Junge Welt (17.06.2002)


Opfer der Festung Europa

Rund 2000 Menschen demonstrierten am Sonnabend gegen das südwestdeutsche Grenzregime

Weil am Rhein. Zwischen 1500 und 2000 Menschen demonstrierten am Sonnabend gegen den Ausbau polizeilicher Kontrollen und staatlicher Überwachung im südwestdeutschen Dreiländereck. Der länderübergreifende Protestmarsch, zu dem über 100 Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen aus dem Elsaß, Baden und der Schweiz aufgerufen hatten, begann mit Kundgebungen in Basel und Grenzach-Wyhlen.

Bereits morgens um zehn Uhr versammelten sich rund 700 Menschen auf dem Basler Claraplatz und marschierten nach einer Kundgebung Richtung Grenze. Dort trafen sie auf rund 1000 französische und deutsche Demonstranten, die sich in Weil am Rhein versammelt hatten. «No border, no control, no nation» stand auf dem Fronttransparent, auf dem Sägen einen rotweiß-gestreiften Grenzbaum in zwei Teile zerlegten.

Vom Rheinpark ging der Marsch zur Zentrale des Bundesgrenzschutz (BGS). Dort wurde in einem Redebeitrag auf mehrere hundert Tote hingewiesen, die in den vergangenen Jahren Opfer der «Festung Europa» geworden sind. Auf dem Weiler Marktplatz forderte André Mertens von der Deutschen Friedensgesellschaft Freiburg offene Grenzen für Deserteure. Über die Situation der rund 150'000 «Sans-Papiers» der Schweiz, sprich Flüchtlinge ohne Papiere, redete Jost Arnet von der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI) aus Basel. «Wer Sans-Papiers beschäftigt, macht extreme Sonderprofite. Damit das auch klappt, braucht es noch eine Komponente mehr im System: Die Polizei und die Behörden müssen mitspielen», kritisierte Arnet diese «Sklaverei des 21.Jahrhunderts».

Ziel der Demo war der Abschiebeknast Basel, direkt an der Grenze gelegen. Dort zeigten die Demonstranten durch Feuerwerkskörper, Hämmern an den Gitterstäben und ein minutenlanges Pfeifkonzert, was sie von Einrichtungen dieser Art halten. «Dieser millionenteure Bau ist das Beton und Stacheldraht gewordene Symbol für die inhumane Abschreckungs- und Abschiebepolitik unserer reichen Schweiz. Hier werden Menschen gefangengehalten, die nichts verbrochen haben, außer daß sie unerwünscht sind und den richtigen Stempel auf dem richtigen Papier nicht vorweisen können», sagte Dieter Bäumli von der antirassistischen Initiative «augenauf». Hier betreibt die Alpenrepublik seit November 2000 einen hochmodernen und mit reichlich Stacheldraht gesicherten Knast für 48 Häftlinge. Zwei Flüchtlinge wurden in der jüngsten Vergangenheit Opfer der helvetischen Abschiebepolitik: Der 27jährige Palästinenser Khaled Abuzarifa erstickte am 3. März 1999 bei seiner Abschiebung in Zürich aufgrund eines Mundknebels, der 27jährige Nigerianer Samson Chukwu starb am 1. Mai 2001 ebenfalls während einer gewaltsamen Abschiebung. «Angesichts dieser Tatsachen gibt es nur eine Antwort - Bleiberecht für alle, und zwar jetzt sofort», forderte Bäumli. «Diese erste grenzüberschreitende Demonstration im Dreiländereck ist der Beginn eines länderübergreifenden antirassistischen Netzwerkes», sagte Hannes Reiser von «Solidarité sans frontière gegenüber» jW.

Martin Höxtermann