9 Geschworene zur Verfügung, nimmt der Gerichtspräsident wenige Tage vor Prozessbeginn eine zweite Auslosung vor.

In der laufenden Verhandlung, in der über die Tötung des Grenzwächters Kurt Moser von 1989 in Brusio (GR) geurteilt wird, üben die neun Geschworenen folgende Berufe aus: Pharma-Assistentin, Naturwissenschafter, Hausfrau, Reallehrer, Ingenieur HTL, Psychotherapeutin SPV, Steuersekretär, Ingenieur ETH und Betreibungsbeamtin. Unter ihnen befinden sich ein ehemaliger Gemeindepräsident aus dem Glatttal sowie eine amtierende Gemeinderätin aus Zürich. Dem sogenannten Gerichtshof gehören neben Hans Mathys der Präsident beziehungsweise die Präsidentin der Bezirksgerichte Pfäffikon und Hinwil an.

Die Aufgabe für das Geschworenengericht ist immer delikat, befasst es sich doch ausschliesslich mit sogenannten Kapitalverbrechen, zumeist gegen Leib und Leben, bei denen der Angeschuldigte nicht geständig ist. Somit hat ein allfälliger Schuldspruch fast immer ein hohes Strafmass zur Folge. Im Fall von Marco Camenisch kommt hinzu, dass sich eine Gruppe von Sympathisanten um ihn geschart hat, die sich lautstark für ihn einsetzt. Doch im Gerichtssaal selber geht es zumeist friedlicher zu als draussen. So kann es durchaus vorkommen, dass sich der Angeklagte freundschaftlich mit Belastungszeugen austauscht oder dass sich der Verteidiger und der Staatsanwalt gegenseitig mit Akten aushelfen. Gegenüber den Geschworenen sind sowieso alle nett, sie entscheiden ja über Schuld oder Nichtschuld. Gerichtspräsident Mathys bittet die Geschworenen jeweils zum Auftakt eines Prozesses, bis zum Abschluss der Plädoyers nicht über den Fall zu reden - auch nicht untereinander. Er will damit verhindern, dass sich die Geschworenen zu früh eine Meinung bilden. Sonst sei die Gefahr gross, dass ein Vor-Urteil gebildet und das Geschehen im Gerichtssaal nur noch selektiv wahrgenommen werde, um das bereits gemachte Bild zu zementieren. Der Wunsch, nicht über den Fall zu sprechen, gilt auch für das Mittagessen, das gemeinsam in einem separaten Zimmer in einem Restaurant in der Zürcher Altstadt eingenommen wird.

Medien dürfen von den Geschworenen konsumiert werden. Dadurch bestehe zwar tatsächlich eine Gefahr der Beeinflussung, räumt Mathys ein. Aber einer Gefahr, die man erkenne, sei bereits die Spitze gebrochen, relativiert er. Zur Einführung rät er den Geschworenen deshalb, die Berichterstattung im Fernsehen, am Radio und in den Zeitungen kritisch zu verfolgen.

Für Schuldspruch braucht's acht Stimmen

Die Urteilsberatung beginnt nach Abschluss der Plädoyers, im Fall Camenisch voraussichtlich morgen Mittwoch. Laut Mathys sitzen die zwölf stimmberechtigten Mitglieder des Geschworenengerichts um einen grossen Tisch und gehen die Anklageschrift unter Ausschluss der Öffentlichkeit Punkt für Punkt, allenfalls Satz für Satz durch. In einer Diskussion sagt jedes Mitglied seine Meinung, der Gerichtspräsident kommt als Letzter dran. Falls Differenzen bestehen, ob ein Sachverhalt zweifelsfrei erstellt ist oder ob unüberwindbare Zweifel bestehen, wird abgestimmt. Zu einer Abstimmung kommt es zum Schluss auch in der wichtigsten Frage, dem Schuldspruch. Dafür braucht es ein qualifiziertes Mehr von acht der zwölf Stimmen. Damit ist garantiert, dass neben dem Gerichtshof auch eine Mehrheit der Geschworenen den Angeklagten als schuldig erachtet. Bei der Festlegung des Strafmasses und allen anderen Fragen reicht wieder das absolute Mehr.


20040601 SDA: Freispruch und lebenslänglich für Camenisch gefordert

SDA News 01.06.2004 19:33

Freispruch und lebenslänglich für Camenisch gefordert


ZÜRICH - Die Anklage fordert lebenslänglich, Freispruch die Verteidigung: Weiter auseinander liegen könnten die Anträge im Prozess vor dem Zürcher Geschworenengericht nicht. Dem Angeklagten Marco Camenisch werden Mord und Mordversuch vorgeworfen.

Für Staatsanwalt Ulrich Weder steht fest: Marco Camenisch, heute 52-jährig, hat am Sonntagmorgen, dem 3. Dezember 1989 im Bündner Dorf Brusio einen 36-jährigen Grenzwächter getötet. Mit den Schüssen wollte sich Camenisch laut Anklage einer Verhaftung entziehen.

Gemäss Ankläger sind die Indizien eindeutig. Mehrere Zeugen sahen den Täter und erkannten ihn auf Fotos als Marco Camenisch; die Pfarrersleute, bei denen er kurz nach der Tat Einlass verlangte, bezeugten, dass Camenisch den Sonntag bei ihnen verbracht hatte, und seine Mutter bekräftigte dies.

Zudem erwies sich der Revolver, den Camenisch 1991 bei seiner Verhaftung in Italien auf sich trug, als Tatwaffe. Alle Indizien zusammen ergeben gemäss Weder ein stimmiges Bild, das keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten zulasse, wie er in seinem Plädoyer ausführte.

Ganz anders sieht dies Verteidiger Bernard Rambert. Marco Camenisch habe von Anfang an "nie eine Chance gehabt, nicht der Täter zu sein". Der Verteidiger wies auf unterschiedliche Zeugenaussagen vor allem in Bezug auf das Aussehen des Täters hin.

Die Tatsache allein, dass Camenisch am fraglichen Sonntag im Dorf war, sei kein Beweis dafür, dass er der Täter sei. Ebensowenig sei dies dadurch erwiesen, dass er den Tatrevolver auf sich getragen habe. Im übrigen hätten sich die Ermittlungsbehörden so viele Schludrigkeiten geleistet, dass nicht einmal sicher sei, dass in Rom und in Zürich dieselben Projektile untersucht worden seien.

Nach Darstellung des Verteidigers gibt es viel zu viele Zweifel an der Täterschaft Camenischs, als dass ein Schuldspruch resultieren könne. Das Gericht habe sich an den Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" zu halten.

Auch im Anklagepunkt Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch von 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf ZH sind die Parteien diametral verschiedener Meinung. Bei der Flucht wurde ein Aufseher erschossen, einer wurde schwer verletzt und einer wurde durch Zufall nicht getroffen.

Die neun Geschworenen und die drei Berufsrichter beraten nun über Schuld und allfälliges Strafmass. Das Urteil wird am Freitagnachmittag eröffnet.


20040601 TAo: Lebenslänglich oder Freispruch?

Zürich Dienstag, 01. Juni 2004 / 12:11, ergänzt 19:38 -- Tages-Anzeiger Online

Lebenslänglich oder Freispruch?

[foto] Ulrich Weder: Keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.


Im Prozess gegen Marco Camenisch vor dem Geschworenengericht in Zürich beantragt der Staatsanwalt eine lebenslängliche Zuchthausstrafe wegen Mordes. Camenischs Verteidiger verlangt hingegen einen Freispruch für seinen Mandanten.

Für Staatsanwalt Ulrich Weder steht fest: Marco Camenisch, heute 52-jährig, hat am Sonntagmorgen, dem 3. Dezember 1989 im Bündner Dorf Brusio einen 36-jährigen Grenzwächter getötet. Er bezeichnet die Tat als eigentliche Hinrichtung mit drei gezielten Schüssen - zwei in den Kopf, einen in den Bauch. Ein Kopfschuss wurde auf den schon schwer verletzt am Boden Liegenden abgefeuert.
Mit den Schüssen wollte sich Camenisch laut Anklage einer Verhaftung entziehen: Er befand sich seit seinem Ausbruch aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf acht Jahre zuvor auf der Flucht und der Grenzwächter wollte ihn kontrollieren. Damit ist für den Staatsanwalt klar: Der Angeklagte tötete aus krass egoistischen Motiven mit besonderer Brutalität - ein klassischer Fall von Mord.

Gemäss Ankläger sind die Indizien eindeutig. Mehrere Zeugen sahen den Täter und erkannten ihn auf Fotos als Marco Camenisch; die Pfarrersleute, bei denen er kurz nach der Tat Einlass verlangte, bezeugten, dass Camenisch den Sonntag bei ihnen verbracht hatte, und seine Mutter bekräftigte dies.

Zudem erwies sich der Revolver, den Camenisch 1991 bei seiner Verhaftung in Italien auf sich trug, als Tatwaffe. Alle Indizien zusammen ergeben gemäss Weder ein stimmiges Bild, das keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten zulasse, wie er in seinem Plädoyer am Dienstag ausführte.

Ganz anders sieht dies Verteidiger Bernard Rambert. Marco Camenisch habe von Anfang an nie eine Chance gehabt, nicht der Täter zu sein. Der Verteidiger wies auf unterschiedliche Zeugenaussagen vor allem in Bezug auf das Aussehen des Täters hin.

Die Tatsache allein, dass Camenisch am fraglichen Sonntag im Dorf war, sei kein Beweis dafür, dass er der Täter sei. Ebenso wenig sei dies dadurch erwiesen, dass er den Tatrevolver auf sich getragen habe. Im übrigen hätten sich die Ermittlungsbehörden so viele Schludrigkeiten geleistet, dass nicht einmal sicher sei, dass in Rom und in Zürich dieselben Projektile untersucht worden seien.

Nach Darstellung des Verteidigers gibt es viel zu viele Zweifel an der Täterschaft Camenischs, als dass ein Schuldspruch resultieren könne. Das Gericht habe sich an den Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten zu halten.

Auch im Anklagepunkt Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch von 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf ZH sind die Parteien diametral verschiedener Meinung. Bei der Flucht wurde ein Aufseher erschossen, einer wurde schwer verletzt und einer wurde durch Zufall nicht getroffen.

Gemäss Anklage war Camenisch massgeblich an Planung und Ausführung der Flucht von sechs Häftlingen beteiligt. Er trägt ihrer Ansicht nach die Mitverantwortung mindestens für die letzten Schüsse; spätestens dann habe er gewusst, dass Waffen vorhanden waren und eingesetzt würden.

Laut Verteidigung war der Fluchtbeitrag Camenischs so gering, dass man ihm keinerlei Mitverantwortung für die Schüsse geben könne. Die Flucht selbst sei in Sekundenschnelle abgelaufen, ein neues Überdenken der Situation sei unmöglich gewesen.

Der in Brusio getötete 36-jährige Grenzwächter hinterliess eine Frau und ein damals zweijähriges Kind. Der Vertreter der Witwe und des Sohnes forderte eine Genugtuung von insgesamt 100000 Franken.

Mit den Parteienvorträgen gingen am Dienstagabend die Verhandlungen vor dem Geschworenengericht zu Ende. Die neun Geschworenen und die drei Berufsrichter beraten nun über Schuld und allfälliges Strafmass. Das Urteil wird am Freitagnachmittag eröffnet. (cpm/rom/sda)

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Zürich Dienstag, 01. Juni 2004 / 09:35 -- Tages-Anzeiger Online

Farbanschlag auf SP-Büro

Mutmassliche Sympathisanten des Öko-Aktivisten Marco Camenisch haben in der Nacht das Gebäude, in dem sich das SP-Parteibüro befindet, mit Farbe beschmiert.

Wie die Aktivisten in einem an den Lokalradiosender Radio 24 gerichteten Bekennerschreiben ausführen, sei der Farbanschlag die Quittung für die Kessel- und Präventivhaft, die von Stadträtin Esther Maurer bei Demonstrationen angeordnet worden sei. Die Höhe des Sachschadens ist noch nicht bekannt. Gemäss Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi sei es wahrscheinlich, dass die Täter aus dem Umfeld des Öko-Aktivisten Marco Camenisch stammen. (cpm)


20040602 AZ: Summe der Beweismittel zählt / Zwei Bilder eines Mannes

Aargauer Zeitung / MLZ; 02.06.2004

Summe der Beweismittel zählt

Camenisch-Prozess Staatsanwalt Ulrich Weder fordert eine lebenslange Haftstrafe

Der als Öko-Terrorist bekannte Marco Camenisch soll laut Anklage lebenslänglich hinter Gitter. Sein Verteidiger machte zahlreiche Zweifel an der Beweisführung geltend und plädierte auf Freispruch.

Andrea Trueb
Unterschiedlicher hätten die beiden Bilder nicht sein können, die Anklage und Verteidigung in ihren Plädoyers am gestrigen letzten Prozesstag zeichneten. Da der wild um sich schiessende, gewaltbereite und uneinsichtige Terrorist - dort der engagierte Schützer von Umwelt und Menschheit, der zur falschen Zeit am falschen Ort war und dem man nebst überhöhten Strafen einen Mord anhängen will. Laut Anklage soll Marco Camenisch im Dezember 1989 in Brusio GR einen Grenzwächter ermordet haben und bei einem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf 1981 für einen Mordversuch mitverantwortlich sein.

Staatsanwalt Ulrich Weder zeigte in seinem Plädoyer während eineinhalb Stunden auf, dass zwar gewisse Unklarheiten bestünden, die Beweislage insgesamt aber erdrückend sei. Er plädierte für eine lebenslange Haftstrafe. Verteidiger Bernard Rambert seinerseits betonte während etwas mehr als drei Stunden, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei - und forderte einen Freispruch.

Ein politischer Prozess

Camenisch war während der Plädoyers anwesend und mit ihm - in den Zuschauerrängen - zahlreiche Sympathisanten. Unter anderem Andrea Stauffacher vom Revolutionären Aufbau, die Marco Camenisch persönlich kennt und von seiner Unschuld überzeugt ist: Was Marco sagt, zählt für mich. Es ist ein politischer Prozess, sagte eine andere Anhängerin. Sie bewundere Camenischs Haltung gegenüber dem Staat. Auch sei sei von seiner Unschuld überzeugt. Camenischs Unschuld ist nicht für alle entscheidend, sagte ein dritter Anhänger. Einige nehmen im Kampf für die Natur und gegen den Staat auch einen Mord in Kauf.

Zu Demonstrationen kam es während der Verhandlung nicht - auch zu keinen Unterbrüchen. Abgesehen von einem herzlichen Marco Libero!, als der Angeklagte den Saal betrat und einem demonstrativen Zeitungsrascheln während des Plädoyers des Staatsanwalts. Camenisch selber sass die ganze Zeit ruhig da. Winkte zwei oder drei Mal einer Bekannten oder lächelte jemandem zu. Er sieht besser aus als in den letzten Tagen, sagte Karin Hümbelin, eine der Sympathisantinnen - obwohl Camenischs Gesicht von Augenringen gezeichnet war.

Kraftausdrücke und Blabla

Während die Anhängerschaft die Worte des Anklägers immer wieder einmal mit herben Kraftausdrücken oder einem seufzenden Bla, bla, bla kommentierten, verzog Camenisch keine Miene. Er schien zwar zuzuhören, emotional aber nicht beteiligt zu sein. Auch nicht als Staatsanwalt Weder den Mord am Grenzwächter im Dezember 1989 als besonders grausam und skrupellos bezeichnete. Camenisch hatte an einem früheren Prozesstag diese Schuld von sich gewiesen.

Nebst dem Grenzwächter-Mord hat Camenisch laut Anklage beim Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf den Tod von Menschen in Kauf genommen. Beim Ausbruch wurde ein Aufseher erschossen und einer schwer verletzt. Ein Dritter wurde zufällig nicht getroffen. So steht es für Weder ausser Zweifel, dass Camenisch zwar nicht selber geschossen, jedoch gewusst hatte, dass seine Komplizen Waffen mit sich trugen - und nötigenfalls davon Gebrauch machen würden. Camenisch komme geradezu eine Schlüsselrolle bei der Flucht zu. Er habe, nachdem die ersten Schüsse bereits gefallen waren, die Türe für die Flüchtenden offen gehalten. Dieses Vorgehen passe zu Camenisch. Habe dieser doch mehrmals geäussert, Gewalt sei für ihn der einzige Weg. In diesem Sinne trage der Angeklagte Mitverantwortung für den versuchten Mord. Als weiteres Zeichen für seine kriminelle Energie wertete Weder die Tatsache, dass Camenisch während der ganzen Haftzeit kein Zeichen der Reue gezeigt habe.

Vertauschte Projektile

Verteidiger Rambert hingegen äusserte Zweifel an den Beweismitteln. So sei nicht sicher, ob die untersuchten Projektile überhaupt vom Mord in Brusio stammten. Rambert schloss nicht aus, dass Beweismittel manipuliert wurden, um den in Italien als Anarchisten gefürchteten Camenisch auszuschalten. Als ebenso irreführend bezeichnete er die Identifizierung von Camenisch durch Zeugen. Dabei seien Verfahrensregeln missachtet worden. Unter anderem wurden Zeugen am Tatort bereits Fotos von Camenisch gezeigt. Rambert: Camenisch hatte nie eine Chance nicht der Täter zu sein. Auch die zum Teil widersprüchlichen Zeugenangaben über Kleidung, Statur und Tasche des Angeklagten trugen laut Rambert nicht zur Erhellung bei.

Zum Anklagepunkt Mordversuch beim Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf sagte Rambert, dass Camenisch mit Recht davon ausgegangen sei, dass die Flucht ohne Waffen geschehen würde: Schliesslich ist es in einer Strafanstalt nicht gang und gäbe, dass Waffen hereingeschmuggelt werden können. Als er die Schüsse gehört habe, sei es jedoch zu spät gewesen, um die Flucht zu stoppen.

Zum Schluss äusserte sich auch der Angeklagte - wenn auch nur kurz. Dabei rief er zur Solidarität mit allem auf, was dazu führe, dass wir als gesunde Tiere der Spezies Mensch leben können. Camenisch erntete Applaus.

Das Urteil soll am Freitag bekannt gegeben werden.

Öko-Terrorist Camenisch vor seinem Anwalt Rambert (hinten links) und Staatsanwalt Weder. Linda Grädel/key

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Aargauer Zeitung / MLZ; 02.06.2004
A-Z Zeitung

Zwei Bilder eines Mannes

Camenisch-Prozess Staatsanwalt Ulrich Weder fordert eine lebenslange Haftstrafe

Der als Öko-Terrorist bekannte Marco Camenisch soll laut Anklage lebenslänglich hinter Gitter. Sein Verteidiger machte zahlreiche Zweifel an der Beweisführung geltend und plädierte auf Freispruch.

Andrea Trueb

Unterschiedlicher hätten die Bilder nicht sein können, die Anklage und Verteidigung in ihren Plädoyers am gestrigen letzten Prozess-tag zeichneten. Da der wild um sich schiessende, gewaltbereite und uneinsichtige Terrorist - dort der engagierte Schützer von Umwelt und Menschheit, der zur falschen Zeit am falschen Ort war und dem man nebst überhöhten Strafen einen Mord anhängen will. Laut Anklage soll Marco Camenisch im Dezember 1989 in Brusio GR einen Grenzwächter ermordet haben und bei einem Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf 1981 für einen Mordversuch mitverantwortlich sein. Staatsanwalt Ulrich Weder zeigte in seinem Plädoyer auf, dass zwar gewisse Unklarheiten bestünden, die Beweislage insgesamt aber erdrückend sei. Er plädierte für eine lebenslange Haftstrafe. Verteidiger Bernard Rambert seinerseits betonte während etwas mehr als dreier Stunden, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei - und forderte einen Freispruch.

Camenisch selber sass die ganze Zeit ruhig da und verzog keine Miene. Er schien zwar zuzuhören aber nicht beteiligt zu sein. Auch nicht als Staatsanwalt Weder den Mord am Grenzwächter im Dezember 1989 als besonders grausam und skrupellos bezeichnete.

Nebst dem Grenzwächter-Mord hat Camenisch laut Anklage beim Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf den Tod von Menschen in Kauf genommen. Beim Ausbruch wurde ein Aufseher erschossen und einer schwer verletzt. Ein dritter wurde zufällig nicht getroffen. So steht es für Weder ausser Zweifel, dass Camenisch zwar nicht selber geschossen, jedoch gewusst hatte, dass seine Komplizen Waffen mit sich trugen - und nötigenfalls davon Gebrauch machen würden. Camenisch habe, nachdem die ersten Schüsse bereits gefallen waren, die Tür für die Flüchtenden offen gehalten. In diesem Sinne trage der Angeklagte Mitverantwortung für den versuchten Mord.

Vertauschte Projektile

Verteidiger Rambert hingegen äusserte Zweifel an den Beweismitteln. So sei nicht sicher, ob die untersuchten Projektile überhaupt vom Mord in Brusio stammten. Als ebenso irreführend bezeichnete er die Identifizierung von Camenisch durch Zeugen. Dabei seien Verfahrensregeln missachtet worden. Unter anderem wurden Zeugen am Tatort bereits Fotos von Camenisch gezeigt. Rambert: Camenisch hatte nie eine Chance nicht der Täter zu sein. Auch die zum Teil widersprüchlichen Zeugenangaben über Kleidung, Statur und Tasche des Angeklagten trugen laut Rambert nicht zur Erhellung bei.

Das Urteil soll am Freitag bekannt gegeben werden.


20040602 BaZ: Camenisch: Freispruch gegen lebenslänglich

BaZ Erschienen am: 02.06.2004

Camenisch: Freispruch gegen lebenslänglich

Für den Verteidiger hatte Marco Camenisch keine Chance, nicht der Täter von Brusio zu sein. Der Staatsanwalt verlangt lebenslänglich.

Zürich. Am ersten Prozesstag hatte Marco Camenisch eine ausformulierte Erklärung voll Widerstandsrhetorik abgegeben und betont, eine Tat wie die Tötung des Zöllners in Brusio sei für ihn nicht denkbar. Nach Abschluss des Beweisverfahrens und der Plädoyers hielt er gestern vor dem Zürcher Geschworenengericht nur ein ganz kurzes Schlusswort. Es fiel ziemlich wirr aus. Die Rede war vom wilden Manndli, das in der Gegend von Davos gesehen worden sei, vom Abschuss des letzten Bären, von der Zivilisation als patriarchaler Entwicklung und von Hexenverbrennungen im Puschlav und im Bergell. Auf die Anklage ging Camenisch mit keinem Wort ein.


Dazu hatten zuvor Anklage und Verteidigung die Klingen gekreuzt. Der Staatsanwalt erklärte, die einzelnen Indizien gegen Camenisch würden für sich allein als Beweis für die Tat in Brusio nicht ausreichen. In der Gesamtschau sei das Bild jedoch eindeutig. Unbestritten sei, dass Camensich etwa eine halbe Stunde nach der Tat das Pfarrhaus von Brusio betrat. Ein Motiv sei gegeben, da er polizeilich gesucht wurde und sich der Verhaftung entziehen wollte. Der Staatsanwalt wiederholte Äusserungen von Camenisch gegenüber dem Pfarrer an jenem Tag, wonach er getötet habe, um nicht getötet zu werden.


Kugeln aus Camenischs Waffe?

Für die Anklage besteht kein Zweifel, dass mehrere Zeugen an jenem Sonntagmorgen Camenisch erkannten. Nach der ballistischen Untersuchung stammten die drei tödlichen Projektile zweifelsfrei aus der Waffe, die Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien immer noch auf sich trug. Der Grenzwächter trat in Ausübung seines Berufs korrekt an Camenisch heran, der ihn unter totaler Verachtung menschlichen Lebens niedermachte, sagte der Staatsanwalt. Es gebe keinen vernünftigen Zweifel, dass niemand anderer als Camenisch schoss, und der Tatbestand Mord sei in seltener Eindeutigkeit erfüllt.


Ungereimtheiten bei Ermittlung

Der Verteidiger erinnerte an die Umweltkatastrophen der siebziger Jahre, den Chemieunfall von Seveso und die Havarie im amerikanischen Kernkraftwerk Three Mile Island. Es bestehe ein Zusammenhang mit diesen Vorfällen zu den Anschlägen, die der Angeklagte 1979 in Graubünden beging, ebenso zwischen dem drakonischen Urteil des Kantonsgerichts in Chur von 1981 zu dessen späterem Leben. So habe Camenisch, zum Terroristen stilisiert, 1989 keine Chance gehabt, nicht der Täter von Brusio zu sein.
Der Verteidiger warf den Bündner Ermittlern bereits für den Tag des Mordes von Brusio schwere Fehler vor. Für sie habe Camenisch wenige Stunden danach als Täter festgestanden und den Zeugen sei aus der Verbrecherkartei sein Bild gezeigt worden. In einem Punkt besteht eine Ungereimtheit, wie auch der Staatsanwalt zugab. Alle Zeugen der Tat sprachen von einem Mann mit langem Bart. Die Pfarrersleute von Brusio und auch Camenischs Mutter konnten sich an keinen Bart erinnern. Der Staatsanwalt erachtet es für möglich, dass Camenisch sich sofort nach der Tat rasierte oder einen falschen Bart trug.
Die Verteidiger griff auch die ballistischen Gutachten an und warf den Ermittlern auch hierzu Schlamperei vor. Einen expliziten Antrag auf Freispruch stellte er nicht, doch meinte er zu den Geschworenen, es seien erhebliche Zweifel an Camenischs Urheberschaft angebracht. Der Staatsanwalt forderte dagegen eine lebenslange Zuchthausstrafe. Das Gericht wird das Urteil nach geheimer Beratung voraussichtlich am Freitag fällen.

Stefan Hotz


20040602 NZZ: Lebenslänglich oder Freispruch? / Differenz in Gutachten relativiert

2. Juni 2004, 07:06, Neue Zürcher Zeitung

Kasten: Differenz in Gutachten relativiert

Geschworenengericht in Zürich
Lebenslänglich oder Freispruch?
Staatsanwalt fordert Höchststrafe für Marco Camenisch

Wegen Mords und Mordversuchs soll Marco Camenisch lebenslänglich ins Zuchthaus. Dies hat der Staatsanwalt am Dienstag am Geschworenengericht in Zürich gefordert. Der Verteidiger hingegen verlangte für seinen Mandanten einen Freispruch.


-yr. Nach dreiwöchiger Beweisaufnahme ist für Staatsanwalt Ulrich Weder im Mordprozess gegen Marco Camenisch eine letzte Ungereimtheit geblieben: Mehrere Augenzeugen, die am Sonntagmorgen des 3. Dezember 1989 in Brusio (GR) den unbekannten Täter vor, während und unmittelbar nach der Tötung des Grenzwächters Kurt Moser gesehen hatten, sagten übereinstimmend, dieser habe einen langen, bis an die Brust reichenden Bart getragen. Im Pfarrhaus hingegen, wo Camenisch eine Viertelstunde nach dem Tötungsdelikt aufgetaucht war, trug er erwiesenermassen keinen Bart. Diese Diskrepanz müsse er offen lassen, hat Staatsanwalt Weder am Dienstag in seinem Plädoyer vor dem Geschworenengericht in Zürich eingeräumt. In einem Mosaik von Beweismitteln und Indizien könne durchaus auch einmal ein Teilchen fehlen, sagte er. Trotzdem ergebe sich insgesamt ein abgerundetes Bild, das keine vernünftigen Zweifel daran offen lasse, dass Camenisch der Täter sei. Wegen der beispiellosen Skrupellosigkeit sei eine Bestrafung mit lebenslänglich Zuchthaus unumgänglich, forderte Staatsanwalt Weder.

Der (fehlende) Bart des Angeklagten

Nachdem unmittelbar vor den Plädoyers ein italienischer Waffenexperte scheinbare Widersprüche in zwei ballistischen Gutachten relativiert hatte (siehe Kasten), blieb für Camenischs Verteidiger Bernard Rambert die umstrittene Frage des Bartes der letzte objektive Einwand. Er hielt in seinem Plädoyer denn auch fest, dass die Signalemente - insbesondere mit und ohne Bart - viel zu widersprüchlich seien, als dass man Camenisch als Täter überführen könnte. Sein Mandant sei einzig zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Bereits kurz nach der Tötung des Grenzwächters sei das Gerüchte-Karussell gegen Marco Camenisch in Gang gesetzt worden, sagte der Verteidiger. Sein Mandant habe deshalb gar nie eine faire Chance gehabt, nicht der Täter von Brusio zu sein, lautete die Kernaussage in Ramberts Plädoyer.

Dies wollte Staatsanwalt Weder nicht stehen lassen. Das sei ja geradezu anmassend, während der gesamten Untersuchung und auch an der Hauptverhandlung am Geschworenengericht die Aussage zu verweigern und dann den Vorwurf zu erheben, man habe keine faire Chance gehabt, sich zu verteidigen. Er hätte von Camenisch noch so gerne eine Erklärung gehört, wieso er sich an jenem Sonntag stundenlang im Pfarrhaus von Brusio versteckt habe, sagte der Staatsanwalt in seiner Replik. Auch bezüglich des umstrittenen Bartes blieb Weder mangels Kooperation des Angeklagten nichts anderes übrig, als sich auf relativ vage Spekulationen einzulassen. Die glaubwürdigste Version ist laut Weder die, dass sich Camenisch, der sich seit 1981 auf der Flucht befunden hatte, für den Besuch in seinem Heimatdorf einen künstlichen Bart anklebte. Nachdem es zum tödlichen Zwischenfall mit dem Grenzwächter gekommen war, habe er diesen künstlichen Bart wieder abgenommen.

Die Waffe vertauscht?

Eine weit härtere Knacknuss, als sie die Angelegenheit mit dem Bart für den Staatsanwalt bedeutete, hatte der Verteidiger mit dem ballistischen Gutachten zu lösen. Dieses ergab zweifelsfrei, dass die in oder neben der Leiche gefundenen Projektile aus dem Revolver stammten, den Camenisch 1991 bei seiner Verhaftung in der Toskana in einer Umhängetasche mit sich trug. Dieses Gutachten, das den Angeklagten massiv belastet, wurde von der zuständigen Bezirksanwältin erst im letzten Moment der Untersuchung in Auftrag gegeben. Das Ergebnis liegt seit März 2003 vor und hat die Arbeit des Verteidigers deutlich erschwert. In seinem Plädoyer stellte er diesbezüglich vor allem zwei Grundsatzfragen: Ob es sich bei der Waffe auch wirklich um jene Camenischs handle und ob die Projektile tatsächlich jene von Brusio seien. Für beide Fragen gebe es keine wissenschaftlich abgesicherten Antworten, hielt Rambert fest.

Noch weiter auf die Äste hinaus begab er sich, als er in sein Plädoyer einflocht, man müsse auch die Manipulation von Beweismitteln in Erwägung ziehen. Er wolle nicht behaupten, dass dies im Fall Camenisch der Fall gewesen sei, indem beispielsweise die Tatwaffe ausgetauscht worden sei. Aber zumindest darauf hinweisen, dass insbesondere in Italien in den letzten Jahren solche Manipulationen aufgedeckt worden seien, das wolle er. Zumal es sich bei Marco Camenisch um einen Anarchisten handle, der bei der italienischen Polizei speziell verhasst sei. Den Vorwurf von Staatsanwalt Weder, mit solchen unbewiesenen Vorhalten begebe er sich unter die Gilde der Verschwörungstheoretiker, wies Rambert entrüstet zurück.

Seine Forderung nach der höchstmöglichen Strafe - lebenslänglich Zuchthaus - begründete Staatsanwalt Weder insbesondere mit der scheusslichen Vorgehensweise, die einer Hinrichtung gleichkomme. Selbst als der wehrlose Grenzwächter schon am Boden gelegen sei, habe ihm Camenisch ein zweites Mal in den Kopf geschossen. Allein diese Tat verdiene eine Bestrafung mit 20 Jahren Zuchthaus. Hinzu komme der Straftatbestand des versuchten Mordes, als 1981 beim Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf auf einen Oberaufseher gezielt wurde. Vielleicht habe Camenisch damals tatsächlich nicht gewollt, dass geschossen werde, sagte Staatsanwalt Weder. Doch mit seiner aktiven Beteiligung bei der Flucht habe er die lebensgefährlichen Schüsse zumindest in Kauf genommen. Verteidiger Rambert hingegen argumentierte, sein Mandant habe gar keine Möglichkeit gehabt, seine Mithäftlinge von den Schüssen abzuhalten. Wie im Mordfall von Brusio verlangte er deshalb einen Freispruch.

Was würde lebenslänglich bedeuten?

Einen letzten Disput löste die Frage aus, was eine Bestrafung mit lebenslänglich Zuchthaus für den Angeklagten bedeuten würde. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass Camenisch die Strafe, die er in Italien zwischen 1991 und 2002 abgesessen hatte, angerechnet würde. Dies, weil beide am Geschworenengericht zu beurteilenden Straftaten zeitlich vor dem italienischen Urteil begangen wurden und somit lediglich mit einer Zusatzstrafe zu ahnden sind (Art. 68 Ziff. 2 StGB). Der Verteidiger hingegen befürchtet, dass bei einer lebenslänglichen Zusatzstrafe die von seinem Mandanten in Italien verbüsste Gefängniszeit nicht angerechnet wird. Dies hätte zur Folge, dass Camenisch nicht in 7, sondern erst in 20 Jahren freikommen würde. Weder bezeichnete diese Diskussion allerdings als hypothetisch, da Camenisch aus heutiger Sicht wegen seiner anhaltenden Gefährlichkeit sowieso nicht aus der Haft entlassen werden könne. - In geheimer Beratung fällt das Geschworenengericht in den nächsten Tagen das Urteil, das am Freitag eröffnet wird.

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Differenz in Gutachten relativiert

-yr. Vor den beiden Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist am Dienstagmorgen ein italienischer Waffenexperte als letzter Zeuge am Geschworenengericht aufgetreten. Er relativierte Differenzen, die in zwei ballistischen Gutachten aufgetaucht waren. Die Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) der Stadtpolizei Zürich hatte ergeben, dass die 1989 nach der Tötung eines Grenzwächters in Brusio (GR) gefundenen Projektile zweifelsfrei aus einem Revolver abgefeuert worden waren, der Marco Camenisch gehörte. Im Gutachten kamen die Zürcher Waffenexperten zum Schluss, dass die drei untersuchten Projektile einen sogenannten Linksdrall aufweisen. Ein italienischer Gutachter hingegen hatte 1990 in einem Bericht geschrieben, dass eines der Projektile einen Links-, die anderen beiden aber wahrscheinlich einen Rechtsdrall haben. Der inzwischen pensionierte Waffenexperte, der über Pfingsten in Italien kontaktiert und nach Zürich bestellt worden war, erklärte die Differenz damit, dass die Projektile sehr stark deformiert gewesen seien. Er habe die Richtung des Dralls deshalb nicht mit Sicherheit feststellen können. Dies wäre seiner Ansicht nach einfacher gewesen, wenn er die mutmassliche Tatwaffe zur Verfügung gehabt hätte - 13 Jahre später verfügten die Zürcher Kollegen über den fraglichen Revolver. Mit diesen Aussagen relativierte sich die These der Verteidigung stark, wonach es sich bei den untersuchten Projektilen gar nicht um jene aus Brusio gehandelt habe.


20040602 SHN: Staatsanwalt fordert die Höchststrafe

SHN Mittwoch 2. Juni 2004, Inland

Staatsanwalt fordert die Höchststrafe
Camenisch-Prozess: Letzter Tag

Für seinen Verteidiger hatte der so genannte Ökoterrorist Marco Camenisch keine Chance, nicht der Täter von Brusio zu sein.

von Stefan Hotz

Zürich -Am ersten Prozesstag hatte Marco Camenisch eine ausformulierte Erklärung voller Widerstandsrhetorik abgegeben und betont, eine Tat wie die Tötung des Zöllners in Brusio sei für ihn nicht denkbar. Nach Abschluss des Verfahrens und der Plädoyers sagte er gestern vor dem Zürcher Geschworenengericht nur ein ganz kurzes Schlusswort. Es fiel ziemlich wirr aus. Die Rede war vom wilden Manndli, das in der Gegend von Davos gesehen worden sei, vom Abschuss des letzten Bären und von der Zivilisation als patriarchaler Entwicklung. Auf die Anklage ging Camenisch mit keinem Wort ein.

Dazu hatten zuvor während Stunden Anklage und Verteidigung die Klingen gekreuzt. Der Staatsanwalt erklärte, die einzelnen Indizien gegen Camenisch würden als Beweis für die Tat in Brusio nicht ausreichen. In der Gesamtschau sei das Bild jedoch eindeutig. Unbestritten sei, dass Camenisch etwa eine halbe Stunde nach der Tat das Pfarrhaus von Brusio betrat. Ein Motiv sei gegeben, da er polizeilich gesucht wurde und sich der Verhaftung entziehen wollte. Der Staatsanwalt wiederholte Äusserungen von Camenisch gegenüber dem Pfarrer, wonach er getötet habe, um nicht getötet zu werden.
Für den Ankläger besteht kein Zweifel, dass mehrere Zeugen an jenem Sonntagmorgen Camenisch erkannten. Nach der ballistischen Untersuchung stammten die drei tödlichen Projektile zweifelsfrei aus der Waffe, die Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien immer noch auf sich trug. Der Grenzwächter trat in Ausübung seines Berufs korrekt an Camensich heran, der ihn unter totaler Verachtung menschlichen Lebens niedermachte, sagte der Staatsanwalt. Es gebe keinen vernünftigen Zweifel, dass Camensich schoss, und der Tatbestand Mord sei in seltener Eindeutigkeit erfüllt.

Ein Mann mit Bart

Der Verteidiger erinnerte zunächst an die Umweltkatastrophen der Siebzigerjahre, den Chemieunfall von Seveso und die Havarie im US-Kernkraftwerk Three Mile Island. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und den Anschlägen, die Camenisch beging, sowie dem drakonischen Urteil des Kantonsgerichts in Chur 1981 und seinem späteren Leben. So wurde Camenisch, zum Terroristen stilisiert, der 1989 keine Chance gehabt habe, nicht der Täter zu sein.

Der Verteidiger warf den Bündner Ermittlern schwere Fehler vor. Für sie habe Camenisch wenige Stunden nach dem Mord als Täter festgestanden, und den Zeugen sei aus der Verbrecherkartei sein Bild gezeigt worden. In einem Punkt besteht eine Ungereimtheit. Alle Zeugen sprachen von einem Mann mit langem Bart. Die Pfarrersleute von Brusio konnten sich an keinen Bart erinnern. Der Staatsanwalt erachtet es als möglich, dass Camensich sich nach der Tat rasierte oder, da er auf der Flucht war und sein Heimatdorf besuchte, einen falschen Bart trug.
Zu reden gaben die ballistischen Gutachten. Dazu hörte das Gericht einen letzten Zeugen der Verteidigung. Der pensionierte Schusswaffenspezialist der Staatspolizei in Rom hatte in einem Gutachten 1990 festgehalten, die Spuren auf der ersten Kugel von Brusio wiesen auf Linskdrall hin. Bei den beiden anderen, stark deformierten Projektilen erkannte er wahrscheinlich einen Rechtsdrall. Die drei Kugeln wären demnach nicht aus der gleichen Waffe abgefeuert worden. Gestern erklärte der Zeuge jedoch, bei einer genaueren Überprüfung sei der Befund denkbar, wonach alle drei Geschosse der gleichen Waffe zuzuordnen seien, wie das später der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich feststellte.

Urteil am Freitag

Der Verteidiger warf den Ermittlern auch hierzu Schlamperei vor. Einen expliziten Antrag auf Freispruch stellte er nicht, doch meinte er zu den Geschworenen, es seien erhebliche Zweifel an Camenischs Urheberschaft angebracht. Der Staatsanwalt forderte eine lebenslange Zuchtshausstrafe. Das Gericht wird das Urteil nach geheimer Beratung voraussichtlich am Freitag fällen.

20040603 20min: Camenisch schweigt weiter

20min Publiziert am: 03. Juni 2004 14:01

Camenisch schweigt weiter

Im Prozess vor dem Zürcher Geschworenengericht wurden drei Wochen lang Zeugen angehört, welche den Angeklagten teils schwer belasteten. Zu Camenischs Entlastung war bislang wenig zu hören.


Die Äusserungen Camenischs beschränkten sich im Laufe der Verhandlungen auf drei schriftlich vorbereitete Erklärungen, einige saloppe no comment auf direkte Fragen und einzelne spontane Übersetzungshilfen bei der Befragung italienischsprachiger Zeugen. Ansonsten sass er meist halb zum Publikum gedreht, kaute Kaugummi oder einen Stengel Süssholz und demonstrierte Desinteresse.

Der Angeklagte sieht sich als politischer Gefangener im Krieg mit dem bürgerlichen Staatsapparat. Sympathisanten leisteten ihm vom Zuschauerraum aus Tag für Tag moralische Unterstützung -jeweils zwischen einer Handvoll und einer Hundertschaft. Abgesehen von einigen Applausen, die Gerichtspräsident Hans Mathys nachsichtig rügte, verfolgten sie ruhig das Geschehen.

Anträge: Lebenslänglich - Freispruch

Camenisch ist des Mordes und des Mordversuchs angeklagt. Der Staatsanwalt fordert eine lebenslängliche Zuchthausstrafe, der Verteidiger will einen Freispruch für seinen Mandanten. Das Urteil wird am Freitagnachmittag (4. Juni) eröffnet.

Der Mordversuch bezieht sich auf den Ausbruch einer Gruppe Häftlinge aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf Ende 1981. Dabei wurde ein Aufseher erschossen und einer schwer verletzt. Ein dritter blieb unverletzt. Camenisch schoss nicht selbst, trägt aber laut Anklage die Mitverantwortung zumindest für die Schüsse auf den dritten Aufseher.

Als Mord qualifiziert der Staatsanwalt die Erschiessung eines 36- jährigen Grenzwächters am Morgen des 3. Dezember 1989 im Bündner Dorf Brusio. Camenisch - seit seinem Ausbruch 1981 untergetaucht - soll ihn mit drei Schüssen getötet haben, um sich einer Kontrolle zu entziehen.

Belegt ist, dass Camenisch am fraglichen Morgen in Brusio war, wo er das Grab seines kurz zuvor verstorbenen Vaters besuchen wollte, dass er den Sonntag im reformierten Pfarrhaus verbrachte und dort seine Mutter und seinen Bruder traf.

Mehrere Zeugen gaben an, den Täter gesehen und auf Fotos als Marco Camenisch erkannt zu haben. Ein junger Mann beobachtete die Tat direkt aus dem Fenster und bezeichnete ebenfalls Camenisch als Schütze. Bei seiner Verhaftung 1991 in Italien trug Camenisch zudem die Tatwaffe bei sich.

Vorteil für Staatsanwalt

Die Beweislage verschaffte Staatsanwalt Ulrich Weder praktisch durchgehend einen Vorteil gegenüber der Verteidigung. Anwalt Bernard Rambert musste sich darauf konzentrieren, bei den Geschworenen Zweifel an den Zeugenaussagen zu säen. Dabei kamen ihm verschiedene Schludrigkeiten der Ermittlungsbehörden entgegen, die im Laufe der Befragungen deutlich wurden.

Immer wieder bezog sich die Verteidigung zudem auf ein Urteil des Kantonsgerichts Graubünden. Dieses hatte Camenisch Anfang 1981 wegen zwei Sprengstoffanschlägen auf Einrichtungen der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG (NOK) und diversen anderen Delikten zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Das Urteil war seinerzeit weit herum als politische Demonstration des Gerichts interpretiert worden. Aus jener Zeit datiert Camenischs Ruf als Öko-Aktivist oder auch Öko- Terrorist.

Auf Einladung der Verteidigung bemühten sich mehrere damalige Bekannte des heute 52-Jährigen, die redliche Einstellung des Angeklagten zu untermauern. Dennoch blieb schleierhaft, wo sich Camenisch je für Umweltschutz eingesetzt haben soll.

Verschwörungs-Theorie

Als Alternative zur Täterschaft Camenischs präsentierte der Churer Liedermacher Walter Lietha eine Theorie, wonach Camenisch Opfer einer Verschwörung sei.

Just am Wochenende des Tötungsdelikts in Brusio war nämlich der Fichen-Bericht präsentiert worden. Aufgrund dessen platzte der Skandal einer Schweizer Geheimarmee. Da sei als Rechtfertigung Camenisch als echter Terrorist gerade recht gekommen.
Notiz: In der Meldung bsd118 wurde der Zeitpunkt der Urteilseröffnung ergänzt (Abschnitt 4, letzter Satz).

Quelle: SDA


20040603 TA: Camenisch: Rechnerei um mögliche Strafe

03.06.2004 -- Tages-Anzeiger Online

Camenisch: Rechnerei um mögliche Strafe

Die Rechtslage lässt verschiedene Strafmasse zu: Für Camenisch könnte ein lebenslänglich allenfalls milder sein als eine sehr hohe zeitlich limitierte Freiheitsstrafe.

Auch wenn das Geschworenengericht Marco Camenisch als nicht schuldig beurteilen würde - im Gefängnis muss er dennoch bleiben: Anfang 1981 hatte ihn das Kantonsgericht Graubünden zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach einem knappen Jahr flüchtete Camenisch aus Regensdorf.
Abzüglich rund ein Jahr Untersuchungshaft hat er also noch etwa acht Jahre abzusitzen. Bei guter Führung könnte der heute 52- Jährige in etwa fünf Jahren mit seiner bedingten Entlassung rechnen.

Kommt das Gericht zu einem Schuldspruch, so muss es sich auch mit der 12-jährigen Freiheitsstrafe befassen, welche Camenisch wegen Sprengstoff- und anderen Delikten von 1991 bis 2002 in Italien abgesessen hat.

Staatsanwalt Ulrich Weder hatte im Gericht die Möglichkeit angesprochen, dass diese Jahre angerechnet würden, weil Camenisch die Delikte, für die er vor Geschworenengericht steht, vor jenen in Italien verübt hatte.

Das Strafgesetzbuch bestimmt nämlich, dass jemand, der verurteilt worden ist und erst später für eine frühere Tat vor Gericht steht, nicht schwerer bestraft werden darf, als wenn alle Delikte zusammen beurteilt würden.

Wann Camenisch frühestens aus dem Gefängnis entlassen wird, wird nach Auskunft des Amtes für Justizvollzug nach ganz bestimmten Grundsätzen errechnet: Bei einer zeitlich begrenzten Strafe werden die acht Restjahre aus dem Bündner Urteil addiert, bei einer lebenslänglichen Strafe ist dies nicht der Fall.

Resultiert ein hohes Strafmass von beispielsweise 20 Jahren macht dies unter dem Strich 28 Jahre. Abgezogen würden die gut zwei Jahre, die er seit seiner Auslieferung aus Italien in Schweizer Gefängnissen sitzt - bleiben 26 Jahre. Bei Erlass eines Drittels käme Camenisch in rund 17 Jahren bedingt frei.

Bereits nach rund 15 Jahren könnte Camenisch dagegen bedingt entlassen werden, wenn er zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt würde. In diesem Fall würden die acht Restjahre sozusagen verschluckt von der zeitlich unbefristeten Strafe. (lbl/sda)



Urteil

20040604 BaZ: Marco Camenisch: 17 Jahre Zuchthausstrafe

BaZ online letzte Änderung: 04.06.04 21:00

Marco Camenisch: 17 Jahre Zuchthausstrafe

Zürich. SDA/BaZ. 17 Jahre Zuchthaus für Marco Camenisch. Das Zürcher Geschworenengericht hat den 52-Jährigen am Freitag des Mordes schuldig gesprochen. Nicht zu einem Schuldspruch kam es dagegen im Anklagepunkt Mordversuch.
Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36- jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet.

Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation de Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung.

Zusätzlich zur nun ausgesprochenen Strafe hat Camenisch noch acht Jahre von jener 10-jährigen Zuchthausstrafe zu verbüssen, der er sich mit seiner Flucht aus Regensdorf vorzeitig entzogen hat. Rund fünfzig jugendliche Sympatisanten forderten nach der Urteilsverkündung draussen vor dem Gericht Marco, libero.


20040604 Blick: Keine Freiheit für Marco Camenisch

Artikel vom 4. Juni 2004, 17:37 Uhr / Quelle: Blick Online

Keine Freiheit für Marco Camenisch

Bestritt bis zu letzt alles: Marco Camenisch vor Gericht (mit dem roten Leibchen).
ZEICHNUNG: KEYSTONE


ZÜRICH - Er will es nicht gewesen sein. Doch das Gericht ist überzeugt davon: Der Öko-Terrorist Marco Camenisch hat in Brusio GR einen Grenzwächter getötet. Dafür muss er jetzt büssen.

Vier Wochen dauerte der Prozess gegen Marco Camenisch. Unzählige Zeugen wurden geladen, um zu rekonstruieren, was sich vor 15 Jahren und mehr zugetragen hat. Es ging um den Mord an einem Grenzwächter vom 3. Dezember 1989 und den Tod eines Gefängniswärters von Ende 1981.
Jetzt ist das Urteil gesprochen worden. Das Zürcher Geschworenengericht sah es als erwiesen an, dass Marco Camenisch die Schüsse auf den Grenzwächter abgab. Dem Anklagepunkt Mordversuch - wegen des toten Gefängniswärters - folgte das Gericht allerdings nicht.

17 Jahre wegen Mordes hat der Öko-Terrorist dafür kassiert. Dazu kommen noch 8 Jahre einer 10-jährigen Zuchthausstrafe, denen er sich mit der Flucht aus dem Gefängnis Regensdorf ZH vorzeitig entzogen hat. Die Freiheit winkt frühestens 2018.

Ob Camenisch das Urteil akzeptiert, steht noch nicht fest. Seine Anhänger forderten nach der Verkündung einmal mehr: Marco, libero!





20040604 news.ch: Marco Camenisch: Verteidiger will Urteil anfechten

news.ch Freitag, 4. Juni 2004 / 19:23:19

Marco Camenisch: Verteidiger will Urteil anfechten

Zürich - 17 Jahre Zuchthaus für Marco Camenisch: Das Zürcher Geschworenengericht hat den 52-Jährigen des Mordes schuldig gesprochen. Nicht zu einem Schuldspruch kam es beim Vorwurf Mordversuch. Der Verteidiger will das Urteil anfechten.
Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet. Der Witwe und dem heute 17-jährigen Sohn des Opfers hat der Angeklagte insgesamt 100 000 Franken Genugtuung zu bezahlen.

Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf.

Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.

Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Gericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Camenisch nach seiner Verhaftung im November 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderer Delikte verurteilt worden war.

Wie diese Strafe zu berücksichtigen ist, darüber waren sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger völlig im Klaren. Rechtsanwalt Bernard Rambert will die Frage vom Bundesgericht geklärt haben. Er kündigte einen Weiterzug des Urteils an. Ob er auch den Schuldspruch anfechten werde, müsse er zuerst prüfen.

In seiner Würdigung der Beweislage erklärte Mathys, als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug.

Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tat-Sonntag im reformierten Pfarrhaus in Brusio. Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf.

Die Voraussetzungen für die Qualifikation der Tat als Mord waren laut Gericht klar gegeben: Der Angeklagte, der seit seinem Gefängnisausbruch 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er in Krass egoistischer Weise für sich entscheiden.



fest (Quelle: sda)


20040604 NZZ: Höhere Strafe als vom Staatsanwalt beantragt

4. Juni 2004, 21:44, Neue Zürcher Zeitung

Geschworenengericht in Zürich
Höhere Strafe als vom Staatsanwalt beantragt
Marco Camenisch zu Zusatzstrafe von 17 Jahren verurteilt

Wegen Mordes ist Marco Camenisch am Freitag vom Zürcher Geschworenengericht zu einer Zusatzstrafe von 17 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Weil die in Italien verbüsste Haft nicht angerechnet wird, kommt Camenisch frühestens in 14 Jahren frei.

Anhänger von Camenisch demonstrieren nach der Urteilsverkündung in Zürichs Altstadt.
(Bild key)

-yr. Zunächst schien es, als komme Marco Camenisch glimpflich davon. Zwar wurde er vom Zürcher Geschworenengericht schuldig gesprochen, 1989 im Puschlav den Grenzwächter Kurt Moser erschossen zu haben. Dafür wurde er mit einer sogenannten Zusatzstrafe von 17 Jahren Zuchthaus bestraft, wie der Gerichtspräsident Hans Mathys am Freitag an der Urteilseröffnung bekanntgegeben hat. Vom Vorwurf hingegen, beim Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf von 1981 mitverantwortlich für lebensgefährliche Schüsse auf einen Oberaufseher gewesen zu sein, wurde Camenisch freigesprochen.

Mehr als lebenslänglich

Erst am Schluss der rund einstündigen, mündlichen Urteilsbegründung erläuterte Gerichtspräsident Mathys die Konsequenz der Zusatzstrafe. Zusammen mit den in Italien begangenen Delikten - Sprengstoffanschläge und schwere Körperverletzung -, für die Camenisch bereits 1992 zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, sei das Gericht von einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ausgegangen. Die 17 Jahre Zuchthaus seien für den Angeklagten eine zusätzliche Strafe für den in Brusio (GR) begangenen Mord. Angerechnet werden Camenisch rund 2 Jahre Haft, die er seit seiner Auslieferung an die Schweiz im April 2002 abgesessen hat. Nicht angerechnet werden ihm aber vom Geschworenengericht jene 10  der 12 Jahre, die er in Italien in Haft verbracht hat. Konkret bedeutet dies, dass Camenisch, zusammen mit der Reststrafe aus dem Bündner Urteil von 1981, frühestens in 14 Jahren aus der Haft entlassen werden könnte. Dannzumal wäre er 66 Jahre alt.

Staatsanwalt Ulrich Weder hatte in seinem Plädoyer zwar ebenfalls eine lebenslängliche Freiheitsstrafe gefordert. Er ging aber davon aus, dass dem Angeklagten die in Italien verbüsste Haft angerechnet wird. Dies hätte bedeutet, dass Camenisch trotz lebenslänglich in etwas mehr als 7 Jahren - gute Führung und gute Prognose vorausgesetzt - hätte freikommen können. Weder sagte nach der Urteilseröffnung, das Geschworenengericht habe eine andere Betrachtungsweise eingenommen, die aber ebenfalls vertretbar sei. Camenischs Verteidiger Bernard Rambert hingegen kündigte unmittelbar nach dem Urteil an, wegen der Strafzumessung und insbesondere wegen der Berechnung der Reststrafe eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde einzureichen.

Für Rambert ist vor allem stossend, dass gemäss der Version des Geschworenengerichts die von Camenisch in Italien verbüsste Haft nicht angerechnet wird. Das hat zur Folge, dass sein Mandant zusammen mindestens 22 Jahre - plus die Bündner Strafe - in Haft verbringen muss. Bei einem Gesamturteil für den Mord in Brusio und für die Delikte in Italien, wie es Artikel 38 des Strafgesetzbuches vorsieht, hätte Camenisch hingegen selbst bei lebenslänglich die Chance, nach 15 Jahren plus Bündner Strafe, also 7 Jahre früher, bedingt entlassen zu werden. Deshalb geisterte im Gerichtssaal bald einmal die paradoxe Aussage herum, Camenisch sei mit mehr als lebenslänglich bestraft worden. Das Zürcher Amt für Justizvollzug, welches das Urteil wird umsetzen müssen, wollte keine Stellung nehmen, bevor etwas Schriftliches vorliegt.

Bei all den komplexen Rechnereien trat die eigentliche Urteilsbegründung etwas in den Hintergrund. Vom Vorwurf des Mordversuchs wurde Camenisch freigesprochen, weil ihm nicht bewiesen werden konnte, dass er beim Ausbruch aus dem Gefängnis eine aktive Rolle innegehabt hatte, als Schüsse gefallen waren. Das entscheidende Indiz hingegen, das den Angeklagten des Mordes am 36-jährigen Grenzwächter überführte, war für das Geschworenengericht die Identifikation der Tatwaffe. Es gebe keine Zweifel, dass die bei der Leiche gefundenen Patronen aus einem Revolver stammten, den Camenisch 1991 bei seiner Verhaftung in der Toskana bei sich trug.

Krass egoistisch gehandelt

Wichtig für den Schuldspruch war auch das stundenlange Verstecken im Pfarrhaus und die dort gemachte Aussage Camenischs, er habe getötet, um nicht getötet zu werden. Die unterschiedlichen Signalemente, die Augenzeugen vom Täter gaben, stufte das Gericht als normales Phänomen ein, das bei jedem Verkehrsunfall zu beobachten sei. Die Frage beispielsweise, ob Camenisch einen Bart getragen habe oder nicht, erachtete das Gericht als nicht bedeutend. Sämtliche Augenzeugen seien sehr schnell äusseren Einflüssen erlegen, unter anderem Fahndungsbildern, auf denen Camenisch einen Bart trug. Die Erschiessung des Grenzwächters bezeichnete das Gericht als völlig sinnlose Tat, bei der Camenisch krass egoistisch gehandelt habe: Bei der Abwägung der Interessen habe er die drohende Verbüssung seiner Reststrafe höher gewertet als das Leben des 36-jährigen Familienvaters.

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4. Juni 2004, 21:20, NZZ Online

Schweigen schützt vor Strafe nicht

Marco Camenisch erschoss Anfang Dezember 1989 im bündnerischen Brusio den Grenzwächter Kurt Moser mit drei gezielten Schüssen. Zu dieser Überzeugung gelangte am Freitag das Zürcher Geschworenengericht. Wer den Prozess während der vergangenen dreieinhalb Wochen verfolgt hat, konnte kaum zu einem anderen Schluss kommen. Die vom Staatsanwalt vorgetragene Indizienkette war fast lückenlos und liess keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft aufkommen. Andererseits wurde offensichtlich, dass das beharrliche Schweigen des Angeklagten nicht in erster Linie politisch, sondern taktisch motiviert war. Wer die Aussage verweigert, verstrickt sich zumindest nicht in Widersprüche. Und wer jahrelang schweigt, wird zu einem Mysterium. Ein Mysterium, das von Camenischs Sympathisanten und seinem versierten Verteidiger immer wieder mit allerlei Legenden und Gerüchten angereichert wurde.

Einige dieser Legenden sind im Scheinwerferlicht der Gerichtsverhandlung entzaubert worden, andere, teilweise während Jahren gepflegte Konstrukte sind in sich zusammengefallen. Zudem erwiesen sich sämtliche Zeugen der Verteidigung, die zum Sachverhalt aussagten, als wenig dienlich, die Unschuldsvermutung zu stützen. Es blieben alte Weggefährten, die Camenisch einhellig als liebenswürdigen Menschen beschreiben. Dies kann offen gelassen werden, wurde am Gericht jedenfalls von niemandem bestritten. Am Prozess ging es einzig darum, ob er an jenem verhängnisvollen Sonntagmorgen im Puschlav den Grenzwächter, der ihn hatte kontrollieren wollen, erschossen hatte. Allein dafür und für nichts anderes ist Camenisch zur Rechenschaft gezogen worden.

Zu dieser Tat hätte er stehen und die Verantwortung dafür übernehmen können. Stattdessen verweigerte Camenisch die Aussage in der Hoffnung, der Mord könne ihm nicht rechtsgenügend nachgewiesen werden. Bis Anfang des vergangenen Jahres waren seine Chancen durchaus intakt, in dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten - freigesprochen zu werden. Erst das im letzten Moment in Auftrag gegebene ballistische Gutachten hat die Beweislage schliesslich zuungunsten von Camenisch kippen lassen. Ob es vom Geschworenengericht allerdings geschickt war, den Angeklagten im Endeffekt sogar härter zu bestrafen, als dies der Staatsanwalt gefordert hatte, ist eine offene Frage. Mit der umstrittenen Strafzumessung beziehungsweise der Frage des Strafvollzugs wird sich wohl auch das Bundesgericht noch befassen.

Auf der anderen Seite tut Camenisch nichts, was auch nur einen Hauch von Einsicht erkennen liesse. Aus dem Gefängnis stellt er seitenlange Schreiben ins Internet, in denen er sich mit ziemlich allem und jedem auf dieser Welt solidarisiert. Ein Wort der Reue, des Bedauerns oder der Entschuldigung gegenüber dem Opfer oder dessen Angehörigen ist bisher aber ausgeblieben. Am ersten Prozesstag, an dem er sein Schweigen kurz durchbrach, bezeichnete er den erschossenen Kurt Moser als zum Töten wohl ausgebildeten und bewaffneten Soldaten des Staates der bürgerlichen Industrie- und Finanzoligarchie der Schweiz. Das ist Ausdruck tiefer Verachtung. Er habe getötet, um nicht getötet zu werden, soll Camenisch im Pfarrhaus gesagt haben, wo er sich nach der Tat stundenlang versteckt hielt. Das ist falsch. Camenisch wäre vom Grenzwächter nicht getötet, sondern festgenommen worden. Viel Leid hätte verhindert werden können. Für die Ehefrau des Grenzwächters, für dessen damals zweijährigen Sohn - und auch für Marco Camenisch und seine Familie.

Natürlich weist Camenischs Leben romanhafte Züge auf, die es für manche so schwierig machen, in ihm den abgebrühten Mörder zu sehen. Der aufmüpfige Revoluzzer, der sich gegen den Staat und die Industrie aufbäumt. Der dafür hart bestraft wird und die erste Gelegenheit zur Flucht benutzt - und dabei auch Todesopfer in Kauf nimmt. Der nach jahrelanger Flucht im Ausland in sein Heimatdorf zurückkehrt, um das Grab seines verstorbenen Vaters zu besuchen. Der in der Morgendämmerung ausgerechnet einem Grenzwächter über den Weg läuft - und den ehemaligen Arbeitskollegen seines Vaters erschiesst. Der sich danach im Pfarrhaus versteckt und somit den Pfarrer, einen engen Freund des verstorbenen Vaters, in einen tiefen Gewissenskonflikt stürzt.

Auf seinem Lebensweg ist Marco Camenisch in eine Gewaltspirale geraten, die bis hin zum Mord führte. Dafür wird er vom Rechtsstaat bestraft. Dass er den Mord weiterhin leugnet, muss er vor sich selber und seinem Gewissen verantworten.-yr.




20040604 SFDRS: Marco Camenisch: Verteidiger will Urteil anfechten

SFDRS 04.06.2004 18:59

Marco Camenisch: Verteidiger will Urteil anfechten

ZÜRICH - 17 Jahre Zuchthaus für Marco Camenisch: Das Zürcher Geschworenengericht hat den 52-Jährigen des Mordes schuldig gesprochen. Nicht zu einem Schuldspruch kam es beim Vorwurf Mordversuch. Der Verteidiger will das Urteil anfechten.

Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet. Der Witwe und dem heute 17-jährigen Sohn des Opfers hat der Angeklagte insgesamt 100 000 Franken Genugtuung zu bezahlen.

Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf.

Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.

Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Gericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Camenisch nach seiner Verhaftung im November 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderer Delikte verurteilt worden war.

Wie diese Strafe zu berücksichtigen ist, darüber waren sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger völlig im Klaren. Rechtsanwalt Bernard Rambert will die Frage vom Bundesgericht geklärt haben. Er kündigte einen Weiterzug des Urteils an. Ob er auch den Schuldspruch anfechten werde, müsse er zuerst prüfen.

In seiner Würdigung der Beweislage erklärte Mathys, als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug.

Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tat-Sonntag im reformierten Pfarrhaus in Brusio. Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf.

Die Voraussetzungen für die Qualifikation der Tat als Mord waren laut Gericht klar gegeben: Der Angeklagte, der seit seinem Gefängnisausbruch 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er in Krass egoistischer Weise für sich entscheiden.


20040604 SwissInfo: 17 Jahre Zuchthaus für Marco Camenisch

swissinfo 4. Juni 2004 18:04

17 Jahre Zuchthaus für Marco Camenisch

Der Öko-Terrorist Marco Camenisch (vorne). Zeichnung von Stefan Metzger. (Keystone)
Der 52-jährige so genannte Ökoterrorist Marco Camenisch ist am Freitag des Mordes an einem Zöllner in Brusio schuldig gesprochen worden.

Vor dem Zürcher Geschworenengericht erhielt Camenisch 17 Jahre Zuchthaus. Die Anklage wegen Mordversuchs wurde hingegen fallen gelassen.

ZUM THEMA
17 Jahre für Marco Camenisch
Mordprozess gegen Bündner "Öko-Terroristen"
Zuchthaus für Camenisch


Prozessbeginn: Zügig schreitet Marco Camenisch, flankiert von zwei Sicherheitsbeamten, zu seinem Stuhl. Die grauen Haare reichen ihm bis zur Stuhllehne. Er trägt eine blaue Cordhose und sein T-Shirt mit Kinderzeichnungen.

Er dreht sich zum Publikum - eine Hundertschaft. Die Hälfte davon sind Sympathisanten und Freunde. Von draussen tönt es in den Gerichtssaal hinein: "Marco - libero!" Nicht alle Gerichtsbesucher fanden Platz im Saal des Obergerichts Zürich.

Indizienkette: Nicht lückenlos, aber zweifelsfrei

Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos sei, erachtet das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR den damals 36-jährigen Grenzwächter und Familienvater Kurt Moser mit drei gezielten Schüssen getötet.

Die Frau und der heute 17-jährige Sohn des Grenzwächters sollen 100'000 Franken Genugtuung erhalten.

Laut dem Gerichtsvorsitzenden Hans Mathys weisen alle Indizien darauf hin, dass Camenisch den Zöllner umgebracht hat. "Weil diese Tat sinnlos war, musste Skrupellosigkeit angenommen werden", so Mathys. "Es war eine krass egoistische Tat."

Der Angeklagte, der seit seinem Gefängnisausbruch 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er in krass egoistischer Weise für sich entscheiden.

Erwiesener Ablauf der Tat

Und auch der Ablauf der Tat sei erwiesen: Camenisch tötete das schon schwer verletzt am Boden liegende Opfer mit einem Kopfschuss noch vollends. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein unbekannter Dritter die Tat verübt haben könnte, so Mathys.

Als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug.

Deshalb spricht das Zürcher Geschworenengericht den 52-Jährigen am Freitag des Mordes schuldig.

Mord ja, Mordversuch nein

Im Anklagepunkt Mordversuch folgt das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage des Staatsanwalts: Im Anklagepunkt Mordversuch kommt es nicht zu einem Schuldspruch.

"Das Geschworenengericht hatte eine andere Betrachtungsweise als die Anklage", sagt Staatsanwalt Ulrich Weder gegenüber swissinfo, "aber ich akzeptiere das Urteil".

Es geht dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf ZH. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung.

Strafmass-Kalkulationen

Auch wenn der Angeklagte ganz freigesprochen worden wäre, müsste er noch jenen Rest der 10-jährigen Zuchthaus-Strafe verbüssen, zu der ihn das Bündner Kantonsgericht 1981 verurteilt hatte.

Das sind acht Jahre. Verhaftet worden war er Anfang 1980. Ende 1981 war Camenisch aus der Strafanstalt Regensdorf ausgebrochen. Diese acht Jahre muss Camenisch nun zusätzlich zur am Freitag ausgesprochenen Strafe absitzen.

Im April 2002 war Camenisch von Italien an die Schweiz ausgeliefert worden, er sitzt also schon zwei Jahre im Schweizer Gefängnis. Diese werden ihm angerechnet.

Ein italienisches Gericht hatte Camenisch 1992 wegen Sprengstoff-Anschlägen und schwerer Körperverletzung zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. 10,5 dieser 12 Jahre sass er in Italien ab, bis 2002.

Unklar ist nun, in welchem Mass die im Ausland verbüsste Haft angerechnet wird. Sowohl der Staatsanwalt wie auch der Verteidiger von Camenisch sind sich einig, dass sie angerechnet werden soll.

Verbleibende Haftzeit von Wohlverhalten abhängig

Die zu verbüssende Haftzeit würde sich dadurch verringern. Auch eine bedingte Entlassung ist denkbar - falls der militante "Ökoterrorist" die Voraussetzungen dafür erfüllt. Der Staatsanwalt verneint dies jedoch aus heutiger Sicht, wegen der laut ihm noch anhaltenden Gefährlichkeit von Camenisch.

"Die Tat ist eine lange Zeit her", sagt auch Mathys. Dieser Umstand könne aber nur dann als strafmildernd gelten, wenn von Seiten Camenisch Wohlverhalten vorliege. "Davon kann keine Rede sein, wenn man seine Delikte in Italien anschaut."

Verteidiger zieht Prozess weiter

Camenischs Verteidiger sieht das anders: "Ich hatte Freispruch verlangt", sagt Bernard Rambert. "Bezüglich Regensdorf wurde Camenisch freigesprochen. Das ist aber nur ein Pyrrhus-Sieg. Das ganze Urteil ist für mich eine Niederlage." Er werde es auf jeden Fall eine Gerichtsinstanz weiterziehen. Ob er auch den Schuldspruch anfechten werde, müsse er zuerst prüfen.

Am Ende des Prozesses erhebt sich der Verurteilte Camenisch und dreht sich nochmals zum Publikum. Er faltet die Hände auf seiner Brust, wirft eine Kusshand in Richtung Publikum, und ballt die Hand dann zur erhobenen Faust.

swissinfo, Philippe Kropf und Agenturen


20040604 TA: 17 Jahre für Mord

04.06.2004 15:39, ergänzt 18:34 -- Tages-Anzeiger Online

17 Jahre für Mord

Öko-Aktivist Marco Camenisch muss wegen Mordes an einem Grenzwächter für siebzehn Jahre hinter Gitter. Der Verteidiger will das Urteil anfechten.

Camenisch-Prozess

Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet. Der Witwe und dem heute 17-jährigen Sohn des Opfers hat der Angeklagte insgesamt 100'000 Franken Genugtuung zu bezahlen.
Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung. Dafür wäre laut Gericht aber ein aktiverer Beitrag Camenischs nötig gewesen.

Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Und auch der Ablauf der Tat sei erwiesen: Camenisch tötete das schon schwer verletzt am Boden liegende Opfer mit einem Kopfschuss noch vollends. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein unbekannter Dritter die Tat verübt haben könnte.

Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Gericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Camenisch nach seiner Verhaftung im November 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderer Delikte verurteilt worden war.

Wie diese Strafe zu berücksichtigen ist, darüber waren sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger völlig im Klaren. Rechtsanwalt Bernard Rambert will die Frage vom Bundesgericht geklärt haben. Er kündigte einen Weiterzug des Urteils an. Ob er auch den Schuldspruch anfechten werde, müsse er zuerst prüfen.

In seiner Würdigung der Beweislage erklärte Mathys, als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug.

Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tat-Sonntag im reformierten Pfarrhaus in Brusio, sein dortiges Verhalten und seine Äusserungen, welche die Pfarrersleute immer mehr davon überzeugten, dass er den Grenzwächter erschossen habe.

Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf. Dass die Beschreibungen sich in Details unterschieden, sei üblich bei Augenzeugen - bei deren Würdigung sei immer äusserste Zurückhaltung geboten.

Recht gab der Gerichtspräsident dem Verteidiger, welcher die Identifikation via Fotos gerügt hatte. Die Zeugen seien hier tatsächlich nicht unbeeinflusst geblieben. Diese Angaben seien aber nicht das Entscheidende gewesen.

(nab/rom/sda)



20040604 ZOL: 17 Jahre Zuchthaus für Camenisch

ZOL 4.06.04

17 Jahre Zuchthaus für Camenisch
Das Zürcher Geschworenengericht findet den 52-jährigen Angeklagten des Zöllnermordes für schuldig

sda. 17 Jahre Zuchthaus für Marco Camenisch: Das Zürcher Geschworenengericht hat den 52-Jährigen am Freitag des Mordes schuldig gesprochen. Nicht zu einem Schuldspruch kam es beim Vorwurf Mordversuch. Der Verteidiger will das Urteil anfechten.

Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet. Der Witwe und dem heute 17-jährigen Sohn des Opfers hat der Angeklagte insgesamt 100 000 Franken Genugtuung zu bezahlen.


Mordversuch fallen gelassen

Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung. Dafür wäre laut Gericht aber ein aktiverer Beitrag Camenischs nötig gewesen.

Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Und auch der Ablauf der Tat sei erwiesen: Camenisch tötete das schon schwer verletzt am Boden liegende Opfer mit einem Kopfschuss noch vollends. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein unbekannter Dritter die Tat verübt haben könnte.


Weiterzug angekündigt

Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Gericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Camenisch nach seiner Verhaftung im November 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderer Delikte verurteilt worden war.

Wie diese Strafe zu berücksichtigen ist, darüber waren sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger völlig im Klaren. Rechtsanwalt Bernard Rambert will die Frage vom Bundesgericht geklärt haben. Er kündigte einen Weiterzug des Urteils an. Ob er auch den Schuldspruch anfechten werde, müsse er zuerst prüfen, sagte Rambert vor Gericht.


Zentrale Rolle: Tatwaffe

In seiner Würdigung der Beweislage erklärte Mathys, als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug. Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tatsonntag im reformierten Pfarrhaus in Brusio, sein dortiges Verhalten und seine Äusserungen, welche die Pfarrersleute immer mehr davon überzeugten, dass er den Grenzwächter erschossen habe.

Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf. Dass die Beschreibungen sich in Details unterschieden, sei üblich bei Augenzeugen - bei deren Würdigung sei immer äusserste Zurückhaltung geboten.

Recht gab der Gerichtspräsident dem Verteidiger, welcher die Identifikation via Fotos gerügt hatte. Die Zeugen seien hier tatsächlich nicht unbeeinflusst geblieben. Diese Angaben seien aber nicht das Entscheidende gewesen.


Skrupellos und krass egoistisch

Die Voraussetzungen für die Qualifikation der Tat als Mord waren laut Gericht klar gegeben: Der Angeklagte, der seit seinem Gefängnisausbruch 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er in krass egoistischer Weise für sich entscheiden. Dazu kam das skrupellose Vorgehen.

Das Verschulden wiege im Vergleich zu anderen Mordtaten mindestens mittelschwer. Die Tat sei nicht geplant und vorbereitet gewesen. Dem Täter sei zuzubilligen, dass er, vom Auftauchen des Grenzwächters überrascht, den Tatentschluss erst in letzter Sekunde fasste.


Risiko eingegangen

Sicher sei Camenisch in einer Stresssituation gewesen, sagte Mathys: Seit seinem Ausbruch lebte er auf der Flucht. Er konnte mit seiner Familie kaum Kontakt haben. An der Beerdigung seines Vaters einige Wochen zuvor konnte er nicht teilnehmen. Es sei nachvollziehbar, dass er schliesslich das Risiko eingegangen sei, nach Brusio zu fahren, um das Grab des Vaters zu besuchen.


Der Zürcher Oberländer / Anzeiger von Uster


20040605 BaZ: Reto Camenisch büsst Mord mit Zuchthausstrafe

BaZ Erschienen am: 05.06.2004

Reto Camenisch büsst Mord mit Zuchthausstrafe

Der Anarchist und Umweltaktivist Marco Camenisch ist vom Zürcher Geschworenengericht zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Nicht schuldig gesprochen wurde der 52-Jährige für Schüsse auf einen Gefängniswärter. Die Verteidigung will das Urteil anfechten.

Zürich. SDA. Das Zürcher Geschworenengericht erachtet es als erwiesen, dass der Bündner Marco Camenisch am 3. Dezember 1989 in Brusio (Puschlav) einen Grenzwächter erschossen hat. Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, bestehen für das Gericht keine vernünftigen Zweifel mehr an der Täterschaft des Angeklagten. Der 36-jährige Beamte war mit drei gezielten Schüssen getötet worden. Der Witwe und dem heute 17-jährigen Sohn des Opfers hat der Angeklagte insgesamt 100 000 Franken Genugtuung zu bezahlen.

Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse auf einen Gefängisbeamten beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung. Dafür wäre laut Gericht aber ein aktiverer Beitrag Camenischs nötig gewesen.
Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Und auch der Ablauf der Tat sei erwiesen: Camenisch tötete das schon schwer verletzt am Boden liegende Opfer mit einem Kopfschuss noch vollends. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein unbekannter Dritter die Tat verübt haben könnte. Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Gericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Camenisch nach seiner Verhaftung im November 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderer Delikte verurteilt worden war.


Keine Entlassung in Sicht

Die Mordtat zusammen mit den übrigen Delikten würde gemäss Gericht eine lebenslängliche Strafe rechtfertigen - eine Strafe also, die 20 Jahre übersteigt und für die kein Entlassungstermin festgelegt ist. Das Gericht erachtete in dieser Situation 17 Jahre als Zusatzstrafe für angemessen. Im Gegensatz zu einer lebenslänglichen Strafe kommt Camenisch laut Staatsanwalt Ulrich Weder mit der zeitlich begrenzten Strafe irgendwann mit Sicherheit auf freien Fuss. Für eine vorzeitige Entlassung sei unter anderem eine günstige Zukunftsprognose Voraussetzung. Eine solche sei bei Camenisch mindestens zurzeit aber nicht gegeben. Verteidiger Rambert kündigte an, er wolle den Zusammenhang der Haftdauer mit den früheren Urteilen vom Bundesgericht klären lassen. Er werde das Urteil deshalb anfechten.


Camenisch trug Waffe auf sich

In seiner Würdigung der Beweislage erklärte Mathys, als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug. Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tat-Sonntag im reformierten Pfarrhaus in Brusio, sein dortiges Verhalten und seine Äusserungen, welche die Pfarrersleute immer mehr davon überzeugten, dass er den Grenzwächter erschossen habe.
Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf. Dass die Beschreibungen sich in Details unterschieden, sei üblich bei Augenzeugen - bei deren Würdigung sei immer äusserste Zurückhaltung geboten. Recht gab der Gerichtspräsident dem Verteidiger, welcher die Identifikation via Fotos gerügt hatte. Die Zeugen seien hier tatsächlich nicht unbeeinflusst geblieben. Diese Angaben seien aber nicht das Entscheidende gewesen.
Die Voraussetzungen für die Qualifikation der Tat als Mord waren laut Gericht klar gegeben: Der Angeklagte, der seit seinem Gefängnisausbruch 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er in krass egoistischer Weise für sich entschieden. Dazu kam das skrupellose Vorgehen. Das Verschulden wiege im Vergleich zu anderen Mordtaten mindestens mittelschwer. Die Tat sei nicht geplant und vorbereitet gewesen. Dem Täter sei zuzubilligen, dass er, vom Auftauchen des Grenzwächters überrascht, den Tatentschluss erst in letzter Sekunde fasste.
Sicher sei Camenisch in einer Stresssituation gewesen, sagte Mathys: Seit seinem Ausbruch lebte er auf der Flucht. Er konnte mit seiner Familie kaum Kontakt haben. An der Beerdigung seines Vaters einige Wochen zuvor konnte er nicht teilnehmen. Es sei nachvollziehbar, dass er schliesslich das Risiko eingegangen sei, nach Brusio zu fahren, um das Grab des Vaters zu besuchen.


20040605 Bund: 17 Jahre Zuchthaus

Der Bund: Schweiz Ausgabe vom 05.06.2004

17 Jahre Zuchthaus

Zürcher Geschworene halten Marco Camenisch zweifelsfrei für schuldig

Marco Camenisch muss für 17 Jahre ins Zuchthaus: Das Zürcher Geschworenengericht hat den 52-Jährigen am Freitag des Mordes schuldig gesprochen. Nicht zu einem Schuldspruch kam es beim Vorwurf Mordversuch. Der Verteidiger will das Urteil anfechten.


Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Marco Camenisch hat am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet. Der Witwe und dem heute 17-jährigen Sohn des Opfers hat der Angeklagte insgesamt 100 000 Franken Genugtuung zu bezahlen.


Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Zürcher Strafanstalt Regensdorf. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung. Dafür wäre laut Gericht aber ein aktiverer Beitrag Camenischs nötig gewesen.
Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Und auch der Ablauf der Tat sei erwiesen: Camenisch tötete das schon schwer verletzt am Boden liegende Opfer mit einem Kopfschuss noch vollends. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein unbekannter Dritter die Tat verübt haben könnte.
Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Geschworenengericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Marco Camenisch nach seiner Verhaftung im November 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderen Delikten verurteilt worden war. Wie diese Strafe zu berücksichtigen ist, darüber waren sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger völlig im Klaren. Rechtsanwalt Bernard Rambert will die Frage vom Bundesgericht geklärt haben. Er kündigte einen Weiterzug des Urteils an. Camenisch muss zudem noch acht Jahre der Strafe des Bündner Kantonsgerichte von Anfang 1981 für Sprengstoffdelikte im Raum Bad Ragaz verbüssen.


Zentrale Rolle: Tatwaffe

In seiner Würdigung der Beweislage erklärte Mathys, als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug. Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tat-Sonntag im reformierten Pfarrhaus in Brusio gewesen, sein dortiges Verhalten und seine Äusserungen, welche die Pfarrersleute in Brusio immer mehr davon überzeugten, dass er den Grenzwächter erschossen habe.
Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf. Dass die Beschreibungen der Augenzeugen sich in Details unterschieden, sei durchaus nicht ungewöhnlich - bei deren Würdigung sei immer äusserste Zurückhaltung geboten.
Recht gab der Gerichtspräsident dem Verteidiger, welcher die Identifikation via Fotos gerügt hatte. Die Zeugen seien hier tatsächlich nicht unbeeinflusst geblieben. Diese Angaben seien aber nicht das Entscheidende gewesen.


Skrupellos und krass egoistisch

Die Voraussetzungen für die Qualifikation der Tat als Mord waren laut Gericht klar gegeben: Der Angeklagte, der seit seinem Gefängnisausbruch 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er sich in krass egoistischer Weise für sich entschieden. Dazu kam das skrupellose Vorgehen.
Das Verschulden wiege im Vergleich zu anderen Mordtaten mindestens mittelschwer. Die Tat sei nicht geplant und vorbereitet gewesen. Dem Täter sei zuzubilligen, dass er, vom Auftauchen des Grenzwächters überrascht, den Tatentschluss erst in letzter Sekunde fasste.


Camenisch unter Stress

Sicher sei Camenisch in einer Stress-Situation gewesen, sagte Mathys: Seit seinem Ausbruch lebte er auf der Flucht. Er konnte mit seiner Familie kaum Kontakt haben. An der Beerdigung seines Vaters einige Wochen zuvor konnte er nicht teilnehmen. Es sei nachvollziehbar, dass er schliesslich das Risiko eingegangen sei, nach Brusio zu fahren, um das Grab des Vaters zu besuchen. (sda,ap)



20040605 tagblatt: Egoistisch und skrupellos / 17 Jahre Zuchthaus für Camenisch

Tagblatt 5.06.04
Schlagzeilen

17 Jahre Zuchthaus für Camenisch

zürich. Das Zürcher Geschworenengericht hat gestern Marco Camenisch des Mordes schuldig gesprochen und zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Obwohl die Indizienkette nicht lückenlos war, erachtete das Gericht die Täterschaft des Angeklagten als zweifelsfrei erwiesen. Er hatte 1989 in Brusio GR einen Grenzwächter getötet. Von der Anklage des Mordversuchs wurde er freigesprochen. (ap) schauplatz/12

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Egoistisch und skrupellos

Marco Camenisch wegen Zöllnermord zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt - Von Mordversuch freigesprochen
zürich. Marco Camenisch ist gestern vom Zürcher Geschworenengericht wegen des Zöllnermordes in Brusio GR zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Camenisch hatte am 3. Dezember 1989 in Brusio GR einen 36-jährigen Grenzwächter mit drei gezielten Schüssen getötet. Im Anklagepunkt Mordversuch folgte das Gericht dagegen nicht der Argumentation der Anklage. Es ging dabei um Schüsse beim Ausbruch einer Gruppe von Häftlingen Ende 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf. Camenisch hatte nicht selbst geschossen, trug aber laut Staatsanwalt die Mitverantwortung. Dafür wäre laut Gericht aber ein aktiverer Beitrag Camenischs nötig gewesen.

Zentrale Rolle: Tatwaffe

Gemäss Gerichtspräsident Hans Mathys liess die Würdigung sämtlicher Indizien keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Und auch der Ablauf der Tat sei erwiesen: Camenisch tötete das schon schwer verletzt am Boden liegende Opfer mit einem Kopfschuss noch vollends. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass ein unbekannter Dritter die Tat verübt haben könnte. Als Indiz am schwersten habe die Tatsache gewogen, dass Camenisch bei seiner Verhaftung 1991 in Italien die Tatwaffe von Brusio auf sich trug, erklärte Mathys. Ebenfalls stark belastend seien sein Aufenthalt am Tat-Sonntag im Pfarrhaus in Brusio, sein dortiges Verhalten und seine Äusserungen, welche die Pfarrersleute immer mehr davon überzeugten, dass er den Grenzwächter erschossen habe. Die Aussagen verschiedener Zeugen, die den Täter vor, während und nach der Tat beobachtet hatten, passten zudem genau zum zeitlichen und örtlichen Ablauf.

Für sich entschieden

Der Angeklagte, der seit 1981 untergetaucht war, habe abgewogen zwischen einer erneuten Verhaftung und dem Leben eines Grenzwächters. Dabei habe er in krass egoistischer Weise für sich entschieden. Dazu kam das skrupellose Vorgehen. Das Verschulden wiege im Vergleich zu anderen Mordtaten mindestens mittelschwer.

Heikle juristische Fragen

Die 17-jährige Zuchthausstrafe fällte das Gericht als Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe, zu welcher Camenisch 1991 in Italien wegen Sprengstoff- und anderer Delikte verurteilt worden war. Wie diese Strafe zu berücksichtigen ist, darüber waren sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger völlig im Klaren. Letzterer will das Urteil anfechten. (sda)



20040607 NZZ: Offene Fragen zu Camenischs Strafvollzug

7. Juni 2004, 08:24, Neue Zürcher Zeitung

Offene Fragen zu Camenischs Strafvollzug
Stellungnahme des Geschworenengerichts

-yr. Die Diskussion, welche Konsequenzen die vom Geschworenengericht ausgesprochene Zusatzstrafe für Marco Camenisch haben wird, ist am Wochenende weitergeführt worden. Der 52- jährige Bündner war am Freitag des Mordes an einem Grenzwächter schuldig gesprochen und mit 17 Jahren Zuchthaus bestraft worden (NZZ 5./ 6. 6. 04). Weil es sich um eine Zusatzstrafe zu einer 12-jährigen Haftstrafe in Italien handelt, wurde das Urteil auch in der NZZ dahingehend interpretiert, dass es in der Konsequenz für den Angeklagten paradoxerweise ungünstiger ausfalle, als wenn er zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Diese Interpretation sei falsch, teilte Gerichtspräsident Hans Mathys am Samstag mit - zumindest sei dies nicht die Absicht des Gerichts gewesen.

Zuständigkeit des Amtes für Justizvollzug

Wie die beiden gegen Camenisch ausgesprochenen Strafen - jene aus Italien und jene des Geschworenengerichts - schliesslich verrechnet werden, liegt laut Mathys allerdings nicht in der Kompetenz des Gerichts, sondern sei Angelegenheit des kantonalen Amtes für Justizvollzug. Deshalb habe er sich anlässlich der mündlichen Urteilseröffnung nicht dazu geäussert, sagte Mathys. Er gehe aber davon aus, dass die Zuchthausstrafe von 17 Jahren für Camenisch nicht härtere Konsequenzen haben dürfe, als sie eine lebenslängliche Freiheitsstrafe hätte. Mathys versicherte, er werde dies im schriftlichen Urteil auch so festhalten. Das Amt für Justizvollzug seinerseits, das die Strafe umsetzen muss, will dazu erst Stellung nehmen, wenn das schriftliche Urteil vorliegt.

Ausgangsbasis für die Diskussion ist Art. 68, Ziff. 2 des Strafgesetzbuches. Darin wird festgehalten, dass ein Täter für ein Delikt, das er begangen hat, bevor er wegen einer anderen Tat verurteilt worden ist, nicht schwerer bestraft wird, als wenn die beiden Straftatbestände gleichzeitig beurteilt worden wären. Den Mord von Brusio (GR) hatte Camenisch 1989 verübt, drei Jahre bevor er in Italien wegen Sprengstoffanschlägen und schwerer Körperverletzung zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Das Geschworenengericht ging davon aus, dass Camenisch für alle Delikte zusammen eine lebenslängliche Freiheitsstrafe erhalten hätte. Folglich war das Gericht bezüglich des Strafmasses für den Mord von Brusio nach oben frei, ohne Art. 68 zu verletzen. Für Gerichtspräsident Mathys ist insbesondere wichtig, dass die gegen Camenisch ausgesprochene Strafe von 17 Jahren Zuchthaus deutlich unter dem Antrag des Staatsanwalts liegt, der lebenslänglich gefordert hatte. Das tiefere Strafmass begründet sich insbesondere damit, dass Camenisch vom Vorwurf des Mordversuchs anlässlich des Ausbruchs aus der Strafanstalt Regensdorf freigesprochen wurde.

Weniger klar als beim Strafmass sind die gesetzlichen Richtlinien beim Strafvollzug. Doch Gerichtspräsident Mathys ist der Meinung, dass auch in der Frage des Vollzugs die für den Angeklagten günstigere Variante angewendet werden müsse. Das Problem sei aber, dass es diesbezüglich kaum eine Rechtspraxis gebe, insbesondere nicht mit lebenslänglichen Freiheitsstrafen. Letztlich liege es an den Vollzugsbehörden, die für das Gericht selbstverständliche Interpretation - dazu gehört auch die Anerkennung der von Camenisch in Italien verbüssten Haft - vorzunehmen.

Die paradoxe Differenz, die im Vollzug von Camenischs Strafe entsteht, ist mathematisch bedingt: Weil die 17 Jahre Zuchthaus eine Zusatzstrafe sind, müssen die 12 Jahre Haft des italienischen Urteils hinzugezählt werden. Von diesen insgesamt 29 Jahren muss Camenisch mindestens zwei Drittel verbüssen, also 19 1/3 Jahre. Wäre Camenisch am Freitag vom Geschworenengericht aber zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden, sähe die Rechnung folgendermassen aus: lebenslänglich plus die 12 Jahre aus Italien gibt immer noch lebenslänglich. In diesem Fall hätte Camenisch bereits nach 15 Jahren die Möglichkeit, auf Bewährung entlassen zu werden - also 4 1/3 Jahre früher.

7 Jahre Zuchthaus?

Gerichtspräsident Mathys geht deshalb davon aus, dass diese für Camenisch günstigere Variante zur Anwendung kommt. Von diesen 15 Jahren hat der 52-jährige Bündner seit seiner Verhaftung Ende 1991 in der Toskana 12 Jahre abgesessen - es verbleiben also noch 2 Jahre zuzüglich rund 5 Jahre Reststrafe vom Bündner Urteil 1981. Somit hätte er die Möglichkeit, etwa in 7 Jahren entlassen zu werden - sofern ihm eine günstige Prognose gestellt wird. Darüber gehen die Meinungen hingegen wieder weit auseinander.



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